Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2745]

Bullinger im Namen der Zürcher Pfarrer
an Martin Bucer und die Schulherren von Straßburg
Zürich,
10. Januar 1547

Autographer Entwurf mit nachträglichen Korrekturen: Zürich StA, E II 345, 363. 368 Druck: CO XII 462-466, Nr. 872

[1] Die Zürcher haben den Brief ihrer Straßburger Kollegen [HBBW XVIII, Nr. 2704, vom 6. Dezember 1546] gut empfangen. Aufgrund ihrer vielen Aufgaben kommen sie erst jetzt dazu, ihn zu beantworten. [2]In ihrem Schreiben haben die Straßburger dargelegt, wie sie mit den Zürcher [Studenten], Ludwig Lavater und Jakob Gessner, umgegangen sind. Sie baten ferner die Zürcher Pfarrer, ihre Jugendlichen aufzufordern, sich nicht mehr zu weigern, am Straßburger Abendmahl teilzunehmen, zumal von ihnen nichts anderes erwartet wird, als dass sie sich an das Basler Glaubensbekenntnis 1 halten, sowie an Paulus' Aussage: "Das Brot, das wir brechen, usw." 2 [3] Zunächst sollen die Straßburger wissen, dass diese Jugendlichen keine Stipendien der Zürcher Kirche erhalten, sondern von ihren Eltern finanziell unterstützt werden. Letztere ermahnten sie, den Glauben, in dem sie aufgewachsen sind, nicht aufzugeben. Denn sollten sie diesen verleugnen, müssten sie sich eine andere Heimat und andere Eltern suchen! Auch die Pfarrer und Lehrer von Zürich ermahnten sie in diesem Sinne. Und da jeder Teilnehmer am Abendmahl seinen Glauben bekundet, wurden sie von ihren Pfarrern und Lehrern angehalten, das Abendmahl nicht zusammen mit Menschen zu feiern, von denen sie wüssten, dass sie nicht die Abendmahlsauffassung der Zürcher teilten. Wenn also die Jugendlichen ablehnten, sich in Straßburg am Abendmahl zu beteiligen, kann man davon ausgehen, dass man dort diesbezüglich nicht das Gleiche wie in Zürich unterrichtet. Deshalb können die Zürcher nicht von ihren Jugendlichen verlangen, ihre Haltung zu ändern. [4] Würden diese nämlich in Straßburg am Abendmahl teilnehmen, würden sie damit bekunden, dass sie die dortige Auffassung über die Sakramente billigen. Oder sollten sie etwa an etwas teilnehmen, woran sie nicht glauben? Und warum sollten ihre Lehrer und Pfarrer sie anhalten, gegen ihre Überzeugung und ihr Gewissen zu handeln? Sie sind ja alt und klug genug, um die Lehrunterschiede

52 Anna, geb. Adlischwyler.
53 Zu deren Namen s. Nr. 2735, Anm. 10.
54 Elsbeth, geb. Kambli.
55 Theodor Bibliander.
1 Gemeint ist das Erste Helvetische Bekenntnis von Februar 1536.
2 1Kor 10, 16.


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zwischen Zürich und Straßburg selbst feststellen zu können! [5]Anscheinend will man von ihnen nichts anderes verlangen, als sich an Paulus' Worte "das Brot, das wir brechen, ist es denn nicht [Gemeinschaft am Leibe Christi?]" zu halten. Doch liegt der Unterschied zwischen Zürich und Straßburg präzis in der Auslegung dieser Worte. Ferner setzt die Teilnahme an den Sakramenten Aufrichtigkeit und einen gemeinsamen Glauben mit den anderen Teilnehmenden voraus. Doch lehrt Bucer nicht wie die Zürcher! Ja, er hat sogar seine Meinung diesbezüglich geändert! Die Zürcher verstehen die Worte des Apostels genauso, wie diese während der Berner Disputation [von 1528] (eine Disputation, die Bucer selbst unterschrieben hat)3 ausgelegt und auch von Bucer in seinen Enarrationes [perpetuae in sacra quatuor]Evangelia 4 oder in seinem "Arbogast"5 dargelegt wurden. Da Bucer aber vor einigen Jahren seine Meinung änderte, um sich der Lehre Luthers anzuschließen, sind die Zürcher, die noch immer die gleiche Ansicht wie Paulus vertreten, nicht mehr seiner Auffassung. Mehr dazu braucht hier nicht gesagt zu werden. Die Zürcher denken, dass sie Luther schon zur Genüge geantwortet haben. Und was dieser hartnäckig über das Abendmahl und über die Zürcher bis zu seinem Tode 6 dachte, ja auch nach der an ihn gerichteten Antwort der Zürcher, 7 kommt in seiner Schrift gegen die Löwener Theologen 8 klar zum Ausdruck: "Art. 15. In der Eucharistie, diesem ehr- und anbetungswürdigen Sakrament, befindet sich der eigentliche Leib und das eigentliche Blut Christi, welche sowohl den Würdigen als auch den Unwürdigen dargeboten und von diesen wahrhaftig aufgenommen werden." Dies will Luther schon seit langem aus 1Kor 10 gelernt haben! Er schreibt ferner: "Art. 27. Wir hüten uns sehr vor den Häretikern. So sind die Zwinglianer und alle Sakramentierer (die bestreiten, dass in der ehrwürdigen Eucharistie der Leib und das Blut Christi fleischlich mit dem Mund aufgenommen werden) nicht Teil der Kirche Gottes!" Soweit Luther, der sich als orthodoxer und katholischer Doktor der Kirche ausgab. [6]In ihrem Brief schreiben die Straßburger, dass sie den Herrn bitten, die Zürcher zur richtigen Auffassung der Straßburger zu führen. Dies bedeutet also, dass die Zürcher nicht die Auffassung des Herrn teilen! Zwischen den Zürchern und den Straßburgern gibt es aber nur eine Kontroverse, jene über die Stelle von Paulus in 1Kor 10 und über die Worte des Herrn: "Dies ist mein Leib 9 . Wann immer man den Zürchern die Worte Paulus' vorhält, antworten diese, dass sie keines anderen Bekenntnisses bedürfen, als solch eines, das diese Worte enthält; dass es aber offensichtlich sei, dass die Straßburger jene Stelle anders als die Zürcher auslegen und demzufolge nicht das Gleiche bekennen. Wie sollten also die Zürcher ihre Landsleute anhalten, im Glauben an die Worte des Apostels gemeinsam mit den Straßburgern am Abendmahl teilzunehmen, wo doch Bucer diese Worte ganz anders als die Zürcher deutet? Beim Feiern eines Sakramentes (eine Handlung, die Ausdruck des Glaubensbekenntnisses eines jeden ist) darf man doch nicht irgendetwas vortäuschen oder verbergen; umso mehr, als (laut Luthers Meinung) die Zürcher nicht einmal als Glieder Christi angesehen werden dürften! Wenn also die Straßburger einen Zürcher am Abendmahl
3 "Die Handlung oder Acta gehaltner Disputation zu Bernn in Uchtland" wurde 1528 sogar in Straßburg gedruckt (Bucer Bibl. Nr. 29; VD16 H502).
4 Gemeint ist die Straßburger Erstausgabe dieses Kommentars von 1530 (Bucer Bibl. Nr. 39; VD16 B8872). In der 1536 erschienenen Ausgabe dieses Werks (Bucer Bibl Nr. 77; VD16 B8873) widerrief nämlich Bucer seine frühere Meinung über das Abendmahl.
5 Anspielung auf den von Bucer verfassten Dialog: Vergleichung D. Luthers unnd seins gegentheyls vom Abentmal Christi, Straßburg 1528 (Bucer Bibl Nr. 33f;
VD16 B8933f), in dem der Gesprächspartner, der sich Luthers Meinung widersetzte, Arbogast heißt.
6 18. Februar 1546.
7 Das "Warhaffte Bekanntnuß" bzw. die "Orthodoxa Tigurinae ecclesiae ministrorum confessio" von März 1545; s. dazu HBBW XV Reg.
8 Contra 32 articulos Lovaniensium theologistarum, Wittenberg, September 1545; s. dazu HBBW XVI 83. Anm. 8 (dort ist die falsche Angabe VD16 L4259 in L4254 zu korrigieren).
9 Mt 26, 26 par.; 1Kor 11, 24.


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teilnehmen ließen, würden sie sich entweder gegen Luthers Meinung stellen oder inkonsequent handeln. [7] Nun zum Basler Glaubensbekenntnis. Die Kirchen Helvetiens hatten damals vor, ein Glaubensbekenntnis zu verfassen, um denjenigen, die es verlangen wurden, Rechenschaft über ihren Glauben ablegen zu können. 10 So wurden auf Geheiß der helvetischen Behörden Ratsherren und Pfarrer zu einer Synode nach Basel entsandt. Diese machte sich alsbald an die Arbeit und hatte schon den größten Teil des Glaubensbekenntnisses verfasst, als Wolfgang Capito und Bucer in Basel eintrafen und den Lauf der Arbeit unterbrachen. Letztere machten den Gesandten große Hoffnung auf eine Einigung mit Luther. Im Abendmahlsartikel schlugen sie vor, einige Stellen zu streichen, weitere zu ändern und empfahlen dabei auch den Gebrauch bestimmter Wörter. Nachdem man sich länger als einen Tag darüber gestritten hatte, entschloss man sich angesichts einer möglichen Einigung mit Luther, diese von Bucer vorgeschlagenen Wörter zu gebrauchen, jedoch unter der Bedingung, dass die helvetischen Kirchen durch den Gebrauch dieser Wörter keineswegs zu etwas verpflichtet würden und sie weiterhin das Recht hätten, diese Wörter in ihrem Sinne auszulegen. Bucer versicherte damals auch, dass diese Änderungen nicht unternommen wurden, um die helvetischen Kirchen von ihrer Berner Disputation oder von ihrem schon längst bekundeten Abendmahlsverständnis abzubringen und sie zum Lutheranismus zu führen, sondern nur um der Einheit willen, da diese Redewendungen geeignet seien, die sehr erbitterten Gemüter der Gegner zu bezaubern. Dies kann Bucer selbst bestätigen. Auch die Akten dieses Treffens bezeugen dies. [8]Man weiß seitdem, dass der Gebrauch dieser Wörter völlig vergebens war. Damit aber verloren die helvetischen Kirchen längst nicht das Recht, diese Wörter so zu deuten, wie sie es mit ihrer Lehre verantworten können. Es ergibt also keinen Sinn, nun den helvetischen Kirchen die Worte des Basler Bekenntnisses vorzuhalten. Wenn jemand ihnen daher eine Meinung aufzudringen versucht, die nicht ihrem Verständnis dieses Bekenntnisses entspricht, wird er umgehend abgewiesen. Am Abendmahl teilzunehmen unter dem Zeichen des Basler Bekenntnisses bedeutet also für die helvetischen Kirchen nichts anderes, als an diesem mit dem in der letzten Antwort an Luther 11 dargelegten Glauben teilzunehmen! Demnach ist es den Zürchern nicht möglich, gemeinsam mit Lutheranern das Abendmahl zu feiern. [9] Doch durch ihre Enthaltung vom Straßburger Abendmahl drücken die Zürcher keineswegs eine etwaige Verachtung der dortigen Kirche aus, genauso wie sie nie jemanden verachtet haben, der nicht an ihrem Abendmahl teilgenommen hat. Weder haben sie irgendjemanden dazu gezwungen, noch haben sie versucht, ihn davon abzuhalten. [10]Mögen doch die Straßburger den jungen Zürchern eine ungestörte Ausübung ihres Glaubens gestatten und nicht weiter probieren, diese zu etwas zu zwingen, das sie mit ihrem Gewissen und Glauben nicht verantworten können! Die Straßburger Schule und die darin ausgeübte Disziplin gefallen den Zürchern. Auch sind ihnen die Straßburger lieb. Deshalb würden sie es gerne sehen, wenn auch künftig Zürcher für eine Zeit in Straßburg leben dürften. [11]Sollten aber die Straßburger der Meinung sein, dass durch vorliegendes Gesuch ihre Kirche in Verruf geraten oder gar zu Schaden kommen könnte, würden die Zürcher nicht nur keine weiteren Studenten nach Straßburg entsenden, sondern würden zudem die Eltern der sich jetzt in Straßburg aufhaltenden Jugendlichen diese sogleich abberufen. Anders handeln können die Zürcher nicht! Sie wissen, an wen sie glauben, und gestärkt durch Gott hegen sie keinen Zweifel an ihrer Auffassung. Auch wollen sie nicht wissentlich gegen den Herrn sündigen. Die Straßburger möchten also den Zürchern weiterhin wohlgesinnt bleiben und mit diesen Frieden halten, bis der Herr es soweit führt, dass es in der Abendmahlsangelegenheit zu einer einfacheren und reineren Lehrweise kommt! [12] Abschließend noch das Wichtigste: Die Zürcher bedanken sich bei den Straßburgern für die ihnen bis dahin erwiesene Treue, Beflissenheit und Fürsorge. Der Herr wird sie dafür belohnen. Im Gegenzug versprechen auch die Zürcher ihre Treue und Beflissenheit. Den Straßburgern werden sie sich behilflich erweisen, sollte sich eine Gelegenheit dazu bieten. [13]Die Zeiten sind hart, wie es die Straßburger bereits in ihrem Brief betont haben. Die Sünden der Gläubigen würden jedoch noch Schlimmeres erfordern! Deshalb sollten Straßburger und Zürcher
10 Vgl. 1Petr 3, 15.
11 Im "Warhafften Bekanntnuß".


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ihre jeweiligen Gemeinden zur Buße aufrufen. Durch die [gegenwärtige]Plage werden die Gläubigen von den Ungläubigen aussortiert und erprobt. Deshalb gilt es, sich ganz dem Herrn zu ergeben und diesen zu bitten, die Seinen nicht zu verlassen. Die Wahrheit wird schließlich siegen, auch wenn die Welt die Wahrheitsbekenner besiegen würde, denn Gottes Gericht rückt näher! [14] Die Straßburger mögen sich standhaft gegen den Antichristen erweisen! Grüße in Christus. 12