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Autographer Entwurf mit nachträglichen Korrekturen: Zürich StA, E II 345, 363. 368 Druck: CO XII 462-466, Nr. 872
[1] Die Zürcher haben den Brief ihrer Straßburger Kollegen [HBBW XVIII, Nr. 2704, vom 6.
Dezember 1546] gut empfangen. Aufgrund ihrer vielen Aufgaben kommen sie erst jetzt dazu,
ihn zu beantworten. —[2]In ihrem Schreiben haben die Straßburger dargelegt, wie sie mit den
Zürcher [Studenten], Ludwig Lavater und Jakob Gessner, umgegangen sind. Sie baten ferner
die Zürcher Pfarrer, ihre Jugendlichen aufzufordern, sich nicht mehr zu weigern, am Straßburger
Abendmahl teilzunehmen, zumal von ihnen nichts anderes erwartet wird, als dass sie
sich an das Basler Glaubensbekenntnis 1 halten, sowie an Paulus' Aussage: "Das Brot, das wir
brechen, usw." 2 —[3] Zunächst sollen die Straßburger wissen, dass diese Jugendlichen keine
Stipendien der Zürcher Kirche erhalten, sondern von ihren Eltern finanziell unterstützt werden.
Letztere ermahnten sie, den Glauben, in dem sie aufgewachsen sind, nicht aufzugeben.
Denn sollten sie diesen verleugnen, müssten sie sich eine andere Heimat und andere Eltern
suchen! Auch die Pfarrer und Lehrer von Zürich ermahnten sie in diesem Sinne. Und da jeder
Teilnehmer am Abendmahl seinen Glauben bekundet, wurden sie von ihren Pfarrern und
Lehrern angehalten, das Abendmahl nicht zusammen mit Menschen zu feiern, von denen sie
wüssten, dass sie nicht die Abendmahlsauffassung der Zürcher teilten. Wenn also die Jugendlichen
ablehnten, sich in Straßburg am Abendmahl zu beteiligen, kann man davon ausgehen,
dass man dort diesbezüglich nicht das Gleiche wie in Zürich unterrichtet. Deshalb können die
Zürcher nicht von ihren Jugendlichen verlangen, ihre Haltung zu ändern. —[4] Würden diese
nämlich in Straßburg am Abendmahl teilnehmen, würden sie damit bekunden, dass sie die
dortige Auffassung über die Sakramente billigen. Oder sollten sie etwa an etwas teilnehmen,
woran sie nicht glauben? Und warum sollten ihre Lehrer und Pfarrer sie anhalten, gegen ihre
Überzeugung und ihr Gewissen zu handeln? Sie sind ja alt und klug genug, um die LehrunterschiedeBriefe_Vol_19-102 arpa
zwischen Zürich und Straßburg selbst feststellen zu können! —[5]Anscheinend will
man von ihnen nichts anderes verlangen, als sich an Paulus' Worte "das Brot, das wir brechen,
ist es denn nicht [Gemeinschaft am Leibe Christi?]" zu halten. Doch liegt der Unterschied
zwischen Zürich und Straßburg präzis in der Auslegung dieser Worte. Ferner setzt die
Teilnahme an den Sakramenten Aufrichtigkeit und einen gemeinsamen Glauben mit den anderen
Teilnehmenden voraus. Doch lehrt Bucer nicht wie die Zürcher! Ja, er hat sogar seine
Meinung diesbezüglich geändert! Die Zürcher verstehen die Worte des Apostels genauso, wie
diese während der Berner Disputation [von 1528] (eine Disputation, die Bucer selbst unterschrieben
hat)3 ausgelegt und auch von Bucer in seinen Enarrationes [perpetuae in sacra
quatuor]Evangelia 4 oder in seinem "Arbogast"5 dargelegt wurden. Da Bucer aber vor einigen
Jahren seine Meinung änderte, um sich der Lehre Luthers anzuschließen, sind die Zürcher,
die noch immer die gleiche Ansicht wie Paulus vertreten, nicht mehr seiner Auffassung.
Mehr dazu braucht hier nicht gesagt zu werden. Die Zürcher denken, dass sie Luther schon zur
Genüge geantwortet haben. Und was dieser hartnäckig über das Abendmahl und über die
Zürcher bis zu seinem Tode 6 dachte, ja auch nach der an ihn gerichteten Antwort der Zürcher, 7
kommt in seiner Schrift gegen die Löwener Theologen 8 klar zum Ausdruck: "Art. 15. In der
Eucharistie, diesem ehr- und anbetungswürdigen Sakrament, befindet sich der eigentliche Leib
und das eigentliche Blut Christi, welche sowohl den Würdigen als auch den Unwürdigen
dargeboten und von diesen wahrhaftig aufgenommen werden." Dies will Luther schon seit
langem aus 1Kor 10 gelernt haben! Er schreibt ferner: "Art. 27. Wir hüten uns sehr vor den
Häretikern. So sind die Zwinglianer und alle Sakramentierer (die bestreiten, dass in der
ehrwürdigen Eucharistie der Leib und das Blut Christi fleischlich mit dem Mund aufgenommen
werden) nicht Teil der Kirche Gottes!" Soweit Luther, der sich als orthodoxer und katholischer
Doktor der Kirche ausgab. —[6]In ihrem Brief schreiben die Straßburger, dass sie den Herrn
bitten, die Zürcher zur richtigen Auffassung der Straßburger zu führen. Dies bedeutet also,
dass die Zürcher nicht die Auffassung des Herrn teilen! Zwischen den Zürchern und den
Straßburgern gibt es aber nur eine Kontroverse, jene über die Stelle von Paulus in 1Kor 10
und über die Worte des Herrn: "Dies ist mein Leib 9 . Wann immer man den Zürchern die
Worte Paulus' vorhält, antworten diese, dass sie keines anderen Bekenntnisses bedürfen, als
solch eines, das diese Worte enthält; dass es aber offensichtlich sei, dass die Straßburger jene
Stelle anders als die Zürcher auslegen und demzufolge nicht das Gleiche bekennen. Wie sollten
also die Zürcher ihre Landsleute anhalten, im Glauben an die Worte des Apostels gemeinsam
mit den Straßburgern am Abendmahl teilzunehmen, wo doch Bucer diese Worte ganz anders
als die Zürcher deutet? Beim Feiern eines Sakramentes (eine Handlung, die Ausdruck des
Glaubensbekenntnisses eines jeden ist) darf man doch nicht irgendetwas vortäuschen oder
verbergen; umso mehr, als (laut Luthers Meinung) die Zürcher nicht einmal als Glieder
Christi angesehen werden dürften! Wenn also die Straßburger einen Zürcher am AbendmahlBriefe_Vol_19-103 arpa
teilnehmen ließen, würden sie sich entweder gegen Luthers Meinung stellen oder inkonsequent
handeln. —[7] Nun zum Basler Glaubensbekenntnis. Die Kirchen Helvetiens hatten damals
vor, ein Glaubensbekenntnis zu verfassen, um denjenigen, die es verlangen wurden, Rechenschaft
über ihren Glauben ablegen zu können. 10 So wurden auf Geheiß der helvetischen Behörden
Ratsherren und Pfarrer zu einer Synode nach Basel entsandt. Diese machte sich
alsbald an die Arbeit und hatte schon den größten Teil des Glaubensbekenntnisses verfasst, als
Wolfgang Capito und Bucer in Basel eintrafen und den Lauf der Arbeit unterbrachen. Letztere
machten den Gesandten große Hoffnung auf eine Einigung mit Luther. Im Abendmahlsartikel
schlugen sie vor, einige Stellen zu streichen, weitere zu ändern und empfahlen dabei auch den
Gebrauch bestimmter Wörter. Nachdem man sich länger als einen Tag darüber gestritten
hatte, entschloss man sich angesichts einer möglichen Einigung mit Luther, diese von Bucer
vorgeschlagenen Wörter zu gebrauchen, jedoch unter der Bedingung, dass die helvetischen
Kirchen durch den Gebrauch dieser Wörter keineswegs zu etwas verpflichtet würden und sie
weiterhin das Recht hätten, diese Wörter in ihrem Sinne auszulegen. Bucer versicherte damals
auch, dass diese Änderungen nicht unternommen wurden, um die helvetischen Kirchen von
ihrer Berner Disputation oder von ihrem schon längst bekundeten Abendmahlsverständnis
abzubringen und sie zum Lutheranismus zu führen, sondern nur um der Einheit willen, da
diese Redewendungen geeignet seien, die sehr erbitterten Gemüter der Gegner zu bezaubern.
Dies kann Bucer selbst bestätigen. Auch die Akten dieses Treffens bezeugen dies. —[8]Man
weiß seitdem, dass der Gebrauch dieser Wörter völlig vergebens war. Damit aber verloren die
helvetischen Kirchen längst nicht das Recht, diese Wörter so zu deuten, wie sie es mit ihrer
Lehre verantworten können. Es ergibt also keinen Sinn, nun den helvetischen Kirchen die
Worte des Basler Bekenntnisses vorzuhalten. Wenn jemand ihnen daher eine Meinung aufzudringen
versucht, die nicht ihrem Verständnis dieses Bekenntnisses entspricht, wird er umgehend
abgewiesen. Am Abendmahl teilzunehmen unter dem Zeichen des Basler Bekenntnisses
bedeutet also für die helvetischen Kirchen nichts anderes, als an diesem mit dem in der letzten
Antwort an Luther 11 dargelegten Glauben teilzunehmen! Demnach ist es den Zürchern nicht
möglich, gemeinsam mit Lutheranern das Abendmahl zu feiern. —[9] Doch durch ihre Enthaltung
vom Straßburger Abendmahl drücken die Zürcher keineswegs eine etwaige Verachtung
der dortigen Kirche aus, genauso wie sie nie jemanden verachtet haben, der nicht an ihrem
Abendmahl teilgenommen hat. Weder haben sie irgendjemanden dazu gezwungen, noch haben
sie versucht, ihn davon abzuhalten. —[10]Mögen doch die Straßburger den jungen Zürchern
eine ungestörte Ausübung ihres Glaubens gestatten und nicht weiter probieren, diese zu etwas
zu zwingen, das sie mit ihrem Gewissen und Glauben nicht verantworten können! Die Straßburger
Schule und die darin ausgeübte Disziplin gefallen den Zürchern. Auch sind ihnen die
Straßburger lieb. Deshalb würden sie es gerne sehen, wenn auch künftig Zürcher für eine Zeit
in Straßburg leben dürften. —[11]Sollten aber die Straßburger der Meinung sein, dass durch
vorliegendes Gesuch ihre Kirche in Verruf geraten oder gar zu Schaden kommen könnte,
würden die Zürcher nicht nur keine weiteren Studenten nach Straßburg entsenden, sondern
würden zudem die Eltern der sich jetzt in Straßburg aufhaltenden Jugendlichen diese sogleich
abberufen. Anders handeln können die Zürcher nicht! Sie wissen, an wen sie glauben, und
gestärkt durch Gott hegen sie keinen Zweifel an ihrer Auffassung. Auch wollen sie nicht
wissentlich gegen den Herrn sündigen. Die Straßburger möchten also den Zürchern weiterhin
wohlgesinnt bleiben und mit diesen Frieden halten, bis der Herr es soweit führt, dass es in der
Abendmahlsangelegenheit zu einer einfacheren und reineren Lehrweise kommt! — [12] Abschließend
noch das Wichtigste: Die Zürcher bedanken sich bei den Straßburgern für die
ihnen bis dahin erwiesene Treue, Beflissenheit und Fürsorge. Der Herr wird sie dafür belohnen.
Im Gegenzug versprechen auch die Zürcher ihre Treue und Beflissenheit. Den Straßburgern
werden sie sich behilflich erweisen, sollte sich eine Gelegenheit dazu bieten. —[13]Die
Zeiten sind hart, wie es die Straßburger bereits in ihrem Brief betont haben. Die Sünden der
Gläubigen würden jedoch noch Schlimmeres erfordern! Deshalb sollten Straßburger und ZürcherBriefe_Vol_19-104 arpa
ihre jeweiligen Gemeinden zur Buße aufrufen. Durch die [gegenwärtige]Plage werden
die Gläubigen von den Ungläubigen aussortiert und erprobt. Deshalb gilt es, sich ganz dem
Herrn zu ergeben und diesen zu bitten, die Seinen nicht zu verlassen. Die Wahrheit wird
schließlich siegen, auch wenn die Welt die Wahrheitsbekenner besiegen würde, denn Gottes
Gericht rückt näher! — [14] Die Straßburger mögen sich standhaft gegen den Antichristen
erweisen! Grüße in Christus. 12