Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Bullinger an
Schultheiß und Rat von Bern
Zürich,
19. März 1532

Autograph: Philadelphia, The Historical Society of Pennsylvania, Simon Gratz Collection, Case 12, Box 32. Siegelspur. —Ungedruckt

Bittet um Berns Beistand für die Evangelischen in Bremgarten, die von den V Orten gezwungen werden, zum Katholizismus zurückzukehren.

Ersamm, fromm, fürsichtig, wyß, gnädig, lieb herren, min willig dienst, gehorsamme und was ich üwer ersammen wyßheyt ze guten und gfallen wüste, sye üch bevor an bereyt.

Demnach bitt ich, üwer wyßheyt welle imm besten von mir uffnemmen min einfallt schryben ann üch. Dann ich üch, insonders allß einer christlichen frommen obergheyt, vertruw, sy werde den handel also ze hertzen setzen, allß christlichen hertzen gepürt. Und ist namlich umb die üwernn biderben lüt ze Bremgarten ze thun, die üch vergangner zyt grosse trüw bewisenn und umb üwer, miner g[nedigen] h[erren] von Bernn und Zürych willen, vorab umb gottes willen, grossen schaden an gut und iro fryheyten erlitten habend 1 und jetzund erst an iro seelen grössernn schaden erlyden müssend, soll das fürgon 2 , das angeschlagen 3 ist. Namlich daß alle die, so bißhar an dem evangelio gehangt, bychten, zum sacrament, zur mäß gon und alle andere brüch und ceremonien, imm bapsthumb gebrucht, annemmen söllend, oder aber inn bestimpter zyt die statt Bremgartenn ruumen. Und ist sömlicher antrag von den 5 orten dargesandt und durch den schultheyssen Schodeler 4 selbs verckünt und mitt obgemellter straff uß empfelch 5 der orten und deß radts da selbs gepotten 6 . Söllend nun die biderbenn lüt mitt iro wyben und so vil kleinen kinden von huß und hoff, vonn gwünn und gwyrb 7 , wo wellend sy hin? Söllend sy blyben und den trang wider iro selbs gwüssne 8 , wider gott und sin heylig

1 Nämlich im Zweiten Kappelerkrieg; zu den harten Friedensbedingungen, welche die V Orte am 22. November 1531 Bremgarten separat gestellt hatten, s. EA IV/1b 1220f und Bucher 171f.
2 weitergehen.
3 angeordnet, beschlossen, festgesetzt (SI IX 386-388).
4 Werner Schodoler, 1490-1541, aus altem Bremgartner Geschlecht, wurde 1520 Schultheiß, welches Amt er abwechselnd mit anderen bis zu seinem Tode bekleidete. Der Reformation abgeneigt, griff er aber in Konfliktsituationen (z. B. beim Heimzug Zwinglis von der Berner Disputation durch Bremgarten 1528 und bei den Spannungen anläßlich der ersten reformierten Predigttätigkeit des Dekans Bullinger 1529) vermittelnd ein. Nach der Einführung der Reformation 1529 blieb er zwar in der Stadt, konnte aber das Schultheißenamt nicht mehr ausüben. Nach der Schlacht bei Kappel verhandelte Schodoler mit den V Orten
über den Frieden, wobei er entscheidend zur nachfolgenden Vertreibung der reformierten Pfarrer Gervasius Schuler, Heinrich Bullinger und dessen Vater sowie zur Rekatholisierung Bremgartens beitrug. Schodoler verfaßte eine dreiteilige Schweizerchronik, die bis ins Jahr 1525 reicht. — Lit.: HBD 15,23; HBRG I 439. II 61. III 264.266; Jakob Stammler, Der Chronist Werner Schodoler, in: AHVB XIII, 1893, S. 601-648; FeIler-Bonjour I 296-298; HBLS VI 229.
5 auf Befehl (SI I 798).
6 Zur kritischen Lage der Evangelischen in Bremgarten und zu den energischen Bemühungen der V Orte um die Rekatholisierung der Stadt s. oben Nr. 71; vgl. auch Bucher 173-176.
7 Gewinn und Gewerbe = Erwerbsberuf (Deutsches Rechtswörterbuch IV 775).
8 die Gewaltanwendung (vgl. Grimm II 1335) gegen ihr eigenes Gewissen.


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wort erlyden, so ist es vil jämerlicher. Dann Christus spricht: «Wer sich min und miner worten schempt, deß will ich mich ouch beschämenn» [Mt 10,33 par.]. Und Paulus: «Mitt dem mund vergycht man, mitt dem hertzen gloupt man» [Röm 10,10]. Nun sind ye 9 die biderben lüt vonn Bremgartten die üwernn 10 . So ist ye der gloub fry vorbehallten mencklichem inn gemeinen herrschafften 11 , und üwer w[yßheyt] zwyngt die, so imm bapsthumb sind, nitt anzenemmen inn gemeinen herrschafften, das ir wol und rächt uß dem evangelio gloubend. Worumb wölte man dann die biderben lüt vonn dem, das grund in gottes wort hatt, tringen 12 lassen, uff das der mensch usset gottes wort uffgerycht hatt 13 ? Dorumb hab ich, allß der ein geporner Bremgarter unnd der ein zyt lang by inen das evangelion verkündt 14 , ü[wer]w[yßheyt] zum höchsten wellen von iro wägen, die sich sust nitt wol gedörend 15 öügen 16 , pitten, daß ir yetztdan wellind yndenck sin der zusag, so ir inen ettwan 17 gethon und do es unfaalß halb 18 domaln nitt sin mocht, ü[wer] w[yßheyt] jetzdan den biderben uß angst und nodt hällffe, angesähenn 19 , das, wenn wir die unsernn in nodt verlassind, ouch gott unß zur der zyt der nodt verlassen wirt. Aber gott gäbe üch wyßheyt, bstand 20 und stercke, daß ir üwer eer, loblich ann üch gepracht mitt gott und redliche, unbewegt behalltind.

Datum Zurych, deß 19. tags mertzens imm 1532. jar.

Ü[wer]w[yßheyt] undertheniger und gehorsammer

Heinrych Bullinger,

predicant Zürych.

[Adresse auf der Rückseite:] Denn edlen, vesten, fürsichtigenn und wysen herren schuldheyssen und radt der statt Bernn, minen gnedigen, lieben herrenn.