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Autograph: Zürich ZB, Ms F 62, 517 (Siegelspur) Druck: Vadian BW VT 605f, Nr. 1523 a
[1] Vadian hat sich über Bullingers letzten Brief [nicht erhalten] sehr gefreut. Er jubelt, weil
der Herr auch in der größten Hoffnungslosigkeit sein Erbarmen offenbart und dadurch heaBriefe_Vol_19-429 arpa
weist, dass er gemäß dem Versprechen seines Sohnes 1 seine Kirche nicht verlassen wird.
Dennoch fürchtet Vadian, dass manche, die von der gegenwärtigen Lage geschockt sind, [an
Gott und an der Kirche] zu zweifeln beginnen. —[2] Es ist sicher, dass am 2. März Kurfürst
Johann Friedrich von Sachsen bei Rochlitz (etwa sechs Meilen von Leipzig 2 ) bis zu 4'000
Mann und damit fast die gesamte Reiterei und Infanterie des kaiserlichen Feldherrn Markgraf
Albrecht Alcibiades 3
von Brandenburg-Kulmbach geschlagen hat. Dabei wurde der Markgraf
mit drei Gefährten und einigen anderen Adligen 4 gefangen genommen. Die erschrockenen
Feinde sind nun völlig verunsichert. Zudem [fürchten sie], dass [ihnen] mit Sultan Suleiman
Furchtbares bevorsteht. —[3] Vadian aber findet Trost im guten Verhältnis der Eidgenossen
untereinander. Erfreut sich auch über das Vorhaben des französischen Königs Franz I. 4
der Apostel [Paulus]bemerkte, dass Gott sich manchmal unreiner Menschen bedient, um das
Evangelium zu befördern. 6 —[4]Hieronymus Sailer ist wieder in Augsburg. 7 Er hat aber seine
Frau [Felicitas, geb. Welser] und einige seiner Kinder in St. Gallen zurückgelassen. Deshalb
hat ihm Vadian gerade brieflich mitgeteilt, was in der Angelegenheit des dem Sailer gut
bekannten [Hans]Muntprat nach Bullingers Auffassung am besten zu tun sei. Bestimmt wird
Sailer Muntprats Schulden gänzlich begleichen und diesem liebenswürdigen alten Mann gerne
beistehen. 8 _[5]Vadian sendet den Brief der Stadt Konstanz zurück, 9 sowie Bullingers gelehrteBriefe_Vol_19-430 arpa
Abhandlung "De ira domini et persecutione"10 , in der Vadian mit Dankbarkeit feststellen
konnte, wie trefflich das letzte dort behandelte Thema dargestellt wurde, und dies, ohne dass
Bullinger dazu von ihm angehalten worden wäre. Schon längst war er der Meinung, dass die
Verfolgung als eine Gefährtin des Kreuzes anzusehen sei. Sie ist nicht nur als Strafe für unsere
Sünden aufzufassen. Sie dient auch dazu, dass wir, die im Jenseits an dem ruhmvollen Schicksal
Christi teilhaben werden, schon hier auf Erden dem gedemütigten irdischen Christus
angeglichen werden. Bereits die Hauptapostel 11 betonten, dass die Verfolgung dazu diene, uns
zu züchtigen und zu erproben, um uns auf den künftigen sicheren Sieg vorzubereiten. Die St.
Galler Pfarrer sind der Meinung, dass Bullingers Abhandlung gedruckt werden sollte, da eine
solche Veröffentlichung der Schwachheit vieler Menschen abhelfen würde. —[6]Gruß, auch an
die Bürgermeister Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab.