Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2368]

Johannes Gast an
Bullinger
Basel,
4. und 6. März 1546

Autograph: Zürich StA, E II 366, 209 (Siegelspur) Ungedruckt

[Mathias]Limberger schrieb an Gast: [Auf dem Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt] haben Fürsten und Reichsstände in den vergangenen zwei Monaten sehr viel erreicht. Pfalzgraf [Friedrich II.], Herzog Ottheinrich und der Kölner Erzbischof [Hermann von Wied] haben sich dem Evangelium zugewandt. Frankreich und England sind bereit, [den Schmalkaldenern im Falle eines Angriffs vonseiten des Kaisers] zu helfen. Der Mainzer [Erz]bischof [Sebastian von Heusenstamm] hat den Landgrafen [Philipp von Hessen] im nahegelegenen Höchst zu Gast, was Hoffnung macht. Der [Schmalkaldische Bund]hat eine Gesandtschaft zu Kaiser [Karl V.]geschickt, die von Kurfürst [Joachim II.] von Brandenburg, dem Pfalzgrafen [Friedrich II.], dem Landgrafen, Herzog Ulrich von Württemberg, Herzog Moritz [von Sachsen] und dem [Frankfurter]Älterer Bürgermeister Oger von Melem abgeordnet wurde. Man wird sehen, was [Karl V.] antworten wird. Dies schrieb Limberger. Vielleicht kommt noch mehr von ihm mit dem Boten [...], dem Gast einen Brief an Limberger mitgab. Neulich sind [in Basel] viele zum Magister promoviert worden. Bis auf einen stammen sie alle aus der Stadt. Sie waren schön gekleidet. Ehrungen nähren nämlich nicht nur die Künste; sie verleihen auch wertlosen Menschen Stattlichkeit! [Rudolf] Gwalther wird die ["Disputatio adversus gentes"] von Arnobius [d.Ä.) überbringen. Gast wird auch [die Werke] von Cyrill [von Alexandrien] schicken, sobald sie fertig gedruckt sind, und, falls Bullinger wünscht, auch die Werke von Boethius. Über den Preis soll Bullinger sich keine Sorgen machen. Von Gilbert [Cousin] hört man nichts. Er verließ Nozeroy wegen der Pest. Hoffentlich kommt dessen Bruder [Antoine?] bald nach [Basel], zweifellos mit Briefen an die Freunde. Die [Lebens]geschichte von Niklaus [Petri]hat Gast noch nicht beschrieben, er wird sie aber mit dem nächsten Brief senden. Mit dem Fuhrmann [...]schickte Gast den Kommentar von [Johannes] Brenz zu Exodus für Bullinger und den Kommentar zum gesamten Vergil für [Johannes] Fries. [Karl V.]liegt in Maastricht an der Gicht danieder. Am 1. März [1546] war Gast zu einer Hochzeit eingeladen, bei der auch der Zürcher Wirt [Ludwig]Stapfer anwesend war, ein schamloser Mensch, der sich in lauter Schmähungen gegen die Zürcher Pfarrer und Lehrer erging. Er behauptete auch, dass [Rudolf] Collin durch Wein- und Getreidehandel mehr als 1'100 Gulden im Jahr (1545] verdient hätte. Ferner sagte er, er besuche die Messe, wann immer er wolle. Man sollte ihm das Bürgerrecht entziehen! Es waren auch einige Zürcher dabei, die vielleicht die ganze Geschichte erzählen werden. Dass die Zürcher [Pfarrer und Lehrer]sich wieder gut vertragen, freut Gast sehr. Die Rechthaberei ist ein schlimmes Übel; Luther ist davon auch befallen. Nichtsdestoweniger wütet er weiter, obwohl sein Gewissen und die Heilige Schrift ihm anderes auferlegen. Grüße an [Konrad]Pellikan, dessen Frau [Elisabeth, geb. Kalb], und deren Kinder [Samuel und Elisabeth].

S. in domino. Haec ad me Limpergius 1 : "Waß sich hie hat zugetragen in zweyen monaten durch fursten und stende des richs, kan ich mit worten nit erlangen, den es ist sy 2 zu vill. Kan uch doch uß christlicher liebe nit verhalten,

1 Mathias Limberger, Pfarrer in Frankfurt a. M. — In einem unbekannten Brief, den Gast erwartet hatte; s. Nr. 2362,11f.
2 dessen.


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wes unß der herr liebs und guts uff disem richstag erzeygt, nemlich das vil hoher leut sich anß euangelion begeben, nemlich der pfaltzsgraff churfürst 3 , hertzog Otth Heinrich selbvierd 4 , Coloniensis episcopus 5 . Franckreych und Engellandt erbietten sich, vil zu thun. 6 Bischoff zu Mentz 7 hat den lantgraven 8 zu Höchst 9 , ein meyl von unß gelegen, zu gast gehept. 10 Synd uber nacht by einander bliben, und ist man gutter hoffnung, es sölle bald besser werden. Die unsere haben ein treffliche legation 11 zum keyser 12 abgefertiget. Und sindt verordnet von churfursten: Brandenburg 13 , pfaltzgraff, landtgraff, hertzog Ulrich Witerbergensis 14 , Moritzs hertzog; 15 und in namen der stett: Unser eltister herr burgenmeyster Hoier von Mulhenn 16 , etc. Was aber vom keyser fur antwurt gefellen, wirt die zyt geben."Haec paucis ad me. Plura brevi scripturus per tabellionem 17 , cum quo literas ad illum 18 misi, qui nondum rediit.

Vale et gratulare nobiscum 19 ob tot magistros nuper apud nos creatos. 20 Basilienses omnes sunt excepto uno 21 . Heben an guldin ring tragen und samaty kregen 22 an recken 23 . Honos alit artes24 et addit fastum apud homines nullius pretii.

Vale in domino et ora pro ecclesia nostra. Basileae, 4. martii 1546.

3 Friedrich II. von der Pfalz.
4 als Vierter zusammen mit drei anderen.
5 Hermann von Wied.
6 Frankreich und England hatten den Schmalkaldenern ihre (finanzielle) Unterstützung für den Kriegsfall angeboten; s. Nr. 2320, Anm. 36; Nr. 2328 und Anm. 36.
7 Sebastian von Heusenstamm.
8 Philipp von Hessen.
9 Höchst, heute ein Stadtteil von Frankfurt.
10 Siehe Nr. 2362 und Anm. 13.
11 Zur Gesandtschaft des Schmalkaldischen Bundes siehe Nr. 2363 und Anm. 9.
12 Karl V.
13 Joachim II. von Brandenburg.
14 Ulrich von Württemberg.
15 Moritz von Sachsen.
16 Oger von Melem (1499—1575). Älterer Bürgermeister von Frankfurt in den Jahren 1545, 1550 und 1553; s. Reinhard Frost, Im Zeichen des Krebses. Die Frankfurter Kaufmannsfamilie Melem, in: Spurensuche in Sprach- und Geschichtslandschaften, FS für Ernst Erich Metzner, hg. v. Andrea Hohmeyer, Jasmin S. Rühl, Ingo Wintermeyer, Münster/Hamburg/London 2003 —Germanistik 26, S. 185.
17 Unbekannt.
18 Limberger.
19 Ironisch.
20 Die am 24. Februar 1546 stattgefundene Magisterpromotion von Johann Heinrich Ryhiner, Ulrich Coccius (Koch; Essig), Johann Heinrich Munzinger, Jakob Meyer zum Hirzen und Michael Bäris (Beris; Barisius; Parisius) von Mülhausen; s. Gast, Tagebuch 258—261 mit Anm. 10; M-Basel II 4, Nr. 15. 11, Nr. 2. 28, Nr. 1. 29, Nr. 15. 33, Nr. 58.
21 Richtig wäre: exceptis duobus, nämlich der spätere Stadtarzt von Mülhausen, Michael Bäris, 1521—1571 (s. NDBA II 87), und Ulrich Koch, den Gast offensichtlich als Basler betrachtet, zumal dieser dort von seinem Stiefvater Nikolaus Essig (Schulmeister zu St. Theodor) erzogen wurde. Koch stammte aber aus Freiburg i. Üe. und erhielt erst im Jahr 1564 als Rektor der Universität das Basler Bürgerrecht geschenkt (s. Gast, Tagebuch 259, Anm. 10).
22 samaty kregen: Kragen aus Samt.
23 Röcken (hier die Promotionsmäntel).
24 Adagia 1, 8, 92 (ASD II/2 314, Nr. 792).


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Mitto per Gvaltherum nostrum 25 Arnobii libros contra gentes. 26 Cyrillum 27 etiam missurus, quum absolutus fuerit. Dein, si voles, et opera Boetii 28 addam; de pretio non sis sollicitus.

De Gilberto 29 nihil audio; peregre profectus est ob pestis saevitiem, quae Nozerethi parum gliscere ceperat. Nescio an redierit aut adhuc sit in sua peregrinatione. Spero autem brevi fratrem illius 30 ad nos venturum, qui absque dubio literas ad amicos omnes secum allaturus est.

Historiam Nicolai 31 nondum descripsi, sed proximis literis mittam.

Brentium in Exodum 32 aurigae 33 commisi, qui bona fide daturus est librum. Item Frisio 34 nostro misi commentaria in Virgelium 35 . Omnia in una fasciculum colligata sunt.

|| 209v. Der keyser ligt zu Mastrich podagramisch 36 , adeo ut nesciat se movere. Dominus satis illum admonet sui offitii, si sapere vellet.

Die 1. martii pransus sum in nuptiis, ad quas fuit etiam vocatus hospes quidam Tigurinus nomine Stapffer 37 , homo impudicus, lenones omnes superans turpiloquentia. Nullum unquam in vita mea audivi obscaeniora dicere

25 Gwalther war damals auf Besuch in Basel; s. Nr. 2365,3f. Er wird den vorliegenden wie auch den von Myconius am 2. März geschriebenen Brief (Nr. 2371) befördert haben.
26 Siehe Nr. 2362, Anm. 40.
27 Siehe Nr. 2362, Anm. 32.
28 Siehe Nr. 2362, Anm. 43.
29 Gilbert Cousin (Cognatus) von Nozeroy.
30 Cousin hatte mehrere Brüder. Hier ist vielleicht Antoine Cousin gemeint, der sich öfters in Basel aufhielt; s. HBBW XIV 324f, Anm. 3; XV 267, Anm. 18.
31 Die Geschichte des Basler Kaplans Niklaus Petri; s. dazu Nr. 2362,24—26.
32 Gast hatte das Buch zusammen mit seinem letzten Brief übersandt; s. Nr. 2362,22 und Anm. 22.
33 Unbekannt.
34 Johannes Fries.
35 = Vergilium. — Es handelt sich um: P. Vergilii Maronis opera, tomis duobus distincta ..., Basel, Bartholomäus Westheimer, 1546 (VD16 V1351).
36 an der Gicht leidend.
37 Ludwig Stapfer (gest. 20. März 1548), der spätestens seit 1538 als Wirt zum "Roten Schwert" an der Niederen oder Unteren Brücke nachgewiesen ist. Wegen seiner Aussage, er höre gelegentlich die Messe (s. Z. 41f), ist er möglicherweise
mit dem gleichnamigen Stapfer aus Horgen (Kt. Zürich) identisch, der eine Zeitlang in Baden lebte und dort 1535 als Besitzer des Gasthofes "Staadhof" nachgewiesen ist. Stapfers Frau, Barbara Krus (Cruß), stammte aus Basel und war die Tochter "Johans Krusen deß Licenciaten", der vermögend war. — Lit.: Zürich StA, B VI 334 (Schirmbuch, 1534—1541), f. 124v.—125v.; Zürich StA, Corrodi-Sulzer Verzeichnis, Kleine Stadt, Ass. 141a, 16v. 23. 26. 28f. 32. 35f; Carl Keller-Escher, Promptuarium genealogicum, Bd. 7 (Zürich ZB, Ms Z II 6a), S. 27; Bartholomäus Fricker, Geschichte der Stadt und Bäder zu Baden, Aarau 1880, S. 395; Walther Merz, Wappenbuch der Stadt Baden und Bürgerbuch, Aarau 1920, S. 292; Keller, Jakob Ruf V 185 (mit falschen Angaben). Den Herren Rainer Henrich (Universität Basel), Martin Leonhard (freischaffender Historiker, Zürich) und Hans-Ueli Pfister (StA Zürich) sei hier gedankt. — Die Hochzeit, an der Stapfer am 1. März teilnahm, war jene von Hans Rudolf Krus und Barbara Stenglin. Die Trauung fand in St. Martin (Gasts Kirche) statt; s. Basel StA, Kirchenarchiv W 12.1, fol. 191v.; Herrn Henrich sei für diese Ermittlung gedankt.


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inter tot convivas, etsi admonitus, quam hominem illum. Odit omnes contionatores Tigurinae ecclesiae et lectores similiter. De Collini 38 divitiis instituerat sermonem: Hoc illum superare anno a39 1'100 fl., tot illum vendere vina et frumenta. Deinde libere et aperto ore dixit se missam papisticam b audire, quando velit, et alia, quae nolo in illius odium dicere. Dignus certe meo iudicio, ut ex civium numero eradicaretur. Tigurini quidam in isto convivio fuerunt, qui fortassis narrabunt totam illam tragaediam. 40

Caeterum quod deus vestros animos parum exulceratos in pristinam concordiam iterum conglutinaverit, 41 summo gaudio afficior. Scio enim exemplo edoctus, quid invidia semel concepta mala secum adferat et quam tenaces sumus earum rerum, quae semel defendenda suscepimus. Lutherum enim hoc genere morbi laborare, quis dubitat? Nihilominus pergit furere, quam etiam conscientia sua aliud dictitet et suggerat, aliud etiam scriptura divina.

Basileae, 1546, 6. martii.

Salutabis nomine meo c d. Pellicanum cum uxore 42 et liberis 43 .

Tuus Gastius.

[Adresse darunter:] D. Heinrycho Bullingero, ecclesiae Tigurinae episcopo vigilantissimo, praeceptori suo semper colendo. Zurich.