Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2971]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
30. Juli 1547

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 274 (neu: 289)(Siegelspur) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 977f, Nr. 1093

[1] Es gibt viele Gerüchte, darunter vor allein schriftlich und mündlich kursierende Berichte über einen Feldzug gegen die Eidgenossenschaft. Auch sprechen [in Basel] aile Auswärtigen davon. Man glaubt, es werde im nächsten Jahr dazu kommen, da Kaiser Karl V. seine erschöpften Truppen, die aus kaum mehr als 12'000 Mann bestehen, durch neues Kriegsvolk ergänzen und auch sonstige Vorbereitungen treffen muss, wenn er die bisher fast unbezwingbaren Eidgenossen besiegen will. Letztere sollten sich wirklich überlegen, wie sie diesem erfolgreichen Feind beizeiten entgegentreten wollen! Sie tendieren ja eher dazu, den Angriffen zuvorzukommen, als sich überrumpeln zu lassen, was die Schwaben sehr wohl zu wissen glauben. Als es während der letzten Tagung in Ulm [Juni/Juli 1547] um den Abschluss eines neuen [Schwäbischen] Bundes ging, erklärten die Vertreter vieler Städte, keine Vollmacht diesbezüglich, erhalten zu haben. Zu ihren Freunden sagten sie aber, dass solch ein Bündnis ihr Tod wäre. Denn sollten die stets kampfbereiten Eidgenossen davon erfahren, würden sie die mit dem Bündnis verbundene Gefahr erkennen und sogleich angreifen, ehe der Kaiser ihnen zu Hilfe kommen könnte. Alle Eidgenossen sollten dies beherzigen, denn es könnte wohl ihrer Heimat zum Vorteil gereichen! -[2]Der Kaiser hat für den 1. September einen Reichstag nach Augsburg einberufen. Wegen der Pest soll er sich noch in Neuburg an der Donau und in Landsberg am Lech aufhalten. Ein französischer Gesandter [François de Chatillon, sieur d'Andelot] sei bei ihm gewesen. Nach seiner Ankunft sollen alle Adligen [am Hof] bedrückt gewirkt haben. Es hieß sogar, dass der Reichstag nicht stattfinden werde. -[3] Gestern hatte Myconius einen aus Konstanz, kommenden Straß burger [...]bei sich zu Besuch. Dieser erzählte von einem Brand in Konstanz, der fünf Häuser zerstörte und angeblich von den Feinden gelegt worden war. Nachdem der Mordbrenner Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel auf freiem Fuß ist, kann das ja nicht verwundern! -[4]Laut einem Schreiben von Peter Scher d.A. von Schwarzenburg soll dieser brieflich erfahren haben, dass sich die böhmische Stadt Prag mitsamt ihren Privilegien, Geschützen und Munition König Ferdinand unterworfen habe. Allerdings erzählte heute Gabriel [Arnold], den Bullinger kennt, dass Ferdinands Soldaten bei einer Schlacht mit den Böhmen etliche Fähnlein verloren hätten. Bis er eines Besseren belehrt wird, will Myconius eher dieser Nachricht glauben, zumal sie ihn erfreut! -[5]König Heinrich II. von Frankreich soll an die Eidgenossen geschrieben haben, dass er zu ihrem Schutz deutsche Söldner angeworben habe. Bullinger möge Näheres dazu mitteilen, auch zu der in Myconius' letztem Brief [Nr. 2967]geäußerten Frage. -[6] Wie gut, dass sich die besorgniserregende Affäre um Rudolf Gwalthers "Endtchrist"beruhigt hat! Gott möge geben, dass es so bleibt! Hätten die Fünf Orte auf ihrem Standpunkt beharrt, stünde es im ganzen Land schlecht um das Evangelium. -[7]Gestern kam ein Brief der über großartige Fortschritte des Evangeliums in England berichtet. -[8]Als der Basler [Johann]Lukas Iselin bei den Urnern

161 Vorliegender Brief wurde zusammen mit Hallers Briefen vom 31. Juli (Nr. 2972 und Nr. 2973) und vom 4. August (Nr.
2978) durch den Zürcher Stadtboten Andreas Müller nach Zürich befördert; s. Nr. 2972,1-3; Nr. 2978,1f. 56-58.


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wal; nahm er an einem Gespräch über das kommende Konzil teil. Als Basler wurde er gebeten, seine Behörden dazu anzuhalten, eine etwaige Einladung zum Konzil nicht auszuschlagen. Da er das Gespräch nur schwer mitverfolgen konnte, begriff er nicht alles. Vielleicht erfährt Bullinger etwas darüber von dem aus Locarno zurückkehrenden [Zürcher] Gesandten [Hans Heinrich Spross]. -[9]Grüße, auch an Rudolf Gwalther.

S. Multa circumferuntur, illud tamen inprimis: Helvetiam obpugnatum in. 1 Sic scribitur, sic dicitur, sic omnia omnium externorum colloquia ferunt. "Hoc anno forsitan nihil,"inquiunt, "fiet, sed proximo. Habet caesar 2 milites plane exhaustos, et eos quidem paucos (numerum enim 12 millium non excedunt) a. Necesse est igitur, ut illos reficiat et reliqua paret de integro, quibus opus est ad expugnandam gentem hactenus propemodum invincibilem." hec cognita nostros debebant excitare, ut tandem cogitarent, qualiter hosti, tam usque hinc felici, foret in tempore occurrendum. Suevi quidam de nobis sentiunt, quales si essemus, non praeveniremur, sed praeveniremus. Narn in proximo conventu Ulmae habito 3 , dum de foedere novo 4 relatum esset, responderunt civitates pleraeque nihil in mandatis habere se de ullo foedere. Privatim autem ad amicos dicebant: "Si de hac re intellecturi essent Helvetii, quia rem contra se esse interpretarentur, priusquam caesar posset nos defendere novo exercitu, periissemus. Scimus enim promptitudinem illorum; nihil morantur, ubi quid in animo est facere, praesertim dum cavendum est periculum." Utinam omnes 5 probe et fideliter expenderent illa! Qui scis, an in rem patriae communis id futurum esset?

Augustam convocavit suos caesar ad kalendas septembris, 6 quamvis ipse illic non sit ob pestem grassari incipientem. Neoburgi 7 et Landsbergii 8 diversatum dicunt hactenus. 9 Legatum Gallum 10 aiunt venisse ad caesarem. Quid adtulerit, nescitur. Conspecti sunt tamen vultus omnium procerum deiecti, et sermo spargi incipiebat comitia forsitan nulla futura.

Heri venit Argentinensis quidam 11 ex Constantia in aedes meas 12 . Dixit Constantiae domus quinque incendio periisse. 13 Ignem subiectum putant ab

a Klammern ergänzt.
1 Siehe schon Myconius' Mitteilung in Nr. 2943,5-10. Vgl. zuletzt Nr. 2945,34-40.
2 Karl V.
3 Der vom Kaiser einberufene Tag zu Ulm von Juni/Juli; s. Nr. 2927, Anm. 10.
4 Die vom Kaiser geplante Wiedererrichtung des Schwäbischen Bundes; s. Nr. 2960, Anm. 25.
5 Alle Eidgenossen.
6 Zur Einberufung des Reichstags nach Augsburg s. Nr. 2952, Anm. 6; zur Pest in Augsburg und Ulm Nr. 2958, Anm. 8; Nr. 2968,12-14.
7 Neuburg a.d. Donau.
8 Landsberg am Lech.
9 Ein Gerücht. Der Kaiser kam nicht durch
Neuburg und Landsberg. Er reiste auf einer anderen Route nach Augsburg; vgl. Stälin 580. Myconius wusste noch nicht, dass Karl V. am 23. Juli (s. Nr. 2970,23- 48) in Augsburg eingeritten war.
10 François de Chatillon, sieur d'Andelot, der sich im Juni und Juli 1547 als außerordentlicher französischer Gesandter am Hof des Kaisers befunden und mit Antoine de Perrenot, Herrn von Granvelle und Bischof von Anas, verhandelt hatte; s. NBD X limit Anm. 2; 27 mit Anm. 2; 61; PC IVII 721, Nr. 639 mit Anm. 1; Venetianische Depeschen TI 312, Anm. 1.
11 Unbekannt.
12 Myconius wohnte damals im Basler


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hostibus. Ego mox: "Postquam incendiarius Brunsvicensis 14 liberatus est, quid aliud expectaremus?"

Petrus Seher senior 15 his diebus scripsit literis significatum Pragam in Boemis se dedidisse maiestati regiae 16 una cum omnibus privilegiis, tormentis, munitionibus. Hodie venit dominus Gabriel 17 , quem nosti. Narratque milites regios aliquot signis per stragem imminutos Boemorum. Ego credo, quod placet, usquedum contrarium cognovero.

Nescio quid narrent quidam de Gallo 18 ; nam obiter audivi: scripsisse Helvetiis, quod milites, quos habeat collectos ex Germania, pro ipsis collegisse. Dicito per ocium, si quid habes; et de his etiam, quae in proximis petii. 19

De sopito Antichristo Gvaltheri 20 mirabiliter gaudeo! Permoverat enim ea res ab initio valde vehementer animum meum. Nam praeter alia mala, si 5 Pagici perstitissent, evangelio per totam Helvetiam male fuisset consultum. Prohibeat dominus, ne quando malum illud redeat.

In Anglia verbum domini magnos facit progressus, 21 id quod heri adhuc perscriptum est huc.

Apud Urios 22 dominus Lucas Iselius 23 , civis noster, audivit disputationem de concilio futuro, 24 et rogatus est diligenter, ut, si quando res perveniat ad

"Schürhof" (Münsterplatz 19); s. Henrich, Myconius BW 20.
13 Siehe dazu Nr. 2968,25-37.
14 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel, der am 18. Juni freigelassen worden war; s. Nr. 2920, Anm. 20. Ihm wurde eine Reihe von Brandkatastrophen angelastet, die sich im Jahr 1540 ereignet hatten; s. Demandt, Schmalk. 50f; HBBW XI 134, Anm. 17; 198; 221; Nr. 1535; XVI 74,8-10. Von Luther wurde er als "Mordbrenner" bezeichnet; s. HBBW XIII 89,10-13.
15 Peter Seher d.A. von Schwarzenburg. - Ein solcher Brief ist nicht bekannt.
16 Ferdinand I. - Siehe dazu Nr. 2935, Anm. 33.
17 Gabriel Arnold.
18 König Heinrich II. von Frankreich. - Sein Gesandter Sébastien de l'Aubespine, abbé de Bassefontaine (s. Nr. 2954, Anm. 17), hatte seinen Vortrag auf der am 20. Juni 1547 beginnenden Tagsatzung zu Baden schriftlich eingereicht (s. EA IV/1d 825 d). Dazu gehörte die Mitteilung, dass der König in Anbetracht der gegenwärtigen Lage eine "gute Anzahl Landsknechte berufen"hatte, damit seine Feinde und diejenigen der Eidgenossen
geschwächt und die eigenen Truppen verstärkt würden; s. EA IV/1d 833 zu d (2).
19 In Nr. 2967,12-20, hatte Myconius um Bullingers Meinung zur damaligen Eintracht unter den Eidgenossen gebeten. Ihn bewegte damals die Frage, ob Gott den Eidgenossen beistehen würde, obwohl sie sich in der Religion nicht einig waren. Bullinger antwortete darauf in Nr. 2984,12-25.
20 Bezug auf Bullingers Mitteilung in Nr. 2954,18-26.
21 Bezug auf Nr. 2954,28f.
22 die Urner.
23 Der Basler Bürger und Gewürzhändler Johann Lukas Iselin war katholisch geblieben, weswegen er 1529 seinen Sitz im Rat verlor. 1542 Meister der Safranzunft, 1546 erneut Ratsherr; s. AK IV 421, Anm. 4 (zu Nr. 2043).
24 Seit dem 21. April 1547 tagte das sogenannte "Konzil von Trient" in Bologna weiter (s. Nr. 2908, Anm. 7). - Thematisiert wird hier eine etwaige Abordnung der Eidgenossen zu der schon am 2. Juni 1547 begonnenen 10. Sitzung. Zwischen dem 27. Juli und dem 26. August wurden die Themen der Orden und der Letzten Ölung behandelt. Fast gleichzeitig, zwischen


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nos, nihil recusemus. Eum vero sermonem difficulter audivit nec etiam intellexit. Nihil igitur potuit dicere aliud. Haec ideo, situ forsitan audieris aliquid certius ex legato 25 , redeunte a Lagarne 26 .

Vale in Christo cum tuis. Salutabis Gvaltherum. Basileae, 30. iulii anno 1547.

T[uus] O. M.

[Adresse auf der Rückseite:]Domino Heinricho Bullingero, viro doctissimo, ministro ecclesiae Tigurinae fidelissimo, fratri ac domino observando suo. Zu [rich]. 27