Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2973]

[Johannes Haller]
an Bullinger
[Augsburg],
31. Juli [1547]

Autograph: Zürich StA, E II 359, 3067r. (Siegelspur) Ungedruckt

[]]Nachdem Haller bereits zweimal geschrieben hat [mit Nr. 2970 und Nr. 2972], muss er ein drittes Mai von einem noch größeren Übel berichten! Als er nämlich auf den Aufbruch des eidgenössischen Boten [...] wartete, kam Wolfgang Musculus zu ihm und erzählte, dass die Augsburger Ratsherren thin seine Kirche, den Augsburger Dom, weggenommen und diesen Kaiser Karl V. für die Messfeier zur Verfügung gestellt haben! Damit wurde den Pfarrern (die zu Recht vom Eifer für das Haus Gottes beseelt sind) das schlimmstmögliche Leid zugefügt, gegen das sie allerdings machtlos sind! Es sieht danach aus, als ob alle Pfarrer nach und nach aus ihren Kirchen vertrieben und ihrer Amter enthoben werden. Herzog Wilhelm IV. von Bayern beansprucht schon die Kirche St. Ulrich, in dessen angrenzendem Kloster er untergebracht ist. Ebenso wurden der Propst von Heilig Kreuz [Bernhard Werlin] und jener des Augustiner-Chorherrenstifts St. Georg [Jakob Wiedemann] beim Kaiser vorstellig, um wieder in den Besitz [ihrer Räumlichkeiten und Pfründen] zu gelangen. Die Chorherren von St. Moritz werden bestimmt auch Haller und Michael Keller vertreiben, zumal das St. Moritz-Stift in Augsburg so mächtig war wie jenes [des Großmünsters] in Zürich. -[2]Hoffentlich wird das von Haller erwartete Antwortschreiben der Zürcher Obrigkeit zeigen, dass Letztere die verlogene Lage in Augsburg erkannt haben und Haller nicht länger dort lassen wollen. Er und seine Amtskollegen können zwar weiter predigen, doch dürfen sie dies wie zu Zeiten [des Zweiten Kappeler Landfriedens] nur eingeschränkt tun. Gerne wurden sie zur Erbauung der Kirche beitragen, doch scheinen ihnen weder rügende noch zusprechende Worte dafür geeignet. Musculus will nicht länger bleiben. Haller lässt sich nichts anmerken, um nicht den Verdacht zu erwecken, er wolle bald nach Zürich. -[3] Diese wenigen Nachrichten wurden auf Deutsch verfasst, damit Bullinger sie auch anderen mitteilen kann. Abendgruß.

S. Ecce cogor tertium et maximum quoque malum scribere. Nachdem ich diß 2 gschriben und all stund mein 3 , der bott 4 von Baden, so von gmeiner Eidgnoßen wegen hie ist, werde gfergget 5 und well ufsin, so kumpt Musculus culus 6 zu mir, sagt mir, wies imm gang 7 , das min herren imm sin kilchen abkündet 8 und dem keiser 9 zu sim pfaffenwerck 10 vergunnt habind. Das

der vorliegende (Nr. 2973) und mit seinem Brief vom 4. August (Nr. 2978) durch den Zürcher Stadtboten Andreas Müller nach Zürich befördert; s. Nr. 2978,1f. 56-58.
1 Das Jahr ergibt sich aus dem Briefinhalt.
2 Gemeint sind Hallers Briefe Nr. 2970 und Nr. 2972 vom 29. bzw. 31. Juli.
3 meinte.
4 Der schon in Nr. 2970,5f, und Nr. 2972,1-3, erwähnte, namentlich nicht genannte eidgenössische Bote.
abgefertigt; s. SI 11003.
6 Wolfgang Musculus, der als Pfarrer am Dom tätig war und dort zum letzten Mal am 31. Juli predigte; s. Reinhard Bodenmann, Wolfgang Musculus. Destin d'un autodidacte lorrain au siecle des Réformes, Genf 2000, S. 158f. 166-169.
7 gehe.
8 abgesprochen; s. SI III 357. - Der Dom wurde einige Tage zuvor den Katholiken für die Abhaltung ihres Gottesdienstes versprochen; s. Nr. 2962,14f. Neu war Musculus' Amtsenthebung.


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macht uns erst 11 ein schmertzen, größer, dann 12 uns noch keiner widerfaren! Da sol uns billich 13 der yfer deß huses gottes freßen! 14 Aber wie söllend wir imm thun 15 ? Wir könnends nitt wenden. Ich sorg, wir werdind nach und nach uß allen 16 vertriben. Der hertzog von Peyeren 17 forderet auch schon S. Ulrichs kirch, 18 dann er ligt imm selben closter. Der propst zum Krütz 19 und der zu S. Georgen 20 supplicierend auch an keiser, das man si wider zu dem iren in poßeß 21 laß kommen. So zwyfel ich nitt, dann das die chorherren zu S. Moritzen 22 uns auch vertriben werdind, dann 23 es ist gwaltig halb 24 stifft gsin wie das zu Zürich.

Nun wart ich uff schriben von Zürich 25 , dann ich hoff, min herren werdind ein benügen han 26 und mich bi disem schelmischen läben nitt laßen. Predgens halb farend wir für, dörffend aber schier anders nitt predgen dann wie daheim imm landsfriden 27 . Wir woltend gern thun, das zu erbuwung diente. Ich bsorg aber, es helff weder surs noch süßes. Musculus wil nitt bliben. 28 Ich halt mich still, das nieman mein, das ich hin well. 29

Haec paucis omnia Germanice, ut et aliis communicare possis. Vale denuo. Ultima iulii, vesperi.

[Ohne Unterschrift.]

[Adresse auf der Rückseite:] M. Heinrych Bullinger. a30

a Darunter: 2 (gemeint ist der 2. Brief dieses Tags).
9 Karl V.
10 Gemeint ist die Messfeier.
11 gar; s. SI! 471.
12 als.
13 mit Recht.
14 Vgl. Ps 69 (Vulg. 68), 10; Joh 2, 17.
15 imm thun: dem Abhilfe schatten.
16 Kirchen.
17 Wilhelm IV. von Bayern. 18 Pfarrer an St. Ulrich war Johann Heinrich Held von Tiefenau. Im August 1547 wurde er Pfarrer an St. Moritz; s. Pf-Schwaben 79, Nr. 454.
19 Bernhard Werlin (Wörlin) war von 1545 bis 1567 Propst von Heilig Kreuz. - Lit.: Roth, Augsburg IV 327, 473, 658; Leonhard Bayer, Kurzgefaßte Geschichte von Augsburg. Ein Lesebuch für den Bürger und dessen Abstämmlinge, Augsburg 1785, S. XCII.
20 Jakob Wiedemann (Salicetus), von 1547 bis 1561 Propst des Augustiner-Chorherrenstifts St. Georg. - Lit.: Ilona Hubay, Incunabula der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Wiesbaden 1974, S. 521.
21 Besitz.
22 Wo Haller und Michael Keller dienten.
23 denn.
24 gwaltig halb: in Bezug auf seine Machtausübung.
25 Siehe dazu Nr. 2972,55-57.
26 ein benügen han: sich zufrieden geben.
27 Gemeint ist der am 20. November 1531 abgeschlossene Zweite Kappeler Landfriede, der für die reformatorische Seite ungünstig ausfiel. Im Rahmen der Friedensverhandlungen forderte am 28. November 1531, nur wenige Wochen nach der Kappeler Niederlage, die Landschaft Zürich den Zürcher Rat u.a. auf, aufhetzende Prädikanten abzusetzen oder zurechtzuweisen; vgl. HBBW XIX 26f.
28 Er blieb in Augsburg bis zum 26. Juli 1548; s. Bodenmann 170f.
29 Haller sollte einen Verbleib in Augsburg vortäuschen, um einen etwaigen Überfall während der Heimreise zu vereiteln; s. Nr. 2942,4-9. - Erst am 3. oder 4. Oktober konnte er die Stadt verlassen; s. Nr. 3017, Anm. 38.
30 Vorliegender Brief wurde zusammen mit Hallers Brief vom 29. Juli (Nr. 2970), mit