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Autograph: Zürich StA, E II 359, 3066 (ohne Siegelspur) Ungedruckt
[J] Haller wird seinem vorliegenden Schreiben auch den vor zwei Tagen abgefassten Brief
[Nr. 2970]beilegen, da der [eidgenössische] Bote 1...] noch immer nicht abgefertigt wurde.
—[2] Um für Ruhe und Ordnung zu sorgen, ließ der Augsburger Rat bisher nachts geheime,
kleine Wachen von jeweils zehn Mann durch die Gassen patrouillieren. Letztens aber stieß ein
neu angekommener, kaiserlicher Hauptmann [...]mit seinen Soldaten auf solch eine Patrouille.
Es kam zu einem heftigen Wortgefecht, und bald wurden die Schwerter gezückt. Dabei
wurde der Hauptmann durch zwei Degenstiche verletzt, doch nicht lebensgefährlich. Dessen
Einheit behielt allerdings die Oberhand und nahm vier Wachsoldaten fest, die nun in Lebensgefahr
schweben. —[3] Die Angelegenheit verursachte so viel Nachtlärm, dass Spanier und
auch [Nicola] Madruzzo herbeieilten. Letzterer begab sich mit einigen Hakenschützen zum
Haus des Bürgermeisters Jakob Herbrot. Sie versuchten, das Tor aufzubrechen, und zwangen
den Hausdiener [...], sie hereinzulassen. Herbrot, der sich inzwischen angekleidet hatte, wurde
wegen der Stadtwache zur Rede gestellt. Vier Mal wäre er beinahe vom Degen eines Kaiserlichen
durchstochen worden. Er versuchte vergebens, die Eindringlinge zu beruhigen; sie aberBriefe_Vol_20-369 arpa
führten ihn ab. Der inzwischen durch den Hausknecht alarmierte und mit seinen Soldaten
herbeigeeilte Stadtvogt [Ludwig Spinner] konnte schließlich bewirken, dass Herbrot wieder
freigelassen wurde. Ansonsten wäre er vielleicht verloren gewesen. -[4]Landsknechte haben
einigen Mägden die von ihnen zum Kauf angebotenen Innereien weggerissen, in den Dreck
geworfen und mit Füßen getreten. Als die Frauen sich darüber bei dein dazugekommenen
Zunftmeister [Paul]Wittelspeck beklagten, wurde dieser von den Landsknechten unverschämt
beschimpft, so dass er den Mund halten musste. -[5]Andere Landsknechte rissen einer Frau
ihren mit Obst gefüllten Korb weg und plagten sie dazu noch. Der mit seiner Garde hinzugekommene
Bürgermeister Herbrot wagte jedoch kein Wort! Solches und vieles andere mehr
geschieht hier. Die Obrigkeit darf keinen Mucks machen, nicht einmal zum geringsten Kriegsknecht.
Gott erbarme sich! -[6]Auf Haller und seine Pfarrkollegen wird so wenig Rücksicht
genommen wie auf Sklaven. Die Bitte, ihnen doch eine Leibwacht in der Kirche zu gewähren,
wurde mit dem Hinweis abgelehnt, dass sie ja ihre Nachbarn um Beschirmung bitten könnten.
-[7] Was die Augsburger den Zürcher Ratsherren über den Schutz der Pfarrer geschrieben
haben, sind also nur leere Worte. Sie würden sie vielmehr ermorden lassen! Und in der Tat
wären diese an Leib und Leben gefährdet, wenn Gott sie nicht beschützen würde. -[8]Haller
befiehlt sich Gott an. Er will seinen Glauben an ihn nicht verleugnen, noch möchte er
jemanden verraten, der sich nicht wegen des Glaubens, sondern durch Nachlässigkeit in Gefahr
gebracht hat. Denn Christus hat nicht nur zulu Bekenntnis des Glaubens, sondern auch
zur Vorsicht aufgerufen. Der verfluchte Wucher und die Eitelkeit sind wohl an dem Verlust des
Himmelreichs schuld! Alle Pfarrer sind sich darin einig. -[9]Haller wird noch acht Tage auf
das Antwortschreiben des Zürcher Rats warten. Sollte es bis dann nicht eingetroffen sein, wird
er auf eigene Verantwortung abreisen, da er nun wirklich Grund genug dazu vor Gott und
allen Verständigen hat. - [10] Die öffentliche Lage macht ihm mehr zu schaffen als seine
private, von der er nicht berichten will. Es wird ihm auf die Türschwelle und auf die Bank vor
dem Haus geschissen. Galgen werden an seine Haustür gemalt. Und all das wäre ihm gleich,
wenn es nur der Gemeinde gut ginge und diese sich mutig verhalten würde. Grüße, auch von
Wolfgang Musculus.
S. Disen ingeschloßnen brieff hab ich vor 2 tagen gschriben 2 ; dann 3 ich vermeint, der bott welt uf 4 sin. Diewyl er aber nitt hatt bishar mögen gfergget 5 werden, kan ich üch diß nitt verhalten 6 , so sich darzwüschend a zutragen.
Es habend mine herren 7 bishar ein heimliche wacht von ir burgerschafft znacht laßen uff den gaßen gan, damitt man still und ruwig wer, doch nitt starck, das nieman meinte, das si etwas anrichten weltind: je 10 und 10 mitteinander. So ist nun diser nechten einer, ein hauptman 8 von den keiserschen, so jetz kon 9 , an die gstoßen und über si gschworen 10 , was si da gangind. Si habend gsagt, si syend von der oberkeit wegen da. "Was oberkeit?" hatt diser gsagt; "ist auch ein andere oberkeit hie dann kei[sersche] m[a]j[esta]t? Das üch botz hie und dert! 11 , und uf si zuckt 12 mittsampt sinen
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knechten. Die unseren habend sich gwert und dem hauptman zwen stich gen, doch nitt schedlich. Aber deß hauptmans knecht sind unseren zu starck gsin und habend ir 4 gfangen. b Die vier gfangnen stond in gfar, daß man inen die kopf abschlahet, wiewol große bitt für si angleit 13 wirt! b
Darus ist nun ein selich läben 14 worden, das vil Spanger 15 ufgsin und der von Madrutsch 16 auch darzu kon. Der hatt ein huffen haggenschützen gnan 17 und an deß b[urgermeister] Herbrots hus kon und die thür anghept 18 ufstoßen, das si erwacht. Ein knecht 19 ist herfür glauffen und gsagt, si söllind doch hüpschlich 20 thun, so well ers den herren anzeigen; aber er hatt in 21 mußen ufthun. Darzwüschend ist der burgermeister ufgsin und ein rock angstoßen 22 und zu in gangen. Do habend si gsagt: "Wer heißt üch Augspurger ein wacht über uns halten? Das üch", etc. Und hatt einer under inen 4 mal das rapier 23 durch in stechen wellen, doch verhinderet. Herbrot hatt in gute wort gen, so vil er gmögen. Si habend inn aber zwungen, daß er mitt inn hatt müßen, nitt gwüßt wohin. Darzwüschend ist der knecht zum stattvogt 24 glauffen. Der ist ylends mitt sinen knechten kan 25 und si brett 26 , das si den burgermeister wider glaßen hand, sonst wer er vilicht under das ys kommen 27
Item es habend landsknecht etlichen mägten, die kutlen feil ghept 28 , die kutlen gnon 29 , ins kat 30 gworffen und mitt fußen tretten. In dem ist zunfftmeister Witelspeck 31 , ein fürnemmer man, darzu kan. Dem hands die meitli ||3066v. klagt. Do sind die landsknecht zugloffen: "Bist du herr hie, bist du oberer? Man schiß dir uffs mul!", etc. Hatt er nitt ein wort dörffen sagen. Item einer frawen habend si ein zeinen 32 mitt obs gnon und usgschüt, huffen mee gmacht. Darzu ist der Herbrot kan mitt allen knechten, aber nitt ein wort dörffen sagen. Und deß dings ist on zal vil! Unser oberkeit darff nitt ein wort sagen, ja zum minsten buben 33 . Gott erbarms!
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Unser nimpt man sich als wenig an, als werind wir sclaven. Wir habend si 34 gebetten, das si doch etwar 35 zu der kantzlen ordnind, der uff uns acht habe. Aber uff unser vilffaltig anhalten habend wir nüt können erlangen, dann 36 das si gsagt, wir söllind nachpuren 37 ansprechen, die mitt uns gangind.
Dorumb ists als 38 nüt, was si unseren herren 39 zugsagt, das si uns schirmen oder bi guter sicherheit heim schicken wellend. Si ließend uns ee ermürden 40 , dann 41 wir warlich, wo 42 uns gott nitt sonderlich bewarte, weder lybs noch läbens sicher werend.
Nun ich beflichs gott, den ich nitt verläugnen wil, so es an die bekantnus gat. Aber ich wil auch nitt in der verretery sin 43 , da 44 einer nitt umb der bekantnuß Christi willen lydet, sonder umb siner negligentz 45 willen. Dan je 46 der, der gsagt hatt: "Qui me confessus fuerit, etc. "47 , der hatt auch gsagt: "Cavete vobis ab hominibus."48 Der unsaglich wucher und hoffart hat wol verdient, ut auferatur ab eis regnum dei. 49 Haec est concors omnium fratrum sententia!
Ich wart nun 50 uff schriben miner c herren noch ein acht tag. 51 Kumpt nüt, so züch ich selbs! Ich hab ursach nun dalime 52 gnug vor gott und allen verstendigen.
Was mir privatim begegnet, schrib ich nitt. Die publica gend mir me 53 zu schaffen. Man hofiert 54 mir uff min türschwellen, uff das benckli vor dem hus, malt mir galgen an tür. Das gult mir als glich, so es nun 55 in der gmeind wol stünd und das die unseren etwas hertz 56 hettend. Vale, vale. Salutat te Musculus 57 , qui, quo se vertat, ignorat prorsus. Ultima iulii 1547.
J. H., totus tuus. |
[Ohne Adresse.]58