Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2962]

[Johannes Haller]
an Bullinger
Augsburg,
22. Juli 1547

Autograph: Zürich StA, E II 370, 63 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Haller schrieb kürzlich [mit Nr. 2953]und wollte den Brie einem zuverlässigen Boten [...] anvertrauen, doch ist dieser bis jetzt noch in Augsburg beschäftigt. Deshalb vertraut Hailer nun jenen Brief zusammen mit dem vorliegenden Schreiben Thoman Ruman an. Dieser wird über die Augsburger Lage berichten. Er konnte seine Beurlaubung bewirken. Haller hielt ihn dazu an. Er selbst hätte auch seine Entlassung beantragt, wenn Aussicht auf Erfolg bestanden hätte. Nun hofft er, dass Ruman sich ihm behilflich erweisen kann, indem er Bullinger und den Zürcher Rat über die Augsburger Lage informiert. -[2]Der Beschluss [des Zürcher Rates], Haller und Ruman in Augsburg zu lassen, war vielleicht nicht böse gemeint. Was jedoch schmerzt, ist die Feststellung, wie wenig Hallers und Rumans Mahnungen ernst genommen wurden. Falls also die Zürcher sich noch Gedanken um Haller machen, soll Bullinger dafür sorgen, dass dieser sobald wie möglich zurückberufen wird, denn es ist nichts Gutes mehr von Augsburg zu erwarten. -[3]Die Kirche ist sozusagen aufgelöst. Es gibt so viele Italiener und Spanier in der Stadt, dass die Eltern sich kaum mehr trauen, ihre Wohnung zu verlassen. Viele [Augsburger] besuchen unterdessen die Messe. Für diesen Gräuel werden zwei Kirchen vorbereitet! Bürgermeister Hans Welser und Jakob Herbrot wissen nicht, was tun, geschweige, dass sie sich um [die Pfarrer] kümmern würden! Sie wollen, dass die Predigten und Gebete niemanden verletzen und geben dazu beinahe Vorschriften. Nur schon deshalb will Haller nicht mehr in Augsburg bleiben, egal, ob er nun von den Zürchern abgerufen wird oder nicht. Eine Rückberufung wäre allerdings nicht nur für sein eigenes Ansehen, sondern auch für dasjenige von Zürich besser. Er hatte zwar vor, alles in Augsburg zu erdulden, zumal er sich vom bevorstehenden Reichstag interessante Erfahrungen erhoffte. Doch angesichts des Verhaltens [der Augsburger Behörden] und der Tatsache, dass man alle Schuld [den Pfarrern] zuschiebt, ja sogar alles im Namen Christi verdreht, hält er es in Augsburg nicht mehr aus! -[4]Auch ist offenbar, dass die Augsburger [Behörden] den versprochenen Schutz nicht nur nicht mehr leisten können, sondern auch nicht mehr gewähren wollen. Als Hallers Kollege Johann Heinrich Held von Tiefenau sich bei den Bürgermeistern darüber beklagte, Ausländer bei sich aufnehmen zu müssen, haben sie ihn an die [kaiserlichen]Quartiermeister verwiesen. Diese sagten, dass sie daran nichts ändern können; dass andere das Gleiche dulden müssen. Ein spanischer Herr [...] kam zu Sebastian Lepusculus und befahl diesem frech, auf den Dachboden zu ziehen, weil er sich im Wohnzimmer und in den Schlafzimmnern einrichten werde. Als Lepusculus protestierte, erwiderte dieser: "So will ich es! Ihr müsst uns, die wir so viel für den Kaiser ausgehalten haben, Platz machen!"So etwas kommt täglich vor. Und wenn man sich beschwert, muss man mit noch größeren Schwierigkeiten rechnen. Gewiss würden die [Augsburger Ratsherren] den [Pfarrern] gerne helfen, doch sie können oder wagen es nicht! -[5]Haller sieht deshalb keine andere Lösung, als Augsburg zu verlassen. Und dass er nicht schon jetzt mit Ruman zurückkommt, geschieht nur deshalb nicht, weil es angezeigter ist, die [offizielle]Rückberufung abzuwarten. Bei Ruman ist das nicht so wichtig, da er in Augsburg kaum bekannt ist. Aber Haller kennt jeder! -[6] Zudem staunen alle Kollegen, dass Haller und Ruman bleiben (die derart triftige Gründe hätten wegzugehen), während sie selbst viel darum geben würden, um weggehen zu dürfen. Sie sagen sogar, dass der Zürcher Rat sie wohl verraten habe! Bullinger soll also dafür sorgen, dass Haller baldmöglichst zurückberufen wird. -[7]Dieser hat vieles mit der Augsburger Kirche durchgemacht. Und auch künftig ist er bereit, für sein Vaterland standhaft zu sein und Leid zu erdulden. Alle (auch seine Gattin [Elsbeth, geb. Kambli]und sein ganzer Haushalt) können bezeugen, dass er gerne in Augsburg war und nur schweren Herzens von dort weggeht (was übrigens oft Anlass zu Unstimmigkeiten


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mit seiner Frau gab). Da aber die Lage aussichtslos ist und man nun zudem unter den Feinden leben. und ihnen zustimmen muss, hält er es nicht mehr aus! Schon sind Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba, Otto Truchsess von Waldburg, Bischof von Augsburg, Kardinal Francesco Sfondrato, Gesandter des Papstes Paul III., und viele andere Fürsten (deren Namen Haller sich nicht gemerkt hat) in der Stadt! Alles Weitere hoffentlich bald mündlich. -[8]Bullinger möge Rücksicht auf Hallers Gewissen nehmen. Dieser wartet gespannt auf eine Antwort. Er schrieb nur ganz kurz an den Zürcher Rat. Bullinger soll den Bürgermeistern Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater alles mitteilen. Ruman wird sich bei diesen auch einsetzen. Gruß.

S. P. Scripsi superioribus diebus 1 de singulis ad te rebus, cum putarem me certum habere nuncium 2 . Tile vero propter sua negocia usque dum hic haesit. Ilias ergo prius scriptas nunc etiam una cum his per Romanum 3 ad te mitto. Is te de rebus nostris faciet certiorem. Petiit is veniam et impetravit idque non sine meo consilio. Petiissem ipse, si impetrare potuissem ego, sed spero hac ratione etiam mihi consuli posse per illum si ipse et tibi et senatui Tigurino exposuerit, quomodo se res nostrae habeant.

Agnosco non malo forte animo factum, quod nuper iussi simus manere. 4 Interim tamen doluit mihi, quod non invenerimus fidem, cum tam diligenter praemoneremus. Proinde, si adhuc salus nostra vobis curae est, da operam, ut quam primum revocer. Non enim est, ut aliquid hic boni speretis.

Nullam habemus fere ecclesiam Tanta enim iam adest Italorum et Hispanorum turba, ut nemo vel pater aut mater familias veut abesse aedibus. Plurimi etiam sectantur missam. Duo iam templa 5 huic abominationi parantur. Consules 6 , quid ipsi agant (nedum quod nobis consulant) a , ignorant! Volunt, ut sic praedicemus et oremus, ne quem offendamus, 7 et tantumnon

a Klammern ergänzt.
1 Mit Brief Nr. 2953 vom 15. Juli.
2 Unbekannt. -Vielleicht Andreas Gessner d.J. (vgl. Nr. 2894, Anm. 137), der einige Monate später erneut in Augsburg belegt ist (s. Nr. 2999,2-4; Nr. 3005,1-3), oder auch dessen Bruder Heinrich (zur verwandtschaftlichen Beziehung s. Emil Eidenbenz-Pestalozzi, Die stadtzürcherischen Vorfahren Heinrich Pestalozzis, in: Pestalozzi-Studien, hg. y. Artur Buchenau, Eduard Spranger, Hans Stettbacher, Bd. 1, Berlin/Leipzig 1927, S. 145f), der durch den vom Zürcher Rat am 7. Dezember 1547 zu seinen Gunsten verfassten und an Kaiser Karl V. gerichteten Brief (Entwurf in Zürich StA, B IV 16, 165r./v.) ebenfalls als Krämer nachgewiesen ist, der in Augsburg Federn und Baumwolle einkaufte.
3 (Hans) Thoman Ruman (Römer), der schon am 28. Juli in Zürich nachgewiesen ist; s. Nr. 2969,2f.
4 Siehe dazu den Brief Bullingers vom 30. Mai (Nr. 2917) und die Antwort des ZUrcher Rats vom gleichen Tag (Nr. 2908, Anm. 19).
5 Der Augsburger Dorn (Frauenkirche) und die Dominikanerkirche (Predigerkirche) St. Magdalena, die seit 1534 geschlossen geblieben war (s. Hans Wiedenmann, Die Dominikanerkirche in Augsburg, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg, Bd. 43, 1917, S. 151) und wo 1966 das Römische Museum eingerichtet wurde. -Die beiden Kirchen wurden dem Kaiser am 2. August 1547 feierlich übergeben; s. Roth, Augsburg IV 49-51. - Vielleicht kam später noch ein dritte Kirche dazu, die St. Katharina-Kirche; s. Roth, Augsburg III 479.
6 Hans Welser und Jakob Herbrot.
7 Vgl. Nr. 2953,44-47.


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certas praedicandi praescribunt leges, quae una causa me movet, ut manere nolim, sive vocer sive minus! Sed velim me vocari, non propter meam tantum, sed et propter omnium vestrum conservandam authoritatem. 8 Statueram profecto manere et experiri quidvis, cum considerarem non mediocris experientiae haec comitia fore occasionem. Sed cum video nostrorum animos omnemque in nobis tandem cudendam fabam 9 et in Christum omnia detorqueri, abhorret animus prorsus!

Accedit et illud: quod eam, quam promiserant, defensionem 10 ita negligunt, ut non modo non posse, sed nec velle etiam defendere appareat. Heldio 11 , symmistae nostro, hatt man ettlich wältsch ingfuriert 12 , und als er sichs 13 beklagt gegen 14 den burgermeisteren, habend si imm kein bscheid 15 gen, dann 16 zu den furierherren 17 gwisen. Als er zu inn kommen, habend si gsagt, si könnend imm nitt thun 18 18 ; es müßinds 19 ander lüt auch han 20 . Lepusculo 21 ist ein spanischer herr 22 ins hus kon 23 und inn frävenlich 24 gheißen, uff die hüne 25 ufen ziehen; die stuben 26 und kameren 27 werd er innhann 28 . Cumque diceret Lepusculus: "Satis haec, domine, pro imperio!", respondit: "Sic volo, sic iubeo! 29 Oportet vos cedere nobis, qui tanta pro caesare 30 sustinuimus!" ||v Huiusmodi nobis contingunt quotidie multa. Cum quaerimur, nihil aliud efficimus, quam quod nobis facimus negocium. Non dubito interim ipsos libenter nobis consulturos, si possent aut auderent.

Proinde non video, quid agam aliud, quam me hinc recipiam. Et quod non cum Romano hoc facio, haec una causa est, quod expecto vocationem, ut commodius divelli queam. Romanus paucis fuit notus, cum me tota novit urbs!

8 Vgl. unten Z. 43; Nr. 2978,27-30. 36.
9 Vgl. Adagia 1, 1, 84 (ASD II/I 192, Nr. 84). - Die Redewendung bedeutet: Alles fällt schließlich auf uns zurück.
10 Zu dem Versprechen des Augsburger Rates, die Zürcher Pfarrer zu schützen, s. die Verweise in Nr. 2953, Anm. 27.
11 Johann Heinrich Held von Tiefenau. -Zu diesem s. zuletzt HBBW XIX 336. 339.
12 wältsch ingfuriert: Ausländer einquartiert.
13 sich dessen.
14 gegenüber.
15 Antwort.
16 außer dass (sie ihn).
17 Damit sind die von der Stadt ernannten Personen gemeint (deren Namen in Von Stetten, Augsburg 414 aufgezählt werden), die neben Wolfgang von Pappenheim und dessen Gehilfen (s. Nr. 2953.
Anm. 18; Roth, Augsburg IV 44. 67, Anm. 4) mit der Einquartierung der Kaiserlichen beauftragt worden waren.
18 imm nitt than: dem nicht abhelfen; s. SI XIII 303.
19 müssen das.
20 ertragen; s. SI II 876.
21 Pfarrer Sebastian Lepusculus (Häslin); s. Nr. 2884, Anm. 67.
22 Unbekannt.
23 gekommen.
24 frech; s. SI I 1288.
25 Dachboden; s. SI IV 1319.
26 Wohnzimmer.
27 (Schlaf)zimmer; s. SI III 248.
28 innehaben (besetzen).
29 Vgl. Juvenal, Satiren, 6, 222: "Hoc volo, sic iubeo. Sit pro ratione voluntas!"
30 Karl V.


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Accedit et illud, quod omnes symmistae mirantur nos manere, qui tales, quales nos habemus, occasiones magno redimerent, et nihil aliud agerent, quam ut eas captent. In faciem nobis dicunt nos a senatu prodi Tigurino. Rogo ergo, ut, quam primum has acceperis, cures, ut revocer.

Sustinui hactenus cum hac ecclesia non pauca. Sustinebo et sufferam in posterum tanto audentius pro patria, quicquid dominus ferendum dederit! Hoc certo scito (et testabuntur hoc, qui mecum sunt, omnes, imo uxor 31 et familia mea) b , quod aegre divellor ab Augusta, neque unquam fui hic invitus (unde saepius mihi cum uxore fuit contentio). Sed quandoquidem res ita rediit ad restim, 32 ut in medio hostium sit versandum et connivendum ad omnem impietatem, haec animus meus ferre nequit. 33 Sunt iam hic duca 34 de Alba 35 , episcopus Augustanus 36 , legatus cardinalis pontificis 37 et principes alu, quorum nomina non teneo. Piura spero me coram tecum collocuturum.

Nunc vale et salutem atque conscientiam meam 38 habe tibi commendatam. Anxius expectabo responsum. Scripsi etiam senatui, 39 sed paucissimis. Tu Vens consulibus 40 haec omnia communicare. Aget meam apud eos causam Romanus. Vale cum familia et fratribus omnibus. Augustae Vindelicorum, 22. iulii 1547.

Manum nosti.

[Adresse darunter:] D. Bullingero suo tanquam patri venerando. 41

b Dieses und das nächste Klammerpaar ergänzt.
31 Elsbeth, geb. Kambli.
32 Vgl. Adagio 1, 5, 21 (ASD II/1 494, Nr. 421). - Die Redewendung bezeichnet eine aussichtslos gewordene Lage.
33 Vgl. Ps 1, 1; 26 (Vuig. 25), 5.
34 Herzog (auf Italienisch).
35 Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba; vgl. Nr. 2950,8f; Nr. 2961,9.
36 Kardinal Otto Truchsess von Waldburg; s. Nr. 2970,17f.
37 Kardinal Francesco Sfondrato, der Gesandte von Papst Paul III.; s. Roth, Augsburg IV 48. 51.
38 Vgl. Nr. 2894,115f.
39 Dieser Brief Hallers an den Zurcher Rat ist nicht erhalten.
40 Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater.
41 Dieser Brief wurde Rurnan mitgegeben, und zwar zusammen mit Hallers Brief vom 15. Juli (s. oben Z. 1-3), mit Wolfgang Musculus' Zeugnis für Rurnan vom 14. Juli (s. Nr. 2951) und Georg Frölichs Brief vom 22. Juli (s. Nr. 2961,3-8).