Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2953]

[Johannes Haller]
an Bullinger
Augsburg,
15. Juli 1547

Autograph: Zürich StA, E II 370, 64 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Hailer berichtete vor einigen Tagen aus Zeitmangel nur kurz [mit Nr. 2942 und Nr. 2950]. Doch auch wenn er jetzt mehr Muße hat, kann er nicht alles schreiben, was er gerne möchte. Unterdessen traf Bullingers Brief [nicht erhalten] ein. Erstaunlicherweise enthielt dieser gar keine Neuigkeiten! Allerdings gibt es in Augsburg viel Gerede über ein Zerwürfnis unter den Eidgenossen, und alle prophezeien ihnen Schlimmes: Kaiser Karl V. habe vor, sie mit Krieg zu überziehen, sobald er sich auf dem angekündigten Reichstag mit den Reichsständen ausgesöhnt und den Schwäbischen Bund erneut ins Leben gerufen haben werde. Über den letzten Punkt fing man bereits in Ulm, in Anwesenheit von Augsburger Gesandten, zu verhandeln an. Diese sind unterdessen zurückgekehrt, da über die Wiedererrichtung dieses Bundes auf dem nach Augsburg einberufenen Reichstag weiterverhandelt werden soll. Haller konnte nicht in Erfahrung bringen, welche Bedingungen der Kaiser den Hansestädten auferlegt hat. Feststeht, dass diese sich nicht ergeben haben. Vermutlich wollte der Kaiser keine Zeit mit ihrer Unterwerfung verschwenden. Die Versöhnung mit den übrigen Ständen ist ihm wichtiger, um Deutschland nicht unverrichteter Dinge verlassen zu müssen, falls er von anderen Feinden angegriffen würde. Später wird er wohl die Hansestädte mit der Reichsacht in die Knie zwingen. Das hat Haller gehört. -[2]Man berichtet auch, dass Landgraf Philipp von Hessen mit dem gefangenen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel zum Kaiser kam, den Fußfall leistete und dann gemeinsam mit Fernando Alvarez de Toledo, dem Herzog von Alba, und mit seinem Schwiegervater, Kurfürst Moritz von Sachsen, speisen ging. Als er aber den Speiseraum verlassen wollte, hat man ihn auf Befehl des Kaisers festgenommen. Es werden also zwei Gefangene nach Augsburg geführt! Sehr viele glauben aber, dass die Gefangenschaft des Landgrafen nur eine Inszenierung sei. Sicher ist, dass der kaiserliche Marschall [Wolfgang von Pappenheim], der in Augsburg die Unterkünfte für die Fürsten festlegt, für den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen ein passendes Quartier ausgesucht hat und dabei sagte, dass der Kurfürst beim kaiserlichen Gefolge angesehen sei, was auch dieser in einem Brief an Jakob Herbrot bestätigte. Als man aber den Marschall fragte, welchen Auftrag er in Bezug auf den Landgrafen hätte, gab er keine Antwort! -[3]Heute, um neun Uhr morgens, traf Nicolas de Perrenot, Herr von Granvelle, ein. Er ist nun Hallers Nachbar. Fast gegenüber von Hallers Wohnung soll der Spanier Pedro de Malvenda (der die Ermordung von Juan Diaz durch dessen Bruder [Alfonso] in Neuburg a.d. Donau veranlasste) untergebracht werden. In den Gebäuden des St. Anna-Klosters werden 40 Reiter einquartiert. Haller wird also mit seiner Familie mitten unter diesen Leuten ein- und ausgehen müssen! Die Augsburger Ratsherren, die so viel versprochen haben, wagen keinen Mucks mehr. Die Pfarrer werden in der Öffentlichkeit unglaublich angefeindet, und der kaiserliche Oberst Bernhard von Schaumburg schmiedet Intrigen gegen Haller. Nur noch Gott kann helfen, da von den Menschen kein Heil zu erwarten ist. Haller geht es wie der zänkischen Frau, der niemand glaubte, dass es ihr


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schlecht ging, bis sie starb! Jetzt erst versteht er den Psalter und die darin ausgedrückten Gefühle. Ständig wiederholt er mit dein Psalmisten: "Der Herr ist ,nein Licht, meine Erlösung und meine Stärke. Vor wem sollte ich mich fürchten?" -[4]Die Zahl der Gottesdienstbesucher nimmt ab, weil viele (die am Kreuz Anstoß nehmen) sich wegen des Evangeliums schämen und andere daheimbleiben, um ihre Angehörigen vor etwaigen Gewalttaten zu schützen. Der Rat fordert Predigten, die keinen Anstoß erregen. Die Pfarrer wollen sich aber als würdige Diener Christi erweisen: Niemandem Grund zur Verleumdung geben und doch die Wahrheit im Rahmen des Erlaubten freimütig bekennen. Sie ermahnen die Menschen zur Ausdauer, zum Zusammenhalt und Gottvertrauen, leben es ihnen auch vor und sind auf alles gefasst. -[5]Haller konnte Thoman Ruman kaum in Augsburg zurückhalten, obwohl dieser weniger in Gefahr schwebt als Hailer. Alle verurteilen Haller und den Pfarrer Johann Flinner, den sie als Großmaul bezeichnen, und Haller verunglimpfen sie als verschlagenen Heuchler, der das Volk eher durch List und Schlichtheit als durch Wagemut verführt. Einige Kollegen fordern Hallers Entfernung, zumal der Kaiser Zwinglianer überhaupt nicht ausstehen kann. Es wird wohl noch zu Problemen kommen. Doch wird Haller durch den Glauben an Gott siegen! Die Zürcher mögen für die Augsburger Pfarrer beten. -[6]Bullinger soll Hallers Verwirrung verzeihen. Haller weiß nicht, wann er wieder zum Schreiben kommt, denn es ist sehr riskant. Viele Leute geraten dadurch in Gefahr. So hat nämlich der Kaiser alle Geheimnisse des Kurfürsten von Sachsen und des Landgrafen aufgespürt. Sollte also Haller weniger oft schreiben, dann einzig und allein aus diesem Grund! -[7]Gruß. Sofern Bullinger nicht anders helfen will oder kann, sollen er und die Zürcher für den in Versuchung stehenden Haller beten. Nikolaus Müller gen. Maier grüßt zurück. Georg Frölich schreibt selbst [mit Nr. 2952].
S. P. Scripsi superioribus diebus brevius aliquanto 1 , quia tempus non erat longius. Iam mihi tempus non deest. Si modo liceret omnia, quae vellem, scribere 2 Intervenerunt etiam interea tuae literae 3 , in quibus expectabam aliquid novi, sed nihil erat -quod valde miror. Multus est enim hic rumor de novo quodam inter Helvetios dissidio, et omnes male eis ominantur. Constanter affirmant vin boni etiam illos bello petendos esse a caesare 4 . Sed prius eum sibi imperii status conciliaturum in hisce indictis comitiis 5 et foedus Suevicum 6 renovaturum; id quod iam Ulmae coeperat, ubi et nostrae urbis fuerunt legati 7 . Sed quoniam comitia hic indicta, nostri redierunt, nam hic omne illud negocium conficietur. Quibus rationibus aut conditionibus reliquerit 8 urbes marittimas, incertum est. 9 Non potui indagare verum. Eas tamen se non dedisse certum est. Sunt, qui affirment eum noluisse in eis
1 Am 5. (Nr. 2942) und am 14. Juli (Nr. 2950).
2 Vgl. Nr. 2950,17; Nr. 2952, Anm. 2; und unten Z. 61-65.
3 Nicht erhalten.
4 Karl V. - Siehe dazu Nr. 2920, Anm. 12; Nr. 2934,5-11; Nr. 2943,6-10; Nr. 2945.34-40.
5 Zum geplanten Reichstag s. Nr. 2952, Anm. 6.
6 Zur beabsichtigten Wiederbelebung des Schwäbischen Bundes durch den Kaiser s. zuletzt Nr. 2927, Anm. 10; Nr. 2943, Anm. 15.
7 Zu den Augsburger Gesandten in Ulm gehörte u.a. Claudius Pius Peutinger, der zudem Anfang Juli 1547 in Ulm in den ständischen Ausschuss gewählt wurde; s. Friedrich Roth, Zur Lebensgeschichte des Augsburger Stadtadvokaten Dr. Claudius Pius Peutinger (1509-1552), in: ARG XXV, 1928, 165; PC IVII 725, Nr. 646, Anm. 1.
8 Subjekt ist der Kaiser.
9 Vgl. Nr. 2952,28f.


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expugnandis perdere tempus, cum interim e re sua magis sit, ut conciliet sibi reliquos imperii status, ne, si ab aliis impetatur hostibus, cogatur ita dissolutam relinquere Germaniam; ilias 10 eum demum expugnaturum excommunicatione imperiali 11 . Haec ad nostras pervenerunt aures.

De langrafio 12 hoc accepimus: quod, cum suo illo captivo Brunsvicensi 13 venerit ad caesarem et sese dederit in terram provolutus, postea eum cum duce Albano 14 et Mauritio 15 , genero suo, convivatum et, a convivio cum discedere vellet, caesaris iussu captum. 16 Adducitur itaque uterque 17 captivus. Volunt plaerique langrafii vincula merum esse praetextum. Hoc certum est: Caesaris marschalkum 18 qui iam hic quoque est et habitationes principibus deputat, habere in mandatis, ut amoenum et proprium locum seligat electori 19 (id quod fecit) a et testatur electorem a tota caesaris familia venerabiliter observ[ari]b ; id quod etiam ipse elector testatus est datis ad Herbrotum 20 nostrum literis. Caeter[um mar]schalkus ipse rogatus, de langrafio quid haberet in mandatis, nullum [respondit] verbum.

Hodie hora 9. antemeridiana Granvella 21 venit, vicinus m[eus]. Habebo etiam e regione fere mearum aedium Malevendam illum Hispanum 22 , qui bannern Diaceum 23 Neoburgi a fratre 24 caesum prodidit. In collegio nostro

a Klammern ergänzt. -
b Hier und unten Textverlust bei der Entfernung des Siegels.
10 Urbes maritimas.
11 excommunicatione imperiali: Reichsacht.
12 Philipp von Hessen.
13 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel. Er war vom 21. Oktober 1545 bis zu seiner Freilassung am 18. Juni 1547 vom Landgrafen gefangen gehalten worden; s. Nr. 2920, Anm. 19 und Anm. 20.
14 Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba.
15 Kurfürst Moritz von Sachsen. Dessen Frau Agnes von Hessen war die Tochter von Landgraf Philipp.
16 Dieses Essen fand auf der Moritzburg in Halle (Saale) statt. Dazu und zur anschließenden Gefangennahme des Landgrafen s. Simon Ißleib, Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen 1547, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 11, Dresden 1890, S. 234f; Fritz Wolff Der gefangene Landgraf. Der Weg in die Gefangenschaft, in: Landgraf Philipp der Großmütige 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform, hg. y. Ursula Braasch-Schwersmann u.a., Marburg und Neustadt a.d. Aisch 2004, S. 125 (dort wird der Herzog von Alba falsch "Joachim von Alba"genannt).
17 Der Landgraf und der schon früher festgenommene
Johann Friedrich I. von Sachsen; vgl. Nr. 2950,9f.
18 Wolfgang von Pappenheim, Quartiermeister; s. RTA-JR XVIII/1 197-200.
19 Johann Friedrich I. von Sachsen. Er wurde (neben dem Herzog von Alba, der im Haus von Hans Welser wohnte) im Haus von Leonhard Stöcklin einquartiert (zu Stöcklin s. Nr. 3021, Anm. 45). In den Briefen des Kurfürsten wird als Hausherr aber nicht Stöcklin, sondern Ulrich Welser genannt (vielleicht, weil Stöcklin abwesend war); s. Roth, Augsburg IV 47. 68, Anm. 17.
20 Jakob Herbrot, Bürgermeister.
21 Nicolas de Perrenot, Herr von Granvelle, der vermutlich schon am Vortag in Augsburg eingetroffen zu sein scheint; vgl. Nr. 2950, Anm. 15.
22 Pedro de Malvenda, Hofprediger und Hofkaplan des Kaisers. - Er hatte die Information über den Aufenthaltsort von Juan Diaz weitergegeben. Sie gelangte nach Rom und führte offenbar dazu, dass Juans Bruder Alfonso nach Süddeutschland aufbrach; s. Vogel 460.
23 Juan Diaz, der am 27. März 1546 in Neuburg an der Donau ermordet worden war; s. HBBW XVI 274f mit Anm. 13; 357f.
24 Alfonso Diaz.


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divae Annae 25 habebimus equites 40, quos, etsi forte in mea non habere cogar habitatione, tamen per medios ipsos mihi eundum et inter illos meae est familiae conversandum! Domini 26 promiserunt multa, sed nunc ne hiscere quidem audent. 27 Quantas patiamur 28 contumelias in plateis, iam indicibile est! Mihi a capitaneo nostro 29 prae caeteris struuntur insidiae. Sed quid faciam? In domino confido. Video nullam mihi amplius ab hominibus esse expectandam salutem. 30 Fiet mihi, quod mulieri morosae, quam nemo credit male habuisse, quam cum moritur. 31 Nunquam intellexi psalterium quam hodie, cum iisdem induar affectibus. Non ergo habeo solatium ullum quam frequenter reiterare: "Dominus lux et salus mea! A quonam timerem? Dominus robur vitae meae! A quo expavescerem?"32

Auditorium iam incipit esse rarum, partim quod multos pudet evangelii (qui offenduntur cruce 33 ) c , partim quod alu pii domi haerent, ne vis interim aliqua flat suis. Magistratus vult, ut sic praedicemus, ne quem offendamus. Volumus nos facere, quod Christi ministros decet, nemini, quantum est possibile, calumniandi dare occasionem, sed tamen veritatem libero ore profiten, quoad nobis licuerit. 34 Hortamur populum ad constantiam, concordiam, fiduciam in auxilium domini firmam, cuius fiducia nos eis exhibemus exemplaria, cum ipsis (nisi dominus intervenerit) quemvis expectaturi eventum.

Romanum 35 totis viribus vix retinui, 36 cum tamen ei tale non immineat periculum quale mihi. Omnes me damnant, et Flinnerum 37 , unum ex symmistis. Illum vocant clamatorem, me astutulum hypocritam, qui arte magis et simplicitate seducam populum quam procacitate. Sunt etiam ex nostris, ||v qui rebus ita se habentibus vellent me sublatum: Caesarem enim Zvinglianos hos ferre omnimode non posse. Ex quibus omnibus colligo mihi multum negocii futurum. Sed tamen in his omnibus superabo propter eum, qui dilexit nos; 38 et haec erit victoria nostra: Fides nostra! 39 Dominus adsit conatibus nostris! Or[ate]d vos pro nobis diligenter.

c Klammern ergänzt. -
d Hier und unten Text teils im engen Einband verdeckt.
25 Das Kloster St. Anna in Augsburg; s. Nr. 2884, Anm. 71; Nr. 2950,20-22.
26 Die Augsburger Ratsherren.
27 Vgl. HBBW XIX 234,42-44; 289,26f; Nr. 2908, Anm. 3; Nr. 2950,12f. 22f; Nr. 2962,24f.
28 Haller meint hier sich selbst und die anderen Augsburger Pfarrer.
29 Oberst Bernhard von Schaumburg. Siehe dazu Nr. 2894,50-83.
30 Ps 146 (Vuig. 145), 3.
31 Vgl. Adagia 2, 10, 21 (ASD 11/4 290, Nr. 1921).
32 Ps 27 (Vuig. 26), 1, nach der Zürcher lateinischen
Ausgabe der Bibel, wie z.B. der 1543 erschienenen Ausgabe.
33 Vgl. 1Kor 1, 18.
34 Vgl. Nr. 2950,14-16.
35 (Hans) Thoman Ruman (Römer).
36 Dieser Stelle zufolge wusste Haller damals noch nicht, dass Ruman bereits bei Wolfgang Musculus ein Zeugnis (Nr. 2951) für den Fall seiner Abreise eingeholt hatte.
37 Der lutherisch ausgerichtete Johann Flinner, Pfarrer an Heilig Kreuz.
38 Röm 8, 37.
39 1Joh 5, 4.


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Haec scripsi animo, uti coniicere potes, admodum distracto. Rogo ergo, ut boni consulas. Quando plura dare possim, nescio, tam enim non tutum est nunc scribere, ut nulla ex re maius sit metuendum periculum. 40 Sic etiam venient in discrimen multi boni vin hodi[e], cum caesar non electoris modo, sed et langrafii omnia secreta infestant et deprehenderit. 41 Si ergo rarius scribo, scias hanc unam esse causam. 42

Interim vale et me nunc varus tentationibus obrutum precibus fidelibus, si alio non vis aut potes modo, 43 adiuva. Augustae Vindelicorum, 15. juli anno 1547. Saluta omnes pios. Resalutat te Meyerus 44 . Laetus 45 rescribit ipse.

Tuus perpetuo, quem nosti.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. Bullingero, domino et patri suo venerando. Zürich. M[eyster]Heinrych Bullinger bi dem Großen Münster. 46