[2953]
Autograph: Zürich StA, E II 370, 64 (Siegelspur) Ungedruckt
[1]Hailer berichtete vor einigen Tagen aus Zeitmangel nur kurz [mit Nr. 2942 und Nr. 2950].
Doch auch wenn er jetzt mehr Muße hat, kann er nicht alles schreiben, was er gerne möchte.
Unterdessen traf Bullingers Brief [nicht erhalten] ein. Erstaunlicherweise enthielt dieser gar
keine Neuigkeiten! Allerdings gibt es in Augsburg viel Gerede über ein Zerwürfnis unter den
Eidgenossen, und alle prophezeien ihnen Schlimmes: Kaiser Karl V. habe vor, sie mit Krieg zu
überziehen, sobald er sich auf dem angekündigten Reichstag mit den Reichsständen ausgesöhnt
und den Schwäbischen Bund erneut ins Leben gerufen haben werde. Über den letzten
Punkt fing man bereits in Ulm, in Anwesenheit von Augsburger Gesandten, zu verhandeln an.
Diese sind unterdessen zurückgekehrt, da über die Wiedererrichtung dieses Bundes auf dem
nach Augsburg einberufenen Reichstag weiterverhandelt werden soll. Haller konnte nicht in
Erfahrung bringen, welche Bedingungen der Kaiser den Hansestädten auferlegt hat. Feststeht,
dass diese sich nicht ergeben haben. Vermutlich wollte der Kaiser keine Zeit mit ihrer Unterwerfung
verschwenden. Die Versöhnung mit den übrigen Ständen ist ihm wichtiger, um
Deutschland nicht unverrichteter Dinge verlassen zu müssen, falls er von anderen Feinden
angegriffen würde. Später wird er wohl die Hansestädte mit der Reichsacht in die Knie zwingen.
Das hat Haller gehört. -[2]Man berichtet auch, dass Landgraf Philipp von Hessen mit
dem gefangenen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel zum Kaiser kam, den Fußfall
leistete und dann gemeinsam mit Fernando Alvarez de Toledo, dem Herzog von Alba, und
mit seinem Schwiegervater, Kurfürst Moritz von Sachsen, speisen ging. Als er aber den Speiseraum
verlassen wollte, hat man ihn auf Befehl des Kaisers festgenommen. Es werden also
zwei Gefangene nach Augsburg geführt! Sehr viele glauben aber, dass die Gefangenschaft des
Landgrafen nur eine Inszenierung sei. Sicher ist, dass der kaiserliche Marschall [Wolfgang
von Pappenheim], der in Augsburg die Unterkünfte für die Fürsten festlegt, für den Kurfürsten
Johann Friedrich von Sachsen ein passendes Quartier ausgesucht hat und dabei sagte, dass
der Kurfürst beim kaiserlichen Gefolge angesehen sei, was auch dieser in einem Brief an
Jakob Herbrot bestätigte. Als man aber den Marschall fragte, welchen Auftrag er in Bezug auf
den Landgrafen hätte, gab er keine Antwort! -[3]Heute, um neun Uhr morgens, traf Nicolas
de Perrenot, Herr von Granvelle, ein. Er ist nun Hallers Nachbar. Fast gegenüber von Hallers
Wohnung soll der Spanier Pedro de Malvenda (der die Ermordung von Juan Diaz durch
dessen Bruder [Alfonso] in Neuburg a.d. Donau veranlasste) untergebracht werden. In den
Gebäuden des St. Anna-Klosters werden 40 Reiter einquartiert. Haller wird also mit seiner
Familie mitten unter diesen Leuten ein- und ausgehen müssen! Die Augsburger Ratsherren,
die so viel versprochen haben, wagen keinen Mucks mehr. Die Pfarrer werden in der Öffentlichkeit
unglaublich angefeindet, und der kaiserliche Oberst Bernhard von Schaumburg
schmiedet Intrigen gegen Haller. Nur noch Gott kann helfen, da von den Menschen kein Heil
zu erwarten ist. Haller geht es wie der zänkischen Frau, der niemand glaubte, dass es ihrBriefe_Vol_20-312 arpa
schlecht ging, bis sie starb! Jetzt erst versteht er den Psalter und die darin ausgedrückten
Gefühle. Ständig wiederholt er mit dein Psalmisten: "Der Herr ist ,nein Licht, meine Erlösung
und meine Stärke. Vor wem sollte ich mich fürchten?" -[4]Die Zahl der Gottesdienstbesucher
nimmt ab, weil viele (die am Kreuz Anstoß nehmen) sich wegen des Evangeliums schämen und
andere daheimbleiben, um ihre Angehörigen vor etwaigen Gewalttaten zu schützen. Der Rat
fordert Predigten, die keinen Anstoß erregen. Die Pfarrer wollen sich aber als würdige Diener
Christi erweisen: Niemandem Grund zur Verleumdung geben und doch die Wahrheit im Rahmen
des Erlaubten freimütig bekennen. Sie ermahnen die Menschen zur Ausdauer, zum Zusammenhalt
und Gottvertrauen, leben es ihnen auch vor und sind auf alles gefasst.
-[5]Haller konnte Thoman Ruman kaum in Augsburg zurückhalten, obwohl dieser weniger in
Gefahr schwebt als Hailer. Alle verurteilen Haller und den Pfarrer Johann Flinner, den sie als
Großmaul bezeichnen, und Haller verunglimpfen sie als verschlagenen Heuchler, der das Volk
eher durch List und Schlichtheit als durch Wagemut verführt. Einige Kollegen fordern Hallers
Entfernung, zumal der Kaiser Zwinglianer überhaupt nicht ausstehen kann. Es wird wohl noch
zu Problemen kommen. Doch wird Haller durch den Glauben an Gott siegen! Die Zürcher
mögen für die Augsburger Pfarrer beten. -[6]Bullinger soll Hallers Verwirrung verzeihen.
Haller weiß nicht, wann er wieder zum Schreiben kommt, denn es ist sehr riskant. Viele Leute
geraten dadurch in Gefahr. So hat nämlich der Kaiser alle Geheimnisse des Kurfürsten von
Sachsen und des Landgrafen aufgespürt. Sollte also Haller weniger oft schreiben, dann einzig
und allein aus diesem Grund! -[7]Gruß. Sofern Bullinger nicht anders helfen will oder kann,
sollen er und die Zürcher für den in Versuchung stehenden Haller beten. Nikolaus Müller gen.
Maier grüßt zurück. Georg Frölich schreibt selbst [mit Nr. 2952].Briefe_Vol_20-313 arpa
expugnandis perdere tempus, cum interim e re sua magis sit, ut conciliet sibi
reliquos imperii status, ne, si ab aliis impetatur hostibus, cogatur ita dissolutam
relinquere Germaniam; ilias 10 eum demum expugnaturum excommunicatione
imperiali 11 . Haec ad nostras pervenerunt aures.
De langrafio 12 hoc accepimus: quod, cum suo illo captivo Brunsvicensi 13 venerit ad caesarem et sese dederit in terram provolutus, postea eum cum duce Albano 14 et Mauritio 15 , genero suo, convivatum et, a convivio cum discedere vellet, caesaris iussu captum. 16 Adducitur itaque uterque 17 captivus. Volunt plaerique langrafii vincula merum esse praetextum. Hoc certum est: Caesaris marschalkum 18 qui iam hic quoque est et habitationes principibus deputat, habere in mandatis, ut amoenum et proprium locum seligat electori 19 (id quod fecit) a et testatur electorem a tota caesaris familia venerabiliter observ[ari]b ; id quod etiam ipse elector testatus est datis ad Herbrotum 20 nostrum literis. Caeter[um mar]schalkus ipse rogatus, de langrafio quid haberet in mandatis, nullum [respondit] verbum.
Hodie hora 9. antemeridiana Granvella 21 venit, vicinus m[eus]. Habebo etiam e regione fere mearum aedium Malevendam illum Hispanum 22 , qui bannern Diaceum 23 Neoburgi a fratre 24 caesum prodidit. In collegio nostro
Briefe_Vol_20-314 | arpa |
---|
divae Annae 25 habebimus equites 40, quos, etsi forte in mea non habere cogar habitatione, tamen per medios ipsos mihi eundum et inter illos meae est familiae conversandum! Domini 26 promiserunt multa, sed nunc ne hiscere quidem audent. 27 Quantas patiamur 28 contumelias in plateis, iam indicibile est! Mihi a capitaneo nostro 29 prae caeteris struuntur insidiae. Sed quid faciam? In domino confido. Video nullam mihi amplius ab hominibus esse expectandam salutem. 30 Fiet mihi, quod mulieri morosae, quam nemo credit male habuisse, quam cum moritur. 31 Nunquam intellexi psalterium quam hodie, cum iisdem induar affectibus. Non ergo habeo solatium ullum quam frequenter reiterare: "Dominus lux et salus mea! A quonam timerem? Dominus robur vitae meae! A quo expavescerem?"32
Auditorium iam incipit esse rarum, partim quod multos pudet evangelii (qui offenduntur cruce 33 ) c , partim quod alu pii domi haerent, ne vis interim aliqua flat suis. Magistratus vult, ut sic praedicemus, ne quem offendamus. Volumus nos facere, quod Christi ministros decet, nemini, quantum est possibile, calumniandi dare occasionem, sed tamen veritatem libero ore profiten, quoad nobis licuerit. 34 Hortamur populum ad constantiam, concordiam, fiduciam in auxilium domini firmam, cuius fiducia nos eis exhibemus exemplaria, cum ipsis (nisi dominus intervenerit) quemvis expectaturi eventum.
Romanum 35 totis viribus vix retinui, 36 cum tamen ei tale non immineat periculum quale mihi. Omnes me damnant, et Flinnerum 37 , unum ex symmistis. Illum vocant clamatorem, me astutulum hypocritam, qui arte magis et simplicitate seducam populum quam procacitate. Sunt etiam ex nostris, ||v qui rebus ita se habentibus vellent me sublatum: Caesarem enim Zvinglianos hos ferre omnimode non posse. Ex quibus omnibus colligo mihi multum negocii futurum. Sed tamen in his omnibus superabo propter eum, qui dilexit nos; 38 et haec erit victoria nostra: Fides nostra! 39 Dominus adsit conatibus nostris! Or[ate]d vos pro nobis diligenter.
Briefe_Vol_20-315 | arpa |
---|
Haec scripsi animo, uti coniicere potes, admodum distracto. Rogo ergo, ut boni consulas. Quando plura dare possim, nescio, tam enim non tutum est nunc scribere, ut nulla ex re maius sit metuendum periculum. 40 Sic etiam venient in discrimen multi boni vin hodi[e], cum caesar non electoris modo, sed et langrafii omnia secreta infestant et deprehenderit. 41 Si ergo rarius scribo, scias hanc unam esse causam. 42
Interim vale et me nunc varus tentationibus obrutum precibus fidelibus, si alio non vis aut potes modo, 43 adiuva. Augustae Vindelicorum, 15. juli anno 1547. Saluta omnes pios. Resalutat te Meyerus 44 . Laetus 45 rescribit ipse.
Tuus perpetuo, quem nosti. |
[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. Bullingero, domino et patri suo venerando. Zürich. M[eyster]Heinrych Bullinger bi dem Großen Münster. 46