Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2968]

[Ambrosius Blarer]
an Bullinger
[Konstanz],
26. Juli 1547

Autograph: Zürich StA, E II 357, 238 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung des Brieftextes: Blarer BW II 643, Nr. 1461 1

[1]Blarer hat Bullingers Brief vom 22. Juli [Nr. 2960] mit Dank erhalten und hofft, dass sein letzter [Nr. 2963] und sein vorletzter Brief mit den fünf Batzen [Nr. 2955] gut übermittelt wurden. -[2]Bullingers fürsorgliche Warnung [bezüglich der Verhandlungen der Stadt Konstanz mit Kaiser Karl V] ist willkommen. Es wäre schön, wenn [die Stadt] in ihrer Haltung verharren könnte. Doch Gott allein weiß, ob das so bleiben wird. Ohne dessen Fürsorge wird wohl auch Konstanz sich fügen müssen. Bullinger und die Zürcher Kirche mögen für die Konstanzer beten. - [3] Der Kaiser ist noch nicht in Augsburg. Am 18. Juli befand er sich noch in Nürnberg. Ja, der Reichstag wurde ausgeschrieben. Einige meinen, er würde in Speyer stattfinden, andere wiederum in Regensburg, denn in Ulm und Augsburg sollen bereits einige Menschen an der Pest sterben. Was auf dem Reichstag verhandelt werden soll, wird man bald erfahren. Doch dessen Ergebnis wird nicht besser sein als jene der vorherigen Reichstage, da vermutlich alles immer schlechter wird. Der Herr sei uns gnädig! -[4] Der Kaiser entlässt immer wieder Kriegsknechte, so dass man glaubt, er wisse wohl, wie es mit Frankreich, den Türken und allen anderen steht. Zwischen Frankreich und England gibt es Spannungen, und [die Kaiserlichen]gießen Öl ins Feuer, damit es noch schlimmer wird. Der Kaiser soll viele Kriegsknechte schicken, um den Aufruhr in Neapel niederzuschlagen. - [5] Es kursiert die unverbürgte Nachricht, dass die Türken Pressburg eingenommen hätten. - [6] Am vergangenen Donnerstag ist in Konstanz gegen vier Uhr morgens eine entsetzliche Feuersbrunst ausgebrochen, die allerdings mit Gottes Hilfe gelöscht werden konnte. Das Feuer ist im Haus eines Sattlers [...] an einem sehr gefährlichen Ort entflammt. Mindestens ein Haus, wenn nicht sechs, sind abgebrannt. Auch andere Häuser sind in Brand geraten. Allerdings konnte man sie retten. Wenn der Wind nicht nachgelassen hätte oder wenn das Feuer zu Beginn der Nacht statt gegen Morgen ausgebrochen wäre, hätte es schlimm ausgehen können. Die Menschen haben sehr tapfer und bis zur Erschöpfung gegen das Feuer gekämpft. Wären die Nachbarn, nämlich die Thurgauer, die Radolfzeller und Meersburger sowie auch der Komtur der Deutschherren auf der Mainau [Sigmund von Hornstein] nicht zu Hilfe gekommen, hätten die Konstanzer es alleine nicht geschafft. Die Thurgauer erwiesen sich als besonders hilfsbereit. Gott sei Lob und Dank! Er möge uns vor dem Höllenfeuer bewahren! -[7]Sebastian Schertlin lässt grüßen. Marcell Dietrich von Schankwitz hält sich in Baden auf Größe an aile Familienangehörigen und an alle Ratsherren und gute Freunde. Thomas Blarer und Konrad Zwick lassen grüßen. Bullinger möge für Konstanz beten. -[8] [P.S.:] Blarer bat gestern Joachim Rheticus, die lateinisch-deutschen Verse abzuschreiben, um sie mit diesem Brief zurückschicken zu können, doch weiß er nicht, ob die Abschrift schon vorliegt. Falls nicht, sendet er sie nächstens mit einen, sicheren Boten.

1 Traugott Schieß ordnete dem vorliegenden Brief noch einen weiteren von Blarers Hand beschriebenen Zettel zu (Zürich StA, E II 338, 1455), den er in Blarer BW II 644 zusammenfasste. Allerdings ist diese Zuweisung falsch: Nicht nur wurde der Zettel mit einer anderen
Feder und einer anderen Tinte als der hier veröffentlichte Brief geschrieben, auch die Schnittspuren der beiden Dokumente stimmen nicht überein. Der Zettel datiert eher von September 1547 und erhält eine eigene Briefnummer (Nr. 3013).


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Freuntlicher, hertzgeliepter herr und brüder, ewer bruderlich schreiben 2 hab ich zu danck empfangen. Hoff, euch mein jungst schreiben 3 auch wol zukommen sein, desgleichen das davor, 4 sampt den funff batzen.

Ewer getruwe warnung 5 nemmend wir gern an. Weilten nichts lieber noch hertzlicher, dann das wir allso beleyben 6 kondten. Obs aber gesein möge oder werde, waist allain der barmhertzig truw gott. Der müsß mitt sondern gnaden ob uns halten 7 , oder ich sorgen, wir müssind ouch in bengel 8 beyssen und thain 9 , das unß beschwerlich seye, ob es glichwol vor gott verantwurtlich 10 sein möchte. Ach, bittend und hettend für uns sampt ewer kirchen, das unß der herr gnedigklich erhalte!

Der kaiser 11 ist noch nitt gen Augspurg kommen, sonder den 18. iulii noch zu Nürnberg gewesen. Der reychstag wirt usgeschriben, wie ir melldt, 12 dann das 13 ettlich sagen gen Spyr, die andern gen Regenspurg, dann 14 zu Ulm und Augspurg stirbt es etwas an suchten 15 . Was die handlung diß reychstags sein werde, wurt man bald gewar. Kann aber nitt besser sein dann der vorigen; aber zu besorgen, das letst werde ymmer das ergst sein! Der herr seye unß gnedig.

Der kaiser urlobt das kriegsvolck ymmer vornenzu 16 , das man gentzlich acht, er wisse wol, wie er mitt Franckrich, Turcken und allenthalb stande. Aber Franckreych und Engeland sollend nitt wol zusammen sechen 17 , und schütt man 18 öl in das führ, das es dest grösser und heller werd. Kaiser soll vyl knecht schicken, die unru in Napleß ze stillen. 19

Es wirt her geschriben und kompt sonst ouch die mähr 20 , der Turck solle Pressburg 21 erobert und eingenommen haben. Ist aber noch kam grund 22 .

Wir habend verschines 23 donstags 24 zu vier uren gegen tag ain grausame, erschröckliche brunst 25 hie gehapt, die gott mitt sondern gnaden und wunderbarlich hat zergehn 26 lassen. Ist in ains sattlers 27 huß angangen, an ainem

2 Vom 22. Juli (Nr. 2960).
3 Vom 23. Juli (Nr. 2963).
4 Vom 18. Juli (Nr. 2955). Hiernach wird auf Nr. 2955,28-30, angespielt.
6 bleiben.
7 ob uns halten: uns beschützen; s. SI II 1225.
8 Knüppel; s. SI IV 1370. - In bengel beyssen: wir müssen uns fügen; s. SI III 713.
9 tun.
10 gerechtfertigt; s. SI XVI 1701.
11 Karl V. - Er verließ Nürnberg am 18. Juli; s. Nr. 2952, Anm. 20. - Blarer wusste noch nicht, dass Karl V. am 23. Juli (s. Nr. 2970,23-48) in Augsburg eingeritten war.
12 In Nr. 2960,16-20.
13 dann das: außer dass.
14 denn.
15 Seuche; s. SI VII 271. -Vgl. schon Nr. 2958, Anm. 8.
16 nach und nach; s. SI XVII 88.
17 nitt wol zusammen sechen [= sehen]: sich gegenseitig nicht vertragen.
18 Gemeint sind die Kaiserlichen.
19 Siehe dazu Nr. 2888, Anm. 14; Nr. 2915.
20 (unbestätigte) Nachricht; s. Grimm V 1440.
21 Bratislava.
22 kam grund: unverbürgt. - Die hier überlieferte Nachricht ist tatsächlich falsch; vgl. auch Nr. 2970,150f.
23 vergangenen; s. SI VIII 824.
24 Den 21. Juli.
25 Brand. - Siehe schon Nr. 2963,20-22.


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gar sorgklichen 28 ort. Sind ain hauß oder 29 sechse verbrunnen, aber vyl, vyl buser angangen 30 , die man aber erreddt hat. 31 Es was ain wynd. Wa 32 derselbig nitt abgestanden, were es ubel ergangen, oder were diß brunst gegen nacht 33 wie 34 gegen tag angangen. Unser volck hat sich gar dapfer und waidlich geprucht 35 , aber 36 so gar abgemerglet 37 . Weren die nachpuren 38 nitt kommen, hettends die unsern nitt erharren 39 mögen. Es sind all nachpuren zuzogen: Die Turgöwer, die von Zell 40 und Merspurg, ouch der comethur usß der Maynow 41 . Die frommen Turgöwer habend sich nun gar waidlich gehalten. Dem herren seye lob in ewigkait! Der behüt unß gnedigklich vor dem hellischen und ewigen fuhr.

Der herr Schärtlin 42 empeut euch alles güts. Marcell 43 ist zu Baden. Grütz ewer liebs hausgesind sampt allen herren und güten frunden. Die unsern empietend euch vyl dienst, gutz und grütz, sonderlich mein lieber brüder 44 und vetter 45 . Bittend gott getrulich und hertzlich für unß! Datum den 26. iulii 1547.

[Ohne Unterschrift.]

Carmina 46 illa Latinogermanica nescio, an mittere nunc possim. Ioachimus Rheticus 47 heri describenda accepit. Si nunc mittere non licebit, proxime inde nuncio certo remittam.

26 ausgehen.
27 Unbekannt.
28 gefährlichen; s. SI VII 1320.
29 ain oder: etwa; s. SI I 273.
30 in Brand geraten.
31 Zu den zerstörten bzw. beschädigten Häusern s. Nr. 2963, Anm. 17.
32 Wenn.
33 zu Beginn der Nacht.
34 statt.
35 waidlich geprucht: mutig abgeplagt.
36 ja; vgl. SI I 41.
37 erschöpft; s. FNHDW I 251.
38 Nachbarn.
39 zu einem guten Ende bringen.
40 Radolfzell.
41 Sigmund von Hornstein, zwischen 1540- 1549 Komtur der Deutschherren auf der Mainau; s. Blarer BW II 375, Anm. 1.
42 Sebastian Schertlin.
43 Marcell Dietrich von Schankwitz. Er wollte mit seiner Frau bereits um den 22. Juni 1547 nach Baden kuren gehen, wurde jedoch davon abgehalten, da der kaiserliche Gesandte Jean Mouchet sich dort noch aufhielt; s. Nr. 2927,15-17; Nr. 2930 und Nr. 2935,18f.
44 Thomas Blarer.
45 Konrad Zwick.
46 Der Gebrauch des Plurals "carmina" setzt nicht unbedingt mehrere Gedichte voraus, weil "carmina" auch mit "Verse" übersetzt werden kann; vgl. z.B. HBBW XI 176 (in einem Schreiben von Blarers Cousin Johannes Zwick); XVII 244 und Anm. 61 (in einem Schreiben von Blarer selbst). - Blarer hatte diese Verse (eventuell Gedichte) von Bullinger erhalten, wie es die Wörter "illa" und "remittam" im Postskriptum nahelegen. Da er zu Beginn des vorliegenden Briefes Bullingers Brief Nr. 2960 vom 22. Juli verdankt, werden die "carmina Latinogermanica" dem letzteren Brief beigelegt worden sein. Kurz vor dem 22. Juli hatte Bullinger durch einen Zürcher davon Kenntnis erhalten und sich eine Abschrift angefertigt; s. Nr. 2960, Anm. 17. Dieses makkaronische, d.h. aus einer Mischung von deutschen und lateinischen Wörtern bestehende Gedicht, das in kaiserfreundlichen Kreisen entstanden ist, trägt den Titel: "De schmalkaldiensi balineo cuiusdam Germani iocosum carmen Germanicolatinum". - Zu einem unbekannten Zeitpunkt sandte Bullinger es auch mit


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[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinricho Bullingero, amico suo summo. Tiguri.