Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3131]

Leonhard Serin
an Bullinger
[Ulm],
Montag, 6. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 364, 110f a (siegelspur) b Ungedruckt

[1]Serin schickt Bullinger anbei die Schrift ["De Naemanni adoratione"]sowie eine Kostenberechnung. Wenn Bullinger die Schrift ergänzt und die Druckerlaubnis erteilt hat, wünscht Serin, dass der Druck so schnell wie möglich (noch vor Ende des Augsburger Reichstages!) durch einen Zürcher Drucker ausgeführt wird, und dass ihm bald dreißig Exemplare zusammen mit seiner Druckvorlage zugeschickt werden. Er wird auch dem [Buchhändler]Hans Varnier, dem zweifelsohne einige Exemplare des Büchleins [zum Verkauf] übermittelt werden, das entsprechende Geld vorstrecken. -[2]Serin möchte nicht, dass [auf der Titelseite des Druckes]sein Name angeführt wird. Höchstens könnte [dort das Pseudonym]angebracht werden, das er am Schluss seiner Abhandlung angeführt hat. Hierdurch soll verschleiert bleiben, an wen sich die Schrift tatsächlich richtet. Auf die Nennung der Gründe sei hier verzichtet. Außerdem wünscht Serin mit Nachdruck, dass (sofern dies mit der eidgenössischen Freimütigkeit zu vereinbaren ist) weder Drucker noch Druckort preisgegeben werden, damit nicht [diese Nennung] als Häresieverdacht ausreicht, das Büchlein von den angedachten Adressaten in den päpstlichen Gebiete [um Znaim]fernzuhalten. Gleichwohl ist die Schrift auch für Deutschlands Städte relevant, da sich diese durch ihre Haltung täglich als Verräter des Glaubens erweisen. -[3]Bis auf einen Kollegen [N.N.] und zwei Stadtschreiber weiß in Ulm niemand etwas über dieses [Druck]vorhaben, nicht einmal Martin Frecht. -[4]Serin hat beim Schreiben seines Textes jedes Wort sorgfältig überdacht und sich bemüht, Mäßigung zu zeigen. Er kann aber nicht ausschließen, dass ihm dabei ein Fehler passiert sein könnte. Es wäre zeitaufwendig und insbesondere riskant, jetzt hier Weiteres dazu aufzuzählen. Seinen schwäbischen Dialekt hat Serin vermieden, um so den Eindruck zu erwecken, die Schrift sei in Bayern oder Österreich der Feder eines Papisten entsprungen. Der Drucker soll daher ja nichts am Text ändern! Falls Bullinger etwas zu ungeschickt oder plump erscheint, soll er es dennoch nicht ändern, sondern bedenken, dass das von Serin verfolgte Ziel ihn zu [dieser Wortwahl]veranlasst hat. Das gilt vor allem bei der Lektüre von Serins Ausführungen zum Alten und Neuen Testament anderen derartigen Themen zu beachten. -[5]Bullinger möge kurz antworten, damit Serin weiss, was in dieser Angelegenheit zu erwarten ist. -[6]Für Neuigkeiten bleibt keine Zeit. Zudem gibt es sowieso nur wenige. Johannes Piscatorius hat sich nach Urach in Württemberg begeben. Martin Bucer aus Straßburg wird im Geheimen in der Nachbarschaft von Augsburg erwartet, da er auf die Bitte einiger Reichstände hin von Kaiser Karl V. berufen wurde. -[7]Grüße. -[8][P.S.:]Die Ulmer würden sich große Sorgen um die Eidgenossen machen, wenn nicht Joachim Vadian bei Martin Frecht mit [der Erwähnung]der eidgenössischen Gesandtschaft [zur Taufe von Claude de France nach Paris]Hoffnung geschürt hätte. Möge der Herr die Eidgenossen schützen.

a Adresse auf Folio 114a,v. -Ansonsten sind die Seiten in der Vorlage paginiert. -
b Mit Nadelstichspuren.


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S.P. Mitto tibi, obs[erv]andissime c charissimeque mi Bullingere, scriptum 1 hoc presens simulque calculum 2 porrigo, quem, si huic 3 addideris idemque editione dignum iudicaveris, 4 cupio ab aliquo typographorum vestrorum, quam primum fieri potent, et ante exitum comitiorum Augustanorum 5 excudi mihique mox cum hoc meo prototypo 6 exempla 30 mitti. Varnirius 7 foster, cui procul dubio etiam aliquot mittentur, pretium a me accipiet. 8

Nomen autem meum aliter addi nob, nisi ut a tergo adpinxi, 9 post alias ob hanc etiam causam, quo minus deprehendatur, quis ille sit, ad quem scripsi. Idque gravissime rationes, quas recensere supersedeo, effiagitant. Preterea cupio etiam summopere, nisi omnino Hel [vi etica libertate ingenuitateque md [ig]num videatur, nec suum nec urbis nomen prodat typographus, ne, quod ego omnibus modis cavi, heresis suspitione libellus impediatur, quo minus papales regiones pervagari possit, in quibus sunt, quorum imprimis gratia a me compositus ille est. 10 Quamvis in nostris quoque urbibus plures quottidie sese pro [d]ant et impudenter quoque prodeant Naëmite 11 .

c Hier und unten Text unleserlich durch Wasserschaden.
1 Bei dem Manuskript handelt es sich um die von Serin auf Deutsch verfasste Schrift, von der nur ihr lateinischer Titel "Dc Naemanni adoratione" bekannt ist; s. Nr. 3183,1-7. 10-12, sowie Serins Brief an Bullinger vom 22. Mai 1548 (Zürich StA, E II 356, 74). -In dieser auf Deutsch (s. dazu unten Z. 20-23) verfassten Schrift wurde dem Titel nach die in 2Kön 5, 1-19 (besonders die Verse 18f) überlieferte Geschichte über Naaman thematisiert, den Heerführer des Königs von Aram (Damaskus). Naaman betete trotz seines Bekenntnisses zum wahren Gott gemeinsam mit seinem König in dessen Götzentempel die aramäische Gottheit Rimmon an. Für die mit dem altgläubigen Kaiser Karl V. konfrontierten Evangelischen war jenes Thema damals von brennender Aktualität; s. 2Kön 5, 1-19 und vgl. z.B. HBBW XX 41 mit Anm. 241.
2 Berechnung. -Es handelt sich hierbei vermutlich um eine Aufstellung der von Serin angenommenen Druckkosten in Zürich; s. oben Z. 3-5.
3 Gemeint: Serins Manuskript.
4 Hauptverantwortlich für die Zürcher Bücherzensur war bis 1547 Bullinger selbst gewesen; s. Nr. 3128, Anm. 7.
5 comitiorum Augustanorum: des damals tagenden
Augsburger Reichstages.
6 Druckvorlage.
7 Hans Varnier d.Ä. war Drucker in Ulm, der sich seit 1547 als Buchhändler betätigte; s. HBBW VI, Nr. 816, Anm. 18.
8 Die Finanzierung der Auslagen Varniers durch Serin war eine gebräuchliche Absicherungsmethode: Dem Buchhändler wurde so eine verlustfreie Bestellung garantiert. Die erhaltenen Exemplare konnte er teuer verkaufen und allenfalls den Gewinn mit dem Autor teilen oder ihm die unverkauften Exemplare zurückgeben.
9 Serin wird also seine Schrift mit einem Pseudonym unterschrieben haben.
10 Diese Angaben deuten daraufhin, dass Serin sein Büchlein in erster Linie für jene Menschen verfasst hatte, die im habsburgischen Gebiet um Znaim (Znojmo) lebten, wo er etwa ein Jahr lang als Stadtprediger gedient hatte; vgl. dazu Nr. 3183,10-12; s. HBBW XV, Nr. 2217, Anm. 1.
11 Naaman. - Zu dessen Götzenverehrung trotz seines Bekenntnisses zum wahren Gott s. oben Anm. 1. - Serin unterstellt hiermit vielen Evangelischen, dass sie aufgrund des Sieges der altgläubigen, kaiserlichen Partei ihren Glauben verraten; vgl. oben Anm. 1.


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Nemo est in hac urbe, nec Martinus 12 quidem noster, excepto uno 13 ex fratribus duobusque scribis 14 , qui huius sit negotii conscius. 15

Quo consilio singula sunt dicta et ita temperata (nec enirn verbum unum temere et incogitanter effutire volui, nisi quod per ignorantiam peccatum est!). Cum longum turn periculosum esset hic amplius recensere modo. Idioma Suevicum, quo tarnen alias utcunque utor, studio vitavi. Monendus igitur typographus est, ne quid mutare tentet. Vellem enirn omnino videri he [c] ex Bavarica aliqua aut Austriaca provincia esse exorta et a papista quodam conscripta. ||111 Si quid tibi videbitur inconcinnius aut durius dictum, nec tarnen mutare voles. Cogites, oro, aut argumenti aut insti[tuti]d rnei rationem ita forte efflagitavisse eoque me rapuisse. Id[que] inprimis opus erit, curn de testamentorurn 16 ratione et id genus alia legeris.

Brevi, oro, rescribas iuxta ceptam t [uam] erga me benevolentiam, vir clarissime idemque frater colend[issime], quo sciam, quomodo res sese habeat. 17

Nova scribere rn [odo] non vacat. Perpauca etiam habeo. Piscator 18 noster Aurachiurn in ducatu Wirtembergensi 19 concessit. Martinus Argentoratensis 20 clam in confinio est Augustano expectatus, quando iuxta exauditam petitionem statuum quorundam a cesare 21 vocetur audiri.

Bene vale et me commendatum habe. 6. februarii anno, etc., 48. Raptim. Tuus Soerinus.

d Hier und unten Textverlust durch Papierverlust. -Ergänzt aus Johann Jakob Simlers (1716-1788) Abschrift (Zürich ZB, Ms 66, 56).
12 Martin Frecht, seit 1533 der Vorsteher der Ulmer Kirche; s. HBBW II, Nr. 97, Anm. 1.
13 Es ist nicht nachweisbar, an welchen der Ulmer Pfarrkollegen Serin dachte. Möglicherweise könnte es sich allerdings um den aus der Eidgenossenschaft stammenden, zwinglisch gesinnten Johannes Piscatorius handeln; vgl. unten Anm. 18.
14 Unbekannt. -Möglicherweise handelt es sich um die beiden Ulmer Stadtschreiber. Der eine dieser beiden war zu jener Zeit Dietrich Schertlin; vgl. Stadtarchiv Ulm, A Urk., 3650 (05.03.1548).
15 Nachdem einige Briefe Bullingers an Serin vermutlich von lutherisch gesinnten Ulmer Kollegen abgefangen und teils geöffnet überbracht wurden, richtete sich Bullinger im Postskript zum Brief vom 30. August 1547 an Serin indirekt an Frecht, einen der beiden vermeintlichen Mitleser; s. HBBW XX, S. 63f;
16 Gemeint sind das Alte und Neue Testament.
17 Serins Wunsch, die Schrift ohne Angabe des Druckers und des Erscheinungsortes durch einen Zürcher Drucker veröffentlichen zu lassen, konnte Bullinger nicht erfüllen; s. Nr. 3139,17f
18 Johannes Piscatorius, der ursprünglich aus Stein am Rhein stammte und seit 1546 als Prediger in Ulm wirkte; s. HBBW XVII, Nr. 2527, Anm. 35 und 44. -Zu Piscatorius' weiterem Verbleib, nachdem er 1549 Urach wieder verlassen hatte, s. HBBW XIII, Nr. 1709, Anm. 1.
19 Aurachium in ducatu Wirtembergensi: nach Urach in Württemberg.
20 Martinus Argentoratensis: Martin Bucer aus Straßburg. -Zur Berufung Bucers nach Augsburg und zu seinem heimlichen Aufbruch s. Nr. 3120, Anm. 20; Nr. 3122, Anm. 3.
21 Karl V.


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Vobis male metueremus, nisi pridem ex legatione tuorum illorum principum 22 Martino 23 nostro spem aliam fecisset Vadianus 24 . Dominus vos defendat et omnia vestra consilia dirigat, charissimi fratres. Amen.

[Adresse auf f. 114a,v. e :] An herren Heynrichen Bullinger zu Zürch.