Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3004]

Bullinger
an Leonhard Serin
Zürich,
30. August 1547

Autograph: Basel UB, G I 26, 27, Nr. 33 (Siegelspur) Teilübersetzung: Schweitzersches Museum 1783/2, S. 420-422

[J]Bullinger erhielt Serins Brief vom 4. August [Nr. 2979], in dem ihm sein langes Schweigen vorgeworfen wurde. Doch schrieb er mehrmals [nicht erhalten], ohne je eine Antwort zu bekommen. So stellte er den Briefwechsel ein, da er vermutete, dass seine Briefe (die allerdings nichts Verfängliches enthielten) abgefangen und von anderen gelesen würden, was nun auch Serins letzter Brief bestätigt. Durch den Abbruch der Korrespondenz wollte Bullinger, der ja von vielen gehasst wird, Serin Anfeindungen und Unannehmlichkeiten ersparen. Da er aber aus Serins letztem Brief vernehmen konnte, dass seine früheren Briefe keine schlimmen Folgen hatten und Serin sich über weitere Briefe freuen würde, entschloss er sich zu vorliegendem Antwortschreiben. -[2]Er billigte nie die in der Kirche herrschende Uneinigkeit in Lehre und Brauchtum. Daraus erwuchs den [Protestanten] zu Recht viel Missgunst unter den Gegnern. Wie oft änderten einige ihre Abendmahlsauffassung und die Bräuche ihrer Kirche! Und wie gut, dass Serin bei der anerkannten Wahrheit bleibt und nicht stets anderes predigt oder neue Kirchenbräuche einführt! Eine derartige Unbeständigkeit lässt sich nicht mit dein Evangelium begründen! Viele Jahre nach der Himmelfahrt Christi schrieb Paulus an die Korinther: "Was ich vom Herrn empfangen habe, das habe ich euch weitergegeben", usw. - [3] Nun zu Serins Frage, ob die Zürcher die Verabreichung des Abendmahls an Kranke tolerieren würden. Die Antwort ist nein, da dies ein vom römischen Antichristen eingeführter Missbrauch ist. Paulus wollte nämlich nicht, dass das Abendmahl in irgendeinem Winkel gefriert würde, sondern in öffentlichen Versammlungen. Auch in der Alten Kirche brachte man den Kranken nicht das Abendmahl nach Hause. Und deshalb wollen die Zürcher an dem von ihrem Herrn Christus, ihrem wahren Hohepriester, gegründeten und von der Alten Kirche beachteten Brauch weiter festhalten. Aus zeitlichen Gründen kann Bullinger nicht noch ausführlicher werden. -[4]Serin schrieb, dass er Gott bittet, die Pläne der Feinde [von Zürich bzw. der Eidgenossen] zu vereiteln. Bullinger weiß aber, dass auch die [Zürcher], genauso wie die [Ulmer], Sünder sind. Und da die [Zürcher im Zweiten Kappeler Krieg]bereits vom Herrn gezüchtigt wurden, könnte dies auch den [Ulmern] noch zustoßen, zumal sich niemand dem Willen Gottes, des stärksten Richters, widersetzen kann. Dieser ist die Hoffnung des Menschen und wird diejenigen, die ihn anrufen, nicht verlassen. Ganz wichtig ist, dass die Eidgenossen dem Feind keinen Anlass geben, sie ausrotten zu wollen. Und sollte dieser sie dennoch angreifen und sie ihrer von Gott verliehenen Freiheit berauben wollen, dann werden sie sich mit Gottes Hilfe tapfer wehren und lieber sterben, als sich schändlichen und gottlosen Soldaten zu

Ende April erneut nach Augsburg begeben hatte; s. HBBW XIX 126 und Anm. 20; 233, Anm. 14; 282; 385; Nr. 2893,1f. Der Brief an Curione befindet sich nicht in dem von Kutter erstellten Briefverzeichnis. Er enthält mehrere Kurznachrichten, u.a. über den Tod des Augustinermönchs Johannes Hoffmeister: "In itinere obiisse". Danach verzeichnete Myconius die Aussagen zweier junger Schwaben, die Sebastian Münster und Severin Erzberger erzählten, dass der sterbende Hoffmeister den zwei ihn pflegenden Beginen bekannt haben soll: "Ich bins tüfels, dann ich hab gelt gnommen und hab wider die helle warheit geprediget und gehandlet!" - Andere verleumderische Berichte zu Hoffmeisters Tod finden sich in der oben in Anm. 14 angeführten Quelle, in Nr. 3005,119-130, und in Nr. 3076. Anm. 9.


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unterwerfen! Würde der Feind versuchen, sie durch eine kostspielige Verzögerungstaktik zu erschöpfen, müsste er bald feststellen, dass er es mit einem Volk zu tun hat, das in den Bergen mit sehr wenig überleben kann! Der Feind hingegen würde schließlich viel größere Ausgaben als die Eidgenossen haben und durch deren Überraschungsangriffe zu einer offenen Schlacht gezwungen werden, in der dann Gott hoffentlich für Letztere kämpfen wird. Diese sind zu einem langen Krieg bereit. Zwischen ihnen herrscht Eintracht. Und auch wenn sie nicht die gleichen Glaubensansichten teilen, sind sie doch alle der Überzeugung, dass nur Gott liber den Sieg entscheidet und denjenigen beisteht, die ihn reumütig anflehen. Zudem sind sie alle bereit, für das Vaterland zu sterben. Und diejenigen, die nicht klar gegen den Feind Stellung beziehen, werden alle zugrunde gehen. Aber auch wenn sie zu einer kriegerischen Auseinandersetzung bereit sind, glauben sie nicht, dass Kaiser Karl V. etwas gegen sie unternehmen wird. Sie führen ja den [Reichs]adler im Siegel und haben das Versprechen eines Fürsten [Kaiser Maximilian I.], nichts gegen sie zu unternehmen. Zudem bemüht sich ja auch jener [Karl V.] um ein neues Bündnis mit ihnen. Doch bleiben sie unablässig wachsam! -[5] Serin und die Ulmer mögen für die Zürcher Kirche beten. Gruß. -[6][P.S.:]Gruße an Martin Frecht, an Johannes Piscatorius und an die anderen Kollegen. Die Zürcher wissen, was die [Ulmer Pfarrkollegen]für das Evangelium erdulden müssen. Der Herr hat ja auch nichts anderes als das Kreuz versprochen! Es gilt also, tapfer im Kampf zu sein, um Gottes Hilfe zu flehen, das vergängliche dieser Welt zu verschmähen und nach dein Ewigen zu trachten! Die [Ulmer Kollegen]wissen dies bestimmt und brauchen keinen ermahnenden Trost, weil sie diesen ja selbst der weinenden Kirche Christi spenden müssen. Der Herr erlöse die Seinen vom Bösen!

S. D. Redditae sunt mihi literae tuae 4. augusti datae. 1 In iis quereris et accusas meam ignaviam meumque in non scribendis literis diuturnum silentium. 2 Ego vero, mi Leonharde, semel et iterum scripsi, 3 quas te non accepisse ex tuis facile colligo! Cessavi ergo ab officio scribendi. Suspicatus enim sum in hisce turbis intercipi et resignari literas. 4 Caeterum non est, quod tibi et rebus tuis metuas. Nihil deprehensum est ab illis, qui literas resignarunt, quod tibi fraudi esse possit. Praeterea metuebam, ne invidiam tibi conflarem et hostes tibi pararem, si pergerem scribere tuae humanitati. Nosti enim, quam sit odiosum nomen meum apud plerosque. Proinde, ne incommodarem tibi, qui prodesse non possum, nihil porro scripsi. Iam, quia intelligo tibi non ingratas neque perniciosas esse meas, paucula ad tuas respondeo.

Nunquam probavi varietatem illam doctrinae et rituum in ecclesia. 5 Neque vulgarem id nobis apud adversarios invidiam (et commeritam quidem!) a peperit. Quoties enim a quibusdam 6 mutata est doctrina de coena domini! Quoties mutati sunt ritus! Ideo adversarii clamant nihil apud illos 7 vel firmi esse vel comperti. Probo itaque institutum tuum, qui in agnita veritate cogitas

a Klammern ergänzt.
1 Brief Nr. 2979.
2 Vgl. Nr. 2979,1f.
3 Nicht erhaltene Briefe.
4 Serin hatte schon einmal einen Brief Bullingers mit aufgebrochenem Siegel erhalten; s. HBBW XVIII 232,20f; Nr. 2979,6-8. - Zum Abfangen von Briefen s. auch Nr. 2952, Anm. 2.
5 Im Folgenden bezieht sich Bullinger auf Nr. 2979,13-20.
6 Bullinger denkt hier etwa an Bucer und an dessen "Retractationes" von 1536; s. HBBW VI 368,23f.
7 den Protestanten.


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perseverare et non in diem mutare et verba et ritus. Non enim eam vanitatem et inconstantiam b didicimus ex evangelio! Paulus, multos post annos ab ascensione domini scribens ad Corinthios epistolam: "Ego,"inquit, "tradidi vobis, quod accepi a domino", etc. 8

Quaeris deinde, num apud nos tollerabile judicetur, ut aegris deferatur coena? 9 Non sane receptum id est apud nos, neque tolleratur! Recensemus enim inter abusus coenae deportationem ad infirmos. Paulus enim ex traditione domini vult coenam celebrari non in angulis, sed in frequenti coetu. 10 Neque coena apud veteres delata est ad infirmos. Debemus eum ritum Antichristo papae Romano, cum quo nihil commune volumus habere. Satis est nobis, si Christi domini et vere summi pontificis nostri 11 traditionem sequuti conveniamus in templo aut in coetu publico et ibi celebremus, quod ille nobis celebrandum tradidit. 12 Non vacat argumenta huc re-|| 27v ponere, quae hac in sententia nos retinent. Satis fuerit tibi simplex domini traditio et observatio veteris ecclesiae.

Precaris, ut dominus omnia hostium nostrorum consilia mutet. 13 Ego vero video nos esse peccatores, quemadmodum fuistis et estis vos; at visitavit dominus iniquitates nostras. 14 Fieri ergo potest, ut et vestras visitet. Quis autem resistet fortissimo et iustissimo iudici? 15 Speramus tamen in misericordia eius, 16 qui neque preces nostros neque nos deseruit. 17 Conabimur modis omnibus, ne illi, qui nobis male volunt, iustas debellandi nos occasiones habeant. Quod si omnino nobiscum certare et ex innata invidia nos et nostram a deo acceptam libertatem opprimere voluerint, invocato dei auxilio ita, ut fortes decet, nos geremus. Malumus in acie cadere fortiter quam serviliter et turpiter subiacere libidini impii militis. 18 Si vero non facta nobis fuerit pugnandi facultas et hostis mora et sumptibus nos delassare et in potestatem redigere voluerit, sentiet deo dante populum frugalem et qui minimo inter montes vivere possit! Majores ille sumptus facere cogetur minusque ferendo erit, quam nos, qui assuevimus fere laboribus. Sentiet intollerabiles incursiones, ut tandem cogatur conducibilius esse aperto nobiscum Marte confligere. Quod, ubi factum fuerit, speramus dominum pugnaturum pro nobis. 19 Nulla nobis, deo gratia, earum rerum deest, quae ad bellum etiam diuturnum pertinet. Summa est inter Helvetios omnes concordia! 20 Nam cuiuscumque religionis simus, consentimus tamen in hoc omnes:

b In der Vorlage constantiam.
8 1Kor 11, 23; 15, 3.
9 Bezug auf Nr. 2979,21-30.
10 1Kor 11, 33. 11 Vgl. Hebr 2, 17, usw.
12 Vgl. 1Kor 11, 23-26.
13 Bezug auf Nr. 2979,31f.
14 Bei der Niederlage der Zürcher in der Schlacht bei Kappel (11. Oktober 1531).
15 Vgl. Ps 76 (Vuig. 75), 8; Nah 1, 6.
16 Vgl. Ps 32 (Vuig. 31), 10.
17 Vgl. Lk 18, 7f.
18 Vgl. etwa HBBW XIX 240,38f. - Hier liegt eine Pointe gegen die Reichsstädte vor. Vgl. auch Nr. 3008,[5].
19 Vgl. Ex 14, 14, usw.
20 Siehe dazu die Verweise in Nr. 2961, Anm. 9.


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Ex deo esse victoriam; 21 illum iuvare poenitentes et invocantes nomen eius! Consentimus in hoc omnes, quod extrema omnes pro patria perpeti volumus! Obtruncabuntur et confossi concident, quicumque in periculo imminente adversas partes sequi velle videbuntur. Caeterum utcumque parati simus et vigilemus, non tamen putamus caesarem 22 quicquam contra nos hostiliter tentaturum. Habemus sigilla aquilae 23 et fidem principis 24 obstrictam sanctissime nihil illum Helve-|| 28r tiae irrogaturum. Imo ambit ille 25 novum foedus. Novimus interim vigilandum esse perpetuo.

Ora tu cum omnibus piis pro ecclesia nostra! Vale. Tiguri, 30. augusti anno 1547.

H. Bullingerus tuus.

Praestantissimum virum d. Martinum Frechtium et d. bannern Piscatorium 26 ac symmistas reliquos amanter salutabis. Scimus, quae patiamini propter verbum Christi. 27 Verum hic nihil aliud nobis promisit quam crucem. 28 Este ergo fortes in pugna! Implorate eius auxilium! Contemnite praesentia, apprehendite futura! Momentanea sunt, quae in mundo sunt; aeterna sunt coelestia. 29 Sed non opus est vobis consolatione, qui instituti estis ad consolandum totam Christi ecclesiam moerentem iam et plorantem. Dominus liberet nos a maio. 30

21 Vgl. Dtn 28, 7; 1Kor 15, 57.
22 Karl V.
23 Das Zürcher Siegel bzw. das Zürcher Wappen enthielt u.a. eine Abbildung des Reichsadlers; s. beispielsweise die Zürcher Standesscheibe (1501) von Lukas Zeiner (abgebildet in: Christian Sieber, Die Reichsstadt Zürich zwischen der Herrschaft Österreich und der werdenden Eidgenossenschaft, in: Geschichte des Kantons Zürich, Bd. 1: Frühzeit bis Spätmittelalter, Zürich 1995, S. 496), die runde Zürcher Ämterscheibe (1542) von Carl von Ägeri (abgebildet in: Zürcher Kunst nach der Reformation. Hans Asper und seine Zeit, Zürich 1981, S. 85, Nr. 52), sowie die Embleme vom Typ 1-10, die in Kirchenordnung-ZH II 1359-1368 nachgedruckt wurden.
24 Kaiser Maximilian I. - Angesprochen wird hier die Erbeinung zwischen Maximilian I. und den eidgenössischen Orten vom 7. Februar 1511 (Urkunde in Zürich StA, C I, Nr. 450; Druck in: EA 111/2 1343-1347, Nr. 19), mit der die früheren Verträge von 1474 ("Ewige Richtung")
und 1477 ersetzt wurden, und in der Maximilian sich, seine Nachkommen, seine Verbündeten und Untertanen dazu verpflichtete, nichts, weder "wider gemain Aydgnosschaft, die iren, noch ire nachkomen, oder die, [die] iren Schutz, Schirms oder verspruchsweys oder sunst verwandt sein, gemainlich noch sonderlich in Kriegsweys nymer [zu]thun, noch args, davon krieg ensteen möcht, für[zu]nemen" (ebd., S. 1344). Zudem sah der Vertrag keine Hilfsverpflichtungen der Eidgenossen gegenüber dem Reich mehr vor. Siehe ferner Nr. 2995, Anm. 6. - Zum Bündnis s. Bettina Braun, Die Eidgenossen, das Reich und das politische System Karis V., Berlin 1997, S. 228-252.
25 Gemeint ist Karl V. - Vgl. dazu Nr. 3003,4-6.
26 Johannes Piscatorius (Fischer), Pfarrer in Ulm; s. HBBW XVII 286, Anm. 35. 44.
27 Vgl. Apk 2, 3.
28 Mt 10, 38; 16. 24 par.; Joh 16, 33.
29 Vgl. Hehr 11.
30 Mt 6, 13.


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[Adresse auf der Rückseite:] Optimo viro d. Leonhardo Soerino, Ulmensis ecclesiae ministro fideli, fratri in domino colendo et charissimo suo. c