[2790]
Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
2. Februar 1547
Autograph: Zürich StA, E II 357, 118f (Siegelspur)
Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 582f,
Nr. 1405 1[1] Mit dem gegenwärtigen Boten [...] übersendet Konrad Zwick das beiliegende Schreiben
aus Ulm. Der vielbeschäftigte Vetter konnte nicht selbst schreiben, da er schon vor Tagesanbruch
in Richtung [Deutschland] reiten musste. Gott möge ihn behüten! Blarer macht sich
Sorgen um ihn. Es wäre ein großer Verlust, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Im beigelegten
Schreiben soll Bullinger besonders die Passagen über die eidgenössische Botschaft in Ulm wie
auch jene über das große Vorhaben Kaiser Karls V. beachten. Die Zürcher dürfen eine Abschrift
des Briefes erstellen, sollen ihn aber dem Boten wieder mitgeben, da Zwick, der am
Abend des 3. Februars wieder in Konstanz zu sein gedenkt, seinem Rat noch Bericht darüber
erstatten muss. —[2]Ach, wie sehr ist Gottes Zorn über die Undankbarkeit der [Protestanten]
spürbar! Gott will diesen zu verstehen geben, dass sie viel ernsthafter werden müssen und sich
nicht seines Wortes rühmen dürfen, solange sie nicht dementsprechend leben. Wie schon zur
Zeit des Jesaja wird nun Gottes heuchlerisches Volk durch den assyrischen König [in der
Gestalt des Kaisers]gestraft. Möge es dies erkennen, sich bekehren und aus den Fehlern der
anderen lernen! —[3]Bullinger soll weiterhin für die Konstanzer beten. Er wird sich denken
können, wie sogar fromme, verständige Leute in dieser hilflosen und gefährlichen Lage ängstlich
sind, zumal sie auf keine menschliche Hilfe mehr zählen können und nur Schlimmes zu
befürchten haben. Kein Wunder also, dass die Mehrheit verzagt ist und versucht, dem Tod zu
entkommen, auch wenn sie sich dadurch schon bald darauf einem noch schlimmeren Tod
aussetzt! Gott zeige einen erträglichen Ausweg! —[4]Der aus Ulm von einem gottesfürchtigen
Menschen [...] an Zwick gerichtete Brief lässt ahnen, dass den Städten, die der Kaiser mit
Gewalt einnehmen wird, ein noch schrecklicheres Schicksal bevorsteht als den Städten, die
sich ihm freiwillig unterstellt haben, da Letztere auf so unvorteilhafte Weise behandelt werden.
Es wäre aber viel besser, tausendmal zu sterben, als einen Frieden mit dem Kaiser einzugehen!
Wenn doch nur die Eidgenossen das ihnen drohende Verderben erkennen würden! Selbst
ein Blinder kann die Pläne des Kaisers erkennen! Möge Gott dem tobenden Meer Einhalt
gebieten! —[5]Aus Zeitmangel konnte Blarer Bullingers Schrift [,,De ira domini et persecutione"?]
noch nicht zu Ende lesen. Sie gefällt ihm sehr gut. Er wird sie mit dem nächsten
Boten zurücksenden. —[6]Er wird auch Bullingers Brief an Johannes Haller [Nr. 2780]dem
nächsten zuverlässigen Boten anvertrauen. Derzeit aber sind die Straßen unsicher. Immer
wieder werden Boten festgenommen. Am besten sollte man in den für [Deutschland]bestimmten
Briefen nur Geheimschriften verwenden. —[7]Blarer hat am Vortag sein früheres Schreiben
[Nr. 2778], das Zwick [bei seinem Besuch in Zürich] zusammen mit einem Brief Georg
Frölichs [nicht erhalten] hätte übermitteln sollen, mit seinem Brief [Nr. 2784] erneut an
Bullinger geschickt. Frölich und einige andere Augsburger tun Blarer sehr leid, da es Augsburg
wohl noch schlechter als Ulm ergehen wird. —[8] Größe an alle Ratsherren, Freunde
und Kollegen, besonders an Bullingers Familie. Man möge die Konstanzer nicht vergessen!
Bullinger soll den beigelegten Brief aus Ulm wieder zurückschicken!
Gnad und frid durch Christum mitt allem gütem. Früntlicher, hertzlieber
herr und getruwester brüder. Hie mitt disem aignen botten 2 schickt euch min
l[ieber] vetter 3 dise schrifften 4 zü. Hat euch nitt schrieben können vyle halber
seiner grossen geschefft; dann er uff hutt vor tag hat verreyten müssen.
Gott belait 6 inn hin und wider 7 , dann gantz sorglich ze reyten auff dem
andern boden 8 . Sorgen sin 9 gantz ubel, aber der herr wirt inn wol erhalten,
so es im gefellig. Wir weren gar ubel angriffen von gott, sollten wir um inn
kommen, dann er ain türer mensch ist. Er bitt euch, ir wellt in dem schriben,
das im von Ulm zukommen, 10 wol mercken die zwen puncten, die er understrichen
hat: Von der Aidgnossen bottschafft zü Ulm;" und von dem
richteten Schreibens ermöglichen, Letzteres
mit der in Zürich StA, A 177, Nr.
166, aufbewahrten Teilabschrift eines
Briefes aus Ulm vom 30. Januar 1547 in
Verbindung zu bringen.
grossem vorhaben des kaisers 12 . Ir mogt ausß disen schrifften abschriben,
was euch geliebt; söllt sy aber by disem botten gewisslich widerum herschicken,
dann der vetter uff morn ze nacht, alls er hofft, widerum kompt.
Wirt er ainen a rath hie by unß deren auch berichten müssen.
Ach h[ertz]l[ieber] b[rüder], wie sechen wir die grossen werck unnd erschrockenlichen,
grausamen urtail gottes in disen sachen! Wie hart ist er
uber unser undanckbarkait erzurnt! Er will unß warlich den rechten ernst
lehren fürwenden 13 und unß sechen lassen, wie gar es vor im kain schertz
ist, sich wellen seines worts rhümen und daneben sich demselbigen alls gar
ungleychformig 14 erzogen. Warlich, er schickt den Assür 15 uber das glysnerisch
16 volck, Esa. 10 17. O min gott, daß wirs erkannten, uff das wir unß
von hertzen und mitt warhait zü dir bekarten 18 und ab 19 ander leut schaden
wytzig 20 wurden!
Bittend, hettend und flehend für unß mitt trüwen 21 . Ir mogt wol gedencken,
was fromm, verstendig leut und gottselige hertzen by unß für ain eng
hembd anhabend 22 , diewyl wir aller menschlichen hilff halbe[n]b alls gantz
bloß stond, und unß grosser ding zü befaren 23 haben, daß übel, ubel zü
besorgen, der mehrtail werde zü schwach sein und den nechsten tod fliechen
wellen, ob man glich darnach, wie gwisslich beschechen wirt, ain grausamern
24 lyden müssend. Wir wellen mitt gottes gnad und sovyl er gaist verleycht,
schreyen, vermanen, warnen, stercken, tösten, so best wir mögend.
Hoff noch ymer zü dem lieben gott, er werde die sachen by unß uff ainen
lydenlichen 25 weg schicken und unß nitt lassen zü schanden werden. Darum
wellt unß mitt höhstem truwen helffen bitten, wie min hertzlich vertrauwen
zü euch steht, 26 ||119 dann es thüt mehr dann not.
Ir hapt c usß disem schreiben von Ulm an minen 1. vetter, welchs von
ainem gar frommen, gottsförchtigen mann 27 kompt, wol abzünemmen 28 , was
die zü gewarten haben, die der kaiser mitt gewalt eroberen wirt, diewyl man
mitt denjhenigen, die er zü gnaden uffgenommen hat, dermassen handelt.
Ach min gott, sollt man nit vyl lieber zü tausend mal sterben, dann
29 ain
sölichen friden annemmen? O daß die Aidgnossen ir obschweben[d] d30 und
ylend
31 verderben (wa
32 sy nitt by zyt gegen gott solichs abtragend
33 ) ouch
sechen können! Was sich der kaiser understand
34 , sollt ouch ain blinder
sechen! Der starck gott well darin sechen
35 , und disem wutenden und wallenden
mehr ain wür
37 und tham
38 setz[en],
39 das es nitt alles überschwemmen
möge. Amen.
Ewer büchlin 40 hab ich warlich noch nitt usgelesen, dann ichs an der zyt
nitt gehapt. Wills euch by nechster bottschafft schicken. Gefeilt mir treffelich
wol. Der herr mehre in euch alles güts.
Den Brieff an den Hallerum 41 will ich schicken, sobald ich sichere bottschafft
gehaben mag; dann yetzund gantz unsicher, diewyl man die botten
ymmerdaren niderlegt 42 . Es wirt nitt mehr güt schriben sein uff den andern
boden, 43 dann allain mitt unbekannten buchstaben 44 . Es ist alles voller prodition
45 und untru[w].
Uff gestert hab ich euch das schreiben 46 zügeschickt, das euch min 1.
vetter zügestellt sollt haben cum literis Leti 47 . Der güt man sampt ettlich
andern zü Augspurg bedurt mich ubel 48 , dann es wirt Augspurg noch wirs
März (Nr.
2851) geht aber hervor, dass
Bullinger damals seine Karlsrede aus
dem Jahr 1546 (s. dazu
HBBW XVI 299,
Anm. 47), und dies vermutlich in einer
überarbeiteten Fassung. unter dem Titel
"De ira domini et persecutione" seinen
Freunden zur Begutachtung zukommen
ließ. Vielleicht ist hier diese Schrift gemeint.
Derzeit ist davon keine Abschrift
bekannt.
gon
49 dann Ulm. Der lieb, truw gott helff unß doch ainmal
50 usß allen nöten
um seines grossen nammens willen. Amen.
Sagt allen güten herren, freunden und brüdern alles lieb, gütz und grütz
sampt empietung miner gutwilligen diensten, züvoran 51 ewerm 1. husgesynd,
und vergesst unser nitt! Datum den 2. februarii 1547. Die schryfften 52
schickt unß wider.
[Adresse auf f. [110a]r.:] Dem hochgelerten, christelichen h. Hainrich Bullinger
zü Zurich, meinem insonder vertrauwten lieben herren und brüder zü
handen.