Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2725]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
26. Dezember 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 267 (neu: 283)(Siegelspur) Ungedruckt

[1] Wegen aufwühlender Nachrichten aus Straßburg hatte Myconius keine angenehme Weihnacht. Gott aber hat ihn daraufhin wieder etwas aufgerichtet. [2][Kurfürst Johann Friedrich

a Klammern ergänzt -
b Hier und unten im engen Einband verdeckt.
Wr.), der vom Herzog bereits am 26. Dezember beantwortet wurde; s. Herd, Ulrich von Württ. III 447.
30 Den 27. Dezember.
31 Francisco de Enzinas. — Er wohnte damals in Basel und hatte vor, zu Weihnachten nach Zürich auf Besuch zu kommen; s. Nr. 2694, [5]; Nr. 2718, [3].
32 sticken, weben; s. SI XVI 1479.
33 Unbekannt.
34 Es kam dazu, und Johannes Gast legte seiner Sendung einen Brief vom 28. Dezember (Nr. 2728) bei.
35 Gemeint ist Bullingers Schreiben an Myconius vom 20. Dezember, in dem die Angelegenheit schon angesprochen wurde; s. Nr. 2721,16-18.
36 Der Brief ist im Natalstil datiert.
37 König Christian III.
38 Herzog Moritz von Sachsen.
39 Zu diesem falschen Gerücht s. Nr. 2722,60f. — Dieser Eintrag wird wohl entstanden sein, als Myconius vom Inhalt des Briefes von Konstanz an Zürich vom 23. Dezember (Zürich StA, A 177, Nr. 154) erfuhr, den der Zürcher Rat dem Basler Rat mitgeteilt hatte; s. Nr. 2729,2-4. Einige Tage später, am 3. Januar 1547, fragte der Basler Rat beim Straßburger Rat nach, ob es wahr wäre, dass Herzog Moritz König Christian besiegt hätte; s. PC IV/1 553, Nr. 512.


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von]Sachsen hat dem Mainzer [Erzbischof Sebastian von Heusenstamm]großen Schaden zugefügt. [Landgraf Philipp von] Hessen soll sich noch bei [Herzog] Moritz [von Sachsen], dem Verantwortlichen dieses Desasters, aufhalten. Einer Mitteilung von [Johannes]Brenz aus [Schwäbisch] Hall zufolge hat sich das Heer Kaiser [Karls V.] geteilt: [Maximilian von Egmont, Graf] von Büren, sei zur Verteidigung des Mainzer Erzbischofs losgezogen; der Kaiser hingegen strebe nach Württemberg. Über den Pfalzgrafen [Friedrich II.] hört man nichts Gutes. Angeblich hat [Herzog Ulrich] von Württemberg seinen Bruder Georg zum Kaiser gesandt, um einen Frieden auszuhandeln. Ulm und Augsburg sollen dies auch vorhaben; ja sie sollen sogar bereits in Verhandlungen stehen! Myconius ist darüber entsetzt. Was halten denn all diese von Christus und dessen Evangelium? Zu Recht werden sie von den Söhnen Belials [des Teufels]spöttisch gefragt, wo denn ihr Gott stecke! Hoffentlich verliert Myconius dabei nicht noch den Verstand! [3] Gestern wurde er von [Francisco de]Enzinas und [Johannes]Oporin richtig aufgemuntert, indem sie ihm über den Tod des Kaisers erzählten. Daraufhin konnte er friedlich schlafen. Doch heute Morgen traf erneut ein völlig entmutigender Brief ein, so dass er dadurch veranlasst wurde, nach den Verhejßungen und der Allmacht Gottes zu fragen. Ist denn der Papst nicht der Antichrist und der Kaiser dessen Diener? Gewiss, wir haben gesündigt. Doch haben wir auch bei Gott um Barmherzigkeit gefleht. Warum entzieht dieser uns also seine Hilfe? [4] Unterdessen traf ein anderer Brief ein, demzufolge der Türke [Sultan Suleiman I.] sich sehr stark gegen Ungarn, Österreich, Böhmen und Sachsen rüstet, so dass man sich ihm kaum wird widersetzen können. Das aber beunruhigt Myconius weit weniger als alles, was den Antichristen betrifft. [5] Von wo, außer Gott, ist nun Hoffnung zu erwarten? Myconius will sich keinem anderen anvertrauen. Der Herr verleihe ihm Beharrlichkeit und Geduld. [6] Was die Konstanzer den Zürchern und diese wiederum den Baslern über von Büren berichtet haben, stimmt nicht überein [mit der oben übermittelten Nachricht]. Zudem hält sich das Gerücht [aus Konstanz] immer noch. Diesem zufolge soll von Büren sich mit einem Leichnam in Begleitung vieler Bischöfe nach "Belgien"begeben. Um wessen Leichnam mag es sich wohl handeln? [7]Noch beunruhigter ist Myconius darüber, dass die [evangelischen] Städte [Süddeutschlands] sich spontan [dem Kaiser]ergeben haben und viele sogar aus dem [Schmalkaldischen] Bund ausgetreten sein sollen. Christus wird sich wohl nie unter ihnen aufgehalten haben! Denn sollte das Gerücht stimmen, haben sich diese alle dem Antichristen verschrieben! Christus errette seine Kirche! Falls Bullinger etwas Tröstliches zu berichten hätte, soll er es bitte mitteilen. [8]Gruß an die Familie und an [Rudolf] Gwalther u.a.

S. Adeo turbulenta scripta sunt his proximis diebus ex Argentina, 1 ut festum hoc natalitium egerim triste vehementer, donec dominus me mihi nonnihil reddidit. 2

Saxo 3 Maguntinum 4 valde adflixit, unde gravem hostem habiturus est eundem. Hessus 5 esse dicitur adhuc apud Mauritium 6 , malorum istorum authorem.

1 Ein nicht mehr erhaltener Brief an Myconius aus Straßburg (vielleicht von Bucer), dem vermutlich eine Abschrift von Johannes Brenz' Brief an Bucer, 13. Dezember 1546, beigelegt worden war; vgl. unten Z. 6-8, mit Nr. 2722,75-95.
2 Vgl. dazu Myconius' Mitteilung über sich selbst in Nr. 2715,3-9.
3 Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen.
4 Sebastian von Heusenstamm, Erzbischof
von Mainz. —Siehe dazu Nr. 2723, Anm. 82.
5 Landgraf Philipp von Hessen. — Ein falsches Gerücht, zumal der Landgraf eine persönliche Zusammenkunft mit Herzog Moritz von Sachsen mit einem Schreiben vom 13. Dezember 1546 ausgeschlossen hatte (als Grund nannte er die Gefahr, der sein Territorium durch den Grafen von Büren ausgesetzt sei). Der Landgraf hatte jedoch Gesandte zu Moritz geschickt; s.


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Ex Hala 7 scribit Brentius 8 exercitum caesaris 9 divisum esse et Burensem 10 proficisci ad defendendum Maguntinum, caesarem contra Wirtenbergam. 11 . De Palatino 12 nemo bene narrat. Wirtenbergensis 13 misisse dicitur Georgium fratrem 14 ad caesarem pro pace. Ulmam 15 et Augustam 16 aiunt idem cogitare, imo facere, quae res ita me consternatum facit, ut de novo non sim apud me. Video namque eos omnes esse in desperatione, quod quidem dum verum, ubi est Christus eorum, ubi evangelium lesu Christi? Quid didicerunt? Quamobrem exprobrant eis recte filli Belial 17: "Ubi est deus vester?"18 Tentatio illa graviter etiam me divexat secundum carnem; spiritum adhuc salvum spero.

De morte caesaris 19 heri me Dryander 20 una cum Oporino sic erexerat, ut suaviter dormirem per noctem sequentem. Hodie mane literas legi, quibus ita deiectus sum denuo a , ut parum abfuerit, quin clamassem: "Eheu domine deus, ubi sunt promissiones tuae, ubi est potentia tua, ubi auxilium tuis addictum in necessitatibus? An papa non est antichristus, an caesar non est antichristi minister? Annon militant omnes contra regnum tuum? Peccavimus, quod constat, sed petimus misericordiam, rogamus vitam iuxta voluntatem tuam credimusque te fore propicium! Quur ergo differendo auxilium nos ita adfligis? Adsis ergo, adsis misericorditer, vel periimus!"

a Über der Zeile nachgetragen.
Moritz von Sachsen PK II/2 9755, Nr. 1087.
6 Herzog Moritz von Sachsen.
7 Schwäbisch Hall.
8 Siehe dazu oben Anm. 1.
9 Karl V.
10 Maximilian von Egmont, Graf von Büren; vgl. Nr. 2722,85f. —Zu dessen Route s. Nr. 2706, Anm. 21.
11 Vgl. Nr. 2722,86. — Zur Route des Kaisers s. Nr. 2722, Anm. 45.
12 Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz. — Er hatte sich kurz zuvor dem Kaiser ergeben; s. Nr. 2709, Anm. 11.
13 Herzog Ulrich von Württemberg.
14 Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard. — Siehe dazu Nr. 2722,40-56 mit Anm. 43.
15 Zur Unterwerfung Ulms wenige Tage zuvor s. die Verweise in Nr. 2722, Anm. 35.
16 Die Aussöhnungsverhandlungen Augsburgs mit dem Kaiser gingen nach der Auflösung des Bundesheeres zunächst auf private Initiativen und nicht auf den Augsburger Rat zurück. Dieser hatte noch am 11. Dezember dem Kurfürsten und dem Landgrafen versichert, dass er
nicht gedenke, sich von ihnen abzusondern; s. Hermann Joseph Kirch, Die Fugger und der Schmalkaldische Krieg, München/Leipzig 1915 — Studien zur Fugger-Geschichte 5, S. 118 mit Anm. 1. Doch aus Johannes Hallers Briefen vom 23. und 27. Dezember (Nr. 2723 und Nr. 2726) geht hervor, dass man sich schon bald danach Gedanken machte, ob man in Verhandlungen mit dem Kaiser treten solle. — Die Unterwerfung Augsburgs erfolgte in langen Unterhandlungen, die Mitte Januar 1547 begannen und auch nach dem in Ulm am 29. Januar geleisteten Fußfall der Augsburger vor dem Kaiser fortgesetzt wurden; s. ebd., S. 117-132, bes. 124f.
17 des Teufels; vgl. 2Kor 6, 15.
18 Vgl. Ps 42 (Vulg. 41), 4. 11; 79 (Vulg. 78), 10; 115, 2 (Vulg. 113, 10); Jo 2, 17.
19 Zu den falschen Gerüchten über den angeblichen Tod des Kaisers s. die Verweise in Nr. 2700, Anm. 20.
20 Francisco de Enzinas, der damals in Basel in der Offizin von Johannes Oporin an der Drucklegung seiner Schriften arbeitete.


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Dum hisce me crucio, venerunt aliae litere de Turca 21 et eius consilio: Parare se contra reliquam Ungariam, contra Austriam, Boemiam et Saxoniam adeo fortiter, ut nemo putetur ei posse resistere. Nova perturbatio, quae tamen longe minus me vexat quam antichristiana!

Ita, quocunque me verto, non occurrit spei vel tantillum, si dominum excepero. Is etenim protinus dicit: "Et tu vis discedere a me?' Mox ego: ,Domine, quo ibo? Verba vite habes aeternae! 22 Des modo spiritum perseverantiae et patientiae, 23 ut victores evadarnus per te et servemur ad vitam."24

De Burensi dixerunt aliud 25 Constantienses apud tuos 26 et hi apud nostros. Durat sermo ille adhuc, nempe proficisci ipsum in Belgicum 27 et vehere secum cadaver hominis, quod episcopi sequantur satis multi. Ignorari tamen cuius id sit.

Adhuc magis me exagitant, que sequuntur: quod videlicet civitates 28 se dedunt sponte (ibi non credo Christum fuisse unquam ) b ; dein, quod foedus 29 a multis dicitur rescindi. Nam hoc, si sic habet, devoverunt c se, qui id faciunt, antichristo et omnibus huius blasphemiis, omnes! Dominus lesus respiciat ecclesiam suam. Si quid est consolationis, communicato, per Christum oro!

Vale cum tuis, Gvalthero et aliis in domino. Basileae, 26. decembris anno 1546.

Tuus O. Myc.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, ministro Christi, fratri ac domino suo in Christo venerando. Zü[ric]h d . 30

b Klammern ergänzt.
c
d — ve in devoverunt über der Zeile nachgetragen. Textverlust bei Entfernung des Verschlussbandes.
21 Sultan Suleiman I. — Zu dieser Nachricht s. Nr. 2712,34f; Nr. 2723,111-113, sowie auch die Nachfrage, die König Ferdinand I. diesbezüglich an seinen Gesandten bei der Pforte, Gerhard Veltwvck, am 5. Januar 1547 (Austro-Turcica 129-131, Nr. 40) richtete.
22 In Anspielung auf die von Jesus seinen Jüngern gestellte Frage und auf die darauf erfolgte Antwort von Petrus; s.Joh 6, 57f.
23 Vgl. Kol 1, 11.
24 Vgl. z.B. Mt 10, 22.
25 Anderes nämlich als das oben in Z. 6f mitgeteilte (richtige) Gerücht, laut dem von Büren sich auf dem Weg nach Mainz befunden haben soll.
26 Gemeint ist das Schreiben des Rates von
Konstanz an Zürich, 16. Dezember 1546 (Zürich StA, A 177, Nr. 153), dessen Inhalt die Zürcher an die Basler weiterleiteten (Basel StA, Politisches M 8.3, 436 — wir danken Rainer Henrich für diese Angabe). — Im Brief aus Konstanz wurde fälschlich berichtet, dass von Büren sich mit dem Leichnam des Kaisers in die südlichen Niederlande begäbe; s. dazu schon Nr. 2706,15-18 und Anm. 19.
27 Zur Bezeichnung s. Nr. 2710, Anm. 18.
28 Wie z.B. Donauwörth, Nördlingen, Giengen an der Brenz, Bopfingen, Dinkelsbühl, Rothenburg ob der Tauber und Schwäbisch Hall.
29 Gemeint ist der Schmalkaldische Bund.
30 Vorliegender Brief wurde einem Schmied aus Dübendorf anvertraut; s. Nr. 2729,1.