Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3179]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
Montag, 9. April 1548

Autograph: Zürich StA, E II 336, 302 (alt: 287)(Siegelspur) a Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 1022, Nr. 1137

[1]Unermüdlich erweist Bullinger allen seine Wohltaten. Dazugehören auch seine Buchveröffentlichungen, die man gar nicht genug loben kann. Das ihm verliehene Talent verbirgt er nicht [vgl. Mt 5, 15 pari, sondern mehrt damit den Ruhm Gottes. Er erweist sich dem Herrn und den Menschen dadurch als guter und treuer Knecht und wird seinen Lohn dereinst erhalten [vgl. Mt 25, 14-21]. Der Herr behüte ihn. -[2]Bullingers [Zieh]sohn Rudolf Gwalther eifert dem guten Vorbild Bullingers zielstrebig nach, was sich besonders in seiner Schrift [sive servus ecclesiasticus"]zeigt. Bullinger hat Myconius ja neulich diese Synodalrede [richtig: Karlstagsrede]als Geschenk zugeschickt. Hoffentlich werden Bullinger und Gwalther der Kirche noch viele Jahre so erfolgreich dienen! -[3]An Neuigkeiten kann Myconius nur berichten, dass es ihm nicht sehr gut geht... Aber dies bekümmert ihn derzeit weniger als die drohende Verfolgung der Gläubigen und die Ausrottung der L evangelischen]Lehre. Der Sohn des Antichristen, Kaiser Karl V, sei nämlich daran, alles Antichristliche wiederherzustellen. Wenn Christus seine Macht nicht offenbart, ist alles verloren. Von den Menschen ist keine Hilfe zu erwarten, da sie ja schon allein bei der bloßen Erwähnung des Kaisers zurückschrecken! Sicherlich setzen einige ihre Hoffnung in die Stärke der Eidgenossen und beten für sie. Die Macht des Kaisers bleibt trotzdem furchterregend: Sein Sohn, Philipp II. von Spanien, soll mit 80'000 spanischen [Kriegsknechten] zur Vernichtung der Eidgenossen und des Evangeliums nahen! Ganz Deutschland sei bereits unterworfen, wie man hört, und werde in jedem Fall den kaiserlichen Mandaten (gegen wen oder über was auch immer) Folge leisten müssen. Angesichts eines solchen Feindes können die Eidgenossen nur besiegt und die himmlische Lehre beseitigt werden! -[4]Da Myconius das Wesen der Menschen kennt, setzt er (ehrlich gesagt) selbst seine Hoffnung

b Hier und im Folgenden Textverlust aufgrund der Entfernung des zum Verschluss verwendeten Papierstreifens: Bevor Blarer die Adresse auf dem Brief notierte, fädelte er zum Verschließen des Schreibens einen heute nicht mehr erhaltenen Papierstreifen in das zusammengefaltete und mit einem Schnitt versehene Blatt. Die hier fehlenden Buchstaben müssen sich auf diesen Papierstreifen befunden haben. -
a Mit Schnittspuren.
59 Anna, geb. Adlischwyler.


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allein in Gott und wird in diesem Glauben verharren. Falls Gott die Unterdrückung seines Evangeliums zulässt, hat er die Seinen ja vielleicht schon versammelt und wird ihre Seelen nach den Verfolgungen in den Himmel führen, die anderen aber gewiss dem ewigen Feuer übergeben. Daran kann kein Frommer zweifeln! So bald wird die heilbringende Lehre jedoch sicherlich nicht untergehen. Eher wird ein jeder durch das Wirken Christi erkennen, dass jede weltliche Macht im Gegensatz zur göttlichen nur Staub im Wind ist [Hos 13, 3]. Sicherlich dauert es bis dahin angesichts der Freveltaten des Kaisers nicht mehr lange, auch wenn Myconius davon noch nichts merkt. [5]Der Zürcher Rat hat [den Baslern] vor Kurzem brieflich mitgeteilt, dass eine Konstanzer [Gesandtschaft] vom Kaiser [nach Augsburg]vorgeladen wurde und in irgendeinen Vertrag einwilligen muss. Myconius weiß nichts Genaueres darüber, die Konstanzer wollen dabei aber nichts annehmen, was wider ihre Religion und ihre Verbündeten ist. Karl V. wird alles akzeptieren, solange sie sich unterwerfen. Aber was dann? Sehen diese Blinden denn nicht, dass der Kaiser [bereits] bei anderen seine Versprechen nicht einlöste? [6]Es soll in Straßburg wohl einen Streit zwischen dem Ammeister [jakob von Dunzenheim]und einem der [Stettmeister]aufgrund einer unangemessenen Verhandlung mit dem Kaiser geben. Da die Bürger keine Mitsprache haben, fürchten die anständigen Leute, dass der Bessere und Wahrhaftigere unterliegen werde. Die Bevölkerung ist sehr aufgebracht. [7]Myconius hat [die Nachrichten aus Straßburg] nur hinzugefügt, um [wenigstens] etwas zu berichten. [8]Grüße, auch an Bullingers Familie sowie an Gwalther.

S. Studes perpetuo benefacere, non solum tuis, sed etiam exteris, idemque libris editis 1 : Quam rem quidem satis commendare non valeo! Posteaquam enim a domino talentum accepisti, vis, ut non abscondatur, 2 sed negociaris ad lucrandum adhuc alia in usum, laudem et gloriam eiusdem domini. Ex quo et tibi ipsi nomen boni et fidelis servi comparas apud deum et hommes accepturus praemium nimirum ohm, quod dominus eiusmodi servo promittit. 3 Idem dominus in hoc tuo studio te servet quam diutissime.

Exemplo ducis filium quoque tuum in domino Gvaltherum 4 . Idem enim conatur, quod tu, et hactenus quidem non temere suscepit studium. Id quod probant cum multa alia tum in primis oratio 5 illa synodalis, quam tu nuper misisti dono. Opto

1 Zu Bullingers bis einschließlich März 1548 gedruckten Schriften s. HBBibl I. —Anlass zu der Bemerkung gab sicherlich das neuste Werk "Series et digestio temporum"(HBBibl I 176), das mit seinem Brief an Myconius vom 8. März 1548 übermittelt worden war; s. Nr. 3156,1.
2 Vgl. Mt 5, 15 par. —Zudem eine Anspielung auf die Widmungsepistel an Rudolf Gwalther in Bullinger, aaO, f. a2.: "Laboravi in negotio [.1 pro meo talento accepto a domino."
3 Vgl. Mt 25, 14-21.
4 Der Halbwaise Gwalther hatte als Kind einige Jahre bei Bullinger gelebt; s. HBBW III, Nr. 195, Anm. 8.
5 Gwalthers Schrift grec sive servus ecclesiasticus" (VD16 W1127; BZD C391), die aus seiner Karlstagsrede vom 28. Januar 1548 hervorgegangen war. —Bullinger hatte die Schrift seinem Brief an Myconius vom 8. März 1548 (Nr. 3156) sicherlich beigelegt, ohne sie eigens zu erwähnen; etwa zur gleichen Zeit hatte er ebenfalls Celio Secondo Curione beide Werke übermittelt; s. Nr. 3168,14f.


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utrique gratie divine augmentum et vitam longiorem, ut prodesse queatis ecclesiis dei in annos multos quam felicissime et efficacissime!

Novi nihil habeo nisi morbos 6 in corpore meo subinde novos. Quamvis ii me non admodum terreant, postquam intueor hec praesentia tempora, que minantur graves piorum persequutiones cum extirpatione doctrine domini. cesarem 7 enim in hoc dicunt esse, ut omnia restituat antichristiana. 8 Et nisi Christus hic exerat potentiam contra filium 9 antichristi suam, actum est! Nam apud hommes nihil est subsidii, adeo sunt omnes perculsi vel audito cesaris nomine. Scio, qui spem aliquam adhuc ponant in robore Helvetiorum et pro eis orant. Interim tarnen potentia illius non parum terret. Ecce enim, quid dicant: filium 10 cesaris advenire cum 80 millibus Hispanorum ad nos obterendos et evangelium eradicandum, totam quoque Germaniam occupatam 11 iam (quocirca, veut nolit 12 , cogatur obedire mandanti 13 contra quosvis et contra quidvis) b . Fieri ergo non posse, quin simus vincendi ac doctrina coelestis sit abolenda, si tantus hostis invaserit.

Hic, quod ad me adtinet, libere dico: De homme nihil spei vel concipio vel concipere valeo. Novi enim, quidnam in eo sit. In domino vero confido 14 atque, si sic mansero, non movebor in eternum. Si dominus permiserit, ut evangelium ipsius obprimatur, habet forsitan jarn suos per verbum collectos. Eos itaque ubi post persequutiones coelo secundum animas tradiderit, reliquos certo devovebit incendio sempiterno. 15 Hac de re nulli pio potest esse dubium. Quanquam non videtur doctrinam salutiferam illam tam brevi perituram, sed illud potius Christum effecturum propediem, ut nemo non videat potentiam huius mundi esse velut pulverem raptum a vento ad suam potentiam. 16 Quam quidem etsi mihi non licet hic experiri, credo tarnen non abesse procul, adeo nefaria sunt, que conatur ille 17 .

Preter hec audivi nuper tuos 18 scripsisse (nescio quid) de Constantiensibus a

b Dieses und das folgende Klammerpaar ergänzt.
6 Zu seiner Erkrankung vgl. auch Gast, Tagebuch 314f; zu der dazumal in Basel grassierenden Seuche s. Nr. 3169,29-31.
7 Karl V.
8 Vermutlich hatte Myconius ähnliche Gerüchte über die Wiedereinführung altgläubiger Riten gehört, wie sie auch Ambrosius Blarer in seinem Brief vom 10. März 1548 an Bullinger berichtete; s. Nr. 3157,32-34.
9 Mit dem Sohn des Antichristen (Papst Paul III.) ist Karl V. gemeint.
10 Philipp II. von Spanien. - Zu den Gerüchten über seine (erwartete) Ankunft im Reich s. zuletzt Nr. 3161,3f mit Anm. 6.
11 Gemeint ist die Niederlage der Evangelischen im Schmalkaldischen Krieg.
12 velit nolit: ob (Deutschland) will oder nicht.
13 Gemeint: dem Kaiser.
14 Ps 11, 1 (Vulg. 10, 2); 118 (Vulg. 117), 8.
15 Vgl. Röm 9, 27; 11, 5; Mt 3, 12; 25, 41.
16 Vgl. Hos 13, 3.
17 Karl V.


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cesare revocatis et pactum aliquod esse recipiendum In hoc esse tarnen ipsos nihil recepturos contra religionem et contra vicinos. Dedant se, et permittat cesor 19 omnia. Quid turn? Annon vident, quid promittat aliis quidque prestet? O cecos!

Si recte intellexi, lis est inter consulern plebeium 20 et consulern civitatis 21 Argentine propter indignam actionem curn cesare. Timent boni rneliorem et veraciorem succubitururn. Adeo cives nihil sint. Allso 22 ist die grnein 23 erhaset 24 . hec scripsi, ut non scriberem nihil.

Vale in Christo curn tuis et Gwalthero. Basilee, 9. aprilis anno 1548.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, doctissimo fidelissimoque Christi ministro, fratri in domino venerando suo.

18 Gemeint ist der Zürcher Rat. -Nachdem am 28. März 1548 das kaiserliche Geleitschreiben (Nr. 3173,66-85) in Konstanz eingetroffen war, hatte der Konstanzer Rat die Zürcher gebeten, die verbündeten eidgenössischen Städte Basel, Bern und Schaffhausen hierüber in Kenntnis zu setzen und der anhaltenden Bündnistreue der Konstanzer zu versichern; s. Nr. 3173,45 mit Anm. 63. - Das Schreiben des Zürcher Rats an den Basler Rat vom 31. März 1548 (Zürich StA, B IV 17, 13v.) wurde laut den Zürcher Rechnungsbüchern (Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1547/48, S 56) von dem Boten Melchior Schlosser überbracht. Das gleiche Schreiben ging auch an den Berner und den Schaffhauser Rat. -Mit dem kaiserlichen Geleitschreiben wurden die Konstanzer aufgefordert, Gesandte zu Karl V. nach Augsburg zu schicken, um dort den Fußfall zu leisten und die kaiserliche Entscheidung über den Konstanzer Versöhnungsantrag zu erhalten.
19 Totschläger. -Gemeint ist Karl V. -Das Wortspiel caesar-caesor, das im Briefwechsel von
Bullinger und Myconius des Öfteren verwendet wird, findet sich zuletzt in Nr. 3170,20
20 consulem plebeium: Ammeister. - Dieses Amt versah 1548 Jakob von Dunzenheim; s. Jacques Hatt, Liste des membres du Grand Sénat de Strasbourg, Straßburg 1963, S 212. -Zu Dunzenheims Widerstand gegen das Interim s. Thomas A. Brady, fr., Ruling Class, Regime and Reformation at Strasbourg, 1520- 1550, Leiden 1978, S. 267f.
21 consulem civitatis: Stettmeister. - Obwohl im Jahr 1548 vier Personen dieses Amt bekleideten, wird hier vermutlich der ehemalige Stettmeister Jakob Sturm gemeint sein, der am Augsburger Reichstag teilnehmen musste; s. Hatt, aaO. - Zur angespannten Lage in Straßburg vgl. Erdman Weyrauch, Konfessionelle Krise und soziale Stabilität. Das Interim in Straßburg (1548-1562), Stuttgart 1978, S. 137.
22 Daher; s. SI I 201.
23 Bevölkerung.
24 aufgebracht; s. Grimm III 840 s.v. erhassen.