Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2980]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
8. August 1547

Autograph: Zürich StA, E II 357, 139f (ohne Siegelspur) Zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 645f 1

[1] Bullinger wird bestimmt noch wissen, wie er [vor einiger Zeit] die Wichtigkeit eines gegenseitigen Vertrauensverhältnisses zwischen den [Zürchern] und den Konstanzern betont hat. Allerdings kann Blarer den Verdacht nicht loswerden, dass die Zürcher Ratsherren Bullinger nicht die ganze Wahrheit sagen, sondern manches verheimlichen oder gar vortäuschen. Daher beschloss er, mit seinem lieben Cousin Konrad Zwick auf listige Weise vorzugehen, und legte diesem eine Reihe von Fragen vor, die er Bullingers Brief [nicht erhalten] entnahm. Zwicks Antwort liegt bei [nicht bekannt]. Hoffentlich sind nun Bullingers Zweifel damit ausgeräumt! Er soll das Blatt niemandem sonst zeigen, sondern umgehend zurückschicken, da Zwick nichts davon weiß und es unerträglich wäre, wenn Blarers Verhältnis zu diesem auch nur im Geringsten getrübt würde. Blarer hätte einige Stellen am Ende des Blattes anm liebsten geschwärzt, doch muss er es ja Zwick zurückerstatten. Trotz dieser [heiklen] Stellen sendet er es, weil er Bullinger die geistige Verfassung Zwicks nicht verheimlichen möchte und sicher ist, dass Zwicks Ansehen dadurch keinen Schaden nimmt. -[2] Zwicks Antwort darf aus gewichtigen Gründen nicht in fremde Hände geraten! Blarer schickt sie nur deshalb, damit Bullinger feststellen kann, wie geschickt Zwick in allem handelt. Wenn alles andere mit eben solcher Sorgfalt behandelt würde, stünde es wohl besser mit Zürich und Konstanz! Was aber geschehen ist, kann nicht mehr geändert werden. Gott wird es wohl zugelassen haben, und es bleibt einem nichts anderes übrig, als es mit Geduld zu tragen. - [3] Bullinger möge für Konstanz und besonders für Zwick (der stets Großes vorhat) beten! Der Ulmer [Alt]bürgermeister [Georg Besserer]schrieb an Marcell Dietrich von Schankwitz, dass [Johann] von Lier [zu Berchem], ein wichtiger Mann am Hof Kaiser Karis V., sich viel mit ihm über die von Zwick erfundene Kriegsmaschine unterhalten hat, allerdings ohne je dabei Zwicks Namen

16 Hi 5, 12; Ps 33 (Vuig. 32), 10.
17 Ps 121 (Vuig. 120), 7; Mt 6, 13.
1 Traugott Schieß hat diesem Blatt noch die zwei Blätter des Briefes Nr. 2981
vom gleichen Tag zugewiesen. Aus den jeweiligen Faltungen der drei Blätter aber und aus den zwei Adressen geht hervor, dass hier zwei Briefsendungen vorliegen, was auch Nr. 2981,1f, nahelegt.


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fallenzulassen. Von Lier wurde lediglich mitgeteilt, dass der Erfinder in Konstanz lebe. Von Lier zeigte sich sehr interessiert und beauftragte Besserer, die Identität des Erfinders zu ermitteln. Blarer hat Angst davor. Bullinger soll beten, damit Gott alles zum Guten wende! -[4] Er darf Zwick nie erzählen, dass er das beigelegte Blatt erhalten hat, und soll dieses so schnell wie möglich zurücksenden! -[5]Betreffend Hans Schöner kam noch keine Antwort aus Augsburg. - [6] Bullinger sei Dank für seinen letzten Brief [nicht erhalten]! Blarer findet kaum Worte, um sich für das kleine [Bade]geschenk aus Silber mitsamt dem Brieflein für seine Frau [Katharina, geb. Ryff] zu bedanken. Es wird ihm dabei eher unwohl, denn es ist recht unangenehm, sich für eine Wohltat nicht revanchieren zu können und sich deshalb sein Leben lang dein Wohltäter gegenüber verpflichtet fühlen zu müssen. Der Herr segne Bullinger und die Seinen! Dieser bete eifrig mit seiner Kirche für die Konstanzer. -[7] Soeben kommt der Zürcher Bote [Andreas Müller] mit Briefen aus Augsburg, die an Blarer und Bullinger adressiert sind. Blarer legt sie bei. Leider gibt es keine guten Nachrichten für den betagten [Hans Schöner]. Blarer ahnte schon, dass die Augsburger nicht hilfsbereit sein würden. Solchen Menschen ist ja das Unglück der anderen völlig egal. Gott aber wird die Seinen einst rächen! Bullinger soll Schöner trösten. Blarer lässt ihn grüßen und wird ihm baldmöglichst schreiben. -[8] Ganz früh morgens.

S. Nondum tibi excidit, scio, mi venerande et charissime frater, quid ad me scripseris 2 de mutua illa fiducia alterorum erga alteros, hoc est tuorum 3 erga nostros, quam sartam tectam esse modis omnibus opportebat. Verum quum ego suspicarer tibi non omnia bona fide a tuis 4 exposita a , sed dissimulata, pariter et simulata nonnihil aliqua, visum est dissimulanter tamen cum optimo et charissimo consobrino 5 meo agere atque illi ex tuis literis 6 interrogatoria 7 nonnulla obiicere, quibus responderet, fore sperans, ut satis tibi fieret ex illius responsione - quam mittere tibi tum animus erat, quamquam consobrinus nihil tale rescivit. Quocirca te per amiciciam nostram adeoque per servatorem Christum obsecro et obtestor, ne extra te quisquam alius ista legat b , sed ut proximo nuncio, quamprimum fieri potest, omnia remittas, ne hoc mihi apud illum fraudi sit (cuius animum ne tantillum quidem alienari a me substinuero) c . Fateor ingenue me nonnulla d locis quibusdam d , praesertim ad calcem scripta, vel expuncturum fuisse vel atramentum illis inducturum, nisi reddenda mihi rursum fuissent. Et tamen quando istuc mihi non licuit, nolui propterea animum tuum suspensum tenere persuasum habens hoc, quicquid est, nihil illi 8 apud te offecturum.

a In der Vorlage eposita. -
b In der Vorlage legas. -
c Klammern ergänzt. -
d-d Am Rande nachgetragen.
2 Anspielung (sofern hier nicht ein nicht mehr erhaltener Brief gemeint ist) auf Bullingers Schreiben an Blarer vom 24. Januar (HBBW XIX, Nr. 2767) oder vom 12. März (ebd., Nr. 2842). Blarer denkt vielleicht an folgende Aussage Bullingers in jenen Briefen: HBBW XIX 180,21-23; 183,83-87; 406,4-7.
3 Die Eidgenossen, vor allem die Zürcher.
4 Die Zürcher Ratsherren.
5 Konrad Zwick.
6 Vermutlich aus einem Ende Juli oder Anfang August verfassten, heute nicht mehr erhaltenen Brief Bullingers.
7 Fragstücke; s. Kirsch 1552. -Näheres zu diesen Fragen erfährt man in Nr. 298 1,13-18. Das diesem Brief beigelegte Dokument ist nicht mehr bekannt.
8 Zwick.


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Tu solum, quod iam obtestatus sum, vide, ut ne in cuiusquam alterius manum ista veniant! Magnæ et multae caussae sunt, quur istuc omnino nolim. Nolui enim istis quicquam aliud nisi hoc efficere, ut intelligeres, quanta dexteritate e sint ab optimo C[onrado] Z[viccio] meo omnia ista acta, cuius fidei si caetera f respondissent, fortassis omnia nostra utrinque 9 meliore essent loco. Sed factum infectum esse nequit, 10 nec aliter domino visum fuit, quocirca feramus aequis animis, quod emendari non potest, etc.

Tu dominum ora diligenter pro nostra urbe, praecipue consobrino, qui magna semper meditatur. Legi nunc literas Ulmensis consulis 11 ad Marcellum Theoderichum 12 scriptas, quibus significat dominum a Lyer 13 , praecipuum in aula caesaris 14 , secum de bellico illo tormento 15 multa commentatum, quamquam absque consobrini mei mentione, sed quod in nostra urbe sit, qui inventum hocce teneat, ac vehementer rogasse, ut summa, quam fieri possit, diligentia authorem inquirat - quae res me supra modum terruit! Obnixe ergo precaberis, ut omnia ad laudem et gloriam nominis sui g dominus vertat.

Cavebis, ne unquam resciscat C[onradus] Z[viccius] vel nunc vel in posterum istaec tibi a me missa, et quamprimum remitte.

Ex Augusta nihil adhuc respondetur in Schönen 16 caussa.

e Am Rande nachgetragen. -
f Am Rande nachgetragen. -
g Darauf folgt, über der Zeile nachgetragen, ein überflüssiges omnia.
9 Sowohl vonseiten der Konstanzer als auch der Eidgenossen (und insbesondere der Zürcher).
10 Adagia 2, 3, 72 (ASD 11/3 290-292, Nr. 1272).
11 Bürgermeister von Ulm im Jahr 1547 war Hans Kraft (s. Fabian, Städtetage II 167), der aber als Katholik (s. Friedrich Fritz, Ulmische Kirchengeschichte vom Interim bis zum dreißigjährigen Krieg 1548-1612, in: BWKG XXXV, 1931, S. 138) hier kaum infrage kommt. Gemeint ist also eher Georg Besserer, der 1546 Ulmer Bürgermeister gewesen war (s. Fabian, Städtetage, aaO), als Kriegsrat fungiert hatte und nachweislich mit Konstanz in Kontakt stand; s. HBBW XIX 276, Anm. 31. Zudem hatte der von Besserer geleitete Ulmer Rat zu Beginn des Schmalkaldischen Krieges den aus Ulm stammenden Hauptmann Schankwitz mit der Truppenwerbung beauftragt und ihm den Oberbefehl über die Ulmer Fähnlein erteilt; s. HBBW XVII 191, Anm. 57; Rommel, Ulm 15f. 20. 22.
12 Marcell Dietrich von Schankwitz, der sich im Januar 1547 nach Konstanz zurückgezogen
hatte; s. HBBW XIX 196,89f.
13 Johann von Lier (Jean de Lière) zu Berchem, kaiserlicher Rat, oberster Kriegskommissar in Deutschland und Statthalter von Luxemburg. Er hatte am Ulmer Bundestag 1547 teilgenommen und war auch beim Augsburger Reichstag 1547/48 zugegen; s. Mameranus, Farn. 21; PC IV/2 1427 (Reg.); RTA-JR XVIII/3 2738 (Reg.); Gerwig Blarer BA II 551 (Reg.).
14 Karl V.
15 Es geht hier um die von Zwick entwickelte Kriegsmaschine (s. dazu HBBW XIII 348, Anm. 32, und die in HBBW XIV 15, 601, Anm. 99, angegebenen Stellen; XV Wf; XVII 158 und Anm. 90, 182 und Anm. 83; XVIII 24), die dieser vermutlich bei den Vermittlungen zwischen Konstanz und dem Kaiser einzubringen versuchte.
16 Hans Schöner. - Bullinger und Blarer hatten sich brieflich in Augsburg für ihn eingesetzt; s. dazu die Verweise in Nr. 2977, Anm. 12. - Kurz nach der Abfassung dieses Satzes sollten diesbezüglich


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Tuae postreme literae 17 mihi sunt redditae, pro quibus maximas tibi gratias ago. || 140 Pro munusculo argenteo 18 et amantissimo epistolio uxorculae meae missis 19 nescio unde suppeditare mihi queam satis verborum, quibus tibi gratias agam, quum, referre ut possim aliquando, prorsus diffido. Oneras tu me subinde immodica tua munificentia iamque dudum obstrictissimum magis atque magis tibi devincis, ut propemodum non sim ferendo. Non ignoras autem, quam molestum sit libero homini debere, et ita debere, ut nunquam te solvendo futurum esse sperare possis. Dominum vero, quod unum certe possum, precabor, ut de effuso copiae suae cornu benignissime tibi tuaeque domui benedicat. Ora pro nobis diligenter cum tua ecclesia!

Iam nuncius vester 20 adest literas Augusta tibi 21 mihique inscriptas afferens, quas mitto. Ah, quam doleo vicem boni seniculi 22 , quamquam prius mihi praesagiebat animus nihil nos effecturos! Novi enim intus et in cute hommes istos 23 afflictorum caussas facile dissimulantes 24 et contemnentes. Sed vivit dominus, iustus iudex, 25 qui vindicabit aliquando electos suos 26 de manu iniustorum illos opprimentium! Tu consolaberis pro data tibi gratia optimum virum meisque verbis officiosissime salutabis. Ipse quoque scribam, ubi primum per ocium vacabit.

8. augusti summo diluculo 1547.

Tuus Amb. Bl.

[Adresse darunter:] Bullingero suo. 27

Schreiben aus Augsburg eintreffen; s. unten Z. 47-54.
17 Vermutlich ein anderer als der oben bei Anm. 6 erwähnte Brief, der ebenfalls nicht mehr erhalten ist.
18 Bei dem Geschenk könnte es sich um eine Silbermedaille gehandelt haben, wie jene, die Bullinger Ende Februar verschenkte; s. HBBW XIX 36 und Anm. 155. - Es wird wohl ein Badegeschenk (wie es damals üblich war) gewesen sein, da aus Nr. 2963,22-24, hervorgeht, dass Blarers Frau, Katharina, geb. Ryff, kurz zuvor gekurt hatte.
19 Nicht erhalten.
20 Andreas Müller; s. Nr. 2969. Anm. 22.
21 Darunter befanden sich die an Bullinger
gerichteten Briefe von Frölich (Nr. 2977 vom 4. August) und von Haller (Nr. 2970, Nr. 2972, Nr. 2973 und Nr. 2978 vom 29., 31. Juli und 4. August).
22 Hans Schöner; vgl. Nr. 2935,25-29.
23 Die Augsburger, mit denen Schöner im Streit lag. - Siehe dazu zuletzt Nr. 2977,19-25.
24 Hier im Sinne von vernachlässigen; s. Niermeyer I 449.
25 2Tim 4, 8.
26 Vgl. Lk 18, 7.
27 Vorliegender Brief wurde dem aus Augsburg kommenden Zürcher Boten Andreas Müller anvertraut; s. oben Z. 47f; Nr. 2981,1f.