Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2754]

[Ambrosius Blarer]
an Bullinger
[Konstanz,
16./17. Januar 1547]

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 669f (Siegelspur); [Beigelegtes Brieflein:]2 E II 357a, 657 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 566f, Nr. 1394

[1] Blarer schreibt in Eile, denn er muss predigen und hat eben erst von diesem Boten [...] erfahren. [2] Er legt eine Briefsendung Georg Frölichs [Nr. 2741 und Nr. 2742] bei sowie einen von diesem an ihn gerichteten Brief den Bullinger wieder zurücksenden soll. Auch von den Augsburger Bürgermeistern Hans Welser und Jakob Herbrot hat er Briefe empfangen. Welser ist furchtsam und schätzt die Situation nicht richtig ein. Blarer hofft jedoch trotz allem, dass Augsburg standhaft bleiben wird, denn Räte und Bürger halten sich dort gut. Sie werden bestimmt Widerstand leisten und sich nicht bedingungslos wie die anderen ergeben. Ein Konstanzer Ratsbote [...]bricht dorthin auf sodass Blarer viel zu schreiben hat. [3]Kaiser Karl V. soll mit seinen Truppen nach Ulm kommen und dort über das Schicksal der noch nicht unterworfenen Städte entscheiden. Der davor gewarnte Konstanzer Rat informiert sicher auch den Zürcher Rat darüber. Gleichzeitig wird immer wieder vom Tod des Kaisers berichtet, und dass die Kaiserlichen mit dessen Leichnam oder Abbild Theater spielen. Es ist nämlich merkwürdig, dass ihn niemand aus der Nähe zu Gesicht bekommt. Bei ihrem Fußfall haben die Gesandten der Städte den Kaiser nur aus der Ferne hinter einem Vorhang flüchtig erblickt, und dieser hat dabei nichts gesagt, auch nicht die Hand gereicht, sondern sich nur durch andere entschuldigen lassen. [4] Württemberg hat sich ergeben. Die Friedensbedingungen sind allerdings nicht bekannt, da Herzog Ulrich diese trotz Anfrage des Konstanzer Rates nicht preisgibt. Entweder hat er in den sauren Apfel beißen müssen oder aber hat der Kaiser ihm Privilegien zugestanden, wovon niemand erfahren soll. Letzteres scheint aber unwahrscheinlich, da der Herzog von Alba, Fernando Alvarez de Toledo, auch nach der Unterzeichnung des [Hohentwieler] Vertrags weiterhin verschiedene Ortschaften zur Kapitulation aufgefordert hat. Am 11. Januar war Ulrich in Balingen und ist danach nach Pfullingen gezogen, während der [kaiserliche Hauptmann] Francisco Duarte in Tübingen liegt. Dieser verkauft die herzoglichen Korn- und Weinvorräte zu Spottpreisen! Man wird aus all dem nicht klug. Der Herr möge es richten! [5] Am Tag zu Baden soll es ernst zugehen: der päpstliche [Girolamo Franco], der kaiserliche und der französische [François de La Rivière] Gesandte seien anwesend. [6]Außer den von Frölich übermittelten Nachrichten gibt es nichts Neues. Bullinger

1 Das Jahr geht aus dem Briefinhalt hervor, der 17. Januar aus der Datierung der davon erstellten paraphrasierten Auszüge in Nr. 2757,82-100, die Bullinger an Oswald Myconius und Johannes Gast weiterleitete. Doch ein Vergleich mit der Aussage in Nr. 2755,13, sowie die Angaben in unten Z. 1. 12f und Anm. 20 lassen vermuten, dass Blarer seinen Brief schon am 16. Januar. ja sogar schon vor seiner Sonntagspredigt begonnen hatte.
2 Die Form und der Umfang des Briefleins lassen darauf schließen, dass dieses einem längeren Brief beigelegt war. Da
Blarer in seinem folgenden Brief mitteilt, dass Karl V. bereits in Ulm sei (s. Nr. 2762,47f), kann das Brieflein nur einem früheren Brief zugeordnet werden. Da ferner die Nachricht vom Vorhaben des Kaisers, sich nach Ulm zu begeben, zum ersten Mal in dem unten in Anm. 20 erwähnten Brief des Konstanzer Rates an den Zürcher Rat vom 16. Januar 1547 sowie im vorliegenden Brief Blarers (s. unten Z. 11f) zur Sprache kommt, wird das Brieflein höchstwahrscheinlich dem vorliegenden Brief zuzuordnen sein.


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möge inständig für [die deutschen Protestanten] beten! Blarer meint noch immer, dass diese erst eine große Trübsal bestehen und von allen verlassen werden müssen, ehe Gott sie erretten wird. Blarer ist bereit, mit Gott durch diese Prüfling zu gehen, aber einen weltlichen Frieden gegen ihn kann er nicht akzeptieren. [7] Die Wenigsten sind sich bewusst, was die [vom Kaiser geforderte] Unterwerfung unter das Kammergericht bedeutet: Dass damit der Gräuel, die Abgötterei und der Pfaffenschwarm wieder eingeführt werden. Gott behüte uns davor! [8] Die Allgäuer Städtchen, besonders Isny, haben sich entschlossen nachzugeben. Sie wollen sich aber wehren, sobald man sie zwingen würde, gegen Gottes Wort zu handeln. [9]Ach Gott, was ist dieses Versagen für ein Jammer! [10]Bullinger möge das flüchtige Schreiben verzeihen. Erhard Schnepf ist noch in Konstanz und lässt danken und grüßen. Die Lage missfällt ihm. [11]Angeblich wünscht Herzog Ulrich nun, er hätte nicht so übereilt gehandelt. Alles liegt im Argen! Gott bringe eine Besserung. [12] Grüße. [13] [Beigelegtes Brieflein.]Der Kaiser entlässt viele heruntergekommene Söldner. Mit den Übrigen zieht er nach Ulm. Dort will er überwintern, bis ihm im Frühling neue Italiener zuziehen. Er hat Großes vor, aber der Herr wird das alles zunichte machen!

In höchster yl, dann 3 ich zü predigen 4 und diß botten 5 erst in erfarung kom. 6

F[rüntlicher], h[ertz]l[ieber] herr und brüder, hiemitt ain brieff von unserm Leto 7 an euch. Nach dem hat er mir geschriben, das ich euch hiemitt uberschick. 8 Hab vom burgermeister Welser 9 und Herbrot 10 ouch brieff empfangen. Ist Welser etwas waich 11 . Will die sach nitt recht verston. Hoff noch ymerdar, Augspurg sollt uffrecht blyben. Weht mir Laeti brieff 12 widerum schicken. Es win yetz ain bott 13 von meinen herren auch gen Augspurg. Hab ich warlich vyl ze schriben. Gott geb mir gnad! Es ist der gmain senator güt da sampt der gmaind 14 , das ich noch ymmer hoff, sy werden ain stand thain 15 und on grosse not nit dermassen 16 sich ergeben.

Der kaiser 17 soll mitt au seiner macht gen Ulm kommen 18 und allda sechen, wie im mitt den stetten zü handlen, die noch nitt gehuidiget. 19 Des sind

3 denn.
4 Vgl. Nr. 2755,13.
5 Unbekannt.
6 und diß botten erst in erfarung kom: und erst jetzt von diesem Boten erfahre.
7 Georg Frölich. — Wohl dessen Briefsendung Nr. 2741 und Nr. 2742 vom 6. Januar.
8 Der Brief Frölichs an Blarer findet sich nicht in Blarer BW. Bullinger ließ aber Auszüge daraus für Myconius und Gast abschreiben; s. Nr. 2757,63-81. Diese wurden mit einem Titel versehen, der es erlaubt, Frölichs Brief auf den 9. Januar zu datieren.
9 Hans Welser.
10 Jakob Herbrot. —Beide Briefe finden sich nicht in Blarer BW.
11 schwach, furchtsam; s. SI XV 203f. — Vgl. schon Nr. 2741,9-11 und Nr. 2744,66-69.
12 Der an Blarer gerichtete und in oben Z. 3f erwähnte Brief Frölichs.
13 Unbekannt.
14 Bürger; s. SI IV 302.
15 ain stand thain: Widerstand leisten; vgl. SI XI 958.
16 wie jene Städte (darunter natürlich Ulm), die sich schon von vornherein zu einer Aussöhnung mit dem Kaiser entschlossen hatten; vgl. Nr. 2746,55-58; Nr. 2757,53-59.
17 Karl V.
18 Diese Reise nach Ulm wurde schon während des Fußfalls der Ulmer (am 23. Dezember 1546) vereinbart und am 9. Januar 1547 offiziell verkündet. Am 18. Januar zog dann der Kaiser mit seinem Heer von Heilbronn ab. Am 21. gelangte er nach Geislingen an der Steige (etwa 27 km nordwestlich von Ulm) auf Ulmer Territorium (s. Nr. 2775,55f). Am 25. traf


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mine herren gewarnet worden, wie, ich acht, sy den ewern schriben. 20 Daneben sagt man für und für 21 (soll ouch gewisß sein ) a der kaiser seye tod. 22 Noch tribind sy ir affenspyl 23 mitt dem cadavere oder simulacro caesaris! Es ist wunder uber wunder, das inn nieman recht sechen kan oder im genachen 24 . Dann ouch die gesandten der stett, so gehuldigt, 25 haben von vernüß 26 ston müssen, und hinder ain umhang 27 allso ain kaiser gesechen, der weder mitt inn gereddt, noch die hand dargebotten, sonder sich entschuldigen lassen durch ander.

Wirtemberg ist uberhe 28 . Mitt was condition, kan man nitt wissen, dann 29 er söllichs nitt anzögen wellen, wiewol mine herren sölichs gern von ime vernomen hetten. 30 Hats aber umgangen. Vyllicht, das er auch in ain sauren apfel bysen müssen oder vyllicht hat ime der kaiser ain vortail thon, den er aber nitt will andern geoffenbaret werden, wiewol es ime nitt glich sicht 31 uss vyl ursachen, dann der duca de Alba 32 hat noch für und für stettle und flecken ufforderen 33 lassen im land, ouch nachdem der hertzog den versigleten frid vom kaiser gehapt, etc. 34 Der hertzog ist auff dinstag vergangen zü Balingen gewesen, von dannen uff Pfullingen 36 verruckt, und nichts destweniger ligt der Franciscus Duardi 37 zü Tubingen. Verkofft korn und weyn uss des hertzogen kasten und keller. 38 Gibts alles um ain spott 39 . Es sind wunderbarlich handlungen, usß denen man sich gar nichts verrichten kan 40 ! Gott wells mitt gnaden ußfüren!

a Klammern ergänzt.
er in der Stadt selbst ein, die er am 4. März verließ. Bei seinem Abzug ließ er neun Fähnlein zurück; s. Zürich StA, A 177, Nr. 166 (Bericht aus Ulm vom 30. Januar 1547 über die Ankunft der Kaiserlichen in Ulm — s. dazu Nr. 2790, Anm. 10) und Nr. 167 (ein weiterer, diesmal undatierter Bericht eines Spions); Stälin 579; Rommel, Ulm 79. 88-92; Keim, Ulm 395.
19 Die süddeutschen Städte huldigten dem Kaiser am 25. Januar in Ulm; s. Nr. 2741, Anm. 4.
20 Dies tat der Konstanzer Rat mit einem Schreiben an den Zürcher Rat vom 16. Januar (Zürich StA, A 205.2. Nr. 2).
21 immer wieder.
22 Zu diesen falschen Gerüchten s. Nr. 2748, Anm. 12; Nr. 2771,38.
23 Theaterspiel; vgl. SI X 136f.
24 im genachen: sich ihm nähern.
25 Wie etwa Dinkelsbühl, Rothenburg ob der Tauber, Schwäbisch Hall, Bopfingen und Ulm; s. HBBW XVIII 396, Anm. 9; 437f, Anm. 10f.
26 von vernüß: mit einem (gewissen) Abstand.
27 Vorhang; s. SI II 1439f.
28 hinüber (auf die Seite des Kaisers).
29 Herzog Ulrich von Württemberg.
30 Vgl. Nr. 2746,92-102.
31 wiewol es ime nitt glich sicht: obwohl es nicht danach aussieht.
32 Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba.
33 zur Übergabe auffordern; s. dazu FNHDW II 414.
34 Zur Ergebung der Festungen Urach, Hohenasperg, Schorndorf und Kirchheim unter Teck nach dem Hohentwieler Friedensvertrag (s. dazu Nr. 2746, Anm. 21) s. Nr. 2739, Anm. 34ff.
35 11. Januar.
36 Pfullingen (Kr. Reutlingen, Baden-Württemberg).
37 Francisco Duarte. kaiserlicher Hauptmann; s. Viglius van Zwichem 258.
38 Vgl. Heyd, Ulrich von Württ. III 487.
39 um ain spott: zu Spottpreisen; s. SI X 619f.


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||670 Vom tag ze Baden 41 sagt man, wie ernstlich es zügang und päpstischen 42 , französischen 43 und kaiserischen 44 bottschafften da seyen. Gott helffe unß ainmal 45 usß nöten.

Zeytung 46 habend wir sonst nichts, dann was ir ouch in Laeti literis 47 findt. Bittend gott trulich, trulich, trulich für uns! Mir ist ymmer vor 48 , wir werden ain grosse fahr 49 bestehn müssen und von yederman verlassen werden, und danecht 50 von dem herren erreddt. Des will bescheche! 51 Dann ich gern will alle fahrlichait bestehn mitt gott und gütem gewissen, aber der wellt friden wider gott mag und will ich nitt, so lang mir gott diß hertz lasst.

Das man dem camergricht soll gehorsam sein, 52 wellend wenig gedencken, wahin es raicht, und das damitt all greuwel und abgötterey, alles geschwürm der pfaffen 53 widerum restituiert wirt. Gott seye unß gnedig und barmhertzig!

Die klaine stättle im Allgöw hetten sich gern wol gehalten, sonderlich Ysne. Haben aber nitt gemögt 54 by disem grossen abfal; sich aber entschlossen, bald 55 man inen etwas wider gottes wort zümütte 56 , wellend sy eh alles verlieren und daran setzen.

Ach gott, es ist ain grosser jommer, das wir dermassen ellendklich zerfallen und alls gar nitt by ainander sind! Halltend mir diß ylend schriben zü güt. Ich sudle 57 , wie ich mag. Kan ye nitt baß 58 . Schnepff 59 ist noch hie. Danckt 60 und grützt euch fruntlich. Die sachen gefallen im nitt.

So vernym ich yetzund, hertzog Ulrich wellte ouch gern, er hette gmecher thon 61 , wie 62 er dann noch wol weg funden hette mitt gott. Aber es ist alles zerplaget 63 und nienen nichts 64 gesunds. Gott helff unß zü ainem bessern.

40 sich gar nichts verrichten kan: nicht klug werden kann; s. SI VI 430.
41 Die in Baden am 10. Januar begonnene Tagsatzung; s. Nr. 2737, Anm. 3.
42 Girolamo Franco, der aber nicht persönlich anwesend war, sondern ein Schreiben des Papstes an die XIII Orte aus Bellinzona (Kt. Tessin) übermitteln ließ; s. EA IV/1d 756 k.
43 François de La Rivière; s. Nr. 2751, Anm. 61.
44 Die Anwesenheit des kaiserlichen Gesandten bei den Eidgenossen, Jean Mouchet, ist erst an der Tagsatzung im März 1547 bezeugt; s. Nr. 2751, Anm. 58.
45 endlich einmal; s. SI IV 146.
46 Nachrichten.
47 In dem oben Z. 3f erwähnten Brief Frölichs an Blarer.
48 Mir ist ymmer vor: Ich fürchte (dass); s. SI I 929.
49 Gefahr.
50 dennoch; dann doch. 51 Mt 6, 10.
52 Vgl. Nr. 2746,48-51; Nr. 2757,29f.
53 geschwürm der pfaffen: Pfaffengewimmel. — Zum Ausdruck "Pfaffengeschwürm" s. Roth, Augsburg III 316, Anm. 64.
54 nitt gemögt: nichts vermocht.
55 sobald.
56 auf ungerechte Weise verlange.
57 schreibe hastig; s. Fischer V 1951.
58 besser, mehr.
59 Erhard Schnepf.
60 Wohl für einen an ihn gerichteten Gruß in einem nicht mehr erhaltenen Brief Bullingers.
61 gmecher thon: weniger schnell gehandelt.
62 da, weil; s. SI XV 82.
63 schlimm geplagt; s. SI V 35.
64 nienen nichts: nirgend etwas.


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Grützt all güt herren und freund. [Ohne Unterschrift.]

[Adresse auf der Rückseite von f. [670a]:] An maister Hainrich Bullinger zü Zürich.

[Beigelegtes Brieflein:]

||657 Der kaiser lasst vyl ellends, zerludlets 65 volcks von im hinweg ziechen. Das ander alles zucht uff Ulm. Uff den früling sollend frisch Italiäner kommen, etc. Aber er gedenckt yetz zü Ulm sin losement 66 mitt rüen ze haben bys b angends frülings. 67 Er hat grosse vorhaben. 68 Der herr aber waists alles ze brechen.

[Adresse auf der Rückseite:] An Meister Hainrich Bullinger zü Zürich.