Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2713]

Bullinger
an Oswald Myconius
Zürich,
11. Dezember 1546

Autograph: Zürich StA, E II 342, 158 (Siegelspur) Ungedruckt

[1] Der zu Kriegsbeginn vom Zürcher Rat an die Kanzlei des Landgrafen [Philipp von Hessen] entsandte [Heinrich Thomann] hat den Zug der sich nach Franken begebenden Fürsten [Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp] verlassen und ist am 8. Dezember wieder heimgekehrt. Er berichtet nichts anderes, als was Bullinger bereits [mit Nr. 2708] geschrieben hat. [2] Der Postverkehr ist eingestellt. Die daraus entstandenen Kosten für Zürich sind viel höher, als man glauben mag, und dabei ist der Krieg noch nirgends zu Ende! Wenn die Dinge wenigstens gut stünden! [3] Die Fürsten haben bei ihrem Abzug dem [Herzog Ulrich] von Württemberg etliche Reiter und Fußsoldaten überlassen, der sonst schon 5'000 Landsleute für die Gegenwehr gerüstet hatte. [4]Augsburg versieht sich mit etwa 2'000 bis 3'000 Fußsoldaten und 200 oder 300 Kavalleristen. Gott wolle, dass es auch um Ulm gut stünde! [5] Kaiser [Karl V.] versucht, die Städte und die Fürsten sowie Letztere untereinander zu spalten. Er verspricht zum Beispiel Württemberg freie Religionswahl. Alles nur Betrug! [6] Über den angeblichen und seltsamen Tod des Kaisers wird viel erzählt und gewettet. Bullinger hat dazu Nachrichten aus Augsburg erhalten. Er glaubt dies aber nicht. Es handelt sich dabei gewiss um eine typisch spanische Intrige, ja um ein Ablenkungsmanöver! [7]Denn als die Fürsten abzogen, brachen [Maximilian von Egmont, Graf] von Büren, und andere Hauptleute mit dem kaiserlichen Heer auf und folgten unter Besetzung der Städte und Ortschaften den Fürsten nach. Vermutlich kommt es noch zu einer Schlacht. Die [Schmalkaldener] zählen noch etwa 30'000 Mann, nachdem sie und die süddeutschen Städte ihre Kriegsknechte entlassen haben (abgesehen von den für die Besatzung zurückbehaltenen Soldaten). Sie werden vermutlich die Bistümer Würzburg und Bamberg plündern und ihr Winterlager im Bistum Mainz aufschlagen, von wo aus sie ihr Territorium besser verteidigen können. [8] Wegen des frühzeitigen Aufbruchs des Landgrafen nach Heidelberg vermuten einige, dass dieser nach Frankreich oder nach Dänemark oder zu [Herzog] Moritz [von Sachsen] gezogen sei, um einen Frieden auszuhandeln. Man wird sehen. Es gäbe noch andere merkwürdige Nachrichten, doch Bullinger muss schließen. [9] Am Abend kommen die Zürcher Gesandten [Johannes Haab und Itelhans Thumysen] von [der Tagsatzung in] Baden zurück. [10]Segenswunsch. Gruß an [Francisco de] Enzinas und an [Johannes] Gast, für die die hier vermittelten Nachrichten ebenfalls bestimmt sind. [11] Beiliegend ein Augenzeugenbericht über den unseligen sächsischen Krieg. [12]Bullinger muss aufhören.

Der 1 , den min herren 2 habend von anfang des kriegs by dem lantgrâven 3 in siner cantzli gehept, ist des 8. decembris wider beym kummen und vor

1 Heinrich Thomann. — Er hatte sich ab dem 12. September 1546 bei Landgraf Philipp von Hessen im schmalkaldischen Feldlager befunden; s. HBBW XVII 399, Anm. 1; 408f, Nr. 2569.
2 Der Zürcher Rat.
3 Philipp von Hessen.


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wenig tagen von dem zug der fürsten in Franckenland abgeritten. 4 Zeigt nüt sunders 5 an, dann 6 wie ich üch diser tagen zugeschriben. 7

Also ist nunme die post und alles abgestellt. Ist vil ein grössem kosten daruff gangen, dann ir yenen 8 glouben mögind. Der krieg, wiewol er noch nienan 9 uuß, hatt min herren ettwas 10 kostet! Ist aber nut ze rächnen, stünde es nun rächt.

Zum abzug habend die fürsten ettlich zu roß und Fuß gelassen dem Wirtenberger 11 , der one die sunst 5'000 der sinen gerüst hatt zur gägenweer. Augsburg rüst in die 2 und 3'000 ze fuß und in 2 oder 300 pferd zu besatzung ir statt. Wie es umb Ulmm stande, weiß ich nitt: Gott wölte vast 12 dappffer und wol 13

Der keyser 14 gadt daruff, die stett von fürsten und die fürsten selbs von einandren ze trennen. Verheist vil; ouch Wirtenberg fry lassen bim glouben. Wirt hernach amm hallten 15 ligen. Ist alles nut dann betrug, lüg und valsch! 16

Es ist ein groß geschrey 17 , wie der keyser vergangner tagen wunderbarlich 18 sölle gestorben sin. Wirt hin und har für warhafft geschriben und vil daruff verwettet. Die wyß sines todts sol ouch so wunderbar sin, das es ze verwundern. Also schript man 19 mir von Augspurg, aber ich setz gar nut daruff; gib imm keinen glouben. Acht, es sye ein hispanische prattica 20 , damitt jederman sorgloß uff den todt 21 hoff, nut fürsähe 22 und der fuchs 23 dann uß dem loch über die sorglosen hüner 24 wüsche 25 .

Dann wie der keyser gesähen, das die fürsten hinab ziehend in Francken, ist der von Büren 26 und andere houptlüt mitt dem keyserischen züg uff 27 . Hatt alein die flecken 28 und stett hin und har besetzt und zücht den fürsten

4 Anlässlich des Abzugs vom Landgrafen und von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen. — Noch bis kurz vor Mitte Dezember nahm man an, dass der Kurfürst durch Franken ziehen würde. Zum tatsächlichen Verlauf der Route des Kurfürsten s. Nr. 2700, Anm. 5; zu der des Landgrafen s. Nr. 2702, Anm. 21.
5 Besonderes.
6
7 Mit dem Brief Nr. 2708.
8 irgendwie; s. SI I 296.
9 nirgends; s. SI IV 761.
10 einiges, etliches.
11 Herzog Ulrich von Württemberg. — Tatsächlich nahm Herzog Ulrich infolge des Abzugs der Fürsten etliche Knechte aus deren Heer auf und warb zudem Soldaten zum Schutz seines Landes an; s. dazu Heyd, Ulrich von Württ. III 440-445, bes. 443.
12 recht.
13 Vgl. aber Nr. 2712, Anm. 9; Nr. 2714, Anm. 1.
14 Karl V.
15 d.h. am Halten der gemachten Versprechen.
16 Vgl. auch dazu die Verweise in Nr. 2723, Anm. 86.
17 Gerücht.
18 Als ein Echo von Nr. 2700,18-23.
19 Gemeint sind Georg Frölich (mit dem eben erwähnten Brief Nr. 2700) und Johannes Haller (in Nr. 2701,37-40).
20 Intrige.
21 des Kaisers.
22 nut fürsähe: keine Vorkehrung treffe, nicht achtgebe.
23 Gemeint ist der Kaiser.
24 Gemeint sind die Schmalkaldener.
25 herfalle; s. SI XVI 2358.
26 Maximilian von Egmont, Graf von Büren. —Zu dessen Route s. Nr. 2706, Anm. 21.


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mitt dem hällen huffen 29 nach. 30 Und acht man, es möchte noch zur schlacht kummen. Die unsern sind noch ob 31 trissig tusend starck. Das rych 32 und die stett hie oben 33 hatt sine knächt ||158v louffen lassen, on 34 die zur besatzung behallten. 35 Man acht, die unsern werdint streyffen 36 die bisthumb Wirtzburg und Bamberg, und sich lägern in das bisthumb Mentz 37 , da warten und sich weeren oder wyntern. Da sind sy ouch zu schirmm irem landen baas 38 gelägen und habent den zulouff uß iren landen.

Das der lantgraff zytlich 39 abgeritten uff Heydelberg, alls 40 ich üch vor bericht, 41 achtend ettlich, er sye in Franckrych, 42 ettlich in Denmarch, ettlich zu Moritzen 43 , friden zu machen, etc. Die zyt wirt es zu erkennen gäben. Vil ander wunderseltzam ding ist vorhanden, darvon wunder zu schriben. 44 Ich muß abbrächen.

Hinecht 45 kummend unser botten 46 heim von Baden.

Gott mitt üch eewiklich! Salvi sint d. Dryander 47 , d. Gastius, quibus haec communicabis.

Initium belli Saxonici inauspicatum hic habes descriptum ab eo, qui interfuit et pleraque vidit. 48

Plura non possum. Tiguri, 11. decembris anno 1546.

Bullinger.

[Adresse darunter:] Sinem früntlichen, lieben herren unnd bruder h. Oßwalden Myconien, predicanten uff Burg 49 zu Basel.

27 aufgebrochen.
28 Ortschaften.
29 hällen huffen: Der "helle Haufen" bezeichnet ursprünglich den Kern des Heeres, die beste Streitmacht (im Gegensatz zu Vor- und Nachhut), wird aber als Phrase auch in freierer Bedeutung und als feste Formel verwendet; s. Grimm X 965; FNHDW VII 1238f (unter 4.).
30 Vgl. Nr. 2701,48-55.
31 etwa.
32 Die Schmalkaldener.
33 in Süddeutschland.
34 ausgenommen, mit Ausnahme; s. SI I 262 s.v. ane.
35 Vgl. Nr. 2701,58f.
36 Raub- und Beutezüge unternehmen; plündern; s. SI XI 2132f.
37 Mainz.
38 besser.
39 frühzeitig; s. Fischer VI/1 1111. — Zur Route des Landgrafen s. den Verweis in oben Anm. 4.
40 wie.
41 In einem nicht erhaltenen Brief.
42 Hier (wie schon in Nr. 2706,27f) und im Folgenden falsche Gerüchte.
43 Herzog Moritz von Sachsen.
44 Gemeint ist wahrscheinlich das erstaunliche Verzagen des Landgrafen, von dem Bullinger aus Blarers Briefen Nr. 2690 und Nr. 2698 erfahren hat, mit der Bitte, dies nicht weiterzuerzählen.
45 Heute Abend.
46 Johannes Haab und Itelhans Thumysen; s. EA IV/1d 723.
47 Francisco de Enzinas.
48 Gemeint ist die Abschrift (Zürich StA, E II 355, 119f) von unbekannter Hand eines von einem Unbekannten verfassten Berichts, der Blarers Brief Nr. 2696 vom 27. November beigelegt worden war; s. dazu Nr. 2696, Anm. a.
49 Der Platz, auf dem das Basler Münster steht, hieß "Burg" oder auch "Burg von Basel" (castrum Basiliense). Die Bezeichnung geht auf den mittelalterlichen Bischofssitz zurück; s. Daniel Albert Fechter, Das Münster zu Basel, [Basel] 1850, S. 5.