Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2660]

Leonhard Serin
an Bullinger
Ulm,
5. November 1546

Autograph: Zürich StA, E II 356, 61f (Siegelspur) Ungedruckt

[1] Serin hätte schon längst geschrieben, wenn ihm ein Bote zur Verfügung gestanden hätte oder wenn seit dem Eintreffen von Bullingers Brief [HBBW XVII, Nr. 2565] und [Gwalthers] "Endtchrist" neue Publikationen [aus der Ulmer Druckerei von Hans Varnier]hervorgegangen wären. Da sich ihm nun ein frommer alter Soldat [...] aus Stammheim als Bote anbietet, möchte er diesen nicht ohne einen Brief ziehen lassen. [2] Über die Kriegsereignisse wird Serin nichts berichten, da die [in die Eidgenossenschaft zurückkehrenden] lobenswerten Söldner alles viel besser erzählen können. [3] Bullinger sei besonders Dank für Gwalthers [,,Endtchrist"]. Diese Schrift war ihm umso willkommener, als er zu dieser Zeit über 2 Thess zu predigen hatte. Auch [Martin] Frecht findet sie sensationell. Durch einen Fehler des dem Serin nicht bekannten Briefüberbringers [Heinrich Thomann]gelangte nämlich die Abhandlung zuerst in die Hände von Frecht, der sie begierig zu lesen begann und nur allmählich die von ihm schon gelesenen Lagen Serin übergab. Frecht ist sogar der Meinung, dass [Hans] Varnier die Schrift nachdrucken sollte. Was mit Bullingers Brief vom 4. September geschehen ist, weiß Serin ebenso wenig! Fest steht, dass er den Brief erst am 17. September mit gebrochenem Siegel empfing. [4] Von [Johannes] Haller hat er weder etwas gehört noch einen Brief erhalten. Frecht lässt grüßen. Serin dachte, dass [Johannes] Piscatorius schreiben würde, doch lässt dieser auch nur grüßen, weil er in diesen Kriegswirren weder Lust noch Kraft zum Schreiben findet. [5] Serin gratuliert der Augsburger Kirche zum Bürgermeister ihrer Stadt [Hans Welser], der von einem solch berühmten Schreiber wie Bullinger [durch eine Widmung]gewürdigt wurde, und dies zum Missfallen der abergläubischen "Sakramentarier"

g Hier und danach Textverlust bei Entfernung des Verschlussbandes.
86 Am Treffen der Vier protestantischen Städte in Zürich, das am 26. Oktober zu Ende ging; s. Nr. 2606, Anm. 60.
87 weß man sich zu den gmeinden versahen: was man von den Gemeinden zu erwarten (hat).
88 Vgl. Nr. 2652,19-25; Nr. 2653,70f.
89 Francisco de Enzinas, der damals in Basel wohnte.


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[Lutheraner]. In Anlehnung an die Wörter "Hilfsarbeiter" und "Gerichtsverwalter" bezeichnet nämlich Serin mit "Sakramentierer" diejenigen, die in den Sakramenten und in deren Wirksamkeit Eigenschaften voraussetzen, die es nie gegeben hat noch je geben wird. [6] Gelobt sei der Herr, der es nicht zulässt, dass die Lästerer die Wahrheit unterschlagen! Denn vor kurzem soll der Herr in Nördlingen (wo sich der "sakramentarische Aberglaube" durchgesetzt hatte) einen Diener des Wortes [Georg Hieher?]berufen haben. Die Information ist zwar noch nicht verbürgt. Man sollte aber beten, damit Ähnliches an vielen anderen Orten geschehe! [7] Durch die in Rüstung stehenden Böhmen und Innerschweizer lernt man, dass mehr vom Gebet als von den Waffen zu erwarten ist.

Gratia tibi multiplicetur 1 per dominum nostrum lesum Christum. Dudum tibi rescripsissem, observandissime Bullingere, si vel commodus quispiam obtigisset nuncius vel minimum quiddam novorum scriptorum ab eo tempore, quo tuas proximas literas 2 cum Antichristo 3 accepi, prodiisset. 4 Tandem vero, etsi nihil habeam, quod mittam, non potui diutius cessare, quin tibi scriberem, maxime cum bonus ille et (ut mihi videtur) valde pius senex miles ex Stammen 5 ultro se mihi tabellarium offerret.

De rebus autem bellicis calamitatibusque nostrorum nihil scribam, cum dimissi illi vestri milites 6 (qui magna cum laude sueque modestie encomio hic meruerunt) a omnia sint multo plenius narraturi, quam ego scriptis non molestis assequi queam.

Ad tua ergo tantum paucis respondebo. In primis autem gratias ago ingentes pro dono christiane et praeclare lucubrationis Waltheri 7 , mihi hoc etiam nomine acceptiore b , quod in tempore obtigit tractandi c modo pro concionibus posteriorem ad Thessalonicenses 8 . Scias etiam Frechto 9 mirum im

a Hier und unten Klammern ergänzt.
b In der Vorlage acceptiorem. —
C In der Vorlage tractanti.
1 Vgl. I Petr 1, 2.
2 Bullingers Brief vom 4. September (HBBW XVII, Nr. 2565); s. unten Z. 19— 21.
3 Rudolf Gwalther, Der Endtchrist, Zürich, Froschauer, 1546 (BZD C 361-368); s. HBBW XVII 400, Anm. 7. - Bullinger hatte das Werk an Serin mit seinem Brief vom 4. September übersandt; s. HBBW XVII 400,7f.
4 Serin spricht hier die Produktion der Ulmer Druckerei von Hans Varnier an; vgl. unten Z. 18f. Aus dieser Offizin gingen nämlich damals etliche protestantische Schriften zum Schmalkaldischen Krieg hervor; s. die in Gerber, Kriegsrechnungen I 70, Anm. 5, angeführten Verweise auf PC IV/1.
5 Unbekannt. —In Stammheim (Kt. Zürich) übermittelte er vorliegenden Brief an Johannes Stumpf, welcher ihn mit einem
Schreiben vom 10. November an Bullinger weiterleitete; s. Nr. 2668,1-4.
6 Die mit dem in oben Z. 4-7 erwähnten "senex miles" in die Eidgenossenschaft zurückkehrenden Söldner. Sie hatten den acht eidgenössischen Fähnlein angehört, die am 14. Oktober in Ulm eingetroffen waren; s. Nr. 2641, Anm. Il. Sie wurden Anfang November entlassen, wie dies Johannes Haller bzw. Heinrich Thomann am 8. bzw. 14. November berichteten; s. Nr. 2663,87-89; bzw. Zürich StA, A 177, Nr. 136.
7 Siehe oben Anm. 3.
8 Besonders in Hinsicht auf 2Thess 2, 1-12.
9 Martin Frecht, der angesichts der hier und unten in Z. 20f gemachten Angaben etwa Mitte September von seinem Predigereinsatz in Dillingen wieder zurückgekehrt sein muss; s. HBBW XVII 286,104-106 mit Anm. 42.


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modum hunc laborem probatum fuisse. Nam, ut prius in manus ipsius quam meas errore latoris 10 (quem ignoro, quisnam fuerit) pervenit, tam avide legit, ut mihi nonnisi perlecta folia 11 traderet optaretque Varnirium 12 etiam excudere. Quid autem cum epistola actum sit, nescio. Cum enim ignorarem, quisnam fuisset lator, non potui perdiscere. Resignatam quippe accepi 17. septembris, 13 quam tu scripseras eiusdem 4.

Ab Hallero nuncium nullum, nedum literas ullas hactenus accepi. 14 Frechtus te resalutari iussit. Piscatorium 15 putassem ipsum per literas te resalutaturum, sed aiebat se in hisce turbis nec velle nec posse scribere. 16 Mihi autem mandavit, ut suo nomine tam diligenter te resalutarem, quam tu salutaveris ipsum.

Ecclesie Augustane vehementer gratulor urbi ipsius talem esse consulem 17 , qui eiusmodi scriptorem d , qualis tu es, recipiat 18 invitis procul dubio multis superstitiosis sacramentariis 19 id est iis qui sacrosanctis sacramentis tribuunt et includunt suis opinionibus, que nunquam nec habuerunt nec habitura sunt. Nam sacramentariorum vocabulo utor ego ea ratione, qua utimur voculis operariorum, iustitiariorum, etc. Idque opinor rectius quam illi alii 20 .

Benedictus ||62 dominus, qui non sinit maledicos pro sua libidine veritatem opprimere, quem et nuper in hoc Norlinge 21 (ubi sacramentaria superstitio cum missariis caeremoniis sub evangelio obtinuerat) excitavisse quendam 22 ex verbi ministris audio! Quodsi ita est (non enim satis certo mihi constat adhuc), dominum precor, coeptis faveat idemque subinde in locis pluribus faciat!

d In der Vorlage scriptores.
10 Der Überbringer von Bullingers Brief an Serin vom 4. September war Heinrich Thomann; s. HBBW XVII 3991, Anm. 1.
11 Gemeint sind die einzelnen Lagen des noch nicht gebundenen Exemplars.
12 Die Druckeroffizin des Hans Varnier d.Ä.: s. Reske 934f. — Es scheint nicht zu einem solchen Druck gekommen zu sein.
13 Die Umstände dieses Empfangs hatte Serin auch auf Bullingers Brief vermerkt; s. HBBW XVII 401, Anm. a und c.
14 Vgl. nämlich HBBW XVII 284,54-56; 400,5f.
15 Der seit Februar 1546 in Ulm wirkende Johannes Piscatorius (Fischer) wurde im August zum Feldprediger ernannt; s. HBBW XVII 286,107-111.
16 Außer einem Brief von Piscatorius an Bullinger und dessen Kollegen aus dem Jahr 1543 (HBBW XIII 29-34, Nr. 1709) ist kein weiteres Schreiben zwischen Bullinger und Piscatorius erhalten.
17 Altbürgermeister Hans Welser
18 Serin spielt auf die Widmung an Welser an (HBBW XVII 334f, Nr. 2545), die dem Lukaskommentar von Bullinger vorangestellt wurde. Bullinger hatte diese in seinem Brief an Serin erwähnt; s. HBBW XVII 400f, 16.
19 Gemeint sind die Lutheraner.
20 Zu verstehen ist: quam illi alii [diese anderen - die Lutheraner] (hoc vocabulo utuntur).
21 Nördlingen.
22 Möglicherweise Georg Weber. — Pfarrer Kaspar Löner (1543-1546) hatte sich während seiner Amtszeit in Nördlingen zum Superintendenten ernennen lassen und die Entlassung seines zwinglianisch orientierten Kollegen Georg Hieber erwirkt. Nach Löners Tod im Januar 1546 erwies sich die Besetzung der Pfarrstelle in Nördlingen lange Zeit als schwierig; s. HBBW XV 219f, Anm. 16; Rublack, Nördlingen 226-236.


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Plus spei et presidii (quod pie scribis 23 ) in precibus quam in armis esse collocandum vel excitati tandem Boemi 24 et 5 Helvetiorum vestrorum ditiones 25 , ut rumor fert, nos docebunt! Dominus custodiat nos in viis suis, utut illi visum fuerit, vel per vitam vel per mortem.

Bene vale. Ulme, 5. novembris anno, etc., 46.

Leonhartus Soerinus.

[Ohne Adresse.]