Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Kaspar Megander
an Leo Jud,
Bullinger und
Erasmus Schmid
Bern,
22. September 1532

Autograph: Zürich StA, E II 343,9. Siegelspur. —Ungedruckt

Übersendet zwei Schreiben des Valerius Anshelm an Jud, bedauert das schwere Schicksal der Reformierten im Thurgau, von dem er durch den Pfarrer von Gachnang [Konrad Wolf]gehört hat, und ruft die Zürcher zur Hilfeleistung auf; er wünscht Nachrichten über den Prozeß des Onofrius Setzstab.

17 acht geben, sich vorsehen (SI VII 1300).
18 die Zürcher.
19 nicht mehr.
20 Fluchformel, verhüllend für: So mir gotts liden; eigentlich: Wie mir Gott helfe (vgl. SI IV 1123. VII 904f).
21 dieweil, da.
22 aufbrächen, auszögen (zum Krieg; SI VII 1042).
23 besser.
24 räsonieren, diskutieren (SI I 447).
25 Zürich.
26 das Landvolk, hier vielleicht auch allgemein:
die Leute (SI IV 302).
27 vor.
28 Zur allgemeinen Spannung im Sommer und Herbst 1532, die zur Entstehung solcher Gerüchte geführt hat, s. Maeder, Unruhe; Pestalozzi 112-115.
29 vorenthalten, verhehlen (SI II 1233).
30 Zeitläufte, Vorgänge, Ereignisse (SI III 1112f).
31 Laßt mich, falls etwas (Schlimmes) eintreten sollte, euch gemäß meinem Vertrauen befohlen sein.
32 Siehe oben S. 127, Anm. 32.


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Gratiam a domino.

Habes hoc nuncio 1 , Leo charissime, usum agarici a , quem Valerius 2 noster, homo pius, tibi signavit 3 . Accipies iterum alteras quoque quas ad me dederas Valerii literas 4 , nuncio, ut opinor, satis certo, parocho Gachlingensi 5 , qui, inquam, magnam apud nos miseriam et, ut verbo dicam, divinae veritatis omnisque innocenciae suppressionem Durgoici agri 6 conquestus est. Et quia [homi]ni b , ut nobis visus est, pio, candido et cordato fidem non habere non potuimus, vobis, in domino charissimis nostris, scribere placuit atque quam maxime rogare, quo fratribus isthic et consilio et opera adesse velitis, ne unus et alter secedat, denique ecclesiam relinquat atque ita, et nostro quoque malo, opus domini et structura iterum corruat. Non enim vos fugit, quae homo quantumvis pius et doctus aliquando meditetur et quo penuria rerum miseriaeque molestia redigatur. Quid de indoctis et oretenus piis dicetis? Quare, charissimi, vestrum erit fratrum penuriae opitulari. Nos nostrum quoque faciemus.

De Onofrio 7 quid actum sit, scire omnes adfectamus. Num tormentis quaestus et quae aperuerit, oro, si licet, quam ocissime sciamus.

Valete.

a darüber von fremder Hand: dannschwamm.
b [homi]ni am Rande nachgetragen; Randtext wegen engem Einband nicht zugänglich.
1 Siehe unten Anm. 5.
2 Valerius Anshelm (Rüd), 1475-1547, aus Rottweil im Schwarzwald. Nach Studien in Krakau und Tübingen und einem Aufenthalt in Lyon war er seit 1505 Schulmeister, seit 1509 Stadtarzt in Bern. Er verfaßte eine Darstellung des Jetzerhandels und ein Kompendium der Weltgeschichte, den «Catalogus Annorum», 1510. Im Jahre 1520 erhielt er zum ersten Mal den Auftrag, die amtliche Stadtchronik fortzusetzen, doch kam dies damals noch nicht zur Ausführung. Anshelm gehörte zu den ersten Anhängern der Reformation in Bern und war mit Zwingli, Vadian, Haller und Manuel befreundet. Wegen reformatorischer Äußerungen seiner Frau gebüßt, verließ er 1525 Bern und hielt sich bis 1528 in Rottweil auf, wo er als Reformierter ebenfalls weichen mußte. Nach dem Durchbruch der Reformation in Bern wurde er, wahrscheinlich auf Zwinglis Empfehlung, im Januar 1529 erneut als amtlicher Chronist nach Bern berufen, wo er bis zu seinem Tode an seiner Chronik arbeitete. — Lit.: Anshelm I—VI; Z XI 586, Anm. 1; Feller-Bonjour I 165-174; HBLS I 382; Franz Moser, in: NDB I 312f.
3 Ein Werk Anshelms über den Nutzen des Lärchenschwammes, der als Heilmittel gebraucht wurde, ist nicht bekannt. Zur Bezeichnung Tannenschwamm (s. textkritische Anm. a), die im 16. Jahrhundert anstelle von Lärchenschwamm mehrfach belegt ist, s. SI IX 1875f.
4 Nicht erhalten.
5 Gemeint ist Konrad Wolf, gest. 1563 oder 1564. Er war seit 1522 als Kaplan in Gachnang (= Gachlingen; Kt. Thurgau), 1523—1528 auch in der Filiale Ellikon an der Thur (Kt. Zürich) tätig. 1528 setzte er in seiner Gemeinde die Reformation durch. Nach der mit Zürichs Hilfe erreichten Absetzung des katholisch gebliebenen Pfarrers Sebastian Hofer erhielt Wolf 1530 die Pfarrei Gachnang, die auch nach dem Zweiten Kappelerkrieg evangelisch blieb. 1554 wurde Wolf Pfarrer in Sirnach (Kt. Thurgau). Bis zu seinem Tod war er auch Dekan des Frauenfelder Kapitels. In welcher Beziehung Wolf zu Megander und Bern stand, ist nicht geklärt, Bullinger kannte er wohl seit der Übergabe dieses Briefes persönlich. — Lit.: ASchweizerRef II 1308a.1658. III 103; Knittel, Reformation 241-243; Knittel, Kirche 120f; Sulzberger 14.47.
6 Zur schwierigen Lage der Reformierten im Thurgau s. oben Nr. 55 und 113.
7 Onofrius Setzstab aus Zürich, berüchtigter Reisläufer, war ein lautstarker Gegner Zwinglis und der Reformation. 1526 wegen eines Spottliedes auf Zwingli aus Zürich verbannt, hielt er sich u. a. in Luzern auf. Megander spielt auf Setzstabs Inhaftierung in Zürich im Sommer 1532 wegen Schmähredens an. Am 30. Oktober wurde er, nach Fürsprache der V Orte, milde verurteilt zu Widerruf und Hausarrest (EA IV/1b 1400.1424 und AZürcherRef 1901). — Lit.: ASchweizerRef, Reg.; HBRG I 427f; Farner IV 99; HBLS VI 354.


Briefe_Vol_02_0243arpa

Bernae, 22. septembris, a prandio hora 3., anno 32.

Ca. Megander

ex animo vester.

Has literas et Bullingero et Erasmo lectum dabis.

[Adresse auf der Rückseite:] Leoni suo apud Tigurum, Bullingero et Erasmo, fratribus charissimis.