Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1961]

[Ambrosius Blarer] an
Bullinger
[Konstanz],
28. August 1544

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 650 (Siegel) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 278f, Nr. 1109

Bedankt sich für die Nachrichten; gleich darauf wurde gemeldet, dass Kaiser [Karl V.]Saint-Dizier erobert habe und nun auf Paris ziehe. [Franz I. von] Frankreich und [Heinrich VIII. von]England sollen Frieden geschlossen haben; der früher erwähnte [Jörg]Knöringer ist von einem Kriegszug zurückgekehrt. [Hans] Welser berichtete, dass [Cheireddin]Barbarossa [um] Neapel großen Schaden angerichtet, aber den Kirchenstaat verschont hat; aus Ungarn gibt es keine Nachrichten. Die Truppen [Heinrichs] von Braunschweig haben sich mangels Bezahlung aufgelöst. Zu [dem Anschluss Konstanz' an die Eidgenossenschaft?] ein anderes Mal. Die [Konstanzer] senden aus ihm unbekannten Gründen einen Patrizier zum Kaiser. Bittet um Übergabe eines Briefes an den Chirurgen Jakob Ruf den er unter Verschweigung von Blarers Namen ermahnen soll, wie versprochen für die Witwe [...] seines Bruders [Michel Ruf?] und deren zwei Kinder [...] zu sorgen; Bullinger soll ihn drängen, sich der Sache anzunehmen, da sonst die Witwe die Kinder zu Ruf [nach Zürich] schicken wird.

Sonders vertrauwter, lieber herr und bruder. a Der mittgetailten zeytung 1 bedanck ich mich zum flyssigsten, und ist die zeytung der gestalt hie ouch gewest und aber glich daruff bottschafft kommen, das kai. mt. 2 S. Desiderio nach ettlich verlornen sturmen erobert und alles, das da gewesen, erwurgt und verderbt hab, 3 seye yetzund weyter zogen des vorhabens, nitt nachzelassen, byß ers nach seinem willen habe, und rucke ye mehr und mehr uff Pareyß 4 . Aber es steht alles inn der hand des wunderbarlichen gottes, der erhöcht und nidert nach sinem gefallen; 5 er seye unß gnedig.

Die by dem konig von Engeland 6 gewesen, sind ouch widerkomen, 7 gebend aigentlich für, es seye ain fryd zwuschen disen zwayen konigen Franckreych 8 und Engeland, 9 habend wenig gellt haim gebracht. Der Knöringer 10 , so dann im Turgöw nitt weyt von unß sytzt, von dem ich euch vormals geschriben 11 , das der landvogt 12 ainem [ka]iserischen b botten 13 , so

a Darüber von Bullingers Hand: Costantz.
b Am Rand nachgetragen und im engen Einband verdeckt.
1 Nachricht. -Ein solcher Brief ist nicht erhalten.
2 Karl V.
3 Zur gewaltlosen Kapitulation Saint-Diziers am 17. August 1544 s. Rozet/Lembey 145-163; Paillard 245-263; Du Bellay, Mémoires IV 255-257; PC III 532.
4 Der Kaiser rückte tatsächlich auf Paris vor; s. Cardauns 341.
5 1Sam 2, 7; Ps 75 (Vulg. 74), 8; Dan 2, 21.
6 Heinrich VIII.
7 Es geht wohl um zurückkehrende Truppen.
8 Franz I.
9 Das Gerücht ist falsch.
10 Jörg Knöringer.
11 Zu Jörg Knöringer s. oben Nr. 1907, 2-41 mit Anm. 3.
12 Melchior Heinrich.
13 Unbekannt.


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inn gesucht, gefencklich angenomen 14 und im etlich gellt genomen hett, ist ouch wider kommen, hat c ver 15 ettlich 1000 cronen by dem konig 16 erobert. Yetzund ist er wider inn gewesen; sind wunderbarlich leut.

So ist gewisß, das der Barbarossa 17 treffelichen schaden in Napleß thon hat, ettlich flecken gar verhert und verderbt und ob 18 1500 christen hingefürt 19 , aber in des papst 20 land gar nieman belaidiget. 21 Schreibt mir der herr burgermaister Welser von Augspurg. 22 Ausß Ungern hört man gar nichts diser zeyt.

Des hertzog von Braunschweygs 23 volck ist alles verflogen und zerstoben, sind ubel bezalt und desshalb ubel zufriden. Kaiser hat inn ettlich mal abgemandt. Hat nichts beschossen, byß sy armut seib getrungen, von irem fürnemen abzeston. 24

De nostro negocio alias. 25 Utinam sit inter vestros arctissimum pacis vinculum! 26 Mittunt nostri nunc ad caesarem, quod in sinum tuum effundo; cuius rei caussa, prorsus ignoro nec quicquam a quoquam expiscari possum. 27 Non est ex senatorum numero, qui mittitur, sed patricius 28 tamen, qui et linguam callet et rerum est satis peritus. Lubenter autem mihi persuadeo, quicquid illud est, quod agitur, nihil esse, quod vobis, utinam etiam nobis, fraudi esse possit. Si quid posthac intellexero, curabo, ut quamprimum resciscas.

Vale.

28. d augusti 1544.

c Vor hat unlesbar gemachte Wörter.
d 28 korrigiert aus 18.
14 gefangen genommen.
15 voriges Jahr.
16 Wohl Franz I.
17 Cheireddin Barbarossa.
18 über.
19 verschleppt.
20 Paul III.
21 Vgl. Paulo Giovio, Historiae sui temporis II/2, Rom 1985. -Opera V, S. 208f; Cardauns 330.
22 Ein Brief Hans Welsers an Blarer ist nicht erhalten.
23 Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel.
24 Vgl. zuletzt Nr. 1940 mit Anm. 13. - Es handelt sich um Werbungen für die Kämpfe Herzog Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel gegen Franz von Waldeck, den Bischof von Münster. Möglicherweise sind hier diejenigen Knechte gemeint,
die sich im Juni bei Elten am Niederrhein versammelt hatten, um gegen den Bischof zu ziehen; s. Hans-Achim Schmid, Landsknechtswesen und Kriegführung in Niedersachsen 1533-1545, in: Niedersächsisches Jahrbuch 6, 1929, S. 219; PA III 263. Zur Situation s. Wilhelm Kohl, Das Bistum Münster, Bd. 7/1: Die Diözese, Berlin-New York 1999, S. 222f; ebd., Bd. 7/3: Die Diözese, Berlin-New York 2003, S. 568. -Germania sacra NF 37/1 und 37/3.
25 Blarer meint sicher den Anschluss von Konstanz an die Eidgenossenschaft; s. zuletzt oben Nr. 1948, 1-9.
26 Vgl. Eph 4, 3.
27 Vielleicht handelt es sich um Verhandlungen um den Erlass oder zumindest einen Nachlass der Türkenhilfe; vgl. Burkhardt/Dobras/Zimmermann 128; unten Nr. 2041, Anm. 5.
28 Hieronymus Hürus; s. unten Nr. 2054, 44-50.


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Multum te obsecro, ut vocato ad te Iacobo Ruff 29 , chirurgo vestro, epistolam hanc 30 , quam hic sibi inscriptam vides, reddas exhorterisque, ut relictam fratris sui viduam cum duobus liberis 31 ita, ut par est, curare velit. Receperat superiore anno fratriae se 13 fl. quotannis missu-||650v. rum, sed nihil praestitit. Urge autem, ut literis istis fratriae suae nomine scriptis quam primum respondeat ac per te huc mittat. Nisi enim adiuvet nepotem et neptem ex demortuo fratre, mater hos istuc mittel. ut ipse alendi et educandi illos e pio more vestrae urbis rationem ineat. Non indicabis viro me ista ad te scripsisse, sed alium quendam insignem Constantiensem. Rem feceris non mihi solum, sed ipsi Christo gratissimam, nam valde afflicta est gravissima cruce mulier.

[Adresse darunter:] Excellenti valde viro d. H. Bullingero, colendo suo atque charissimo fratri. Zürich.

e illos über der Zeile nachgetragen.
29 Jakob Ruf (Ruff, Ruef, Ruof, Ryef, ca. 1505 -1558) wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Konstanz auf und trat nach dem frühen Tod seiner Eltern in ein Kloster in Chur ein. Spätestens 1526 befand er sich wieder in Konstanz, erlernte das Schererhandwerk und heiratete mit der Wilerin Kleophe Schenkli in eine angesehene Familie ein. 1532 stellte ihn der Zürcher Rat als Stadtwundarzt ein und erteilte ihm das Bürgerrecht. Neben seiner äußerst qualifizierten praktischen Tätigkeit verfasste Ruf auch medizinische Fachwerke wie das bekannte Hebammenlehrbuch "Trostbüchlein" (1554), aber auch populäre Literatur und Theaterstücke wie "Etter Heini" (ca. 1538), "Das lyden unsers Herren Jesu Christi das man nempt den Passion" (1545), "Wilhelm Tell" (1545) und das "Konstanzerlied" (1548). - Lit.: Jakob Ruf. Leben, Werk und Studien, hg. v. Hildegard Keller, 5 Bde., Zürich 2008 (zur Biographie bes. Bd. 1); Robert Wildhaber, Jakob Ruf. Ein Zürcher Dramatiker des 16. Jahrhunderts, St. Gallen 1929; HBLS V 752; Georg von Wyß, in: ADB XXIX 591-593; Gundolf Keil, in: NDB XXII 216f.
30 Nicht erhalten.
31 Es ist unklar, ob es sich hier um Michel oder Thyas (Thias, Mathys) und deren jeweilige (unbekannte) Witwe und Kinder handelt. In den Kinds- und Waisenrechnungen im Stadtarchiv Konstanz lassen sich sowohl die Kinder von Michel Ruf, Michel und Anna (J VI 17, Nr. 154), wie auch die Kinder von Thyas Ruf, Thyas, Endlis, Heinrich und Michel (J VI 7, Nr. 50. 130. 192; J VI 8, Nr. 20. 102; J VI 9, Nr. 111. 181. 276) ermitteln, es gibt jedoch keine Einträge zu den 1540er Jahren. Während die Kinder von Thyas zwischen 1527 und 1538 mehrmals erwähnt sind, erscheinen die Kinder von Michel nur im Jahr 1551. Doch die im Brief erwähnte Zahl der Kinder (zwei) und die Tatsache, dass Rufs Gemächtsbrief von 1555, der seinen Reichtum illustriert, nur Thyas (und zwar nicht als selig) erwähnt, sowie "zweyen sinen Bruders kinden zu Costanntz gesessen", spricht hier eher für die Kinder von Michel (StA Zürich, B IV 312, f. 273r.-275v., bes. 273r.; Druck in: Jakob Ruf: Leben, Werk und Studien, hg. v. Hildegard Keller, 5 Bde., Zürich 2008, Bd. 1, S. 194-198, bes. 194).