Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2041]

[Ambrosius Blarer an
Bullinger]
[Konstanz,
um den 29. November 1544]

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 731f (Beilage ohne Siegel) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 333-334, Nr. 1153 2

[Rat und Bürgermeister von Konstanz] haben schon seit mehr als acht Wochen [Ludwig Kürnstaller]wahrscheinlich wegen der Türkensteuer und den anderen abzutragenden Anlagen [d.h. Steuern] zu König Ferdinand gesandt. Nachdem die Herren [von Konstanz]aufgefordert wurden, den Reichstag zu Worms zu besuchen, haben sie beschlossen, Blarers Vetter Konrad Zwick, dem dies jedoch widerstrebt, dorthin zu verordnen; die [schmalkaldischen] Verbündeten werden sich in Worms etwas früher versammeln. Der Kaiser [Karl V.]soll etwas gegen die Eidgenossen planen; er habe deshalb dem [Kammerprokurator-]Fiskal [Valentin Gottfried] geschrieben, dieser möge einen Grund zur Anklage finden; da [die Eidgenossen eine finanzielle Beteiligung an den Reichsangelegenheiten]abgeschlagen haben, werde er die Stände auf dem kommenden Reichstag dazu bewegen, die Reichsacht gegen sie zu verhängen; er wird auch Hilfe gegen sie beanspruchen; es besteht die Gefahr, dass man ihm diese zupricht, wie zuletzt gegen [König Franz I.], als der Kaiser aus einer Privatangelegenheit eine öffentliche Angelegenheit machte; sollte dies zutreffen, dann ist es um die [Eidgenossenschaft] und um [Konstanz] geschehen; Gott ist jedoch mächtiger. Es wäre gut, wenn man sich enger zusammentäte; denn wenn Kaiser und Frankreich sich zu sehr einigen, wird es ernst für [die Eidgenossenschaft und Konstanz]; solange der Kaiser die Eidgenossen nicht mattgesetzt hat,

19 Anspielung auf oben Nr. 2034, 22.
1 Die Angabe (Z. 3. laut welcher der von Konstanz zu König Ferdinand I. mit einer vom Rat am Mittwoch, den 1. Oktober 1544 verfassten Supplikation (s. unten Anm. 5) geschickte Ludwig Kürnstaller (s. Anm. 3) schon mehr als 8 Wochen unterwegs sei, spricht für ein Verfassungsdatum dieser Beilage zwischen Donnerstag, dem 27. November, und Dienstag, dem 2.
Dezember 1544. Die weitere Angabe (Z. 42), dass der erwähnte Gesandte während des Schreibens heimkehrte, sowie die ermittelte Angabe (unten Anm. 38), dass dieser über seine Reise am Montag, den 1. Dezember, vor dem Rat Rechenschaft ablegte, sprechen für Samstag, den 30. November, als wahrscheinliches Verfassungsdatum.
2 Dort irrtümlich dem Brief unten Nr. 2050 zugeordnet.


briefe_vol_14_562arpa

ist er nicht Herr über Deutschland, da er einen Zusammenschluss zwischen [Konstanz] und den Eidgenossen zu befürchten hat; deshalb wird er die Hilfe der [Reichs-]Städte und -Stände gegen die Eidgenossen beanspruchen; [kämen diese ihm entgegen], würden sie sich selbst schaden, da er im Falle eines Erfolgs alles andere ohne Mühe beanspruchen wird; Gott mache die Ratschlüsse der Fürsten zunichte; ach, wären die Eidgenossen in der Glaubensfrage einig! Eben kommt [Ludwig Kürnstaller] aus Wien zurück; er berichtet, dass König [Ferdinand I.] sich [Konstanz]gegenüber gnädig erwies und [Hans Lochinger], dem [Reichskreisgeneraleinnehmer] der Anlagen, wie auch dem Fiskal [Valentin Gottfried]geschrieben hat, alle Verfahren ruhen zu lassen bis auf weiteren Bescheid des Kaisers. Der Gesandte, der auch von den feindlichen Plänen des Kaisers gegen die Eidgenossen gehört hat, ist der Meinung, dass der Kaiser dafür keine Unterstützung finden werde; auch [König Franz I.] wird sich ihm dabei nicht behilflich erweisen. Die [österreichischen] Erblande versprechen 22 Tonnen Gold für den Türkenzug; in Wien [prophezeit] ein unbedeutender Mensch [...], dass Gott die Stadt dem Türken übergeben will; doch keiner beachtet ihn, wie einst in Rom; der König fährt täglich sorglos mit Frau [Anna Jagiello] und Töchtern im Schlitten aus; und das Herzogtum Österreich ob der Enns verlangt vergebens nach Gottes Wort.

[Brieftext fehlt.]

[Beilage:] Meine herren haben ain vertrauwten mann 3 zu dem könig Ferd[inand]abgefertiget; ist yetzund mehr dann acht wochen ausß; nitt waiß ich, wann er kompt 4 oder was er ausrichten wurt; achten, es seye von der Turcken stur und der anderen anlag halber, die abzetragen. 5

So habend sich mine herren entschlossen, nachdem sy ernstlich erfordert worden, disen ausgeschribnen reychstag zu Wurmbs 6 zu besuchen, und minen lieben vetter Conrat Zwicken darauff verordnet, 7 dem die sach uss vyl ursachen treffelich 8 schwär ist; dann man acht, es werde ain gantz treffelicher und spytziger 9 reichstag. Darum bitten gott von hertzen, das er alles züm besten gnedigklich schicken welle. Die Ainungsverwandten' 10 werden

3 Den Raiteschreiber Ludwig Kürnstaller; vgl. Dobras, Ratsregiment 92.
4 Vgl. unten Z. 42.
5 Der städtische Haushalt von Konstanz war zum einen infolge der Pest von 1540 bis 1542 schwer belastet, zum anderen durch die hohen Beiträge an den Schmalkaldischen Bund und die gleichzeitig erhobene Türkensteuer, so dass sich der Rat um einen vollkommenen Erlass bzw. wenigstens um einen Nachlass dieser Reichsanlagen bemühen musste und sowohl an den Kaiser (s. oben Nr. 1961, 27-30) als auch an König Ferdinand Gesandte mit Supplikationen schickte; s. Heuschen 155; Burkhardt/Dobras/Zimmermann 128. Die Supplikation an den Kaiser von etwa Ende Juli 1544 befindet sich in Konstanz, Stadtarchiv, Ref. A. 23, f. 267r.-271v. Die Ludwig Kürnstaller anvertraute Supplikation
an König Ferdinand vom 1. Oktober 1544 ebd., f. 317r.-319v.
6 Siehe oben Nr. 1980, Anm. 22.
7 Konrad Zwick erhielt zusammen mit Thomas Blarer und Matthäus Molckenpur im November 1544 den Auftrag, eine Instruktion für den kommenden Reichstag zu erarbeiten (s. RTA JR XVI/1 324, Anm. 1). Konrad Zwick und Thomas Blarer sollten sich später dieser Aufgabe entziehen; entsandt wurden schließlich der städtische Unterschreiber Matthäus Molckenpur und der Raiteschreiber Ludwig Kürnstaller; s. Burkhardt/Dobras/Zimmermann 128; Dobras, Ratsregiment 93.
8 außerordentlich.
9 schwieriger.
10 Die Verbündeten des Schmalkaldischen Bundes.


briefe_vol_14_563arpa

zu Wurmbs etwas früer zusamen kommen, dann der rychstag angat, und ettlicher sachen halber ain aignen tag halten. 11 Der herr lass es alles zu seiner glory und ehre gerathen; es sind alls schwer, sorglich löff 12 , das wir billich 13 ze leben verdruss sollten haben und unß fröwen 14 an dem a vatterland. 15

Ich vernym von ettlichen, der kaiser 16 seye vorhabens, etwas wider die aidgnossen fürzenemen. Habe 17 ouch darum dem fiscal 18 dermassen schreiben lassen, 19 damitt er 20 ansprach 21 finde; und, die wyl abschlegige antwurt gefallen, 22 seye er 23 willens, uff kunfftigem rychstag den stenden sölichs furzehalten und ain gemaine reychsach daruß zemachen mitt beger ainer hilff vom reych wider die aidgnossen alls die ungehorsamen, und die ir pflichtig schuld nitt laisten wellind. 24 Man sorget ouch, das reych werde im die hilff erkennen, wie nechermal mitt dem Frantzosen 25 ouch beschechen, 26 do der kaiser ausß der privat sach ain gmaine sach gemacht hat. Beschicht 27 es dann, so ist der weg schon gemacht zu ewerm und unserm verderben, menschlich davon ze reden. Aber gott ist stercker dann alle; der welle gnedigklich alls ain vatter auff unser seyten sein. 28

Menschlich diente wol zur sach, das man die rücken dapfer zusamen thäte. 29 Werden kaiser und Frankreich zewol 30 ains, würt sin der dritt man

a In der Vorlage das.
11 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen hatten einen Schmalkaldischen Bundestag und eine Versammlung der Braunschweigischen Defensionsverwandten für den 10. Dezember 1544 in Worms angesetzt. Die Ausschreibung nennt als Anliegen sowohl die Abrechnung der Unkosten des Feldzuges gegen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel als auch die der Besetzung und Verwaltung des Herzogtums; s. RTA JR XVI/1 82f.
12 Zeiten; Entwicklungen.
13 mit Recht.
14 freuen.
15 Vgl. Hebr 11, 14. 16.
16 Karl V.
17 Der Kaiser.
18 Valentin Gottfried war Kammerprokuratorfiskal (anwaltlicher Vertreter des Königs) am Reichskammergericht (wir danken Herrn Michael Kuthe, Stadtarchiv Konstanz, für freundliche Auskunft); vgl. RTA JR XVI/1 passim; EA IV/1d 443.
19 Nicht ermittelt.
20 Valentin Gottfried.
21 Grund zur Anklage (SI X 722).
22 Die Eidgenossen hatten sich geweigert, die Kriegszüge gegen Frankreich und die Türken zu unterstützen; s. EA IV/1d 389f. 393 i. 397f.
23 Karl V.
24 Diese Angelegenheit wurde an den Tagen zu Baden vom 10. November und 14. Dezember 1544 besprochen; s. EA IV/1d 418f a. 425f. 435f f. 442f. -Die Eidgenossen schrieben diesbezüglich dem Kaiser am 18. Dezember 1544; s. EA IV/1d 443. - Zur Gefahr eines kaiserlichen Angriffes s. EA IV/1d 421 n. 435 a.
25 König Franz I.
26 Man befürchtet, dass das Reich ihm wie zuletzt gegen Franz I. die Hilfe leisten werde.
27 Geschieht.
28 Vgl. 2Chr 32, 8; Neh 4, 20; Ps 37; Jer 31, 9; Röm 8, 31.
29 Am 14. Dezember 1544 wurde am Tag zu Baden vor der drohenden Gefahr ebenfalls der Wunsch geäußert, "die Bünde allenthalben zu erneuern und zu schwören"; s. EA IV/1d 435 a.
30 zu sehr.


briefe_vol_14_564arpa

nitt gelachen. 31 ||732 So sorget der kaiser, er mög nitt herr werden in Tütschland, die aidgnossen seyen dann vor ingethon 32 ; dann er muß förchten, die statt 33 und aidgnossen hencken sich anainander. 34 Darum würt er die sach allso angreyffen, das die stett und ander stend selbs helffen, die aidgnossen gehorsam zemachen. Damitt machen sy inen ain ruten uber iren aignen hindern; 35 dann nachmals 36 so dem kaiser wider die aidgnossen gelingen sollt, wurde er on sonder müh das ander alles behopten. Sed dominus dissipat consilia principum. 37 Er wirt weyß und starck gnug sein, die sach zu erhalten. Ach, das ain lobliche aidgnoschafft ainig were in des gloubens sachen! Wievyl treffelicher leut und stend wurden willen zu inen haben! O gott fügs!

Yetzund, so ich diß geschriben hab, kompt der gesandt 38 , so von miner herren wegen zu Wien gewesen ist, widerum. Vernym ich sovyl, das sich der könig 39 gantz gnedigklich erzögt hat etc. Ouch dem General inziecher der anlag 40 , desgleichen dem fiscal 41 zugeschriben. 42 mit allen processen stillzestehn, byß uff wyter kai. mt. beschaid. 43 Was das bedeute, kan ich nitt gedencken. Gott behüt unß vor zu vyl gnad by der wellt, das wir nitt in sein ungnad dardurch gerathind 44 ! Diß behalten bey euch selbs; es wissen wenig leut davon. b

Es sagt diser gesandter ouch, das er vernemme, es solle etwas wider die aidgnossen fürgenomen werden; 45 und seye gewisß, das der kaiser kainen leuten find etc.; es werde ouch der Frantzoß stillsitzen etc. Ich will mitt

b Von Diß bis davon auf dem Rande nachgetragen.
31 Wenn sich Kaiser Karl V. und König Franz I. einigen, dann wird der dritte Mann (die Eidgenossen) über seine eigene Lage nicht in Lachen ausbrechen.
32 die aidgnossen seyen dann vor ingethon: es sei denn, die Eidgenossen seien zuvor matt gesetzt.
33 Konstanz.
34 Vgl. oben Nr. 1917, 2-13; 1919, 2-45. 59-75; 1948, 1-9; 1961 mit Anm. 25.
35 Vgl. Wander III 1782f.
36 nachher.
37 Vgl. Ps 33 (Vulg. 32), 10: Sed dominus dissipat consilia gentium.
38 Ludwig Kürnstaller; s. oben Anm. 1. 3. - Konstanz, Stadtarchiv B I 51, Ratsbuch 1544, f. 198v.: "Montags nach Andrée [Andree: Sonntag, 30. November 1544] den 1. Decembris. Ludwig Kurnstaler hatt anfangen, was er bei der Rö[misch]
K[önigliche]n M[ajestä]t von wegen der uffgelegten anlagen gehept, relation gethan".
39 Ferdinand I. von Österreich.
40 Hans Lochinger war der [Reichs]kreisgeneraleinnehmer (wir danken Herrn Michael Kuthe, Stadtarchiv Konstanz, für freundliche Auskunft).
41 Valentin Gottfried; s. oben Anm. 18.
42 Das Schreiben von König Ferdinand I. an den Generaleinnehmer Hans Lochinger findet sich in Konstanz, Stadtarchiv, Ref. A. 23, f. 325r.-326v., Nr. 37. Es datiert vom 9. November 1544. Das Schreiben an den Fiskal Valentin Gottfried wurde nicht ermittelt.
43 Zum Stillstand der Anlagen s. die in Konstanz, Stadtarchiv, Ref. A. 23, nach der Supplikation an König Ferdinand vom 1. Oktober 1544 (s. oben Anm. 5) eingeordneten Dokumente.
44 Vgl. Lk 6, 26; Joh 15, 19.
45 Vgl. oben Z. 17-23 mit Anm. 24.


briefe_vol_14_565arpa

allem fleyß wachen und, bald ich etwas recht grundtlichs erfar, euch on verzug wissen lassen.

Die erbland 46 daniden 47 haben bewilligt, wann der Turckenzug angang, wellen sy die 22 tunnen gold erlegen. 48 So geht ain schlechter 49 mensch 50 zu Wien um in der statt; der rüfft für und für 51 , gott well die statt dem Turcken geben; aber man achtet sin nichts wie ouch zu Rom. 52 Der konig fert schier 53 all tag im schlitten um mitt der kunigin 54 und den jungen fröwlin, seinen tochteren; 55 lasst vögelin sorgen 56 . Die ob der Ens 57 halten für und für an by dem konig um gottes wort; mögend aber nichts erlangen. c 58

[Ohne Adresse.]

c Darunter von Traugott Schieß' Hand (s. aber oben Anm. 1): 1544 Dec. ca. 25.
46 Die österreichischen Erblande.
47 da unten.
48 "zur Einigung kam es 'allein aus Gehorsam gegen den König' erst am 9. Dezember. Bewilligt wurden 400'000 Gulden, wovon auf Innerösterreich 210'000, auf die übrigen österreichischen Länder der Rest entfiel"; s. Johann Loserth, Innerösterreich und die militärischen Maßnahmen gegen die Türken im 16. Jahrhundert, Graz 1934. - Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark XI/1, S. 44.
49 unbedeutender.
50 Nicht ermittelt.
51 für und für: immerfort.
52 Vielleicht eine Anspielung auf Melanie d.Ä., die ihre reiche römische Patrizierfamilie vergeblich vor der Gothengefahr warnte und diese von einem Auszug aus Rom zu überzeugen versuchte.
53 fast.
54 Anna Jagiello von Böhmen und Ungarn.
55 Von den Töchtern König Ferdinands I. lebten damals: Elisabeth (1526-1545), verheiratet 1543 mit Sigismund II. August, König
von Polen; Anna (1528-1590); Maria (1531-1581); Magdalena (1532-1590); Katharina (1533-1572); Eleonore (1534-1594); Margarethe (1536-1566); Barbara (1539-1572); Helena (1543-1574). -Außer der ältesten Tochter kommen alle anderen hier in Frage.
56 lasst vögelin sorgen: er macht sich keine Sorgen; s. Wander IV 1669, Nr. *579.
57 Das Herzogtum Österreich ob der Enns (Oberösterreich).
58 Auch wenn an einigen Orten dieses Herzogtums die alten Kirchengebräuche bereits durch einen neuen Gottesdienst ersetzt waren und das Ergebnis der im Jahre 1544 von Ferdinand beauftragten Kirchenvisitation für die alte Kirche nicht von Vorteil war, wurde die von den Landständen ob der Enns erwünschte Religionsreform nicht bewilligt; während Jahrzehnten musste man sich in diesem Gebiet mit einer nicht offiziell anerkannten Kompromisssituation begnügen; s. Karl Eder, Glaubensspaltung und Landstände in Österreich ob der Enns 1525-1602, Linz a. d. Donau 1936. -Studien zur Reformationsgeschichte Oberösterreichs 2, S. 54-63.