Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[582]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
10. Mai 1535

Autograph: Zürich StA, E II 360, 17 (Siegelspur) Ungedruckt

Hat Bullingers Briefe erhalten und äußert Verständnis für dessen durch Krankheit und Arbeitsüberlastung bedingtes längeres Schweigen; rühmt sein weit über Zürich hinausreichendes Wirken. Megander hat ihm einen Brief Bullingers gezeigt und vom Treffen mit Leo [Jud] berichtet; daß die Sache nicht vor den Rat kam, ist allein Haller zu verdanken. Bittet Bullinger, die Uneinigkeit der Basler zu schlichten. Ein geeigneter Nachfolger für Franz [Kolb] und auch für ihn selbst ist nicht in Sicht; wäre Bullinger vielleicht doch bereit, nach Bern zu kommen? Bittet ihn um Zusendung seiner [Karlstagsrede]. Hätte sein Amt niedergelegt, wenn ihn Schultheiß von Wattenwyl nicht zum Bleiben überredet hätte. Kann ihm Vives' "De subventione pauperum" nicht beschaffen. Deutet Befürchtungen bezüglich des Klostergutes an. Bittet um Vertraulichkeit.

7 Zum Kreistag in Worms vgl. unten Nr. 583, 10-13.
8 Die Nachricht von einem geplanten Anschlag auf Colmar scheint auf den Aussagen gefangener Täufer zu beruhen, vgl. EA IV/1c 495. Zum Auftreten von Täufern in Colmar s. unten Nr. 583. 20-22 mit Anm. 17.
9 Gemeint ist wohl Uli Bruder, der Untervogt von Hausen am Albis; vgl. oben Nr. 569, 9-12.
10 Unbekannt.
11 Bucer kehrte erst Anfang Juni nach Straßburg zurück, vgl. Rott, Corr. de Bucer, Liste 98.


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S. Quantum doluerim, quod tot diebus ad me nihil scripseris, charissime frater, ex proximis per Burcardum missis 1 intellexisti. Dolorem partim mitigavit, quod literas iam dudum paratas in aprili non acceperim - interim et aliae iam per Studerum S. Gallensem in via erant 2 —, partim auxit valetudo tua sinistra, dum a scribis te febribus laborare et tot laboribus et nimiis et intempestivis ita adobrui, ut quod non praestiteris tam ecclesiis quam fratribus, non possis. Dominus vires restauret et addat, ut quod in sui nominis gloriam et multarum ecclesiarum edificationem cepisti, suis etiam auxiliis perficere possis. Agnosce te, mi Henrice, veluti organum et instrumentum domini, quo non solum erga Tigurinos, sed et Germanos, Gallos, Anglos et quosque divinae veritatis cupidos in sui cognitionem et nostri salutem utitur. Citra adulationem scribo: Te non agnosco Tigurinorum apostolum tantum, sed et totius ecclesiae. Perge igitur, dum potes, in opere tuo Paulino, et facies deo et mundo rem gratissimam. Precibus non solum meis, sed et ecclesie tibi nunquam deero, nec deerunt et alii, qui per dominum tua opera adiuvantur. Omnia debeo domino, Zvinglio, Oecolampadio et Lutero multa, tibi vero maxima. Tametsi iam 16 ferme annis Bematum contionatorem egerim 3 , plus tamen profectus sensi post calamitosum bellum atque ab eo tempore, quo me instituendum suscepisti 4 , quam antea per multos annos. Unum mihi deest, quod te coram audire non possum. Habes aestum amoris mei in te iterum atque iterum effusum, et ita vere, quam vere cupiam mihi deum fore iudicem propicium in magno illius die, nec me quicquam magis turbat, quam cum silentium aliquamdiu intercessent. Semper enim timeo male feriatos homines nostram amiciciam fedasse.

Ceterum Megander suas quas scripsisti literas 5 ostendit in oppido Bürren 6 , ubi ipsum redeuntem conveneram. Leonem commendavit 7 et post multa lachrimas extorsit, quod ego neutrum vestrum convenire potuerim. Das muß ich aber nochte 8 dir allein schriben, wenn ich nitt wär gsin, so wär der handel 9 glych uff üwer antwurt für rat kummen und nitt ad familiare colloquium. Nun fügts gott immerdar, wie fast 10 ich trib zu einikeit, daß ich allwäg dahinnen ston.

a dum aus quod korrigiert.
1 Oben Nr. 580. Zum Boten s. Nr. 557, Anm. 9.
2 Beide Briefe sind verloren. — Franziskus Studer hatte nach dem Brand an der Spitalgasse eine Spende der Stadt St. Gallen überbracht, vgl. oben Nr. 578, 18-20.
3 Haller war seit dem 11. Mai 1519 Leutpriester am Berner Münster, vgl. Lohner 14.
4 Der intensive Gedankenaustausch zwischen Haller und Bullinger hatte kurz
nach dem Zweiten Kappelerkrieg begonnen, vgl. HBBW I, S. 205, Anm. 1.
5 Der Brief Bullingers an Megander ist nicht erhalten. Haller erhielt eine Kopie davon; vgl. unten Nr. 609, 4-7.
6 Büren an der Aare (Kt. Bern).
7 Megander hatte Leo Jud in Brugg getroffen, vgl. oben Nr. 581, 7-9.
8 denn doch, freilich (SI XIII 42-47).
9 Ob damit die Auseinandersetzung über die Abendmahlsfrage gemeint ist, wie der Zusammenhang nahelegt, bleibt unsicher.
10 sehr.


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Nun, lieber Heinrice, Rudolf Fry von Basel hatt uff hüt ettlich wägen mitt kernen an unser brunst ze stür bracht 11 , zeigt an uneinikeit fratrum Basiliensium 12 . Wellist dir die sach lassen befolhen sin, daß si hinwägton werde, und schiede 13 nütt, daß du selbs in irem sinodo erschinest, darinn die sach aber 14 für die hand soll gnummen werden praesente Capitone 15 . Jedoch weiß ich wol, daß dir umb disen handel meer ze wissen dann mir.

By unß statt es utcunque. Franci 16 mag nimmen predigen, also ist imm ein kropf gewachsen. Wir werdent beed 17 mitt hilf Rellicani, der jecz zweymal prediget, die nächste fronfasten 18 das beest thun. Sed quid de te, lieber, mag man dich nitt von Zürich bringen, diewil doch so vil üwer der gelerten, by unß niemand? Lieber, thur[!] dich einmal uff und zeig doch an, wie es möglich oder unmüglich, dann es ist by unserm magistrat die reed, wo ich dinen begerte, dir anhielte, wurdist es nitt abschlahen, allein zeigtist an fückliche mittel, semlichs 19 ze erwerben. Tu scis ingenium Megandri; sölte der ander ouch ein söllichen kopf han, so wäre es bschähen. Schlechtlich, sie beed werdent die auctoritet wäder vorm volck noch magistrat nitt han, daß si neiswas 20 ussrichtind, utcunque docti sint. Ego perpetuo deficio. Quodsi vel mihi non successerit vel iuxta me et vivo me provinciam receperit aliquis, nescio, ubi illum vocare possit ecclesia. Ich bin gar bestanden 21 , weiß nitt wo hinusß. Simon 22 hett nitt das gspräch 23 zur predig in unser gross münster; förcht, werde Rellicano ouch manglen. Nun wurde ich mich prediges nitt widren 24 , wenn ich einn hetti, der mir ouch ander ding abnem. Megander ist blöd 25 , schonet träffelich sin selbs. Das kann ich nitt, man lat mir nitt der wil 26 , ob ich schon gar ze bett lig. Geliepter bruder, wellist die ding bedencken und mir doch zuschriben, wie doch den dingen ze thund. Deinde, quae de moderatione servanda in negocio providentiae, praedestinationis et liberi arbitrii scripsisti 27 , si non excuduntur, obsecro ad me mitte. Nam non ignoras, quae ante annos aliquot ea de re ad me scripseris et ego vicissim ad te 28 .

11 Die von Hans Rudolf Frey überbrachte Spende Basels bestand aus 60 Säcken Korn, vgl. Anshelm VI 230.
12 Nämlich in der Frage des theologischen Doktorgrades, vgl. oben Nr. 507, Anm. 7.
13 schadete.
14 wieder, erneut.
15 Die Synode (von deren Verhandlungen kein Protokoll erhalten ist) fand am 11. August 1535 statt, Capito kam jedoch erst gegen Ende dieses Monats nach Basel; vgl. Gauß, Grynäus 107f.
16 Franz Kolb.
17 Haller und Megander.
18 Gemeint ist das Sommerquartal, vgl. unten Nr. 600, 20f.
19 solches.
20 irgend etwas (Grimm VII 593).
21 ratlos (SI XI 710-712).
22 Simon Sulzer.
23 die Stimme (vgl. Grimm IV/I 2 4161).
24 widersetzen.
25 schwach.
26 Muße (Grimm XIV/I 1 792).
27 Gemeint ist Bullingers (erst 1667 gedruckte) Karlstagsrede vom 28. Januar 1535 (HBBibl I 721); vgl. unten Nr. 592, Anm. 2.
28 Siehe HBBW II, S. 79; vgl. ebd., S. 123, 2-4.


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Noch eins: Ich bin diss fasten in willen gsin, und noch nach ostern, min provincz hie ze verlassen, jedoch hett mich schultheiß von Wattenwil wider beredt.

Vivem De subventione pauperum 29 kan ich ze Basel nitt finden.

Der tüfel wirt unß bschißen 30 mitt dem clostergutt.

Satis nunc est. Lieber, lasß es by dir bliben, was ich hie schriben. Ich wil im nächsten schriben baß 31 erlütren und dir din copy 32 wider schicken. Habe me tibi semper commendatissimum.

Vale. Dominus te restituat sanitati pristinae, ut ecclesiae suae commodare possis.

10. maii anno 35.

Tuus totus ex animo,

quantus et quantulus est,

B. H.

[Adresse auf der Rückseite:] Heinrico Bullingero, ecclesiae Tigurinae antistiti, fratri suo charissimo.