Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[600]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
24. Juni 1535

Autograph: Zürich StA, E II 360, 25 (Siegelspur) Ungedruckt

Klagt über Verschlimmerung seines Bruchleidens. Hat auf Anfrage des Rats mit Kaspar [Megander] über mögliche Nachfolger für Franz [Kolb] beraten und Rhellikan, Peter Kunz sowie Heinrich Möriker vorgeschlagen; [Megander]hat außerdem Johannes Buchser genannt. Bittet um ärztlichen Rat.

Tibi soli. Tibi soli.

S. Ich muß min nott dir als minem getrüwsten bruder anzeigen. Ich hab dir meer 1 gschriben von miner hernia, wiewol ich, solang ich sy gehept, wenig schmerczen erlitten. Jedoch hett si sich gmeeret für und für, das hett weder her Fricz sälig 2 noch meister Jacob sälig 3 noch m[eister] Rudolf 4 nitt mögen weeren. Nun ists mir jecz darzu kummen, das ich übel besorg, ich werde der kilchen mitt predigen nimmen mögen forston, dann ich jecz 14 tag ein streng ruggenwee, darnach 14 tag ein grüselich schniden und grimmen per omnia viscera et intestina erlitten, daß ich dess tods was erwarten, et ita crevit hernia, ut ferme magnitudine capiti meo adsimiletur, wiewol jecz nach der kranckheit sich wider gelassen und gmindret. Man hett ouch mir den kanczel amm ingang müßen wyter machen, daß je alle min not in gheim für rat kummen, dess unsern[!] herren, als mir gsagt, übel erschrocken und bedacht, mir die burde ettlichermasß ze lichteren. Dann gott weist wol min müy und arbeit, so ich über mins libs vermögen getragen und mich lassen usßnüczen biß uffs hinderest.

Indem, wie Francz 5 nimmen predigen mag in keiner kilchen, ich jecz uff dem wäg, habend min herren mich zum ersten, aber vor aller kranckheit, bschickt und wellen wissen von mir, an wän ich inen rati zu einem predicanten. Hattend Caspar 6 und ich unß vereinbaret, biß zu herbst Franczen ze versähen 7 , daby bleib es dozemal. Nun aber ich so gar ingfallen 8 , habend si Caspam ouch beschickt, glyche meinung gefraget, hat er kein antwurt wellen gen, sunder sich genummen, zu mir zu verdencken 9 und morndis'°dem rat antwurten. Also sind Casper und ich einß worden, Rellicanum ze presentieren, der frum und gelert gnug, wenn nun das gspräch 11 in unser grossen kilchen gnugsam wär (quamvis hic timeam, quod prius ab uno nunc ad votum contingat).

1 öfter (Grimm VI 1881).
2 Hans Frick (Fritz).
3 Jakob Spreng.
4 Rudolf Weber.
5 Franz Kolb.
6 Kaspar Megander.
7 vertreten (Grimm XII/I 1243).
8 schwach geworden (vgl. Grimm III 170).
9 mit mir zu Rate zu gehen (vgl. SI XIII 658. 677f).
10 tags darauf (SI IV 420f).
11 Siehe oben Nr. 582, Anm. 23.


Briefe_Vol_05_249arpa

Denne habend wir ein im Nidersibental presentiert, Petrus a Conzenus, alias Cuncz b 12 , ist nitt ungschickt, eins großen ansähens, wol gfrünt 13 und bekant, wol beredt, 10000 lb rich, was mitt mir uff die disputacz gen Baden gschickt, der wirt jecz die ander wochen hie predigen, wirt man sin gspräch hören. Ist ouch der ersten einer by unß amm evangelio gsin, der das gancz land Nidersibental zu der ghorsame dess globenß vor der disputation gebracht, und noch die besten sind, unangsähen die im Obersibental, die lang rebelles und pontificii sind gsin. Zum dritten habend wir presentiert Meister Heinrich Möricker 14 ze Schincznach, dir wolbekant. His coram senatu addidit Caspar M. Ioannem Buchser in Sur 15 . Iam orabis deum cum ecclesia, ut det, qui sue gloriae et ecclesiae saluti sint commodissimi. Hab wol verstanden, daß sy mir nitt meer dann zwo predigen werdent zumuten, eine uff den sunentag, die andre in der wochen, und gar ein andere hilff der kilchen thun.

Bitt dich, min bruder, wellist erfaren by üwern arczeten, was dietam ich haben soll. Es sind nitt allein intestina in den seckel 16 gfallen, sunder sumen 17

a-b von Petrus bis Cuncz am Rande nachgetragen.
12 Peter Kunz (Cuntz, Conzenus), geb. um 1480, gest. 1544, von Erlenbach im Simmental (Kt. Bern), wurde 1517 als Chorherr des Augustinerklosters von Interlaken (möglicherweise nach einem Aufenthalt in Wittenberg) Pfarrer seiner Heimatgemeinde. 1526 nahm er mit Haller an der Badener Disputation teil, und schon im folgenden Jahr gelang es ihm, den reformatorischen Bestrebungen im Niedersimmental zum Durchbruch zu verhelfen. 1528 wurde er mit der Durchführung der Reformation im Obersimmental beauftragt. Als Nachfolger von Franz Kolb kam er 1535 nach Bern, wo er zum Führer der dem Luthertum zuneigenden Richtung wurde. Im Streit um die Genfer Kirchenbräuche trat er als leidenschaftlicher Gegner von Calvin und Farel in Erscheinung. Nachdem er Ende April 1538 Bullinger in Zürich persönlich kennengelernt hatte, trat er mit diesem auch in briefliche Verbindung, doch konnte der anfangs freundschaftliche Ton nicht über die bestehenden Gegensätze hinwegtäuschen. — Lit.: Z VIII 691f; [Samuel Scheurer], Bernerisches Mausoleum IV, Bern 1744, S. 177-204; Ernst von Känel, Peter Kunz, Kilchherr von Erlenbach, ein bernischer Reformator, in: Archiv des Historischen Vereins des
Kantons Bern 63, 1979, S. 31-62 (auch in: 450 Jahre Berner Reformation. Beiträge zur Geschichte der Berner Reformation und zu Niklaus Manuel, hg. vom Historischen Verein des Kantons Bern, Bern 1980, S. 156-193); Hundeshagen passim; Guggisberg, Reg.; HBLS IV 568.
13 hat einflußreiche Verwandte oder Freunde (SI I 1306).
14 Heinrich Möriker (Mauritanus). Sohn eines Priesters aus Birmenstorf (Kt. Aargau), immatrikulierte sich 1514 in Basel und erwarb 1518 den Magistergrad (Basel, Matrikel I 323, Nr. 24). 1528 unterzeichnete er die Schlußreden der Berner Disputation als Pfarrer von Schinznach (Kt. Aargau)(ABernerRef 1465, S. 597); dieses Amtes wurde er 1544 aus unbekannten Gründen enthoben. 1539-1541 war er Dekan, 1542-1543 Geschworener des Kapitels Schenkenberg. — Lit.: Der Glückshafenrodel des Freischiessens zu Zürich 1504, hg. v. Friedrich Hegi, Bd. I, S. 211, 24; Willy Pfister, Die reformierten Pfarrer im Aargau seit der Reformation, 1528-1985, Aarau 1985. —Argovia 97, S. 152, Nr. 1563; Georges Gloor, Vorreformierte Priester der Landschaft um Brugg, in: Brugger Njbl. 1951, S. 57f.
15 Suhr (Kt. Aargau).
16 Gemeint ist der Bruchsack.
17 Fett, s. Laurentius Diefenbach, Glossarium latino-germanicum mediae et infimae latinitatis, Frankfurt a. M. 1857, S. 566.


Briefe_Vol_05_250arpa

oder die feiste 18 vom necze 19 , und was ventositates bringt, weiß aber nitt eigentlich, was dasselb ist, thut mir wee. Ich sorg, ich möge nienarhin meer riten noch gon, also wird ich min Bullinger nimmer meer sähen. Darum lass dich nitt duren 20 , mich mitt dinem früntlichen schriben ze trösten. Lasß mich antwurt wissen aller dingen. Ich mag jecz nitt mer schriben.

Vale, et si quae sub prelo tua sint, me certiorem facito.

24. iunii anno 35

Lachrimis has finivi.

Tuus quem nosti

B. H.

[Adresse auf der Rückseite:] An Meister Heinrich Bullinger, ze Zürich predicanten, sinem insunders günstigen herren und bruder.