Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2478]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
28. Juni 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 232 (neu: 250)(Siegelspur)

Ungedruckt

Bullingers Brief [nicht erhalten] war aufschlussreich und erfreulich zugleich. Letzteres, weil auch Myconius meint, dass Gebets[stunden] nicht nur die Frömmigkeit [des Einzelnen]fördern, sondern auch zur Ermahnung der Kirche dienen. Kaiser [Karl V.] ist ein Fuchs, wie einst Herodes. Auch wenn Gott ihn so oft heimgesucht hat, bleibt er stur wie Pharao. Er ist ganz und gar der Herrschsucht verfallen. [Franz I.] von Frankreich hatte einmal hellsichtig geschrieben, dass der Kaiser nicht vorhabe, ein solcher Kaiser wie seine Vorgänger zu sein, sondern ein Monarch Deutschlands sein wolle. Nimmt er Augsburg ein, fällt ihm ein solcher Reichtum zu, dass er damit ganz Deutschland unterwerfen kann. Als dessen Sklaven werden dann sowohl die [katholischen]als auch die [protestantischen Fürsten]auf ihre teure deutsche Freiheit verzichten müssen. Sodann wird der Kaiser noch gegen die [Eidgenossen]ziehen, um seinen Großvater Karl [den Kühnen], Herzog von Burgund, zu rächen; eine Befürchtung, die Erasmus schon vor etwa 30 Jahren äußerte. Die [Eidgenossen] müssen also wachsam bleiben. Am Vortag stimmten alle Zünfte Basels ab und wählten für das Fähnlein und für das Banner


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je einen Hauptmann und je einen Venner, um auf jeden Fall gefasst zu sein. Diejenigen, die die Handlungsweise des Kaisers zu rechtfertigen versuchen, behaupten nun, dass Gott ihn als Rute gegen die Undankbarkeit der Seinen gebrauchen wolle. Myconius gab ihnen zu verstehen, dass sie dadurch [indirekt] den Kaiser für gottlos erklärten, da Gott sein Volk stets durch Gottlose betraft habe. Demzufolge gefällt ihnen Karl V. im Grunde genausowenig wie ihm, der diesen für einen Herodes, einen Türken, einen Sohn des Antichristen und einen noch schlimmeren Kaiser als die [römischen Cäsaren] Maximinus [Daia] und Maxentius hält! Die Anhänger des Kaisers sollten also damit rechnen, dass derjenige, den sie so loben, sie wohl ihres Lebens berauben könnte. Während des Gesprächs erschien der Basler Peter Wegerich, der gerade aus Zürich zurückgekommen war. Er übermittelte Grüße und berichtete, dass [Konrad] Gessner einen Brief Bullingers [nicht erhalten] an Myconius mitbringe. Er erzählte ferner von einem Gesandten [...]. aus Luzern, der sich im Namen der Fünf Orte bei den Zürchern wegen des bei ihnen abgestatteten Besuchs des Bischofs von Konstanz [Johann von Weeze] zu rechtfertigen versuchte und die Haltung der Innerschweizer zu den neuesten Ereignissen erörterte. Dies freute Myconius sehr, zumal er weiß, dass diese Orte stets bereit sind, Truppen für Geld zu stellen. Hier nun Myconius' Meinung: Der Kaiser wird sich in Kürze auch bei den [Katholiken] verhasst machen und sich zurückziehen müssen. Denn gegen die Franzosen Krieg zu führen, ist etwas ganz anderes, als Deutsche durch Deutsche vernichten zu wollen! Gott steht auf der Seite [der Protestanten]. Greift der Kaiser sie an, greift er Gott selbst an. Und sollte es stimmen, dass der Kaiser die Dienste dieses Räubers, des Grafen von Musso [Gian Giacomo de' Medici], in Anspruch nimmt, wird er bald Ähnliches erleben wie einst [Karl III.] von Savoyen. Gruße. [P.S.:]Myconius wird demnächst an [Rudolf] Gwalther schreiben.

S. Gratificaris supra modum mihi, optime ac fidelissime Bullingere, dum significas 1 , quae tumultus praesens habet. Eam rem non possum verbis satis exprimere. Conducunt mihi vehementer. Gaudium enim excitant in me, quod scio, et devotionis in precando sunt causa, et suppeditant, unde valet ecclesia moneri et ad orandum impelli. 2

Caesar 3 mihi vulpes est, sicut Herodes. 4 Spero itaque finem eum esse nacturum, qualem et is nactus est. 5 Mirum profecto, quod, cum tot plagis visitetur a deo, non resipiscat; 6 certum signum obduratum esse cor eius qualiter Pharaonis. 7 Dominandi cupido, demoniorum vehementissimus, hominem agitat. Scripsit olim Gallus 8 de eo consilium esse inter Germanos ipsum esse noue, quales fuerint maiores eius, sed monarcham. Annon ex his, quae tentat hodie, verisimile adparet, quod ille divinavit? Expugnata Augusta

1 Wohl mit dem nicht erhaltenen, aber in Nr. 2470 und Anm. 1 bezeugten, bei Nacht geschriebenen Brief Bullingers.
2 Bullinger wird Myconius die Absicht des Rates von Zürich mitgeteilt haben, in allen Gemeinden "deß Zurichsees Capitell" öffentliche Gebete nach den Gottesdiensten anzuordnen, um in der angespannten Lage bei Gott um "barmhertzigkeyt, gnad, frid und sün" sowie um die Verhinderung noch größeren Übels zu bitten; s. Zürich ZB, Ms A 44, S. 7f (Mandat vom 1. Juli); StA, E I 1.5, Nr. 12 (vom 19. Juli
1546). — Zu weiteren Maßnahmen des Rates diesbezüglich s. Bächtold, Rat 96 und Anm. 50; Schott-Volm 2 777, Nr. 242. 244.
3 Karl V.
4 Vgl. Lk 13, 31f.
5 Herodes soll bei lebendigem Leib von Würmern zerfressen worden sein; s. Apg 12, 21-23.
6 Vgl. z.B. HBBW XVI 85,49-54. 206,13f. 223,9-13. 264,15-18.
7 Vgl. Ex 5-14.
8 Franz I. — Vielleicht denkt Bullinger an


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(quod dominus prohibeat) habiturus est thesauros, 9 quibus non difficulter totam subiiciet sibi Germaniam. Quid tum ex his 10 fiet, qui nunc fratres conantur obprimere? Erunt servi eius omni libertate, qua gloriata est Germania hactenus 11 , amissa: Digna merces contra fratres temere pugnantium. Oppressa illa 12 , quid dicemus de nobis 13 ? Annon tentabit, quod olim concepit contra nos, imbibit cum lacte matris 14 et instillarunt pedagogi? Quod equidem hisce auribus audivi ex Erasmo ante annos plus minus 30, 15 vindicaturum se avum suum Carolum, Burgundie ducem, 16 ab Helvetiis occisum. Ab eo tempore quesivit occasionem, quam nunc oblatam nimirum arbitratur. Quid nos igitur agemus? Cessabirnus? Ardet paries proximi. 17 Nisi igitur cavebimus, ignis et nos adprehendet et consumet.

Heri 18 senatus noster delectum habuit per tribus omnes 19 . Elegit duces et signiferos duos, ad signum maximum 20 alterum, alterum ad minus 21 quo sint ad occasionem quamlibet parati.

den Brief Franz' I. an die deutschen Fürsten vom 1. Februar 1535. Er erschien noch im gleichen Jahr in deutscher Übersetzung in Wittenberg: "Des Königs zu Franckreich Schrifft an die deutschen Chur und Fürsten ..." (VD16 F2340; Nachdruck in MO II 828-835) und 1537 auf Lateinisch in: Exemplaria literarum quibus et christianissimus Galliarum Rex Franciscus ab adversariorum maledictis defenditur et controversiarum causae, ex quibus bella hodie inter ipsum et Carolum quintum Imperatorem emerserunt, explicantur..., Paris, Robert Estienne (Zürich ZB, AW 320), S. 183-194. Dort wird behauptet, dass Suleiman I. den Christen keinen dauerhaften Frieden zugestanden habe, weil er gemerkt hätte, "das etliche uber uns und andere hohe potentaten ein monarchey zu machen fürhaben" (Des Königs Schrifft, f. Aiv,v.; MO II 831; Exemplaria, S. 188). Die Aussage, dass der Kaiser nicht vorhabe, wie seine Vorgänger zu sein, ließ sich jedoch sonst nirgends finden. —Wir danken Rainer Henrich für den Hinweis auf den Brief Franz' I.
9 Vgl. Nr. 2477.
10 Gemeint sind wohl die katholisch gebliebenen Fürsten Deutschlands.
11 Vgl. auch Exemplaria..., S. 36-39. 50-53. 57f. 67-70.
12 Germania.
13 Helvetiis.
14 Vgl. Adagia 1, 7, 54 (ASD II/2 180, Nr. 654).
15 Zwischen August 1514 und März 1515 oder zwischen Juli 1515 und Mai 1516, als Erasmus sich in Basel aufhielt. Myconius, der seit 1510 in Basel studierte und danach auch unterrichtete, wurde im Laufe des Jahres 1516 Lehrer an der Großmünsterschule in Zürich.
16 Karl der Kühne fiel im Januar 1477 während einer Schlacht bei Nancy, an der auch Eidgenossen beteiligt waren.
17 Vgl. Adagia 3, 6, 71 (ASD 11/6 376, Nr. 2571).
18 So auch Gast, Tagebuch 277-279 (unter 27. Juni); Peter Ochs, Geschichte der Stadt und Landschaft Basel, Bd. 6, Berlin 1821, S. 187; und Nr. 2481,16.
19 per tribus omnes: in allen Zünften.
20 Zum Banner. 21 Zum Fähnlein.
22 Zu verstehen: zwei Hauptleute und zwei Venner, je ein Hauptmann und je ein Venner sowohl für das Banner als auch für das Fähnlein. — Hauptmann bzw. Venner des Banners wurden Adelberg Meyer bzw. Bernhard Meyer. Hauptmann bzw. Venner des Fähnleins wurden Georg Vochen (auch Schüelin und Oberlin genannt) bzw. Bernhard Rinacher; s. Basel StA, Militär A 3, f. 123 (Fähnlein) und 133 (Banner); wir danken Rainer Henrich für den Hinweis. — Das Fähnlein (fenlin) und der Banner (paner) sind Heeresfahnen, die als Synonyme für kleine bzw. große Truppenabteilungen stehen; s. SI I 828.


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Qui in hoc sunt, quod caesar peccare nesciat, 23 postquam negare non possunt, quod nunc male sanus conatur, aiunt: Virgam agit contra nos 24 profecto, missam a domino propter nostram ingratitudinem. Ego vero publice 25 : "Aisne? Vis ergo flagellum esse dei atque adeo impium; nam deus populum suum nunquam adflixit nisi per impios idolatras. 26 Placet itaque tibi caesar eque ut mihi. Herodes est mihi, Turcus, papae antichristi filius, Maximino et Maxentio 27 peior, quod hactenus amicum se simulavit Germanorum et nunc talem se exhibet; et tibi igitur talis est, sentis mecum."(Hic hic intervenit Petrus Wegerich, civis noster, 28 ex Tiguro. Salutat tuo nomine et narrat literas te misisse per Gesnerum, 29 quas et accepi, etc. Exponit ille de legato Lucernano 30 misso ad vos nomine Quinquepagicorum, ut hos excusaret propter episcopum Constantiensem 31 et, quid animi habeant in his turbis, exponeret. Gavisus sum valde, nam timui ab eis. Proposita enim pecunia procurrunt 32 , ut nosti, quocunque vocantur!) a Redeo: "Sic,"inquam, "tu laudas

a Klammern ergänzt.
23 So z.B. Ludwig von Reischach; s. Nr. 2470,7-9.
24 Vgl. z.B. Ps. 89 (Vulg. 88), 33; Hebr 12,6.
25 Wohl während eines Gesprächs (mit Ludwig von Reischach?) auf der Gasse. wie Z. 34-36 es vermuten lassen.
26 Vgl. Jes 10, 5. 24f.
27 Die römischen Kaiser Maximinus Daia (Gaius Galerius Valerius Maximinus) und Maxentius (Marcus Aurelius Valerius Maxentius).
28 Peter Weg(e)rich, ursprünglich aus Chur, 1520 Bürger von Basel und Mitglied der Safranzunft; s. Paul Kölner, Die Safranzunft zu Basel, Basel 1935, S. 608, Nr. 1520; ABaslerRef III 547. 564; AK VIII, S. XXII zu Nr. 2679. —Wegerich ist vielleicht der Basler Bote, dessen Kost und Logis im Zürcher Gasthaus "Zum Roten Hus" vom Zürcher Rat bezahlt wurden; s. Zürich StA, Seckelamt Rechnungen F III 32, Rechnungsbuch 1545/46, S. 106 der Ausgabenabteilung, 8. undatierter Eintrag nach einem Eintrag vom 21. Juni und 5. vor einem Eintrag vom 25. Juni.
29 Nicht erhalten und wohl nicht identisch mit Bullingers Brief an Myconius, aus dem Letzterer am 22. Juni einen Satz zitiert hatte; s. Nr. 2470,1. — Konrad Gessner war also damals in Begleitung von Wegerich nach Basel gereist. Dies war vielleicht der Beginn seiner von Josias Simler (der damals in Basel studierte) belegten Rheinreise, mit der er den Ozean
zu erreichen plante, "ut ... pisces Oceani atque alia praeclara observaret". Seine Expedition musste er aber in Straßburg wegen des ausbrechenden Krieges abbrechen; s. Simler, Vita ... Conradi Gesneri, Zürich 1566 (VD16 S6520; BZD C774), f. 9r. Wir danken Urs Leu für diese Information. — Zu Gessners damaligem Aufenthalt in Straßburg s. ferner Nr. 2600, Anm. 6.
30 Unbekannt. — Er brachte von den in Luzern versammelten Beauftragten der Innerschweiz einen Brief vom 22. Juni mit (Zürich StA, A 250, sub dato). Wegen der Kriegsvorbereitungen des Kaisers hatten die Zürcher die Fünf Orte zur Wachsamkeit ermahnt, zumal man "nitt wüssen mögen, wohin oder wo uß" die angeworbenen Truppen dienen würden und man befürchten müsse, dass all dies "Dutscher nation nitt ze guttem sin möchte". In ihrer Antwort baten die Fünf Orte Zürich als Vorort der Eidgenossenschaft, an die Vögten aller Grenzgebiete (Thurgau, Sargans, Rheintal, usw.) zu schreiben, damit diese ihren Untertanen verboten, sich in den Sold fremder Fürsten zu begeben.
31 Johann von Weeze. — Zu dessen Besuch in den Fünf Orten und in Zürich s. Nr. 2463,4-17; Nr. 2464,3-15; Nr. 2469,14— 30.
32 Gemeint: Für Geld sind sie immer bereit, Söldner zu stellen.


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caesarem tuum, cui tam bene vis. Egregius certe laudator! Minim, si non remuneraturus sit te, postquam novent, vel laqueo vel gladio."Sic oportet os obturare bestiis illis plusquam bestiis.

Verum, quid cogitem, audi: Ubi vident caesar, quod tantam multitudinem excitavit contra se et quosdam etiam, qui hactenus non faverunt evangelio Christi, incipietque nonnihil desperare, mutabit animum atque discedet. 33 Aliquid huius persuasum est mihi, quicquid daturus sit dominus. Aliud fuit pugnare contra Gallum; aliud erit per Germanos delere velle Germanos: Id, quod tu ipse melius expendere nosti. Videat ergo, quid inceptet! Dominus stat a nobis, quem ipse 34 tentat e medio nostri tollere. Unde pugnabit non contra nos, sed contra dominum, 35 qui et se conabitur tueri, imo tuebitur se fortiter. Ipsum deprecemur ex fide, ut ita faciat, et faciet. Si marchio de Mussus 36 ille est, quem nos novimus, infeliciter aget caesar eodem duce. Scis, quis iste et qualis. Infelix, qui cum tanto latrone communicat! Id, quod sensit Sabaudus 37 , sentiat idem caesar, 38 et ego rideho in domino.

Vale in Christo lesu cum familia et fratribus symmistis. Basileae, 28. iunii anno 1546.

Tuus Os. Myconius.

Gvalthero non potui scribere, sed scribam. 39 Salutabis in domino.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, viro praecellentissimo, Christi ministro, fratri ac domino in Christo observandissimo suo.

33 Myconius' Überlegung geht möglicherweise auf eine Interpretation von Dan 11, 25-28, zurück.
34 Karl V.
35 Vgl. Apg 9, 5; 26, 14.
36 Gian Giacomo de' Medici di' Marignano, Kastellan von Musso. Er ist damals als Truppenführer bezeugt; s. Viglius van Zwichem 2 (als "marchione Malegnani"). 25; Mameranus, Exerc. 2; Heyd, Ulrich von Württ. III 363; Zürich StA, A 177,
Nr. 6, wo er in einem Brief vom 1. Juli 1546 als "Houptman über das geschütz" bezeichnet wird.
37 Karl III. von Savoyen.
38 Siehe HBBW V 163, Anm. 12.
39 Nicht erhalten. Gwalther antwortete darauf am 3. August (St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), Nr. 171). — Wir danken Kurt Jakob Rüetschi für diese Angaben.