Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1962]

Bullinger an
Ambrosius Blarer
Zürich,
31. August 1544

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 34 (VBS V), 290 a (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 280f, Nr. 1112.1

Der Bote [...]hat im Namen König [Franz' I.]in Luzern den Eidgenossen für ihre großzügige militärische Unterstützung in der Not gedankt und ihnen im Bedarfsfall Hilfe durch [Franz I.] und dessen Söhne [Heinrich und Karl] zugesagt; [Franz I.]liegt wie die Eidgenossen nahe Reims und verfügt über ein gewaltiges Heer, wie [Jean de Villars, Seigneur de Blancfossé] aus Solothurn berichtet. Saint-Dizier hat sich am [17.]August gewaltlos dem Kaiser [Karl V.] ergeben, der nun weiter in Frankreich vordringt, während sich ihm [Franz I.] vor Paris entgegenstellt; eine Schlacht wäre schädlich, wer auch immer siegreich hervorginge. Es ist unklar, ob König [Heinrich VIII.] von England Montreuil belagert, erobert oder gar ein Abkommen mit [Franz I.]hat. [Cheireddin]Barbarossa wird [die Lage ausnützen]. [Heinrich von]Braunschweig wird noch seinen Willen durchsetzen. Sollten die Deutschen dem Kaiser vertrauen, sind sie verloren; vielleicht erwirkt der Reichstag [in Worms]Besseres. Der kranke [Diethelm]Röist war dem Tode nahe; Bullinger wird mit dem sich zur Zeit in Baden aufhaltenden Arzt [Jakob Ruf] die ihm anvertraute Sache regeln. Bittet um Übermittlung seines Buches "Die Hoffnung der Glöubigen" an [Hans]Welser, dem er auch seinen Lukaskommentar zu widmen gedenkt.

Gott mitt üch, fürgeliepter herr und bruder.

Nüwer zytung 1 uß Franckrych sol also stan: 2 27. augusti hatt der künig 3 sin botten 4 und credentz 5 zu Lucern gehept. Dancket den eydgnossen, das si inn in sinen nöten nitt verlassen habend, sunder imm ein so starcken und hüpschen 6 , ouch willigen zug geschickt habend, alls er noch nie von eydgnossen gehept. Welle deß nimmer me vergassen, sunder, so es den eydgnossen ouch nodt thüge 7 , in eigner person oder sine sön 8 trostlich inen zuschicken (blandiloquentia Gallica). So lige er zu Reyms 9 und die eydgnossen drumb etc. Wyter bericht sy der Frantzoß von Solenthurn 10 , das der künig uff 60'000 starck zu fuß sye, 10'000 büchsenschützen und ein gwaltigern reyssigen 11 züg, dann er ye in Franckrych gesähen etc.

a Mit Randbemerkung von der Hand Johann Heinrich Hottingers.
1 Nachricht.
2 Quelle unbekannt.
3 Franz I.
4 Nicht ermittelt.
5 Kredenz-, Kreditivschreiben.
6 ansehnlichen, großen.
7 falls die Eidgenossen in Not wären.
8 Der spätere König Heinrich II. und Charles II. von Valois-Angoulême, Herzog von Orléans.
9 Das französische Heer befand sich noch kurz vor dem 29. August in Courtagnon, 14 km südlich von Reims; s. Paillard 307.
10 Jean de Villars, Seigneur de Blancfossé; s. Rott, Représentation Diplomatique 297f. 415.
11 gerüsteten.


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So habe sich die statt Sandisirs 18. augusti uffgäben; 12 die darinn gelagen, habe der keysser 13 lassen mitt der hab abziehen; die sag, er habe in die 6'000 darvor verloren. Dise statt ist vormals des kayssers xin 14 , und hatt sy imm der Frantzoß yngenommen; 15 dorumb ist der keysser noch nitt wyt ||290/1v. in Franckrych hinyn zogen. Jetzdan mag er wol imm anzug sin uff Franckrych und uff des königs erterych. 16 Doch hatt sich der könig gelägeret 17 , imm zu begegnen, ee und er halb gen Parys kumpt. Söllend sy nun schlahen 18 , ist es ein ellend und bärlicher 19 schad, welcher teyl joch 20 gewünt; dann es stadt uff beiden teylen grosse gfaar. Gott wölle es fürkummen 21 , ist es nitt wider sin willen gepätten 22 .

Vom könig uß Engelland 23 kan ich dheinen 24 grund schryben; dann ettlich sagend, er habe Montröl 25 in Pycardia belägert, etlich, er habs erobret, ettlich, er sye nie dar kummen und habe ein verstand 26 mitt dem Franzosen. 27

Der Barbarossa 28 wird darzwüschen den sinen uffmachen 29 , und ist zu erbarmen, das die unsinnigen fürsten also wütend, das sy der wunden, die sy von den frömbden empfahend, nitt empfindent.

Der Brunschwyger 30 wirt noch sin thaat zu siner zyt ouch thun, diewyl imm doch so vil verschonet und übersähen wirt.

Si vestri vel tantillum caesari fidunt, perierunt. Colloquium illud 31 forte 290/2r. || occasionem dabit plura movendi et consultandi. Cuperem et ego ex animo arctissimum inter nostros esse pacis vinculum, sed quomodo constringi possit, non video. Si domino placet, oro, ut is viam sternat. Huic negotium committo.

Dominus Röystius fere ex gravi morbo decumbit. Tu ora, ne hic vir auferatur ex republica nostra. 32 Cum chirurgo 33 diligenter again, ubi redierit.

12 Saint-Dizier kapitulierte am 17. August; s. Rozet/Lembey 155f.
13 Karl V.
14 gewesen.
15 Diese Behauptungen stimmen nicht. Saint-Dizier war bis zur Kapitulation in französischem Besitz.
16 Das kaiserliche Heer war zu diesem Zeitpunkt der Marne entlang bis kurz vor Châlons-en-Champagne vorgedrungen; s. Cardauns 347; Rozet/Lembey 170.
17 gelagert.
18 Falls es zur Schlacht zwischen ihnen kommt.
19 beträchtlicher.
20 auch.
21 möge dem zuvorkommen.
22 gebetet.
23 Heinrich VIII.
24 keinen.
25 Montreuil, Dép. Pas-de-Calais.
26 ein Abkommen; vgl. oben Nr. 1961, 9-11, mit Anm. 9.
27 Heinrich gab erst Mitte September die seit Ende Mai anhaltende Belagerung Montreuils auf; s. Cardauns 326. 351.
28 Cheireddin Barbarossa.
29 (zum Tanz) aufspielen (im Sinne von: aufmuntern, Mut machen; in Bewegung versetzen).
30 Zu Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel s. zuletzt oben Nr. 1961, 22-25 mit Anm. 24.
31 Bullinger bezieht sich wohl auf den für den 1. Oktober einberufenen Reichstag zu Worms; s. unten Nr. 1980, Anm. 22.
32 Diethelm Röist starb am 3. Dezember; s. HBD 32, 11-14.
33 Jakob Ruf; s. zuletzt oben Nr. 1961 mit Anm. 29.


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Vocatus enim Badenam a quodam valetudinario 34 ; cum has scriberem, nondum redierat. Quamprimum redierit, virum urgebo.

Cupio, ut hunc libellum Germanicum De spe fidelium 35 mittas consuli Welsero 36 eique me commendes. Libri mei Commentariorum in Lucam huic, ubi per dei gratiam absolvero, dicabuntur. Nam diligo ipsum ex animo propter egregia dona et praeclaras eius virtutes. 37 Dominus servet illum. Tibi nullum exemplum misi, Latina enim habes in 12. Commentariorum libro in Matthaeum. 38

Commendo te servatori Christo, quem pro me orabis.

Tiguri, 31. augusti anno 1544.

Clarissimos viros fratrem consulem 39 et Zviccium 40 salutabis.

HB.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Ambrosio Blaurero, Constantiensis ecclesiae vigilantissimo pastori, domino suo colendissimo.