Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Joachim Vadian
an Bullinger St. Gallen,
27. Oktober 1547

Autograph: Zürich StA, E II 351, 57 (Siegelspur) Druck: Vadian BW VI 660f, Nr. 1566

[1] Vadian bittet um Entschuldigung, Bullingers Schrift "Contra scandala ex bello infeliciter gesto oborta Apologia"1 so lange behalten zu haben. Sie wurde den Pfarrern vorgelesen und dann einigen davon und auch Freunden geliehen, die sie mit Wonne und Gewinn lasen. Unter den Gelehrten ist es selten, dass diese bedeutsamen Themen auf volksfreundliche Weise zub

b Klammern ergänzt. -
c In der Vorlage aliqui. -
d Textverlust bei der Entfernung des Verschlussbandes.
19 König Heinrich II.
20 Unbekannt.
21 Diana von Poitiers. - Das Gerücht, wonach es während Dianas Kindheit zu einem sexuellen Verkehr mit Franz I. gekommen sei, ist vermutlich falsch; s. Ivan Cloulas, Diane de Poitiers, Paris 1997, S. 60f. Unbestritten ist hingegen, dass sie die Geliebte Heinrichs II. und für diesen von großer Bedeutung war; s. aaO, S. 105-110; ders., Henri II, Paris 1985, S. 143f. 342-344.
22 Franz I.
23 Der englische Geschäftsmann John But- 1er, der damals in Konstanz lebte.
24 Der ehemalige Kriegsmann Hans Heinrich Winkeli, der sich in der Mitte der 1530er Jahre in Basel niedergelassen und dem Bullinger Anfang 1537 seine zum ersten Mal in Basel gedruckte Schrift zum "Alt gloub" (VD16 B9599) gewidmet hatte; s. HBBib1 I 51-53, Nr. 99-102; HBBW III 226. Anm. 44.


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gänglich gemacht werden. Die Schrift sollte von vielen gelesen werden! -[2] Hiermit übersendet Vadian eine [lateinische] "Mandatorum epitome"[Kurzfassung] des englischen Reformationsdekrets 2 . Es dürfte für Bullinger interessant sein, auch wenn [bei der Übersetzung] einiges ausgelassen worden zu sein scheint, 3 wie zum Beispiel die Frage, ob [der englische König Eduard VI.] die Beibehaltung der in England gebräuchlichen Riten [aus der Zeit von Heinrich VIII.] beschlossen hat oder nicht. Vielleicht sind die Engländer der Meinung, man solle diesbezüglich nichts beschließen oder verändern, ohne zuvor die anderen Kirchen zu Rate zu ziehen. Doch es könnte auch sein, dass der Bearbeiter der "Epitome"einiges [aus der englischen Fassung des Dekrets]ausgelassen hat. 4 Feststeht, dass man Erasmus von Rotterdam sehr zu schätzen scheint. 5 Wenn Bullinger die "Epitome" schon von anderswo erhalten
1 Siehe dazu Nr. 3023, Anm. 32. Sie war von Blarer am 2. Oktober an Vadian weitergeleitet worden; s. Nr. 3031,1-8.
2 In England wurden die vom 31. Juli 1547 datierten "Injunccions geven by the moste excellent prince Edward the sixte ... to all and singuler his lovyng subjectes, aswell of the clergie as of the Laietie" öfters nachgedruckt (s. dazu STC2 I 455, mit Digitalisaten in EEBO =Early English Books online). Davon wurde eine etwas gekürzte freie Übersetzung angelegt, von der heute noch zwei Ausgaben bekannt sind, die weder den Druckort noch ein Datum anführen (USTC 503873; USTC 690251 = VD16 ZV5036). Beide tragen den Titel "Regiae Maiestatis Angliae, etc., mandatorum epitome ex praescripto ad subditos suos, tam sacris addictos quam laicos"(mit dem Wort "Epitome" wird auf eine Kürzung des ursprünglichen Textes hingewiesen, doch sowohl die englische als auch die lateinische Fassung enthalten 36 Artikel). Auf den zwei letzten Seiten der englischen Fassung befindet sich noch ein Aufruf, für den König und dessen Umfeld zu beten, wie auch die Androhung einer Verbannung gegen all diejenigen, die sich nicht an die Mandate halten würden. Beides wurde in der lateinischen Fassung nicht aufgenommen. Demnach wurde die nicht im VD16 aufgenommene lateinische Ausgabe wohl auch nicht in England gedruckt. In seinem Brief an Vadian vom 10. November zitiert Martin Frecht (in Vadian BW VI 672) die einleitenden Zeilen der "Epitome", was darauf hinweist, dass mindestens eine der oben angeführten lateinischen Ausgaben spätestens im Oktober 1547 erschienen war. In
Zürich ZB hat sich die im deutschen Sprachgebiet erschienene Ausgabe erhalten (Ms S 64, 131a), wobei aus dem, was folgt, deutlich wird, dass es sich dabei kaum um das mit dem vorliegenden Brief an Bullinger übermittelte Exemplar gehandelt haben kann, welches allerdings auch nicht mehr in St. Gallen, Kantonsbibliothek Vadiana, aufzufinden ist.
3 Vadians Verdacht erklärt sich aus dem im Titel der lateinischen Ausgaben gebrauchten Wort "Epitome".
4 Sowohl die englische als auch die lateinische Fassung enthalten eine ganze Menge von Anweisungen zu den Gottesdiensten und zu den zu vollziehenden oder nicht zu vollziehenden Riten. Allerdings führen die beiden Fassungen kaum Einzelheiten zum Ablauf des Gottesdienstes aus, noch geben sie den Inhalt der liturgischen Texte an.
5 Im 7. Artikel des Mandates wird jede Kirchgemeinde aufgefordert, sich innert drei Monaten ein Exemplar einer vollständigen englischen Bibelübersetzung und innert einem Jahr englische Übersetzungen aller "Paraphrasen" des Erasmus zu den vier Evangelien zu beschaffen und diese in der Kirche aufzulegen, damit jeder Kirchgänger daraus lesen kann. - Zum Zeitpunkt dieser Verordnung lagen noch keine gedruckten englischen Übersetzungen von Erasmus' Paraphrasen zu den vier Evangelien vor. Erst Anfang 1548 wurden sie (zusammen mit den Paraphrasen zur Apostelgeschichte) veröffentlicht. Im Jahre 1549 erschien sodann auch ein zweiter Band mit Erasmus' Paraphrasen zu den übrigen Büchern des Neuen Testaments (mit Ausnahme der Offenbarung, die von Erasmus nie paraphrasiert


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hat, soll er sie zurückschicken, sonst darf er sie auch länger behalten, doch soll er sie irgendwann zurückgeben. - [3] Aus Augsburg erfährt man, dass auf dein Reichstag noch nichts beschlossen, wurde. Die Kurfürsten nehmen Anstoß daran, dass Johann Friedrich von Sachsen noch immer gefangen gehalten wird. Sie erlauben Kaiser Karl V. auch nicht, jemanden ohne ihre Zustimmung von seinem Stand zu degradieren, zumal sie ihn ja gewählt haben und nicht er sie. Es heißt auch, dass das Vorhaben der Spanier, den [Schwäbischen]Bund 6 wieder zu errichten, so viel Unmut und Misstrauen erregt, dass dieser wohl kaum zustande kommen wird. Der Kaiser möchte sich gerne ganz Deutschland unterjochen. Doch gibt es Menschen, die sich dagegen wehren und von deren Standhaftigkeit viele Gutes erwarten. - [4]Bullinger wird wohl von der Niederlage und schändlichen Flucht der Schotten in der Schlacht gegen die englischen Truppen gehört haben. 7 Die Augsburger schreiben, dass 15'000 Schotten gefallen sind. Die sechs[tausend] Übriggebliebenen trauern den Gefallenen nach und bestätigen ,ferner, dass 2'000 Mann gefangen genommen wurden. 8 Verantwortlich für dieses Unheil soll Papst Paul III. sein. Er soll durch seinen Kardinal Reginald Pole 9 dieses Blutbad verursacht haben, indem dieser ihnen zuvor einen sicheren Sieg versprach. Ähnliches erfuhren ja auch die Eidgenossen mit Bischof Matthäus Schiner von Sitten, 10 als sie bei Mailand von den Franzosen niedergemetzelt wurden. So missbrauchen in der Regel die päpstlichen Priester die Verehrung, die man ihnen entgegenbringt! Ihre brüderliche Liebe besteht darin, jeglichen Frieden unter den Fürsten mit allen möglichen Mitteln zu zerstören! -[5]Angeblich wurden Hauptmann Hans Schnabel von Schönstem 11 aus Bregenz zum Oberst über 6'000 Mann (die für das Piemont bestimmt sind) und Gian Giacomo de' Medici, Kastellan von Musso, zum Befehlshaber über einige tausend Reiter ernannt. Beide sollen schon die Alpen überquert haben. -[6] Man wird wohl noch erleben müssen, wie der Kaiser die Eidgenossen angreifen wird, wenn diese dem Herzog Karl III. von Savoyen nicht seine Gebiete und Städte 12 zurückerstatten. Dieser Zwist wird bald die ganze Eidgenossenschaft in einen Krieg stürzen. Deshalb gilt es, nicht durch innere Zwistigkeiten zu Fall zu kommen! Denn gerade dies beabsichtigen die Feinde, um sich dann des ganzen Landes bemächtigen zu können. Doch genug davon. -[7]Gruß. in Eile.
wurde). Zur Entstehung dieser Übersetzungen, zu deren Verfassern und zur Drucklegung s. Edward James Devereux, The Publication of the English Paraphrases of Erasmus, in: Bulletin of the John Rylands Library, Bd. 51/2, 1969, S. 348-367; Gregory D. Dodds, Exploiting Erasmus. The Erasmian Legacy in Early Modern England, Toronto, usw., 2009, S. 3-26 (mit Lit.).
6 Siehe Nr. 2927, Anm. 10; Nr. 2960, Anm. 25.
7 Bullinger erfuhr von der Schlacht bei Pinkie Cleugh durch Briefe von Welser
(Nr. 3030,40-42), Blarer (Nr. 3031,26; Nr. 3040,240 und Myconius (Nr. 3057,23-25). Später erfuhr er davon noch Genaueres von Hooper (Nr. 3064).
8 Vgl. aber Vadian BW VI 657.
9 Ein falsches Gerücht; vgl. Nr. 2975, Anm. 8.
10 Im Jahr 1515, während der Schlacht von Marignano.
11 Vgl. Nr. 3043 und Anm. 2.
12 Gemeint ist das Waadtland, das die Berner 1536 dem Herzog von Savoyen entrissen hatten.