Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2774]

Bullinger
an Ambrosius Blarer
[Zürich],
27. Januar 1547

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 223r.-v. (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 577f, Nr. 1400

[1]Blarers letzter Brief [Nr. 2771]ist eingetroffen. Auch Bullingers Schreiben [Nr. 2767] war in Eile und Hektik verfasst. Blarer wird es wohl gut aufgenommen haben, da er weiß, dass Bullinger keine Mühe für ihn scheuen würde! [2] Glücklicherweise gab es keine Verhandlung [des Landkomturs Johann Werner von Reischach mit dem Konstanzer Rat]! Blarer soll aber wissen, dass das falsche Gerücht aus dem Umfeld des Landkomturs selbst stammt! [3][Bei der Vermittlung eines Kontakts zwischen Konstanz und König Franz I.]erklärt sich Bullinger bereit, an Hans Wunderlich in Neuenburg zu schreiben, ohne dabei die Namen Blarers oder Konrad Zwicks zu nennen. Dazu soll Blarer ihm so schnell wie möglich einen Briefentwurf zukommen lassen. Bullinger wird diesen abschreiben und noch einige Empfehlungsworte hinzufügen. Den Brief wird er an Wunderlichs Schwiegervater, Venner [Niklaus] Wvttenbach in Biel, schicken, mit der Bitte, ihn zu übermitteln. Dieser Einsatz Bullingers soll jedoch eine Ausnahme bleiben. Für den Fall, dass Wunderlich der Meinung ist, dass dieses Vorhaben realistisch sei, wäre es gut, wenn der Konstanzer Entwurf doch noch den Namen eines Ansprechpartners anführen würde. Bullinger steht dafür nicht zur Verfügung, weil ihm die Angelegenheit Sorgen bereitet. Er würde den Konstanzern, wie schon in einem früheren Brief [nicht erhalten]mitgeteilt, die Zürcher Georg Müller oder Johannes Haab dafür empfehlen. [4] Es besteht kein Zweifel, dass die Eidgenossen die von Franz I. gewünschten Söldner stellen werden. Sie sind dazu durch das Soldbündnis [von 1521]verpflichtet. Der König ernennt Hauptleute, die dann mit Geld die Söldner anwerben. Man sagt, dass die Amtsleute der Fünf Inneren Orte dies verhindern wollen. Allerdings wird ihnen das nicht gelingen. Das Volk wird trotz ihres Verbotes in den Krieg ziehen wie so oft zuvor. Das Geld liegt schon in Basel! Der Zürcher Rat wird versuchen, seine Leute zuhause zurückzuhalten. [5]Augsburg wird sich kaum Kaiser Karl V. unterwerfen, zumal Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen [über Herzog Moritz von Sachsen]siegt. Laut einer Meldung aus Basel soll der Landgraf Philipp von Hessen mit 6000 Reitern aus Dänemark in seinem Land zurück sein und in Rüstung stehen. [6] Blarer möge Vadians Brief [nicht erhalten] über die Ereignisse in Genua zurücksenden. Die Konstanzer sollen Marcell Dietrich von Schankwitz gut behandeln. Sie werden ihn noch brauchen können. [7]Man bleibe getrost im Herrn. Er wird die Seinen nicht verlassen! Lieber ehrenhaft sterben, als sich schändlich den Spaniern zu unterwerfen und den Pfaffen zu erlauben, nach Konstanz zurückzukehren! [8]Bald mehr, denn Bullinger hat seit dem Empfing von Blarers Brief noch niemanden aufgesucht. Beiliegend ein Brief mit Geld [von Kaspar Seidensticker] aus Burgdorf Gruß.

Gnad und frid, stercke und trost von gott unserm vatter durch unsern erlöser Christum. Uwer letstes schryben 1 hab ich empfangen. Bin ouch in yl und unversähen bewegt 2 und bekümbert 3 , das ich eben so verwirrt geschriben 4 alls ir. Doch weiß ich wol, das ir mir es alles ze gütem wenden werdint.

1 Blarers Brief vom 26. Januar (Nr. 2771).
2 unversähen bewegt: in Aufregung durch die unerwartete Situation.
3 mit Arbeit belastet; vgl. FNHDW III
1170 s.v. Bekümmernis. Diese Stelle bezieht sich auf eine ähnliche Aussage Blarers in Nr. 2771,83f.
4 Mit Brief Nr. 2767 vom 24. Januar.


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Dann 5 gott weist, das min hertz üch trüwlich wol will, und was ich mitt minem ringen dienst üch mitt trüwen bewysen konde, muste ungespart blyben.

Ich bin vast 6 froo, das an der werbung 7 nüt ist. Das sag ich üch aber in vertruwen, das söliche anzeigung min herren habend uß des landtkompthurs huß 8 , etc.

So ferr ir wöllend und beissend 9 , das ich ein versuchen thüge 10 an Hansen Wunderlich" zü Nüwenburg, doch one üwers namens meldung, so stellend ein copy 12 der werbung. Wil ich die abschriben und imm zuschicken a mitt sampt der wolmeynung 13 , die mich güt bedunckt. Und lassend mirs fürderlich werden 14 . Wil ichs dem fenner Wittenbach 15 zü Biel senden; der ist sin schwäher 16 . Ich wirt mich ouch nitt ynlegen 17 , zü handlen für und für 18 , sunder alein die erst anzeigung thün. Wirt nodt 19 sin, so er 20 vermeinte, die sach zü erheben 21 , das denocht ettwar 22 anzeigt und benampset 23 , dem zügeschriben und mitt dem gehandlet wurde. Dann ich belad mich gar nitt gern diß handels uß vilen ursachen. Riete noch, ir wurbind durch m. Jorgen Muller 24 oder h. burgermeister Haben 25 , etc., wie in vorigen brieffen 26 gemeldet. Hatte 27 mee ansähens. Ich bin gar angsthafft 28 in der sach.

Ob die Eydgnossen dem Franzosen 29 die knächt lassen wollind, bedarff keiner vrag, dann die vereinigung 30 vermags 31 : So er sy vorderet, müssend sy imm die lassen. Dann nitt sy, sunder er gipt houptlüt. Die bringend mitt

a In der Vorlage zuschickten.
5 Denn.
6 sehr.
7 Nämlich die nicht stattgefundene Gesandtschaft des Landkomturs Johann Werner von Reischach zu den Konstanzer Räten; s. Nr. 2771,10-12.
8 In Altshausen (Lb. Ravensburg, Baden-Württemberg).
9 (mich) auffordert. — Hier kommt Bullinger auf die von Blarer und Zwick in Nr. 2762,53-80, geäußerte Bitte zu sprechen, die Bullinger zunächst falsch verstanden hatte, von Blarer aber in Nr. 2771,13-31, richtiggestellt wurde.
10 ein versüchen thüge: einen Versuch (Vorstoß) unternähme; s. SI XIII 291f s.v. tuen.
11 Hans Wunderlich (Jean Merveilleux), aus Neuenburg, Geschäftsträger Frankreichs in der Schweiz.
12 Entwurf.
13 Gemeint ist eine Empfehlung.
14 fürderlich werden: rasch zukommen. 15 Niklaus Wyttenbach, Politiker in Biel.
16 Schwiegervater. — Wunderlich war in
dritter Ehe mit Ursula Wyttenbach verheiratet, einer Tochter aus Niklaus Wyttenbachs erster Ehe; s. HBBW XIII 308, Anm. 20; Almanach généalogique suisse, 3, 1910, 562.
17 verpflichten.
18 für und für: immer wieder.
19 notwendig.
20 Wunderlich.
21 unternehmen; s. SI II 906.
22 jemand.
23 mit Namen genannt (wird).
24 Der Zürcher Obristmeister und Ratsherr Georg Müller.
25 Johannes Haab, Bürgermeister des Baptistalrats.
26 Nicht erhalten.
27 Die Sache hätte.
28 besorgt; s. FNHDW I 1197f.
29 Franz I. — Er hatte um eidgenössische Söldner gebeten; s. Nr. 2761,58-60.
30 Das im Jahr 1521 abgeschlossene Soldbündnis zwischen den Fünf Inneren Orten und Franz I.
31 berechtigt bzw. verpflichtet (sie dazu).


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gällt uff, 32 so vil sy wöllend. Die grossen Hansen in Ländern 33 vermeinend, es (alls man sagt) zü schwellen 34 . Wirt vergäbens sin. Der gemein man 35 last sy verbieten; 36 und zühend sy 37 , wie vormals vil und dick 38 beschähen ist. Das gällt ist schon gen Basel bracht. Min herren aber werdent understan 39 , die iren ze behallten.

Ich truw, Augspurg werde widerheben 40 , besonders so der churfürst 41 gesiget. Der lantgraff 42 (also schrybend die von Basel) sol uß Denmarch mitt 6'000 pferden ankummen sin und sich rüsten. 43

Von Genuow 44 hab ich üch vormals Vadiani brieff zugesandt. 45 Warten des wider. Habend Dietrych Marcellen lieb. 46 Er wirt üch noch wol kummen .

Sind 48 in gott getrost und dappffer. Gott wirt uns nitt verlassen. Weger 49 ist es, erlich 50 gestorben dann 51 so ||223v. schantlich sich den Hispaniern underworffen und die pfaffen yngelassen. Gott wirt noch trostes gnüg gaben. Lassend uns den bitten.

Bald schrib ich mee. Diß in yl, das 52 ich noch by niemandts, sid ich üwer schryben empfangen, gewesen. Schick üch hie brieff und gällt, wie es mir von Burgdorff 53 worden. Gott mitt üch und den üwern allen. Grust mir unsere lieben vertruwten. Datum Zürych, 27. ianuarii 1547.

Bullinger.

[Adresse darunter:] Sinem fürgeliepten herren und brüder, m. Ambrosien Blaureren, predicanten zü Constantz. b

b Darunter Blarers Empfangsvermerk: 30. ianuarii.
32 bringend uff: werben an; s. SI V 710.
33 Hier wohl im weiteren Sinne die Fünf Inneren Orte. Unter den "großen Hansen" sind deren Amtsleute zu verstehen, die in Nr. 2776,24f, auch als "Olygarchen" bezeichnet werden.
34 hintertreiben; s. SI IX 1824. — Die Inneren Orte hatten nämlich den vier protestantischen Städten verboten, den Schmalkaldenern Söldner gegen den Kaiser zur Verfügung zu stellen und fürchteten nun, dass die von Franz I. angeworbenen Söldner gegen den Kaiser und letztlich zugunsten der Protestanten dienen könnten; HBBW XVII 27-29; XVIII 32f.
35 Der gmein man: Das Volk.
36 last sy verbieten: lässt sie (die "großen Hansen") Verbote erlassen.
37 das Volk.
38 vii und dick: so oft.
39 versuchen.
40 Widerstand leisten.
41 Johann Friedrich I. von Sachsen.
42 Philipp von Hessen.
43 Dieses und ähnliche falsche Gerüchte (wie etwa in Nr. 2761,48f) dürften auf die damaligen Hilfsgesuche Philipps bei der dänischen Krone zurückzuführen sein. König Christian III. zeigte sich aber lediglich bereit zu vermitteln; s. PA II 434, Nr. 1768.
44 Genua.
45 Vgl. Nr. 2767,101f.
46 Hauptmann Marcell Dietrich von Schankwitz hatte sich von Ulm nach Konstanz zurückgezogen; s. Nr. 2771,91-93.
47 wol kummen: nützlich sein; s. SI III 268.
48 Seid.
49 Besser.
50 ehrenhaft.
51 als.
52 weil; s. SI XIII 1736.
53 Burgdorf (Kt. Bern). —Die Sendung kam