Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2763]

[Ambrosius Blarer]
an Bullinger
[Konstanz],
22. Januar 1547

Autograph: Zürich StA, E II 357, 66-68 (Siegelspur) Zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 570f, Nr. 1396

[1] Blarer hofft, dass der am Vortag entsandte Bote [...] seinen Brief [Nr. 2762] überbracht hat. [2] Heute erhielt er den [Hohentwieler] Vertrag. Die Verzagtheit und Verzweiflung [Herzog Ulrichs von Württemberg] lässt Blarer Blut schwitzen! Er wollte das Dokument für Bullinger abschreiben, erfuhr aber, dass der Konstanzer Rat es mit dem gegenwärtigen Boten [...] dem Zürcher Rat übersenden wird. [3] Genauso wie Bullinger ihn letzthin [in einem nicht erhaltenen Brief] beschworen hat [standhaft zu bleiben], möchte nun auch er Bullinger dringlich bitten, sich in Zürich für die Konstanzer einzusetzen, zumal aus dem Hohentwieler Vertrag die Absichten Kaiser Karls V. deutlich hervorgehen. Unter ständiger Erwähnung des Hauses Österreich fordert dieser, als naturgemäßer Herr anerkannt zu werden. Wenn die Eidgenossen den Ernst der Lage nicht erkennen, so steht allen [den Konstanzern und den Eidgenossen] bald eine schändliche Knechtschaft unter den Spaniern bevor. Bullinger soll an Blarer denken und den Zürchern gut zureden, damit sie keine Entscheidungen treffen, die nicht zu verantworten sind. [4] Der Herr lässt sich nicht verspotten, sondern fordert, dass man aufrecht handelt und sich seines Namens nicht schämt. Wenn man doch nur ein Einsehen hätte! Käme es nicht dazu, werden die Eidgenossen und die Konstanzer die schlimmen Folgen ausbaden müssen. [5] Während der Woche ist ein stattlicher Reiter [...] durch den Thurgau geritten und hat die Gegend besichtigt. Als er in einem Dörfchen auf eine Hochzeitsgesellschaft stieß, setzte er sich zu den Bauern, trank mit ihnen und sagte unter anderem: Oh ihr Schweizer, bald werdet ihr mit einem Fuß im Rhein und mit dem anderen im Blut waten müssen!" Als etliche ihn daraufhin verprügeln wollten, sagte ein alter Mann, man solle ihn laufen lassen, weil sich sonst [die Thurgauer]auch nirgendwohin mehr begeben könnten, ohne verprügelt zu werden. Wie konnte sich der Reiter nur eine solche Vermessenheit auf Schweizer Boden erlauben und auch noch ungestraft davonkomnmen? [6]Bullinger soll sich nochmals den Hohentwieler Vertrag anschauen. Es ist doch so, als sagte der Kaiser: "Ich lasse dir dein Fürstentum noch acht Tage, bis sich mir eine gute Gelegenheit bietet, es dir zu entziehen." [7]Der junge Herzog Christoph [von Württemberg] ist mit Gemahlin [Anna Maria, geb. von Brandenburg-Ansbach] und Kindern nach Basel geflohen, vermutlich, um den Hohentwieler Vertrag nicht ratifizieren zu müssen. Seine Niederlassung in Basel erklärt sich auch durch die Ankunft von 1'200 Reitern im Burgund, die vorhaben, [die Grafschaft Mömpelgard] einzunehmen. Auf seiner Flucht nach Basel soll man versucht haben, ihn und seinen [Sohn Eberhard] festzunehmen. [8] Die Zürcher sollen bitten und beten! Die betrübte Zeit der Makkabäer ist angebrochen! Wenn Gott keinen Judas [Makkabäus]schickt und sich um diesen kein gutes, frommes Volk schart, so ist es um uns geschehen. Möge Gott den Willen verleihen, sich zu ihm zu bekehren und seine Gebote zu halten, um seine Gnade erlangen zu können. [9] Es ist bestürzend zu hören (auch wenn Bullinger noch nichts darüber geschrieben hat), dass die eidgenössischen Reisläufer, die den Schmalkaldenern zugelaufen sind, nun bestraft werden sollen und die Zürcher dem sogar zustimmen! Diese Nachricht ist genauso enttäuschend wie der Brief des Zürcher Rats [durch den Konstanz erfahren hat, dass die Eidgenossen der Stadt keine Hilfe zusagen wollen]. Gott lebt aber. Er wird helfen! [10] In der vergangenen Nacht sind Abgeordnete aus Lindau eingetroffen. Diese Stadt wird ebenfalls von den Nachbarn zur baldigen Ergebung aufgefordert. [11]Es fällt den Menschen schwer, alles auf Gott zu setzen. Gott sei gedankt für die Standhaftigkeit, die er Blarer verleiht. Dieser will lieber sterben, als in eine schändliche Versöhnung verwickelt zu werden. Doch nur eine Handvoll Leute im Rat und unter den Bürgern ist seiner Meinung. Die Mehrheit ist anders gesinnt. Er kann genau spüren, wie schwach der Rat und wie enttäuscht er über das Schreiben der


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Zürcher ist, in dem lediglich versichert wurde, "dass man tun werde, was man verantworten könne". Bis vor Kurzem hat man noch ganz anders geredet! [12]Blarer wäre es am liebsten, wenn man weder von den Zürchern noch von irgendjemnand, sondern nur von Gott allein etwas erwarten würde. Doch da die Mehrheit anders gesinnt ist, hofft Blarer, dass dieser Schwachheit auf gebührende, ehrbare Weise abgeholfen werden kann, um viel Ärger zu verhüten. [13] Könnten die Eidgenossen doch nur das ihnen bevorstehende Übel erkennen und ihre Haltung überdenken! [14]Nur Mut! Das Ende ist da. Deshalb ist es wohl für Rat und Hilfe zu spät. Dies entspricht dem gerechten Urteil Gottes, der die Seelen der Seinen ewig erhalten möge. [15]Grüße.

Sonders vertrauwter brüder, auff gestert hab ich euch ain botten 1 zügeschickt; achten, euch wol zükommen sein.

Auff heutt kompt mir für der wirtembergisch Vertrag oder articul seiner versünung, 2 wie man sy nennt, darob ich wol hett mögen blüt schwytzen und gar zü wasser werden 3 , das wir so verzweyfelt und verzagt handlen! Hett euch die articul abgeschriben, wa 4 ich nitt vernommen, das mine herrnn den ewern dieselbigen by disem botten 5 züschickten. 6

Hab euch aber dabey erinneren wellen und vermanen, ouch bezeugen 7 , so hoch und theür ir mich nechermal bezeugt und beschworen hapt, 8 nichts zü underlassen by den ewern, damitt gmainen sachen geholffen werde. Dann diewyl ir in disen articuln secht, wahin des kaisers 9 grund 10 10 steht und gelegt ist, und das man inn müsß für ain naturlichen herren bekennen (daß doch kain kaiser ye begert hat) a , und das hausß Österrich für und für gemeldt 11 wirt, so lassts euch angelegen sein 12 . Dann wellend ir, Aidgnossen, diß ding nitt mercken und verston, so merck und verstand ich wol, das dye strauff und plag vorhanden ist und wir all gar bald in schwäreste der Spanyer dienstbarkait 13 kommen müssind. Gott sey es ewigklich klagt, das wir allso mitt schand und schmach müssen zü grund gehn und nitt so mähr 14 rytterlich und dapffer 15 darob 16 lydend. Nun gedenckt an mich, 17 und secht, was ir thuet. Sprecht den ewern dapfer zü, sparet nicht, damitt sy nitt da sytzen und

a Hier und im Folgenden Klammern ergänzt.
1 Der unbekannte Bote, der Blarers Brief vom Vortag überbrachte; s. Nr. 2762,94.
2 Gemeint ist der zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und Kaiser Karl V. geschlossene Hohentwieler Vertrag; s. Nr. 2746, Anm. 21.
3 gar zü wasser werden: in Tränen (mich) auflösen; vgl. SI XVI 1803.
4 wenn.
5 Unbekannt.
6 Nämlich mit dem Brief des Konstanzer Rats an den Zürcher Rat vom 22. Januar (Zürich StA, A 177, Nr. 161). Ihm war eine aus Lindau zugeschickte Abschrift des Hohentwieler Vertrags beigelegt (aaO, Nr. 156).
7 überzeugen (wollen).
8 Auf diesen nicht erhaltenen Brief Bullingers bezog sich Blarer schon in Nr. 2762,1f.
9 Karl V.
10 Absicht.
11 für und für gemeldt: immer wieder erwähnt.
12 lassts euch angelegen sein: nehmt euch die Angelegenheit zu Herzen; s. FNHDW I 1147 s.v. angelegen.
13 Knechtschaft.
14 nitt so mahr: nicht lieber; s. SI IV 360.
15 Ironisch gemeint.
16 deshalb.
17 Anspielung auf Blarers Bitte an Bullinger in Nr. 2762,53-80.


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in sachen bewilligen, und jaa dartzu sagind, die aber nitt verantwurtlich 18 seyen.

Ach gott, der herr, lasst sich nitt fatzen 19 noch äffen 20 . Er will, daß man uffrecht und grad handle und sich seines nammens nitt bescheme. Ach, daß wirs bedächten! Es wirt uns unser schad und zü spat wytzig 21 machen. Das bad ist euch und unß überthon. 22 b

Es ist diß nechst tag in diser wochen ain ansehlicher rüter 23 durch vyl flecken im Turgöw geritten. Waist nieman, wer er ist. Hat das glend 24 besichtiget, und under anderm in ain flecken kommen. Ist ain hochzyt gewesen. Hat er sich ouch zü den puren gesetzt, mitt inn truncken, under anderm gesagt: "0 ir schwytzer, es wirt in kurtzen tagen darzü kommen, das ir mitt dem ainen füß im Ryn 25 , mitt dem andern im blüt watten müssen. "b Haben ettlich inn wellen schlachen. Hat ain alter man gesagt: "Ey, last inn loffen; wir dörfften sunst ouch den kopff nienen hinüß strecken, man schlüge unß." Gedenkt, was diß fur ain vermessenhait und praesagium seye uff ewerm boden, und hat ongerechtfertigt hingehn müssen. 26

||67 Lieber, besecht den vertrag 27 und wirtembergisch versünung recht und erwegts mitt fleyß. Ist es nitt ain lauter 28 tyranney und nitt anderst dann: "Ich will dir din furstenthümb noch acht tag lassen bysß zü meiner bessten gelegenhait; darnach will ich dirs gar nemmen; hab ursach und anspruch gnug"?

Der jung hertzog Christoph 29 ist mitt seinem gemache 30 und kinden 31 gen Basel gewichen. 32 Achten von deßwegen 33 , das er diß unbillich versönung nitt ratificieren müsse. 34 Daneben wirt hergeschriben, man hab inn fachen 35 söllen und die jungen 36 hinweg füren. Seind 1'200 pferdt in Burgund darum ankommen, damitt Wirtemberg gar eingezogen wurd. 37 Des seye er gewarnet worden und allso gewychen.

b-b Dazu am Rande Diß ist gewisß und war. 18 zu verantworten.
19 verspotten; s. Fischer II 982.
20 betrügen; s. Fischer I 108.
21 klug; einsichtig.
22 Das bad ist euch und unß überthon: Ihr (die Zürcher) und wir (die Konstanzer) werden die Sache ausbaden müssen; vgl. Wander I 219, Nr. 35.
23 Unbekannt.
24 Gelände; Gegend.
25 Rhein.
26 Und hat ongerechtfertigt hingehn müssen: Und [die Angelegenheit] blieb ungestraft.
27 Den schon oben Z. 3-7 erwähnten Hohentwieler Vertrag. 28 klare.
29 Christoph von Württemberg.
30 Gemahlin (Anna Maria von Württemberg, geb. von Brandenburg-Ansbach).
31 Siehe dazu unten Anm. 36.
32 Siehe Nr. 2761.45-47, und Anm. 9. 33 von deßwegen: aus diesem Grund.
34 Herzog Christoph ratifizierte den Vertrag erst unter Protest am 3. Februar; s. Heyd, Ulrich von Württ. III 476f.
35 inn fachen: ihn (Christoph) festnehmen.
36 Richtig: den Jungen. —Zu dieser Zeit hatte Christoph nur einen Sohn, Eberhard, geb. in Mömpelgard am 7. Januar 1545, gest. in Göppingen ain 2. Mai 1568. Sein zweites Kind. Tochter Hedwig, kam erst in Basel zur Welt; s. Nr. 2761, Anm. 23.
37 Zu den Rüstungen gegen Württemberg-Mömpelgard s. EA IV/1d 781 zu h.


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Ach hellfft uns bitten und betten! Es seind warlich der Machabeer zeyten, und wann gott nitt etwan ain Judam 38 erweckt, und ain güts froms völckle sich züsammenn schlecht 39 , das nichts dann gott, sein wort und das vatterland sticht, so ists sonst gethon. Gott verleych ernst, bekerung und eyfer, damitt wir unß hertzlich zü imm bekerind, vergangne übel behertzigind und mitt styffem 40 fursatz kunfftigklich unß in gottes wolgefellige weg rychtind, damitt er ursach hab, unß zü begnaden und ehr mitt unß einzelegen 41 . Amen.

Es ist erschrocklich zü hören, das alle eweren, so dem reych 42 gezogen 43 , gestraufft sollen sein an ehr und güt, und ewer herren und ander auch vornem in sölichen abschyden stehn sollen. 44 Es sagends ye vyl leut offenlich, wiewol ir kain meldung davon thaind 45 ; dann 46 das (wie ewer schreiben 47 gleych argwon verursacht hat), staind glatt nitt, wie es billich sollt 48 . Aber noch lebt der allt, starck gott 49 ! Dem seye lob und preyß in ewigkait. Er wirt noch seinen arm usstrecken und unß vätterlich hellffen.

||68 Die von Lyndauw sind vergangner nacht hieher kommen und noch hie. Denen werden vyl güter wort zügeschriben. Inen wirt ouch von ettlich c iren nachpuren c trungelich 50 gerathen, sich bald zü ergeben. Was sy thain werden, mag ich nitt wissen. 51

Ach gott, es sind dem flaisch schwer sachen 52 , alles allain uff gott setzen und wagen, 53 und wenig sind, die diß gab habend, dann es ist die höchst gelassenhait 54 . Gott seye ewig lob und danck, der mir uff diß stund diß hertz geben hat! Er wells in mir stercken und halten, das ich warlich, warlich, lieber und zü tausend mal mitt rath und that helffen wellt, verderben und sterben, und alles thain und lyden, das möglich, dann in sölich schentlich, verzweyfelt versönung gewickelt 55 werden, die ich nitt waiß zü sechen noch ze hören, geschwyg selbs darinn gemengt 56 ze sein. Und obwol noch ain handvol sölicher leut 57 im rath und gmain sind by uns d , noch ist der grösser hauff anderst gesinnet. Und sich 58 gleychwol yetzund allso bar 59 die schwachait, und wie hoch beschwerlich es von 60 ewern herren vom gmainen

c-c Am oberen Rand nachgetragen.
d by uns vor dem Zeilenbeginn angebracht.
38 Judas Makkabäus, jüdischer Freiheitskämpfer.
39 tut.
40 festem.
41 damitt er ehr mitt unß einzelegen: damit es ihm zur Ehre gereicht.
42 den Schmalkaldenern.
43 zugezogen (sind).
44 Siehe dazu Nr. 2762 und Anm. 26; Nr. 2816, Anm. 78.
45 tut.
46 46 denn.
47 47 Das bereits in Nr. 2762,4-26. 35-41, kritisierte Schreiben des Zücher Rats an den Konstanzer Rat.
48 staind glatt nitt, wie es billich sollt: ent
spricht durchaus nicht dem, was sich gehören würde.
49 Zur Redewendung s. Fischer I 154f.
50 dringend.
51 Siehe dazu Nr. 2746, Anm. 9.
52 Vgl. Mt 26, 41 par.; Phil 3, 3.
53 Vgl. 2Kor 1, 9.
54 Vertrauen in Gott; Gottergebenheit.
55 verwickelt.
56 involviert.
57 die wie Blarer denken.
58 (ich) sehe.
59 allso bar: derart deutlich; s. Fischer I 631.
60 ausgehend von.


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rathsman uffgenommen und verstanden wirt, das sy schreiben, sy wellind thain, das sy verantwurten mögen; 61 welchs bysher vyl anderst gelaut hat!

Ich weht mins tails, das man weder uff euch noch yemands seche, dann uff den ainigen gott und die mittel, die man frey uss seinen gnaden haben und zü hand bringen möcht. Ich sich aber, wie die gmain wellt gesinnet, und das es nitt yedermans ding ist. Drum weht ich ouch hertzlich gern, das gemainer schwachait durch zymlich 62 , erbar weg geholffen wurd 63 , damitt vyl ergers verhüt wurde 64 .

O min gott, köndten ir Aidgnossen sechen mitt dem rechten oug in das euch berait 65 ubel, ouch von der wellt, 66 ir söllten euch bald ains andern und bessern bedenken!

Wolan! Ich denck offt, es ist am end 67 und kerab 68 Darum ist weder hilff noch rat noch yetzt zyt. Und so güt mittel sind, kan man sich dero litt gebrauchen. Das sind die erschröcklichen, aber gerechten urtail gottes. Der erhallt unsre selen ewigklich.

Grüzt alle menschen. Datum 22. jenners aubends 1547 c.

[Ohne Unterschrift.]

[Adresse auf der Rückseite:] An Hainrich Bullinger zü Zürich.