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Autograph: Zürich StA, E II 357, 66-68 (Siegelspur) Zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 570f, Nr. 1396
[1] Blarer hofft, dass der am Vortag entsandte Bote [...] seinen Brief [Nr. 2762] überbracht
hat. — [2] Heute erhielt er den [Hohentwieler] Vertrag. Die Verzagtheit und Verzweiflung
[Herzog Ulrichs von Württemberg] lässt Blarer Blut schwitzen! Er wollte das Dokument für
Bullinger abschreiben, erfuhr aber, dass der Konstanzer Rat es mit dem gegenwärtigen Boten
[...] dem Zürcher Rat übersenden wird. — [3] Genauso wie Bullinger ihn letzthin [in einem
nicht erhaltenen Brief] beschworen hat [standhaft zu bleiben], möchte nun auch er Bullinger
dringlich bitten, sich in Zürich für die Konstanzer einzusetzen, zumal aus dem Hohentwieler
Vertrag die Absichten Kaiser Karls V. deutlich hervorgehen. Unter ständiger Erwähnung des
Hauses Österreich fordert dieser, als naturgemäßer Herr anerkannt zu werden. Wenn die
Eidgenossen den Ernst der Lage nicht erkennen, so steht allen [den Konstanzern und den
Eidgenossen] bald eine schändliche Knechtschaft unter den Spaniern bevor. Bullinger soll an
Blarer denken und den Zürchern gut zureden, damit sie keine Entscheidungen treffen, die nicht
zu verantworten sind. — [4] Der Herr lässt sich nicht verspotten, sondern fordert, dass man
aufrecht handelt und sich seines Namens nicht schämt. Wenn man doch nur ein Einsehen hätte!
Käme es nicht dazu, werden die Eidgenossen und die Konstanzer die schlimmen Folgen ausbaden
müssen. — [5] Während der Woche ist ein stattlicher Reiter [...] durch den Thurgau
geritten und hat die Gegend besichtigt. Als er in einem Dörfchen auf eine Hochzeitsgesellschaft
stieß, setzte er sich zu den Bauern, trank mit ihnen und sagte unter anderem: Oh ihr
Schweizer, bald werdet ihr mit einem Fuß im Rhein und mit dem anderen im Blut waten
müssen!" Als etliche ihn daraufhin verprügeln wollten, sagte ein alter Mann, man solle ihn
laufen lassen, weil sich sonst [die Thurgauer]auch nirgendwohin mehr begeben könnten, ohne
verprügelt zu werden. Wie konnte sich der Reiter nur eine solche Vermessenheit auf Schweizer
Boden erlauben und auch noch ungestraft davonkomnmen? —[6]Bullinger soll sich nochmals
den Hohentwieler Vertrag anschauen. Es ist doch so, als sagte der Kaiser: "Ich lasse dir dein
Fürstentum noch acht Tage, bis sich mir eine gute Gelegenheit bietet, es dir zu entziehen."
—[7]Der junge Herzog Christoph [von Württemberg] ist mit Gemahlin [Anna Maria, geb. von
Brandenburg-Ansbach] und Kindern nach Basel geflohen, vermutlich, um den Hohentwieler
Vertrag nicht ratifizieren zu müssen. Seine Niederlassung in Basel erklärt sich auch durch die
Ankunft von 1'200 Reitern im Burgund, die vorhaben, [die Grafschaft Mömpelgard] einzunehmen.
Auf seiner Flucht nach Basel soll man versucht haben, ihn und seinen [Sohn Eberhard]
festzunehmen. — [8] Die Zürcher sollen bitten und beten! Die betrübte Zeit der Makkabäer
ist angebrochen! Wenn Gott keinen Judas [Makkabäus]schickt und sich um diesen kein
gutes, frommes Volk schart, so ist es um uns geschehen. Möge Gott den Willen verleihen, sich
zu ihm zu bekehren und seine Gebote zu halten, um seine Gnade erlangen zu können.
—[9] Es ist bestürzend zu hören (auch wenn Bullinger noch nichts darüber geschrieben hat),
dass die eidgenössischen Reisläufer, die den Schmalkaldenern zugelaufen sind, nun bestraft
werden sollen und die Zürcher dem sogar zustimmen! Diese Nachricht ist genauso enttäuschend
wie der Brief des Zürcher Rats [durch den Konstanz erfahren hat, dass die Eidgenossen
der Stadt keine Hilfe zusagen wollen]. Gott lebt aber. Er wird helfen! — [10] In der
vergangenen Nacht sind Abgeordnete aus Lindau eingetroffen. Diese Stadt wird ebenfalls von
den Nachbarn zur baldigen Ergebung aufgefordert. —[11]Es fällt den Menschen schwer, alles
auf Gott zu setzen. Gott sei gedankt für die Standhaftigkeit, die er Blarer verleiht. Dieser will
lieber sterben, als in eine schändliche Versöhnung verwickelt zu werden. Doch nur eine Handvoll
Leute im Rat und unter den Bürgern ist seiner Meinung. Die Mehrheit ist anders gesinnt.
Er kann genau spüren, wie schwach der Rat und wie enttäuscht er über das Schreiben derBriefe_Vol_19-168 arpa
Zürcher ist, in dem lediglich versichert wurde, "dass man tun werde, was man verantworten
könne". Bis vor Kurzem hat man noch ganz anders geredet! —[12]Blarer wäre es am liebsten,
wenn man weder von den Zürchern noch von irgendjemnand, sondern nur von Gott allein etwas
erwarten würde. Doch da die Mehrheit anders gesinnt ist, hofft Blarer, dass dieser Schwachheit
auf gebührende, ehrbare Weise abgeholfen werden kann, um viel Ärger zu verhüten.
— [13] Könnten die Eidgenossen doch nur das ihnen bevorstehende Übel erkennen und ihre
Haltung überdenken! —[14]Nur Mut! Das Ende ist da. Deshalb ist es wohl für Rat und Hilfe
zu spät. Dies entspricht dem gerechten Urteil Gottes, der die Seelen der Seinen ewig erhalten
möge. —[15]Grüße.
Sonders vertrauwter brüder, auff gestert hab ich euch ain botten 1 zügeschickt; achten, euch wol zükommen sein.
Auff heutt kompt mir für der wirtembergisch Vertrag oder articul seiner versünung, 2 wie man sy nennt, darob ich wol hett mögen blüt schwytzen und gar zü wasser werden 3 , das wir so verzweyfelt und verzagt handlen! Hett euch die articul abgeschriben, wa 4 ich nitt vernommen, das mine herrnn den ewern dieselbigen by disem botten 5 züschickten. 6
Hab euch aber dabey erinneren wellen und vermanen, ouch bezeugen 7 , so hoch und theür ir mich nechermal bezeugt und beschworen hapt, 8 nichts zü underlassen by den ewern, damitt gmainen sachen geholffen werde. Dann diewyl ir in disen articuln secht, wahin des kaisers 9 grund 10 10 steht und gelegt ist, und das man inn müsß für ain naturlichen herren bekennen (daß doch kain kaiser ye begert hat) a , und das hausß Österrich für und für gemeldt 11 wirt, so lassts euch angelegen sein 12 . Dann wellend ir, Aidgnossen, diß ding nitt mercken und verston, so merck und verstand ich wol, das dye strauff und plag vorhanden ist und wir all gar bald in schwäreste der Spanyer dienstbarkait 13 kommen müssind. Gott sey es ewigklich klagt, das wir allso mitt schand und schmach müssen zü grund gehn und nitt so mähr 14 rytterlich und dapffer 15 darob 16 lydend. Nun gedenckt an mich, 17 und secht, was ir thuet. Sprecht den ewern dapfer zü, sparet nicht, damitt sy nitt da sytzen und
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in sachen bewilligen, und jaa dartzu sagind, die aber nitt verantwurtlich 18 seyen.
Ach gott, der herr, lasst sich nitt fatzen 19 noch äffen 20 . Er will, daß man uffrecht und grad handle und sich seines nammens nitt bescheme. Ach, daß wirs bedächten! Es wirt uns unser schad und zü spat wytzig 21 machen. Das bad ist euch und unß überthon. 22 b
Es ist diß nechst tag in diser wochen ain ansehlicher rüter 23 durch vyl flecken im Turgöw geritten. Waist nieman, wer er ist. Hat das glend 24 besichtiget, und under anderm in ain flecken kommen. Ist ain hochzyt gewesen. Hat er sich ouch zü den puren gesetzt, mitt inn truncken, under anderm gesagt: "0 ir schwytzer, es wirt in kurtzen tagen darzü kommen, das ir mitt dem ainen füß im Ryn 25 , mitt dem andern im blüt watten müssen. "b Haben ettlich inn wellen schlachen. Hat ain alter man gesagt: "Ey, last inn loffen; wir dörfften sunst ouch den kopff nienen hinüß strecken, man schlüge unß." Gedenkt, was diß fur ain vermessenhait und praesagium seye uff ewerm boden, und hat ongerechtfertigt hingehn müssen. 26
||67 Lieber, besecht den vertrag 27 und wirtembergisch versünung recht und erwegts mitt fleyß. Ist es nitt ain lauter 28 tyranney und nitt anderst dann: "Ich will dir din furstenthümb noch acht tag lassen bysß zü meiner bessten gelegenhait; darnach will ich dirs gar nemmen; hab ursach und anspruch gnug"?
Der jung hertzog Christoph 29 ist mitt seinem gemache 30 und kinden 31 gen Basel gewichen. 32 Achten von deßwegen 33 , das er diß unbillich versönung nitt ratificieren müsse. 34 Daneben wirt hergeschriben, man hab inn fachen 35 söllen und die jungen 36 hinweg füren. Seind 1'200 pferdt in Burgund darum ankommen, damitt Wirtemberg gar eingezogen wurd. 37 Des seye er gewarnet worden und allso gewychen.
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Ach hellfft uns bitten und betten! Es seind warlich der Machabeer zeyten, und wann gott nitt etwan ain Judam 38 erweckt, und ain güts froms völckle sich züsammenn schlecht 39 , das nichts dann gott, sein wort und das vatterland sticht, so ists sonst gethon. Gott verleych ernst, bekerung und eyfer, damitt wir unß hertzlich zü imm bekerind, vergangne übel behertzigind und mitt styffem 40 fursatz kunfftigklich unß in gottes wolgefellige weg rychtind, damitt er ursach hab, unß zü begnaden und ehr mitt unß einzelegen 41 . Amen.
Es ist erschrocklich zü hören, das alle eweren, so dem reych 42 gezogen 43 , gestraufft sollen sein an ehr und güt, und ewer herren und ander auch vornem in sölichen abschyden stehn sollen. 44 Es sagends ye vyl leut offenlich, wiewol ir kain meldung davon thaind 45 ; dann 46 das (wie ewer schreiben 47 gleych argwon verursacht hat), staind glatt nitt, wie es billich sollt 48 . Aber noch lebt der allt, starck gott 49 ! Dem seye lob und preyß in ewigkait. Er wirt noch seinen arm usstrecken und unß vätterlich hellffen.
||68 Die von Lyndauw sind vergangner nacht hieher kommen und noch hie. Denen werden vyl güter wort zügeschriben. Inen wirt ouch von ettlich c iren nachpuren c trungelich 50 gerathen, sich bald zü ergeben. Was sy thain werden, mag ich nitt wissen. 51
Ach gott, es sind dem flaisch schwer sachen 52 , alles allain uff gott setzen und wagen, 53 und wenig sind, die diß gab habend, dann es ist die höchst gelassenhait 54 . Gott seye ewig lob und danck, der mir uff diß stund diß hertz geben hat! Er wells in mir stercken und halten, das ich warlich, warlich, lieber und zü tausend mal mitt rath und that helffen wellt, verderben und sterben, und alles thain und lyden, das möglich, dann in sölich schentlich, verzweyfelt versönung gewickelt 55 werden, die ich nitt waiß zü sechen noch ze hören, geschwyg selbs darinn gemengt 56 ze sein. Und obwol noch ain handvol sölicher leut 57 im rath und gmain sind by uns d , noch ist der grösser hauff anderst gesinnet. Und sich 58 gleychwol yetzund allso bar 59 die schwachait, und wie hoch beschwerlich es von 60 ewern herren vom gmainen
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rathsman uffgenommen und verstanden wirt, das sy schreiben, sy wellind thain, das sy verantwurten mögen; 61 welchs bysher vyl anderst gelaut hat!
Ich weht mins tails, das man weder uff euch noch yemands seche, dann uff den ainigen gott und die mittel, die man frey uss seinen gnaden haben und zü hand bringen möcht. Ich sich aber, wie die gmain wellt gesinnet, und das es nitt yedermans ding ist. Drum weht ich ouch hertzlich gern, das gemainer schwachait durch zymlich 62 , erbar weg geholffen wurd 63 , damitt vyl ergers verhüt wurde 64 .
O min gott, köndten ir Aidgnossen sechen mitt dem rechten oug in das euch berait 65 ubel, ouch von der wellt, 66 ir söllten euch bald ains andern und bessern bedenken!
Wolan! Ich denck offt, es ist am end 67 und kerab 68 Darum ist weder hilff noch rat noch yetzt zyt. Und so güt mittel sind, kan man sich dero litt gebrauchen. Das sind die erschröcklichen, aber gerechten urtail gottes. Der erhallt unsre selen ewigklich.
Grüzt alle menschen. Datum 22. jenners aubends 1547 c.
[Ohne Unterschrift.]
[Adresse auf der Rückseite:] An Hainrich Bullinger zü Zürich.