Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[768]

Leo Jud und
Bullinger an
Oswald Myconius und
Simon Grynäus
Zürich,
22. März 1536

Ausfertigung von der Hand Rudolf Gwalthers(?) a : Zürich ZB, Ms S 40, 105 (Siegelspur) Ungedruckt

Wie vereinbart, haben sie [mit den Zürcher Pfarrern] über [das Erste Helvetische Bekenntnis] beraten; sie stimmen diesem grundsätzlich zu, schlagen aber einige Präzisierungen vor, und zwar zu den Artikeln über die Lehren der Menschen, den Zweck der Hl. Schrift, Gott, die Erlösung, die Kirche, die Diener des Wortes, die Sakramente, das Abendmahl und die Mitteldinge. Außerdem soll festgehalten werden, dass diese Artikel nicht als verbindliche Glaubensregel gedacht sind, sondern dass die Bibel einzige Richtschnur sein muss, dass aber andere Ausdrucksweisen gerne geduldet werden; die Zuruckweisung verfälschender Deutungen bleibt vorbehalten. Grynäus und Myconius sollen die lateinische Fassung des Bekenntnisses an die deutsche Übersetzung [Leo Juds]angleichen.

Gnad und frid vonn gott durch unseren herren Jesum Christum.

Demnach wir, geliepten brüderen 1 " von ein anderen gescheiden mitt dem geding 2 , das ein yetlicher diener des wortts sich mitt den anderen brüderen daheim bereden und beradtschlagen sölty der gestelten artiklen, ob man den selben ettwas von oder zu thun söltte, habend wir mitt den unßeren unß eigentlichen beredt und findend nutt, daß wir den gestelten articklen ützid 3 könend abnemmen oder zuthuon; allein habend wir wöllen volgende artickel baß 4 erlütteret und söllicher gstalt verbeßeret haben:

1. b Von menschen leeren 5 : Waß sust menschlicher leeren und satzungen sind, sy sygend so schön, hüpsch und ansichtig 6 und lang gebrucht sy immer

a Nachträgliche Ergänzungen, Adresse und Dorsualvermerk von Bullingers Hand. Der Brief gehört zur Sammlung Johann Jakob Simlers und stammt nach dessen Angabe aus dem Besitz des Arboner Pfarrers Johann Jakob Grob (1714-1744). Erhalten ist auch Bullingers eigenhändiger Entwurf (Zürich StA, E II 337, 143r.-144v.; zitiert: E). Orthographische Varianten sind nachfolgend nicht berücksichtigt.
b Jeder Artikel ist mit einer kurzen überschrift, und am linken Rande mit einer Nummer versehen.
1 Angesprochen sind nicht nur Myconius und Grynäus, an die der Brief zwar adressiert
ist, von denen aber unten in dritter Person die Rede ist (s. Z. 86-88). Wie der Begleitbrief (unten Nr. 769) erkennen Iäßt, sollte das vorliegende Schreiben den Delegierten vorgelegt werden, die am 26./27. März in Basel zur weiteren Beratung über das am 4. Februar angenommene Erste Helvetische Bekenntnis zusammentraten (s. dazu unten Nr. 779, 1-6 mit Anm. 2; vgl. auch unten Nr. 770, 9-13).
2 Vereinbarung, Auflage (SI XIII 522-527).
3 etwas (SI I 83f).
4 besser (SI IV 1650).
5 Art. 4 des Bekenntnisses (BSRK 101).
6 beachtlich (SI VII 266f).


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wöllend, die unß von gott und warem glouben abfürend oder hinderend c haltend , wir ytel, schedlich etc.

2. Waß der zwek der heiligen geschrifft etc. 7 : Die gantz biblische geschrifft sicht allein daruff, Dass das menschlich geschlecht verstande, daß imm gott günstig sye und wol wölle, und daß er dise sine guttwillikeitt durch Christum, sinen son, dem gantzen menschlichen geschlecht offentlich dargestelt und bewißen habe, die aber allein durch den glouben empfangen, weicher gloub durch die liebe gegen dem nechsten geüpt und durch ein unschuldig leben ertzeigt und bewißen werde.

3. Von gott 8 : Von gott haltend wir also, das ein einiger, warer, lebendiger und allmechtiger gott sye, einig imm wesen, dryfaltig in personen, der alle ding durch sin wort, das ist, durch sinen son, uß nütt geschaffen habe und alle ding durch sinen geist erhalte, der alles durch sin fürsichtikeit grecht, warlich und wißlich 9 regiere und verwalte.

4. Wie gott den menschen durch sinen eewigen radtschlag etc. 10 : Wie wol nun der mensch durch söllich sin schuld und überttretung eewiger verdamnuß zubeckendt 11 und in den gerechten zorn gottes gefallen ist, so hatt doch gott, der gnedig vatter, nie uffgehörtt, sorg für in zetragen, welchs wir uß den ersten verheißungen und uß dem gantzen gsatzt 12 (welches, wie es heilig und gutt uns den willen, die gerechtikeit und warheitt d gottes leert, also erwekt es unser sund und würkt den zorn, thutt den selben nitt e ab f , nitt uß siner selbs onmacht, sonder uß unser eigner g schuld) und uß dem herren Christo, der dartzu verordnet etc.

5. Von der kilchen 13 : Und wie wol dise samlung und kilchen h Christi allein den ougen gottes offen und bekant ist, so wirtt sy doch durch ußere zeichen, brüch und ordnung, die von Christo selbs ingesetzt und geordnet sind, und durch das wortt gottes alls durch ein gmeine 14 , offne und ordenliche I I zucht 15 nutt allein gesehen und erkent, sonder ouch dermaß gesamlet und gebuwen, Daß inn dise kilchen niemandts, ordenlich tzu reden i , so vil unser urteil betrifft, und one k besondere anschikung 16 oder ordnung und fryheit, von gott geoffnet und geüpt l , one dise ding getzelt wirtt.

c Die in Entwurf und Ausfertigung durch Unterstreichung hervorgehobenen Anderun gsvorschläge erscheinen in unserer Edition in Kursivdruck.
d E: warheyt über gestrichenem barmhertzigheyt.
e nitt korrigiert aus nütt.
f E: thut den selben nitt ab am Rande nachgetragen; die Fortsetzung korrigiert aus: nitt uß siner selbs, sunder unser schuld und unsermm presten.
g eigner am Rande nachgetragen.
h E: kylchen und samlung.
i E: nach reden gestrichenes und.
k-l E: von one bis geüpt korrigiert aus: one besondere fryheyt und anschickung gottes.
7 Art. 5 (BSRK 102).
8 Art. 6 (ebd.).
9 weise.
10 Art. 10 (BSRK 103).
11 verurteilt zu (SI III 316).
12 Gesetz.
13 Art. 14[15](BSRK 104).
14 allgemeine.
15 Unterweisung (disciplina).
16 Anordnung (SI VIII 519f).


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6. Von den zudieneren des wortts gottes und etc. 17 : Doch m mitt disem anhang und verstand, daß wir in dem allem alle würkung und krafft dem herren gott allein, dem diener aber Dass zudienen zuschribend. Dann gwüß ist es, das dise krafft und würkung gheiner creatur niemermer angebunden soll nach mag werden 18 , sonder gott, der sy ußteilt nach sinem fryen willen, wie und wem er will. Dann "weder der da pflantzt noch der da begüßt, ist ettwaß, sonder gott, der das wachsen und zunemmen gibt"[1Kor 3, 7].

7. Von dem vermögen, krafft und würkung etc. 19 : Deren zeichen, die man in der heiligen christenlichen kilchen sacramenta nempt, sind zwey, namlich der touff und daß nachtmal des herren. Dise sacramenta sind bedütliche, heilige zeichen hoher und heimlicher n , daß ist, göttlicher und geistlicher dingen, deren nammen sy ouch habend; sind aber nitt blosse und lerre zeichen, sonder sy bestand in zeichen etc.

8. Vom nachtmal des herren oder von der dank[sagung] etc. 20 : Vom heiligen abentmal haltend wir also, das der herr imm heiligen abentmal sin lib und blutt, Dass ist, sich selbs o , den sinen warlich anbüttet und zu söllicher frucht zenießen gibt, das er ye me ye me in innen 21 und sy in imm lebend; nütt das der lib und Dass blutt des herren mitt brott und wyn natürlich vereinbaret oder rümlich daryn verschloßen werde oder daß ein libliche, fleischliche oder wunderwerckliche gegenwirtikeitt hie gesetzt p , sonder dass der lib und das blutt Christi warlich im glouben q von der glöubigen r seel geistlich s geäßen und getrunken werde und das brot und win uß der insatzung des herren hochbedütende, heilige wartzeichen etc.

9. t Den artickel vonn mittlen dingen 22 mag man komlicher 23 imm anfang u also stellenn: Alle ding, die man mittel nempt und ouch eigentlich mittel sind, deren mag sich ein frommer glöubiger etc.

m In E hat Bullinger den Artikel etwas ausführlicher zitiert, dann aber den Anfang wieder gestrichen: Deßhalb wir ouch beckennend, das die diener der kylchenn mittarbeyter gottes sind, allß sy der heylig Paulus nempt [vgl. 1Kor 3, 9], durch die er sinen glöubigen erckantnuß sin selbs und ablaß der sünden zudienet und fürtreyt, die menschen zu imm beckeert, uffrichtet, tröstet, ja ouch erschreckt und urteylIt.
n E: nach heymlicher gestrichenes dingen.
o E: nach selbs gestrichenes mitt allen sinen gütternn.
P E: nach gesetzt gestrichenes werde.
q E: imm glouben am Rande nachgetragen.
r E: vor glöubigen gestrichenes gotsförchtigen und.
s E: geistlich korrigiert aus imm geist.
t Punkt 9 wurde -im Entwurf wie in der Ausfertigung - am Ende des Briefes (nach der Unterschrift) von Bullinger eigenhändig nachgetragen.
u imm anfang fehlt in E.
17 Art. 15[16](BSRK 105).
18 werden soll noch kann.
19 Art. 20[21](BSRK 106).
20 Art. 22[23](BSRK 107f).
21 ihnen.
22 von den Mitteldingen, Adiaphora; Art. 25[26] (BSRK 108).
23 passender (SI III 285).


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Zu end aller articklen, das wol nähermals abgeredt 24 , doch geschrifftlich nutt verfaßet, begerend wir, dal3 es jetzund hintzu gesetzt werde uff volgende oder der glichenn v formm:

10. Dise artickel verschribner confeßion sind von unß nütt der meinung gestelt, Dass sy ein einige 25 und allgmeine christenliche w gloubens form und regel allen anderen kilchen sin sollend x oder daß wir yemands inn wortten vahen 26 und || in ein besondere artt zereden von hendlen des gloubens zwingen wöllind, sonder wir bekennend vor uß und ab 27 die heiligen biblischen geschrifft für das einig und algemein richtschyt 28 aller kilchen. So mögend wir ouch wol liden, so yemands heiliger geschrifft gemeß glich mitt anderen wortten, dan dero wir unß hie geprucht, verstentlicher und den kilchen nutzlicher von alien disen hendlen schribt oder leert. So ferr solicher inn der substantz und verschribner warheit mitt uns hält, sind wir mitt im wol tzu friden.

Herwiderumb, ob yemands wurde unß unser confeßion durch mißverstand der wortten felschen und die selben uff ein irrige, valsche meinung wider iro vermög 29 und gsunden verstand ziehen, behalten wir unß allwegen vor, den gsunden verstand zeredden 30 und fürtzetragen, damitt gott und sin warheitt allweg in allem gesige 31 .

Witter ist unser ernstlich bitt und begär, das d. Simon Gryneus und d. Oswaldus Myconius die latinischen artikel nach den tütschen verfolkommind und verglichend, damitt sy ein ander allenklich 32 glich syend 33 .

Gott beware üch allweg.

Datum Zürich, 22. martii im 1536. jar.

Leo Judae und Heinrich

Bullinger.

[Adresse auf der Rückseite:]y An die frommen, getrüwen und wolgelerten Oßwalden Myconium unnd Simon Gryneum, unsere liebenn herren und brüder ze Basel.

v oder der glichenn von Bullinger am Rande nachgetragen; auch in E erst nachträglich eingefügt.
w E: christenliches. E: sin söllind korrigiert aus sye.
y Adresse und Dorsualvermerk fehlen in E.
24 vereinbart. Zur Sache vgl. Stumpf, Abendmahlsstreit 74, Art. [28]. Auch seiner eigenhändigen Abschrift des lateinischen Bekenntnistextes hat Bullinger eine inhaltlich entsprechende "Protestatio" angefügt; s. Zürich StA, E II 337, 137.
25 alleinige, einzige.
26 mit Worten binden.
27 zuallererst, ein für allemal (SI I 31).
28 Richtschnur, Regel (SI VIII 1517).
29 Inhalt, Wortlaut (SI IV 107).
30 zu retten.
31 siege.
32 gänzlich (SI I 170f.
33 Zu den Abweichungen der von Leo Jud angefertigten deutschen Übersetzung des Bekenntnisses vom lateinischen Text s. oben Nr. 751, Anm. 24. Die von Bullinger gewünschte Bearbeitung ist offenbar unterblieben (vgl. unten Nr. 804, 24-29).


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[Dorsualvermerk:] Dises exemplar schickend unß wider 34 , wil es fug haben 35 , oder lassend unß joch nun 36 die ersten cart 37 abschryben, die vor disen articklen lyt 38 .