Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[558]

Bullinger an
Sulpitius Haller
Zürich,
19. März 1535

Autograph: Zürich ZB, Ms Z XI 103 (Siegelspur) Ungedruckt

Johannes Comander aus Chur schreibt, daß viele im Tirol herumziehende Landsknechte angeworben worden seien und angeblich für einen Einfall ins Veltlin gebraucht werden; das Verhör eines im Veltlin gefangenen Spähers könnte böse Pläne aufdecken, denn Gian Giacomo de' Medici war in Innsbruck und weilt zurzeit auf der Burg Hohenems. Hat zuvor schon Warnungen an Peter Im Haag geschickt. Mahnt zu Beständigkeit und Gottesfurcht. Wenn die Lage etwas klarer wird, werden sich Bullinger und Haller der besprochenen Sache annehmen.

Gnad und frid vonn gott durch unsernn herren Jesum Christum.

Hütt ist mir ein brieff vonn dem predicantenn vonn Chur 1 worden, ist am mentag geschryben, 15. martii 2 . Der lut von wort ze wort also: "Der unseligen lantzknächten sind ein merckliche zaal inn die graffschafft Tyrol kummen an die gräntzen unsers lands 3 , habend da ein zyt lang gepättlet und arme lüt übel getrengt 4 , zeletzt sind sy gemustret und achttusend uff ein monat sollds bezallt 5 . Die lassend sich mercken, es söllend bald noch 20 tusend hernach kummen. Und allß man lang mitt wunder 6 gewartet, durch welchen wäg sy wöllind zühen in Italien, sich 7 , so kumpt das geschrey 8 , sy wöllend inn das Fälltlyn 9 vallenn. Dorumb die unsernn sich beflyssend, daß sölichs nitt beschäch. Deß sontags, 14. martii, kummend brieff für den radt ze Chur, daß man ein späher 10 habe inn dem Velltlin gefangen. Den wirt man nun streckenn und der prattick nachkummen 11 . Dann gwüß ist groß verrätery vor handen. Der vonn Müß 12 , der mörder 13 , ist ze Ynßprug 14 gewäsen. Jetzdan ist er uff

1 Johannes Comander.
2 Es handelt sich um den Brief Comanders an Heinrich Utinger vom 15. März 1535 (Zürich StA, E II 365, 3), dessen Hauptteil von Bullinger im folgenden fast wörtlich - aus dem Lateinischen übertragen - wiedergegeben wird.
3 Graubünden.
4 bedrängt, unterdrückt (SI XIV 1097).
5 Bullinger schrieb über diese Werbungen gleichentags auch an Myconius (vgl. unten Nr. 559, 23-25 mit Anm. 10).
6 neugierig (Grimm IV/I 4 6786f).
7 siehe.
8 Gerücht, Gerede (SI IX 1448f).
9 Die Talschaft Veltlin war seit 1512 Untertanenland der Drei Bünde (vgl. HBLS VII 209).
10 Unbekannt.
11 den Umtrieben auf die Spur kommen (vgl. SI V 568f und III 281).
12 Gian Giacomo de' Medici di Marignano, genannt Medeghino, 1495-1555, von Mailand, Abenteurer und Condottiere, kämpfte von 1521 an für den Herzog von Mailand gegen Frankreich. 1523 brachte er die Felsenburg Musso am oberen Comersee in seinen Besitz. 1525 führte sein Einfall ins Veltlin zu einem ersten Krieg gegen die Bündner. Nach seinem Abfall von Herzog Francesco Sforza 1528 bemächtigte er sich der mailändischen Herrschaftsgebiete rund um den Comersee. Sein Überfall auf Morbegno löste schließlich den sogenannten Müsserkrieg von 1531/1532 aus. Die Eidgenossen (außer den V Orten) unterstützten die Bündner militärisch. Nach dem Friedensvertrag,


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Hohen Emps by Fäldkylch 15 . Der keysser kumpt diß jars nitt. Aber unß, den tryen pündten 16 , den Beineren, dem Wirtemberger 17 und allen denen, die ann der warheit 18 sind, ist ein band überthon 19 . Gott wölle unß gnädenklich schirmen. Was ich wyters uß des verräters, den man gfangen, verycht 20 , vernimm, will ich dir ylends zuschryben. Dann der bößwicht ist uß unsermm land pürtig, da der lotter 21 , der Müsser, vil spähens hatt. Ich bsorg 22 , es syend die allten anschleg 23 , die by dem läben unsers Zwynglins fürgenommen, aber nitt zu begärtem end gepracht sind 24 etc."

So vil hallt der brieff vonn Chur inn. Hab ich üch zu gutem nitt wöllen verhallten 25 , dann ich ettwas warnung ouch vor 26 minem herren Peternn Imm Hag zugeschryben 27 . Sölichs mögend ir imm ouch zusenden oder behallten, wie es üch gut dunckt.

durch den Mailand seine Besitzungen zurückerhielt, zog sich Gian Giacomo ins Piemont zurück, trat in die Dienste Karls III., des Herzogs von Savoyen, und stand 1536 in der Waadt gegen die Berner im Felde. In der Folge diente er Kaiser Karl in Italien, in Ungarn, Flandern und Deutschland. Von 1552 bis 1555 befehligte er die Belagerungsarmee vor Siena. Er starb in Mailand, wohin er zur Verteidigung gegen die Franzosen gerufen worden war. — Lit.: Luigi Bignami, Nel crepuscolo delle Signorie Lombarde, Mailand 1925; Ernst Weiss, Basels Anteil am Kriege gegen Giangiacomo de' Medici, den Kastellan von Musso, 1531-1532. Ein Beitrag zur politischen Geschichte der Reformationszeit, Diss. phil. Bern, Basel 1902, S. 19-56. 143-151; R. A. Gianzun, II Medeghin, in: Annalas della Società retoromantscha 30, 1915, S. 1-57; Z VI/IV 75-91 (dort weitere Lit.); Mario Menghini, Gian Giacomo de' Medici di Marignano, in: Enciclopedia Italiana, Bd. XXII, Rom 1934, S. 703.
13 Gian Giacomo de' Medici war in Graubünden als skrupelloser Mensch verschrieen. Ob sich Comander auf einen konkreten Fall, wie z. B. den Mord am jungen Astorino Visconti 1523 in Mailand bezieht (vgl. [Heinrich Zeller-Werdmüller] Kampf gegen den Tyrannen von Musso am Comersee in den Jahren 1531-1532, in: 78. Njbl. der Feuerwerker-Gesellschaft in Zürich auf das Jahr 1883, S. 3), ist nicht auszumachen.
14 Innsbruck (Tirol), Sitz der vorderösterreichischen Regierung.
15 Die bei Feldkirch (Vorarlberg) gelegene Burg Hohenems. Gian Giacomo de' Medici war mit den Hohenemsern verschwägert; denn seine Schwester Klara hatte 1528 Wolf Dietrich von Ems geheiratet (vgl. [Zeller-Werdmüller], aaO, S. 5).
16 Drei Bünden.
17 Herzog Ulrich von Württemberg.
18 d. h. reformiert.
19 Fesseln angelegt (vgl. SI IV 1323 und XIII 366).
20 Aussage (SI II 109).
21 der schlechte Mensch (SI III 1503).
22 befürchte.
23 bösen Pläne, [Absichten] (SI IX 215-219).
24 Comander denkt hier sicher an den Fall Theodul Schlegels, der 1529 in Chur wegen konspirativer Tätigkeit hingerichtet wurde (vgl. unten Nr. 567, Anm. 15, und Oskar Vasella, Abt Theodul Schlegel von Chur und seine Zeit, 1515-1529. Kritische Studien über Religion und Politik in der Zeit der Reformation, Freiburg i. Ue. 1954. —Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte. Beiheft 13, besonders S. 211-300), vielleicht auch an die beiden "Müsserkriege" der Jahre 1525-1526 und 1531-1532 (vgl. [Zeller-Werdmüller], aaO, passim, besonders S. 4 und 5).
25 vorenthalten (SI II 1233f).
26 zuvor schon.
27 Nicht erhalten. Vgl. Im Haags Antwort an Bullinger, oben Nr. 553.


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Sind allwäg 28 manlich, dappffer, demütig, gotsförchtig. Gott wirt unß umb sines hälgen namens und umb siner eeren willen nitt verlassen.

Wenn wir dann eigentlicher 29 sähend, wo uuß, wöllend wir ouch zu unser zeletst abgeretter sach 30 lugen 31 . Die sach will sich eben rächt also schicken 32 .

Gott sye mitt üch.

Datum Zürych, 19. martii 1535.

Heinrych Bullinger, der üwer

gantz und gar.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem ersammen, frommen und wysen Sulpitio Hallernn, vogte uff Läntzburg, sinem günstigen, lieben herrenn.