Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3104]

Christian Hochholzer
an Bullinger
Aarau,
Mittwoch, 4. Januar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 343, 370 (Siegelspur) a Ungedruckt

[1]Hochholzer dankt für Bullingers letzten Brief [nicht erhalten], auch wenn dieser kurz war. Er verlässt sich auf das darin geäußerte Versprechen, dass er nicht vergessen wird. Bullinger ermahnte ihn, das ihm zugeordnete Amt nicht unüberlegt zu verlassen. Doch Hochholzer handelt nicht leichtfertig, wenn er in seiner Not über eine neue Anstellung nachdenkt. Vieles spricht nicht nur dafür, sondern drängt ihn sogar dazu. Die finanziellen Mittel, die andere im Überfluss haben, reichen bei ihm nicht einmal für das Nötigste! Er wird von Schulden erdrückt, während andere hervorragend versorgt sind. -[2]Es ist Bullinger ja nicht unbekannt, zu welchen Bedingungen er seine Stelle angetreten hat. Was ihm alles zugesagt wurde, ist sicherlich nicht schon vergessen. Hochholzer zweifelt nicht an Bullingers Wohlwollen, will aber klarstellen, dass er nicht unbedacht handelt. Er verlangt auch nicht, dass Bullinger ihm diese oder jene Anstellung verschafft. Allerdings würde er die freie Stelle des Diakons am Großmünster dankend annehmen. Wenn doch wenigstens ein Angebot für eine ordentliche Stelle käme! Er bleibt aber zuversichtlich, da alles in Gottes Hand liegt. -[3]Er bittet allein darum, dass ihn Bullinger und die Pfarrer und Ratsherren von Zürich nicht vergessen, damit er nicht bereut, dem Entschluss des Rates gefolgt zu sein und mit geringem Einkommen gelebt sowie Schulden angehäuft zu haben! -[4]Die Zürcher sollen daraufachten, dass sich seinetwegen andere aus Angst, vergessen zu werden, nicht ungehorsam erweisen, wenn der Rat ihnen eine Stelle zuweist. Doch genug davon! Der ihm zugeneigte Bullinger wird schon wissen, was für die Kirche am besten ist. -[5]Als Zürcher möchte Hochholzer lieber seiner Heimat dienen, obgleich er in der Not andere Anstellungen nicht abschlagen würde, falls die Zürcher seine Dienste nicht benötigten oder andere bevorzugten. -[6]Bis jetzt hat er noch nie bereut, sich Bullingers Willen gefügt zu haben. Nun aber stehen die Dinge so, dass er handeln muss, weshalb er nun den Zürchern seine Dienste anbietet, da ja Stellen in Zürich und Umgebung unbesetzt sind. Sollte er dafür geeignet erscheinen, so möge Bullinger sich seiner bedienen. Er hofft aber nicht an einen abgelegenen Ort versetzt zu werden, da er bis jetzt Bullinger immer gehorcht hat. -[7]Es ist nicht seine Art, ständig zu jammern, und er hat sich auch nicht bei anderen beklagt. Doch angesichts seiner derzeitigen Lage sollen die Zürcher erfahren, dass er ihnen zur Verfügung steht, damit sie ihm keine Undankbarkeit vorwerfen können, falls er anderswo eine [bessere] Stelle antreten müsste. -[8]Bullinger möge ihn, wie versprochen, weiterhin unterstützen. Grüße an Rudolf Gwalther, Johannes Haller und an alle Ratsherren und Pfarrer. Grüße auch von Hochholzers Frau [Sara, geb. Näf], die die Rückkehr nach Zürich sehnlichst herbeiwünscht. -[9]Anbei für Bullingers Frau [Anna, geb. Adlischwyler]als Zeichen der Dankbarkeit leider nur ein Stückchen von dem Horn eines Einhorns. Dass Hochholzer ihr bisher noch nie etwas geschenkt hat, liegt nicht etwa daran, dass er undankbar wäre, sondern vielmehr daran, dass er kein angemessenes Geschenk

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.


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gefunden habe. Nun aber ist ihm diese Kostbarkeit in die Hände gekommen. Und da diese sich besonders bei Entbindungen als hilfreich erweist, schenkt er sie ihr. Bullinger und seine Frau mögen dieses bescheidene Geschenk wohlwollend annehmen.

Gratiam et pacem a domino. Accepi tuas nuper literas 1 , breves quidem, sed tarnen mihi satisfacientes. Recipis enirn te mernorem rnei fore, de quo non dubito. Mones autern et recte quidern, ne temere, ad quos legittirne sim vocatus, 2 deseram. 3 Non equidem, arbitror, temeritatem iudicabis, si cogente necessitate de loci et conditionis mutatione cogitavero. Multa enim sunt, que non solum id suadent, sed tantum non urgent. Mihi narnque, quod aliis splendide et abundanter contingit, non datur ad necessitatern. Ego aere alieno premar, durn aliis perpulchre prospicitur. Non te latet, quibus conditionibus hanc provinciam obierirn. Que et quanta mihi prornissa, haud puto jarn oblivioni tradita. Que non eo scribo, quod de tua in me fide et benevolentia 4 quicquam dubitem, sed tantum ne temere nunc agere videar. Nec expeto, ut hanc vel illam conditionern mihi dan cures (quamvis si ita contingeret, ut in diaconi tui locurn, qui nunc, ut audio, vacat, vocarer, haudquaquam recusarern, 1 Nicht erhalten.

2 Hochholzer wirkte seit Juni 1544 als Prädikant in Aarau; s. HBBW III, Nr. 302, Anm. 1. Tatsächlich war 1544 aber seitens der bernischen Landstadt Aarau Johannes Haller der gewünschte Kandidat für diese Stelle gewesen; s. HBBW XIV Nr. 1898. -Obwohl die genauen Umstände, wie Hochholzer nach Hallers Ablehnung zu der Stelle kam, nicht bekannt sind, ist von Bullingers Einflussnahme auszugehen, wobei gemäß der "Prediger- und Synodalordnung"(gedruckt in AZürcherRef, 825-837) offiziell ab 1532 der Zürcher Rat für die Vergabe von Pfarrstellen im Zürcher Gebiet und die Entsendung von Pfarrern an andere Orte zuständig war. Bullingers Einfluss auf die Stellenvergabe nahm jedoch wohl stetig zu; s. Alexandra Kess, Ein neu entdeckter Bullingerbrief aus dem Jahr 1544. Beobachtungen zu Bullingers Einfluss auf die Besetzung von Pfarrstellen, in: Zwa XLIV, 2017, 404f. 406-409, und die dort angeführten Stellen aus HBBW. -Hochholzers erste Ehefrau, die er zwischen dem 25. Juni 1544 (HBBW XIV, Nr. 1938,40-43) und dem 1. November 1545 (HBBW XV, Nr. 2276,60f) geheiratet hatte, hieß gemäß dem Aargauer Taufregister, in dem die Taufe von Hochholzers Sohn Heinrich am 20. Januar 1549 angegeben wird
(StadtA Aarau, II 608 TaR, S. 23), Sara Näf. Diese Angabe ist sowohl in den bisher erschienen HBBW-Bänden XV, Nr. 2276, Anm. 31. Nr. 2293, Anm. 11; XVI, Nr. 2349, Anm. 11; Nr. 2355, Anm. 10; Nr. 2382, Anm. 8; Nr. 2410, Anm. 21; Nr. 2420, Anm. 18; Nr. 2427, Anm. 8; XVII, Nr. 2549, Anm. 22; XX, Nr. 3006, Anm. 18, als auch in Carl Keller-Escher, Promptuarium genealogicum, Bd. 3 (Zürich ZB, Ms Z II 3), S. 753, dementsprechend zu korrigieren. Für diesen Hinweis danken wir Frau Neya Johnstun.
3 Bereits 1546 hatte sich Hochholzer über sein geringes Einkommen in Aarau beklagt; s. HBBW XVI, Nr. 2349,26. Er muss in seinem letzten Brief an Bullinger (nicht erhalten) ein weiteres Mal seine finanzielle Lage und seine Anstellung in Aarau moniert und seinen Weggang angedeutet haben. Auch vor seiner Berufung nach Aarau ist in Hochholzers Briefen an Bullinger öfters dessen Unzufriedenheit mit den Anstellungsbedingungen deutlich herauszulesen; s. HBBW XIII, Nr. 1786; XIV, Nr. 1938,27-34; XVIII, Nr. 2681,1-16.
4 Hochholzer stand bereits als Student in Bullingers Gunst und wurde als Stipendiat spätestens Ende 1533 in dessen Haus aufgenommen; s. HBBW III, Nr. 302, Anm. 1. 5 Im Jahr 1547 verstarben die beiden Archi


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imo dignus a vobis iudicatus cum magna gratitudine reciperem), si saltem honesta aliqua mihi et legittima vocatio offerretur, de quo, ut hactenus nunquam sollicitus fui, ita ne nunc quidem sum anxius. In manu domini hec omnia esse agnosco.

Hoc tantum oro, ita mei cum caeteris dominis et fratribus colendis memineris, ut me per hoc tempus, dum morem vobis magistratuique prudentissimo gessi, 6 tam tenui stipendio vixisse, aesque alienum collegisse, neutiquam possit paenitere, si quid hactenus decessit, porro resarciatur.

Facite etiam, ne aliis exemplo fiam, quominus huiusmodi in causis obediant, si viderint semel ablegatos perpetuae tradi oblivioni. Nec est, ut multis tecum agam, quibus nominibus mihi aliquid tribui velim. Tu ipsa pro singulari tua prudentia solitaque erga me benevolentia perspicies, quid e re mea futurum sit I ecclesiaeque Christi commodissimum.

Patriae civis servire malo quam aliis Quamvis interim alias 7 non respuo, quas recipiam b necessario, si quidem vobis mea opera vel non est opus vel alios praefertis.

Hactenus semper me tuo permisi consilio regendum, que tu facienda iudicasti, feci, nec unquam, quod sciam, me tibi opposui, neque huius me unquam paenituit. Recte habui, successit bene. Nunc autem res meae ita se habent, ut aliter omnino mihi sit prospiciendum. Quare me vobis inprimis meamque operam offero. Vacant enim conditiones et in urbe et in agro. Si quidem dignus videor, uti potestis (spero enim me non in quemvis contemptissimum locum detrudendum, eo quod hactenus obedivi iussui vestro).

Atque hucusque non solitus sum multum conqueri, nec cuiquam animi mei consilium revelavi. Nunc autem, cum ita se res meae habeant, efficiam, ut sciant saltem praecipui reipublicae Tigurinae me patriae pre omnibus aliis obtulisse, ut, si quando ita res ferat, ut alio vocatus conditionem recipiens, ingratitudinis non possim accusari.

Vale ac me commendatum habe atque id, quod te facturum plane mihi persuasi, efficere perge. Salutabis meo nomine totam tuam domum, d. Gvaltherum, Hallerum b Über der Zeile nachgetragen.

diakone des Zürcher Großmünsters, Heinrich Buchter und Erasmus Schmid. Da Johannes Haller unmittelbar nach Buchters Tod im Oktober als dessen Nachfolger als 1. Archidiakon vorgeschlagen worden war, wird hier nicht dieses Amt gemeint sein; s. HBBW XX, Nr. 3094, Anm. 21. Obwohl der 2. Archidiakon Schmid bereits im Februar verstorben war, blieb seine Stelle bis Mitte November vakant. Schmids Nachfolger, Otto Werdmüller, zuvor Leutpriester am Großmünster,
trat die Stelle am 17. November an; s. HBBW XIX, Nr. 2764, Anm. 17. Hiervon hatte Hochholzer vermutlich noch keine Kenntnis, zumal Bullinger auch Vadian erst am 21. Dezember darüber informierte (HBBW XX, Nr. 3096, [8]).
6 Siehe hierzu oben Anm. 2. -Als ehemaliger Zürcher Stipendiat hatte sich Hochholzer den Weisungen des Rates zu beugen.
7 Gemeint ist: alias conditiones.


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cum omnibus dominis et fratribus dilectis. Salutat vos et uxor 8 mea, que reditus in patriam diem videre summopere exoptat. Aarovie, 4. ianuarii anno 1548.

Uwer frowen 9 schik ich hieby ein kleins stükly von einem einhorn 10 , allein zu einem zeichen der dankbarkeit. 11 So ich köndte und vermöchte, wolt ich mit grosserem das gutt, so sy mir gethan, vergalten. Ich han bißhar iren nie nüt 12 geben, nit das ich so undankbar syge 13 , sonder das ich nit gwüßt, was ich iren gemäß sölte schenken. Nun ist mir das also zu einem grossen kleinot 14 geworden. Das schenk ich iren, dann 15 es sonderlich gebärende [n] c frowen nüz ist, mit bitt, sy welle es, auch ir, von mir vergutt 16 uffnemen. Die schenke 17 ist wol klein anzesähen, der will aber ist gutt. Totus tuus Christianus Hochholzer.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heinrycho Bullingero, ecclesiae Christi Tiguri antistiti vigilantissimo, domino suo colendissimo.

c Textverlust durch Papierverlust.
8 Sara, geb. Näf s. oben Anm. 2. -Dass die aus Zürich stammende Ehefrau Hochholzers bereits kurz nach der Eheschließung und damit auch kurz nach Einrichtung des gemeinsamen Haushalts in Aarau ihre Heimat sehr vermisste, berichtete Hochholzer am 9. Februar 1546 in einem Brief an Bullinger, s. HBBW XVI, Nr. 2349,26-28.
9 Anna, geb. Adlischwyler.
10 Das Horn des Einhorns galt u.a. als wundersames und kostbares Heilmittel gegen verschiedene Beschwerden und Krankheiten und war auch als Talisman sehr begehrt. Möglicherweise
handelte es sich um ein Stück eines Narwalzahns; s. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 2, hg. y. Hanns Bächtold-Stäubli unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer, Berlin/New York 1927, Sp. 709. 711.
11 Siehe dazu oben Anm. 4.
12 noch nie etwas; s. SI IV 869.
13 sei.
14 Kostbarkeit; s. SI III 655.
15 weil.
16 vergutt: wohlwollend; s. SI ll 542.
17 Die schenke: Das Geschenk.