Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2732]

[Bullinger]
an Ambrosius Blarer
Zürich,
31. Dezember 1546

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 288
(Siegelspur)
Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 556f, Nr. 1387

[1] Bullinger wünscht Blarer ein gutes neues Jahr, auch wenn dieses so schlecht beginnt. [2]Blarers Schreiben [Nr. 2731]nahm Bullinger mit Traurigkeit zur Kenntnis. Daraus geht hervor, wie wenig das Evangelium geschätzt wird. Und dieses Konzil, das der päpstliche Kaiser [Karl V. ] einberufen will! Dadurch würde man den Glauben erst recht verleugnen! [3]Bullinger tröstet sich mit dem Gedanken, dass die Konstanzer alles aufs Spiel setzen werden, ehe sie solche Friedensbedingungen annehmen würden. Schon vor dem Krieg hat man nichts anderes von ihnen erwartet. Angesichts der Wichtigkeit von Blarers Mitteilung hat Bullinger diese sogleich dem Bürgermeister [Hans Rudolf Lavater]angezeigt. Dieser war über die Unzuverlässigkeit der [protestantischen] Städte [Süddeutschlands] entsetzt. Daraufhin berief er den [Alt]bürgermeister [Johannes] Haab und die drei vertrauenswürdigen und frommen Obristmeister Georg Müller, [Itelhans] Thumysen und [Hans] Wegmann ein. Nach längerer Beratung wurde Bullinger vom Bürgermeister informiert, dass Müller am Sonntag [2. Januar 1547] nach Stein am Rhein reiten würde, nämlich unter dem Vorwand, sich als Obmann der Kirchengüter zum dortigen Pfleger [Hans Zubler] zu begeben. Um keinen Argwohn zu erregen, soll Konrad Zwick am Sonntagmittag in einer Herberge in Stein einkehren. Dann werden sich Müller und Zwick ernstlich über die Angelegenheit unterhalten. Müller ist ein vertrauenswürdiger Mensch, auf den Zwick wie auf Bullinger selbst (der leider nicht kommen kann) zählen darf - [4] Die Konstanzer sollen wie fromme Christen ihr Leben für [Gottes] Bund und das Vaterland aufs Spiel setzen und sich nicht einschüchtern lassen! [5] Der Bote [...] verlässt Zürich um fünf Uhr nachmittags. Bullinger hat ihn gebeten, die Nacht hindurch im Mondschein zu laufen, damit er am Neujahrstag etwa um 4 Uhr nachmittags in Konstanz eintreffe. Bullinger rechtfertigte seine Bitte, indem er dem Boten zu verstehen gab, dass Blarer dringend etwas wissen müsse. Er gab dafür 12 Konstanzer Batzen aus. [6] Soeben kommt Müller vorbei. Er lässt Zwick ausrichten, dass er am Neujahrstag nach Winterthur reiten und am Tag darauf gegen Mittag in Stein ankommen wird, um dann auf Zwick zu warten. Wenn dieser eingetroffen ist, wird Müller ihm einen Boten schicken und ihn zum Essen einladen. Zwick soll die Einladung ablehnen mit der Begründung, dass er zu viel zu erledigen habe und bald wieder aufbrechen müsse. Dann wird Müller mit einem zweiten Boten ausrichten lassen, dass auch er bald abreisen und schnell essen wolle; worauf hin Zwick einwilligen soll. So wird dieses Treffen niemandem verdächtig vorkommen. Gott wird alles zum Besten wenden und die Seinen nicht verlassen. [7] In Eile. [8] [P.S.:] Die Bürgermeister [Lavater und Haab] grüßen Blarer und dessen Cousin [Zwick].

Der allmächtig, ewig gott wölle üch und uns ein glückhafft gut jar verlihen, desse anfang er uns ruch 1 sähen last! Gott wölle sich unser erbarmen! Uwer trüw, früntlich schryben 2 hab ich mitt leyd und grossem kumber verläsen, deßhalb, das ich sich 3 , wie so gar kein evangelium by denen lüten

1 schlimm, unangenehm: s. SI VI 181.
2 Blarers Brief Nr. 2731 vom Vortag mit
den Vorschlägen Blarers und Zwicks, wie Zürich an Konstanz schreiben sollte, um


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ist. 4 O deß consiliums 5 , das der bäpstisch keyser 6 berüfft! Die religion uff ain sölich consilium stellen, ist sy gar verlougnen! Eventus probabit.

Uwern halben hab ich noch den trost, ir setzend dran, was ir habend, ee dann ir söliche condition annemmend. Man hat doch vor dem krieg nitt mee geforderet, etc. 7 Und diewyl üch und uns dise sach lib und gut ja vilmer seel und eer berüren wil, hab ich üwer schryben ylendts minem herren burgermeister 8 anzeigt. Der hatt sich darab ettwaz entsetzt, denn er allwäg die stett für redlicher gehept 9 . Daruff hatt er den burgermeister Haben 10 und die 3 obristen meister", 11 , m. Jörgen Müllern, m. Dumysen und m. Wägman, berüfft. Die sind von den gnaden gottes alle trüw, synceri et vere pii, eins sins und hertzens. Hatt denen vertruwklich 12 ein summ 13 uß üwerm schryben fürgetragen, darüber sy sich lang beradtschlagt. Daruff berüfft mich min herr 14 . Heist mich üch zum höchsten dancken, und daß minen herren dise sach zum höchsten zu hertzen gangen. Habind 15 für gut angesähen, das jetzund uff sontag 16 zu mittentag ir obrister meister, m. Jörg Müller, der morn uußryten wirt, zu Stein 17 alls ein obman der kylchengüter 18 ankumme, alls ob er mitt dem pflager 19 ze handlen. Da ist ir 20 früntlich pitt, das C[onrat]

Konstanz von Friedensverhandlungen mit dem Kaiser abzuhalten.
3 sehe. Anspielung auf die Unterwerfung einiger süddeutscher Städte unter den Kaiser; vgl. z.B. Nr. 2725,9-14. 37-42, und Nr. 2729,15-17.
5 Gemeint ist das Konzil, das laut Karl V. über die theologischen Punkte entscheiden sollte; s. Nr. 2731,10f. — Zu Bullingers Orthographie dieses Wortes s. HBBW XVI 169, Anm. 19.
6 Karl V.
7 Gemeint ist: Die Eidgenossen oder die Zürcher haben nie (also auch vor dem Krieg nicht) etwas Wichtigeres von den Konstanzern gefordert, als sich nicht auf einen Frieden mit dem Kaiser einzulassen.
8 Hans Rudolf Lavater, der seit dem 27. Dezember 1546 wieder Bürgermeister war; s. auch Stucki 226 und Anm. 3.
9 gehalten hat.
10 Johannes Haab.
11 obristen meister: Obristmeister, auch Statthalter genannt. — Die vom Großen Rat kurz vor Weihnachten auf zwei bis drei Jahre aus den 24 Zunftmeistern gewählten Obristmeister waren maßgeblich an der Politik beteiligt; s. René Hauswirth,
Die Zürcher Obristmeister (Oberstzunftmeister) 1518-1547, in: Zwa 12/8, 1967, 596-602. Laut Hauswirth (aaO, S. 599) war im Jahr 1547 Itelhans Thumysen (Zunftmeister zur Schmiden) Amtsältester der Obristmeister, während Georg (Jörg) Müller (Zunftmeister zur Meisen) Mittlerer Obristmeister und Hans (Johannes) Wegmann (Wägmann) (Zunftmeister zur Saffran) Jüngster Obristmeister waren. —Thumysen und Wegmann waren Mitglieder des Natalrats 1546, während Müller dem Baptistairat 1546 angehörte; s. Schnyder, Ratslisten 308.
12 vertraulich.
13 Zusammenfassung; s. SI VII 971.
14 Lavater.
15 Lavater, Haab und die drei Obristmeister.
16 2. Januar 1547.
17 Stein am Rhein, das unter der Schutzherrschaft von Zürich stand; s. HBBW XV 69, Anm. 11.
18 Dass Müller tatsächlich dieses Amt innehatte, geht auch aus Hauswirth, aaO, S. 600, hervor.
19 Der Klosterpfleger (auch Amtmann oder Schaffner genannt) Hans Zubler (gest. 23. Mai 1557), der bald darauf durch den Zürcher Ratsherrn, den Goldschmied Stefan


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Z[wick] dahin kumme, daß er ouch umb mittentag zu Stein in ein herberg fare umb minder argwhons willen. Wil sich m. Jörg zu imm schicken und sich gnügsamm ersprachen 21 . Da so, bitten ich umb gottswillen, daß a Conrad Zwick a nitt uußblybe. Der m. Müller ist so ein uffrächter, ynbrünstiger gottsfründ und ein so redlicher mann, alls 22 wir inn hie habend. Demm darf er so vil vertruwen, alls wenn ich selbs by imm were. Die sach wil nitt beit haben 23 . Ist mir gar nitt muglich xin 24 , ze kummen.

Thünd alls trüw fromm christen, die ir läben und lib für das testament 25 und vatterland setzend! Lassend üch nut abschrecken! Lassend uns von hertzen gott anrüffen!

Den botten 26 fertig ich hynächt und jetzt zu 5 ur uff der nacht 27 . Hab inn gebätten, bim monschyn 28 ze gan. Was 29 er willig. Hab imm geschenckt 12 Constentzer batzen. Sagt 30 : "M. Ambrosy 31 schribt mir, begärt ettwas dur mich ze erfaren. Ist schier 32 ze spaadt. Aber sind ir morn uff den nüwen jarstag zu den 4 oder 33 vor nacht zu Constantz, ist es frü gnug." Das schrib ich, daß ir üch gägen dem botten wüssind ze richten.

||288v. Und wie ich grad das geschriben hab, kumpt m. Jörg selbs und sagt: "Schrib dem J[uncker]C[onradt]34 , ich werde morn noch biß gen Wintherdur ryten. Zu mittentag uff sontag wil ich, wills gott, zu Stein sin. So ryte er sontags fru, das er ettwan umb die 12 ynryt. So wil ich sin gewaren 35 . Und

a-a In Geheimschrift (s. dazu HBBW XVII 45 und Anm. 2:?21 Abbildung aaO, S. 12).
Zeller, ersetzt wurde. Zubler war früher Untervogt von Wohlen (im Freiamt Aargau) gewesen. Für seinen für die Reformation bekundeten Eifer erhielt er 1531 das Bürgerrecht von Zürich. 1544 Großrat, 1545 Zunftmeister zum Kämbel, 1545 und 1546 im Natairat. Während der ersten Hälfte von 1546 wurde er zum Schaffner von Stein am Rhein erwählt; s. LL XVII 559; XX 159; Ferdinand Vetter, Das Sankt-Georgen-Kloster in Stein am Rhein, Basel/Stein am Rhein 1884, 5. 52; Schnyder, Ratslisten 307; 308 und Anm. 3; 309 und Anm. 2; 618. — Dementsprechend sind HBBW XVI 118, Anm. 2 und 7 zu korrigieren: 1) Im Januar 1546 war der im dortigen Brief genannte Rudolf Kambli schon längst nicht mehr Amtmann in Stein an Rhein. 2) Der in diesem Brief erwähnte "oeconomus" ist nicht etwa der Seckelmeister von Stein am Rhein (Johann Leuberer), sondern der Pfleger des Klosters, damals wohl noch Zublers Vorgänger Heinrich Belzinger (gest. 1550).
20 der Bürgermeister und Obristmeister.
21 gnügsamm ersprachen: ernstlich (darüber) unterhalten; s. SI X 728f.
22 wie.
23 wil nitt beit haben: duldet keinen Verzug; s. SI IV 1844.
24 gewesen.
25 Den Bund, den Gott mit den Menschen geschlossen hat.
26 Unbekannt.
27 5 ur uff der nacht: 5 Uhr nachmittags; vgl. unten Z. 49f.
28 Laut Wolfgang Hallers Kalendereintrag unter dem 31. Dezember 1546 (Zürich ZB, Ms D 269/3) war es an diesem Tag schön. Aus der gedruckten Vorlage desselben Kalenders geht ferner hervor, dass es nur noch sechs Tage bis zum nächsten Vollmond waren.
29 War.
30 Ich habe gesagt.
31 Ambrosius Blarer.
32 beinahe.
33 etwa; s. Fischer V 38.
34 Konrad Zwick.
35 sin gewaren: ihn erwarten; s. SI XVI 852.


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wenn er 36 dann an die herberg ryt, wil ich imm ein botten schicken, zu mir ze kummen und mitt mir ze ässen; ich sye grad erst ouch kummen. So sol ers abschlahen, sagen: geschäfften halb könne 37 er nitt; danck imm vast 38 ; muß wider hinwäg. So wil er 39 den andern botten schicken und bitten, dann er wölle ouch bald hinwäg und schnell ässen. Dann so sol er 40 kummen." Achtend gentzlich, daruff werde nieman nut gedencken 41 . Gott wirts wol schicken, dann 42 ich weiß, daß er uns nitt lassen wirt.

Mitt güter nacht, datum Zürych, des letsten decembris ze 5 um nach mittag ze nacht 1547 43 . In yl.

Die hand kennend ir wol.

Salutant te consules 44 et consobrinum.

[Adresse darunter:] Sinem frünt[lichen, für]geliepten b her[ren und bru]der M. A[mbrosien Blau]reren, p[redicanten zu]Cons[tantz]c.