Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2672]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
12. November 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 260f (neu: 277)(Siegelspur) Ungedruckt

[1] Bullinger kündigt [in einem nicht erhaltenen Brief] an, dass er weniger oft schreiben werde, als ob der Krieg schon zu Ende wäre! [2]Bullinger würde anders reden, wenn er die Lobhudeleien einiger Adliger [...]auf der Basler [Martini]messe gehört hätte. Aufgrund einiger Briefe aus dem [kaiserlichen]Feldlager preisen sie das Kriegsglück des Kaisers [Karl V.], seinen Reichtum und Landbesitz und meinen, er sei unbesiegbar. Sie behaupten auch, dass ihm die deutschen Söldner ans Herz gewachsen seien. Demzufolge hätten die [Protestanten] überhaupt keinen Grund, sich zu rühmen! Doch ist das gegenseitige Trösten dieser Adligen nur Ausdruck ihres Zweifels und Verzweifelns. [3] Hätte also Bullinger diese Gespräche gehört, hätte er für die Zukunft nicht weniger Briefe angekündigt, sondern würde wie bisher öfters schreiben, genauso wie auch Myconius weiterhin informieren wird! Doch genug gescherzt! In der Tat ist Myconius für Bullingers Briefe sehr dankbar. Der Herr möge ihm diese Wohltat vergelten! [4]Bullinger hat nichts über den Boten [den Regensburger Stadtschreiber Nikolaus Dintzel]berichtet, der von [richtig: an][Antoine Perrenot], dem [bzw. den] Sohn des [Nicolas Perrenot] de Granvelle, entsandt und mit einem Brief von [richtig: an] [Antoine] festgenommen wurde. In dem Brief wird bedauert, dass der Kaiser sein Winterlager nicht in Württemberg aufgeschlagen hat, zumal dort alles Notwendige reichlich vorhanden gewesen wäre. Man solle wenigstens im Frühling dorthin, da dieses Herzogtum sich für das Vorhaben des Kaisers sehr gut eignen würde! [5][Sigismund Stier], der Kanzler des Grafen Georg [von Württemberg-Mömpelgard], schrieb an [Matthias]Erb, dass Sebastian Schertlin Donauwörth sowie Neuburg [a.d. Donau] unter Tötung aller Kaiserlichen eingenommen hätte. Nun zeigt sich anhand von Bullingers Brief, dass das nicht stimmt. Das geht auch aus dem [beschlagnahmten] Brief des Boten hervor. Darin steht im Gegenteil, dass den Kaiserlichen im Territorium des Augsburger Bischofs [Otto Truchsess von Waldburg] genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden, um den Krieg im folgenden Jahr fortsetzen zu können. [6][Nicolas Perrenot de] Granvelle soll nicht direkt durch Basel, doch in der Nähe davon zum Basler Bischof [Philipp von Gundeisheim]gereist sein. Zuvor soll er seiner Frau [Nicole Bonvalot] über das Kriegsglück des Kaisers berichtet haben, welcher Ulm hätte problemlos einnehmen können, wenn er es nur gewollt hätte. Ja, die Memminger Ratsherren hätten ihn geradezu um eine Besetzung ihrer Stadt gebeten! Dies wurde Freunden von einigen Burgundern [Wilhelm und Johannes Vermod?] erzählt. [7]Myconius bittet um gelegentliche Informationen über die Umtriebe der Innerschweizer. (8]Gruß, auch an Gwalther und an die Kollegen. 261

|| S. Tu ita mihi renuncias frequentiores tuas 1 deinceps, tanquam debellatum sit!

Si audires nobiles circa Basileam, qui in his hic fuerunt nundinis 2 , aliter diceres. Bone deus! Quam sibi adulantur! Quam inter se invicem consolantur! Gloriantur ex castris epistolis missis de felicitate caesaris 3 , de eius opibus, de multitudine terrarum et insularum, atque ideo dicunt: impossibile

1 In einem nicht erhaltenen Brief.
2 Die Basler Martinimesse um den 11. November.
3 Karl V.


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esse, ut vincatur. Aiunt militem Germanum 4 sic ab eo diligi ut propriam animam. Nugas igitur esse, quibus de nos 5 gloriemur. Ita solent literis alter alterum engere, cum illud tamen constet: in cordibus eos crudeliter lacerari et plane desperare.

Hos itaque si audisses, longe dixisses aliter, nempe ut alias. 6 que cognovero posthac, non te caelabo. Verum hec ioco! Scio, que scripsisti hactenus, quonam scripseris animo; et dico ex animo me gloriari apud bonos ea de re, et apud meipsum gaudeo vehementer. 7 Gratias ago igitur, et dominum oro, ut beneficia illa, in corde meo maxima et nobilissima, rependat diviter!

Unum non scripsisti: De veredario intercepto 8 , qui missus a filio Granvele tulit literas, in quibus dolet, quod hyberna 10 cesar non fecerit in Wirtemberga ut ubi omnium rerum necessariarum fuisset copia. Suadere dicitur, ut, quod nunc praetermissum, ad tempus veris conficiatur; esse nanque ducatum eum vehementer accomrnodum ad caesaris consilium perficiendum.

Secretarius praeterea Georgii comitis 11 scripserat Erbio 12 Sebastianum Schertlium recepisse Donawerdam et occidisse caesareanos 13 ad unum; similiter Neoburgum 14 . Nunc ex tuis video verum non esse. Item ex literis veredarii 15 , que habent per ditionem episcopi Augustani 16 subsidia fortissima

4 Kollektiver Singular; s. dazu Nr. 2641, Anm. 10.
5 die Protestanten.
6 In Anspielung auf die oben gemachte scherzhafte Bemerkung in Z. 1f.
7 Zu Myconius' großer Dankbarkeit für Bullingers Informationen s. zuletzt Nr. 2658,1-3; Nr. 2671,1.
8 Der Regensburger Stadtschreiber, wie es aus dem Schreiben eines Unbekannten, wohl an den Konstanzer Rat, vom 3. November (Zürich StA, A 177, Nr. 123), hervorgeht. Er wurde auf seinem Weg zum Kaiser von den Augsburgern festgenommen. — Stadtschreiber in Regensburg war Nikolaus Dintzel; s. Alois Schmid, Notarius civium Ratisponensium. Beobachtungen zu den Stadtschreibern der Reichsstadt Regensburg, in: Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus, hg. y. Winfried Becker und Werner Chrobak, Kallmünz 1992, S. 58.— Wir danken Herrn Günther Handel vom Stadtarchiv Regensburg für diese Auskunft.
9 Wohl Antoine Perrenot, Bischof von Arras, einer der Söhne von Nicolas Perrenot, Herrn von Granvelle. Dass er sich damals tatsächlich im Gefolge des Kaisers
befand, geht aus seiner Beteiligung an den Verhandlungen mit Württemberg von Dezember 1546 hervor; s. Daniel Antony, Nicolas Perrenot de Granvelle. Premier conseiller de Charles Quint, Clamecy 2006, S. 495. —Allerdings war der aufgefangene Brief nicht von ihm, sondern an ihn gerichtet, wie aus dem oben in Anm. 8 erwähnten Schreiben hervorgeht. Verfasser des Briefes war der Regensburger Hauptmann Georg von Loxan.
10 Winterlager, Winterquartier; s. Kirsch 1381.
11 Sigismund Stier, Kanzler des Grafen Georg von Württemberg-Mömpelgard.
12 Matthias Erb.
13 Donauwörth befand sich seit dem 9. Oktober in der Hand der Kaiserlichen; s. Nr. 2619, Anm. 2.
14 Neuburg ad. Donau, seit 19. September von den Kaiserlichen besetzt; s. Nr. 2605, Anm. 4. —Es handelt sich hier um falsche Gerüchte. Allerdings plante Schertlin Anfang Dezember einen Angriff u.a. auf Donauwörth; s. Paulus, Schertlin 76.
15 Der oben in Z. 16 genannte Bote.
16 Kardinal Otto Truchsess von Waldburg.


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collocanda esse, quo paratiora sint ad bellum instaurandum in annum sequentem, etc.

Granvela non per urbem nostram, 17 sed non ita procul ab urbe transiit, ut dicunt, ad episcopum Basiliensem 18 . Is Granvela paulo ante scripserat ad uxorem 19 de magna caesaris fortuna, qua 260 || uteretur in bello; nam Ulmam facilime obtinuisset, modo voluisset. Ex Memminga senatores velut invitasse caesarem ad occupandum, 20 et huius generis multa. 21 Hec Burgundiones quidam 22 amicis narrarunt, etc.

De Helvetiorum Immontanorum 23 conatu dicito, si quid habes et per ocium poteris.

Vale in Christo cum Gvalthero et fratribus piis. Basileae, 12. novembris anno 1546.

Tuus Os. Myc.

[Adresse darunter:] D. Heinricho Bullingero suo. 24