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Autograph: Zürich StA, E II 335, 2081f (Siegel)
Druck: Otto Opper, Theobald Thamer (1502-1569). Sein Leben und seine religiöse Gedankenwelt, Dresden 1941, S. 129f;
Teildruck: CO XII 409, Nr. 846
[1]Engelbert [Milander]1 , der ehemalige Schüler Thamers, der nun Bullingers Anhänger ist,
erzählte im Feldlager höchst Erfreuliches über die Zürcher Kirche. Diese soll zweimal in der
Woche für [die Schmalkaldener] beten, damit der antichristliche Papst [Paul III.] und dessenBriefe_Vol_18-193 arpa
geliebter Sohn [Kaiser] Karl (V.) von Gent 2 nicht jene besiegen und das Volk nicht sagen
könne: "Wo steckt denn ihr Gott [Ps. 42 (Vulg. 41), 4; 79 (VuIg. 78), 10; 115 (Vulg. 114), 2; Jo
2, 17; Mi 7, 10], und was ist denn von ihrem Evangelium und ihrem allein rechtfertigendenBriefe_Vol_18-194 arpa
Glauben zu halten?"3 Thamer würde lieber sterben, als so etwas hören zu müssen! [Milander]
erzählte auch, wie die Gegner Zürichs (und deren Verbündete]4 ihren Gott Baal und Maozim 5
verehren und versuchen, das Evangelium durch das Antichristentum zu ersetzen. Doch werden
sie das erleben, was David einst [dem Feind]prophezeit hatte: "Sein Gebet werde Sünde!
und "Der Fluch, den er liebte, soll er selbst spüren; der Segen, den er ablehnte, soll sich ihm
entziehen!"(Ps. 109, W. 17—Vulg. Ps. 108, 7. 18]). Zuvor muss der Glaube wie durchs Feuer
gereinigt werden [vgl. Sach 13, 9], damit die [Protestanten] lernen, die Theorie in die Praxis
umzusetzen. Durch den Krieg wird nämlich ersichtlich, dass Gott sich sowohl ihrer (wegen
ihrer Undankbarkeit) als auch der Papisten (wegen deren Götzendienstes) schämt. Dank Paulus
[vgl. Hebr 12, 6-10] wissen jedoch [die Protestanten], dass Gott sie zu ihrem Heil züchtigt.
—[2] Das [schmalkaldische] Heer ist dreiköpfig: Das erste Haupt ist Kurfürst [Johann
Friedrich von Sachsen]; das zweite Landgraf [Philipp von Hessen]; das dritte sind die [verbündeten]
Städte. Es ist also ein Monster, und Bullinger kennt ja Homers Äußerung "Nichts
Gutes ist Vielherrschaft. Nur einer soll herrschen" [Ilias 2, 204] ... Hätte der Landgraf die
Herrschaft ausüben können, hätte man sich schon längst des Kaisers und dessen Bischöfe und
Kardinäle bemächtigt, genauso wie schon des Herzogs Heinrich von Braunschweig! Vermutlich
aber ist das Maß der Missetaten des Kaisers noch nicht voll [vgl. Gen 15, 16]. Die
Zürcher sollen also ohne Unterlass weiter beten [vgl. 1 Thess 5, 17]. Hoffentlich sind ihre
Gebete effizienter als der militärische Einsatz. —[3]Gruße an [Konrad] Pellikan, [Kaspar]
Megander 6 , [Rudolf]Gwalther und Otto [Werdmüller]. —[4] Thamer schrieb den vorliegenden
Brief hauptsächlich deshalb, um Bullinger zu zeigen, dass er diesem nicht (wie einst mitgeteilt)
7 feindlich gegenübersteht. Thamer kann zwar nicht leugnen, dass er in den letzten drei
Jahren ein leidenschaftlicher Verteidiger Luthers war und dabei Bullinger und anderen etwas
Unrecht tat. Nun aber ist er eines Besseren belehrt worden. Denn würde Luthers Auffassung
von einer "natürlichen und substanzhaften" Einnahme des Leibes und Blutes Christi während
des Abendmahls zutreffen, wäre das Neue Testament nicht wirksamer als das Alte und damit
die durch Christus erworbene Erlösung in Frage gestellt. Doch genug davon. Sollte Gott
seiner Kirche wieder äußeren Frieden verleihen, möchte Thamer Zürich besuchen und sich mit
Bullinger über dessen Johanneskommentar unterhalten.