Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2476]

Die Pfarrer und Lehrer von Zürich
an Philipp von Hessen
Zürich,
27. Juni 1546

Ausfertigung a : Marburg Hessisches Staatsarchiv, 3, 1797 (PA 1797), 42r.— 43v., Adresse auf f. 45v. (Siegelspur)

Entwurf von Bullingers Hand b : Zürich StA, E II 335, 2293 Gleichzeitige Fassung ohne Adresse und mit am Rande angebrachten

Zusätzen c : Zürich StA, E II 337 a , 375f d

Druck: Johann Philipp Kuchenbecker, Analecta Hassiaca, darinnen allerhand zur Hessischen Historie, Jurisprudentz und Litteratur behörige

Urkunden, Abhandlungen und Nachrichten mitgetheilt werden,

Bd. X, Marburg 1736, S. 438-445, Nr. XXI;

Mühling 295-300, Anlage 8

Die Pfarrer und Lehrer Zürichs haben das von Landgraf Philipp von Hessen am 5. Juni in Friedewald verfasste Schreiben [Nr. 2455] mit der Nachricht über die gegen sie verbreiteten Verleumdungen erhalten. Sie begrüßen die Bemühung des Landgrafen um den Frieden in der Kirche, bedanken sich für seine Gunstbezeugung und wünschen ihm Gottes Beistand. Der Landgraf soll wissen, dass sie nicht, wie man in Hessen und in Sachsen von ihnen behauptet,

f F. 46v.-47r. sind unbeschrieben.
g Darüber und darunter Kanzleieinträge: Bullingerrus. Ein trostschrift und Mudt. Presentatae Cassell, 5. iulii anno, etc., 46. —
a Von der gleichen, besonders gepflegten Hand wie Nr. 2475, die auf Bullinger zurückzuführen sein könnte, wie die Unterschrift es vermuten lässt, auch wenn diese Hand nicht der gewöhnlichen Schrift Bullingers entspricht.
b Von dessen gewöhnlicher Hand.
C Von der gleichen Hand wie die Ausfertigung. Die am Rand verzeichneten Zusätze, das Datum und die Unterschrift wurden aber in Bullingers gewöhnlicher Handschrift verfasst.
d Der Entwurf und die gleichzeitige Fassung mit deren in der Ausfertigung übernommenen Zusätzen weisen keine Änderungen auf die von theologischer Bedeutung wären.
1 Dieses Schreiben wurde einem Brief der Ratsherren von Zürich an Philipp von
Hessen, 28. Juni 1545, beigelegt (Entwurf in Zürich StA, B IV 16, f. 81r./v.).

[Martin] Luther von der Kanzel oder während des Unterrichts als gottlos bezeichnen, und dies, obwohl sie gut wissen, dass Luther sie als noch schlimmer als die Türken und die Juden apostrophierte. Sie bemühen sich ganz im Gegenteil, erbauend zu wirken, indem sie das Volk nur in der christlichen Lehre unterrichten. Bei genaueren Ermittlungen würde der Landgraf vielmehr erfahren, dass in Hessen und in Sachsen Verleumdungen gegen sie kursieren und sie als zwinglische Götzenstürmer, Schwärmer und Sakramentsschänder diffamiert werden. Dies tut z.B. Theobald Thamer in seinem Unterricht in Marburg, 2 also in der Stadt des Landgrafen selbst! Sie haben auch nie behauptet, dass Luther aus Kummer gestorben wäre, weil er ihr [Warhafftes]Bekanntnuß [von 1545]nicht zu widerlegen wusste. Sie haben nicht die Gewohnheit, über Verstorbene zu lästern, nicht einmal über unbedeutende Menschen. Umso weniger würden sie nun den um die Kirche Christi so verdienten Luther schlecht machen wollen! Mit der Ausnahme seiner Lehre über das Abendmahl und die Bilder sowie auch einiger seiner unangebrachten Schriften [gegen Zwingli] verteidigen sie stets seine Ehre. Nachdem er nun verstorben ist, würden sie auch nur dann weitere Abhandlungen über die Meinungsverschiedenheiten veröffentlichen, wenn sie von anderen angegriffen werden sollten. Es stimmt auch nicht, dass sie diejenigen nicht dulden, die sich an das in Basel ausgearbeitete und an Luther geschickte [Erste Helvetische] Bekenntnis halten. Im Gegensatz zu vielen Lutheranern anerkennen sie dieses Bekenntnis. Sie können aber nicht vertragen, wenn man es anders auslegt, als was es ursprünglich aussagen will. Ferner (Gott sei Dank!) mussten sie niemanden wegen des Abendmahl[sstreits] ausweisen, da sie sich diesbezüglich einig sind. Hätte Luther sie nicht angegriffen, befände man sich nicht in der heutigen unglücklichen Lage. Sie ziehen nämlich den Frieden der Auseinandersetzung vor und werden sich weiterhin friedlich verhalten. In Summa: Weder haben sie bei sich Luther öffentlich verleumdet, noch haben sie vor, sich an ihm zu rächen, oder sind sie weniger als die anderen [eidgenössischen protestantischen] Stadt[kantone]geneigt, sich an das [Erste Helvetische] Bekenntnis zu halten. Sie lehren vielmehr, dass dem Gläubigen im Abendmahl nicht nur Brot und Wein dargereicht wird, sondern der wahre Leib und das wahre Blut Christi, doch nicht auf leibliche, sondern auf geistliche Weise, zumal Christi Leib an Gottes Seite bleibt. Nichtsdestoweniger speist Christus den Gläubigen mit sich selbst, so dass Christus in diesem und dieser in Christus lebt [Joh 6, 56]! Trotz allem wird die von ihnen gelehrte geistliche Speisung als ungenügend kritisiert. Man fordert von ihnen, dass sie eine leibliche Speisung anerkennen! Dies können sie aber nicht. Und noch weniger könnten sie mit Luther behaupten, dass im Brot der richtige, natürliche Leib Christi anwesend sei und dieser sowohl von den Gottlosen wie Judas als auch von den Heiligen wie Petrus empfangen werde! Mit Ausnahme der Transsubstantiationslehre drückt sich Luther wie die römische Kirche aus. Dies zeigt, dass der Streit nicht lediglich auf den Gebrauch einer unterschiedlichen Terminologie zurückzuführen ist, 3 sondern wohl auf entgegengesetzte Auffassungen. Denn zu behaupten, dass Christus leiblich anwesend sei, dass er mit dem Mund leiblich gegessen werde und dass es von Nutzen sei, sein Fleisch leiblich mit dem Mund zu essen, ist grundsätzlich nicht das Gleiche, wie zu behaupten, dass Christus leiblich abwesend sei, dass er mit dem Glauben geistlich gegessen werde und dass es nicht von Nutzen sei, sein Fleisch leiblich zu essen 4 ! Die [Zürcher] suchen dennoch die Einheit der Kirche und sind bereit, dafür zu wirken, solange man von ihnen nicht verlangt, etwas zu behaupten, das sie nicht glauben und das sie vor Gott nicht verantworten könnten, weil sie dadurch Verwirrung unter den Gläubigen stiften würden. Sie sind bereit, ihre Liebe und ihren Gemeinschaftsgeist all denen zu bekunden, die sie in Hessen, in Sachsen und anderswo nicht als Feinde betrachten und die, wie sie, die Lehre des Heils durch den Glauben allein befürworten und nicht etwa (wie es der Antichrist tut) durch andere Mittel. Der Landgraf möge ihren Brief gut aufnehmen und sie bei dem Kurfürsten [Johann Friedrich von Sachsen]und all

2 Siehe HBBW XV, Nr. 2305; XVI, Nr. 2421.
3 Vgl. HBBW XV 264,12-16; oben Nr. 2455,42-44.
4 Vgl. Joh 6, 63.

den anderen Fürsten, bei denen sie verleumdet werden, verteidigen. Sie sind ihrerseits stets bereit, sich für ihren Glauben zu rechtfertigen und den Frieden zu fördern. Den Landgrafen empfehlen sie ferner Gottes Schutz.