Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2140]

Bullinger an
Ambrosius Blarer
Zürich,
19. April 1545

Autograph: München Bayerische Staatsbibliothek, Clin. 10357 (Collectio Camerariana, 7),Nr. 173 (Siegelabdruck) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 358f, Nr. 1180

Wenn es doch möglich wäre, Blarer an Wohltaten zu übertreffen! Bullinger freut sich und dankt dafür, dass Briefe und Schriften [das "Warhaffte Bekanntnuß" bzw. die Orthodoxa Tigurinae ecclesiae confessio"]die Empfänger erreicht haben. Er hätte Musculus größeren Erfolg [als Prediger in Donauwörth]gewünscht; die Welt aber erfreut sich an Zeremonien, welche Gottes Wort verdunkeln. Nicht von dem ihm unbekannten Dekan [Georg Denneler] hat Bullinger über [Johannes Marbach]erfahren, sondern von einem glaubwürdigen Schwaben [Gervasius Schuler]. Er zweifelt aber nicht daran, dass Blarer die Angelegenheit in Isny gut regeln wird. Größe an [Konrad] Zwick und [Thomas Blarer]. [Jakob]Metzler ist ein hervorragender junger Mann und bedurfte bisher keiner Ermahnung. Bullinger hat mittlerweile auch einen anderen Grund vernommen, warum der [Basler] Rat [Johannes] Gast abgesetzt hat: der Abt von Murbach [Johann Rudolf Stör von Störenburg] soll der Taufpate von Gasts Tochter [Placidia II.] gewesen sein. Blarer soll sich der [Zürcher] nicht schämen, solange diese sich nicht der Wahrheit schämen. Sie werden zwar als Sakramentierer, Schwärmer und Dickköpfe verunglimpft, Gott und die Nachwelt aber werden besser darüber urteilen. Bullinger vertraut [Heinrich von Ulm]. Er hat ihm aber nicht all das eröffnet, was er und Blarer [im Mai 1544] vertraulich über [Konrad Zwicks Kriegskunst] verhandelt hatten. [Von Ulm] sollte aber mit den Eidgenossen diesbezüglich weiter verhandeln. Blarers Bemerkungen über den alten trunksüchtigen [Zürcher] Gesandten [Andres Müller] betrüben Bullinger sehr; er wird sich der Sache annehmen. Grüße an die Brüder in Isny. Kürzlich traf ein gelehrter Mainzer [...] aus Italien ein. Er zeigte die von [Lelio Capilupi] verfasste und in Venedig gedruckte Schrift [,,De vita monachorum"]. Die [Zürcher] ließen die Schrift nachdrucken und legen davon einige Exemplare bei. Gwalther hat dem Druck das Bild eines Minotaurus vorangestellt, das er bald mit einem Gedicht [,,Minotaurus Romanus sive Antichristus"] veröffentlichen will.

Gratiam et pacem.

Utinam vero vincere liceret benefitiis! Victoriam hanc insignem putarem. Nunc modicis viribus rem insequor grandem; sed et in magnis voluisse sat est. Gaudeo omnibus literas et libellos meos esse oblatos, quibus destinaveram, atque eo nomine tibi magnas ago gratias. 1

Mallem sane charissimum et colendissimum fratrem Musculum felicius suum fidele ministerium collocasse; caeterum, quod potuit, fecit. Mundus delectatur ceremoniis, atque hae obscurant verbi dei claritatem puritatemque. 2

1 Bullinger hatte im März diverse deutsche und lateinische Exemplare des "Warhafften Bekanntnuß" über Blarer versenden lassen; s. zuletzt oben Nr. 2134, 8f und Anm. 1; im Folgenden geht Bullinger immer wieder auf diesen Brief ein.
2 Bullinger bezieht sich auf Wolfgang Musculus' Tätigkeit in Donauwörth von Dezember 1544 bis März 1545; s. oben Nr. 2134, 12-16 und Anm. 9.


Briefe_Vol_15_270arpa

De Iznensi doctore 3 satisfecisti. 4 Crederem tibi et merito quidem vel iniurato. Verum a diacono 5 habeo nihil; nec is mihi notus est, neque quicquam ante tuas acceptas de illo audivi. Habui illa ex Suevia, a non fluxae fidei viro 6 ; atqui necessum est et huic praeter meritum illum esse delatum. Quia vero illuc profecturus es, tuae confidimus fidei, pietati et prudentiae, quod ista omnia recte sis curaturus. 7

Consobrinum Zviccium 8 et praecipue d. consulem fratrem 9 diligenter salutato.

Mezlerus 10 egregius est iuvenis, qui monitore hactenus non eguit; sua sponte enim facit, quod decet.

De d. Gastio interim et aliam causam audio 11 , ob quam functione illum privant senatus. 12 Aiunt, nescio quam vere, abbatem Murbacensem 13 puerum 24 illi e sacro fonte levasse, etc. Sed brevi certiora scribam.

Ne vero te pigeat pudeatque nostri, quoad nos non puduerit veritatis. Sacramentarii, schwermeri et capitosi 15 appellamur. 16 Dominus et posteritas rectius iudicabit. Adhereamus veritati, honeste nos geramus, simus religiosi et optimarum rerum studiosi, ut placeamus ei, cui placuisse salutare est.

Ich truw uwerm schwager 17 alles gilts und halt inn für ein trüwen, redlichen mann an gott und an eydgnossen; diewyl in aber in gheym und vertruwt mitt mir gehandlet, 18 hab ich imm nitt alles geoffnet noch sagen gedoren 19 Mich bedüchte aber gar güt, nutz und fruchtbar, er name die sach zu handen gagen fürnemmen in eydgnossen ze handlen; er mochte ettwas schaffen. Gott gabe, das sinem namen zu eeren dient und uns nuz und erlich ist. 20

3 Johannes Marbach.
4 Zum Streit in Isny s. zuletzt oben Nr. 2132, 17-40.
5 Georg Denneler; vgl. oben Nr. 2134, 34.
6 Sicherlich Gervasius Schuler, der Bullinger am 23. März aus Memmingen über Marbach berichtet hatte; s. oben Nr. 2121, 29-49.
7 Blarer war zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Briefes schon auf dem Wege nach Isny; s. oben Nr. 2134, 36-40 und Anm. 20.
8 Konrad Zwick.
9 Thomas Blarer.
10 Zu Jakob Metzler s. zuletzt oben Nr. 2134, 44-48.
11 Nämlich durch Jakob Schmid; s. oben Nr. 2139, 6f.
12 Zur Amtsenthebung Johannes Gasts durch den Basler Rats. oben Nr. 2116, 2-8.
IS Johann Rudolf Stör von Störenburg, Fürstabt von Murbach und Lüders, einer von Gasts Gönnern.
14 Es handelt sich um Gasts siebtes Kind, seine Tochter Placidia II., geboren am 23. Februar 1545. Gast selbst schilderte in einem Brief an Konrad Hubert, wie Stör sich ihm als Taufpate angeboten hatte; bei der Taufe selbst wurde Stör durch seinen Leibarzt, den Basler Johannes Huber, vertreten (Gast an Konrad Hubert, 16. April 1545, Straßburg, Archives de la Ville et de la Communauté Urbaine, AST 157; s.a. Gast, Tagebuch 82. 217f; Paul Burckhardt, Die schriftstellerische Tätigkeit des Johannes Gast, in: BZGA 42, 1943, 139— 192, bes. S. 161-163).
15 Hitzköpfe, eigensinnige Leute.
16 Vgl. Blarers Klage oben Nr. 2134, 59f.
17 Heinrich von Ulm.
18 Am 11. Mai 1544 in Stammheim; s. HBBW XIV 221, 19-21. 223f, 2-21. 225, 54-56.
19 gewagt.
20 Anspielung auf das Treffen mit Heinrich von Ulm bezüglich Konrad Zwicks


Briefe_Vol_15_271arpa

Quae annotasti 2 de legato nostro 22 valde me cruciant propter scandalum. Est senex, sed stultus, vir alioqui minime malus, sed poculis addictior. Curabo tamen pro meo officio, ut, quod decet, fiat, ac ago tuae fidei gratias.

Cum Iznam v[e]neris a , commenda me amicis et fratribus. 23

Venit ad nos superioribus ||173v. diebus ex Italia doctus quidam vir Moguntinus 24 ; h[ae]sit b diebus aliquot et familiariter nobiscum conversat[us] atque confabulatus est. Is inter alia protulit Cent[o]nem Vergilianum ab Italo quodam conscriptum ac V[e]netiis impressum 25 Hunc denuo hic sub incudem [re]vocavimus 26 Eius mitto tibi exempla aliquot. 27 Minotaurum c praefixit Gvaltherus, qui illum mox carmine illustratum vulgabit. 28

a Loch im Papier infolge Aufbrechen des Siegels.
b Hier und unten Randtext im engen Einband verdeckt.
c Von Minotaurum bis vulgabit am Rande nachgetragen. Kriegskunst; s. oben Nr. 2134, 70-85 und Anm. 36.
21 Bullinger bezieht sich hier kaum auf einen nicht mehr erhaltenen Brief (s. nämlich oben Anm. 1) sondern eher auf eine Nachricht Blarers, die dieser über Heinrich von Ulm bei dem in oben Anm. 20 erwähnten Treffen übermittelt hatte.
22 Andreas Müller, der nach dem 15. und vor dem 22. Februar nach Konstanz und Kyburg geschickt wurde; s. Zürich St.A, Seckelamt Rechnungen F III 32, Rechnungsbuch 1544/45, f. 61 der Ausgaben-Abteilung.
23 Diese Bitte kam zu spät; s. oben Anm. 7.
24 Nicht ermittelt.
25 Lelio Capilupi, Cento ex Vergilio, De vita Monachorum et Gallus, Venedig, [Comm da Trino für Giovanni Padova?], 1543; s. EDIT 16, CNCE 9137 (mit falscher Druckerangabe); und Dennis E. Rhodes, Lelio Capilupi and the 'Centones ex Virgilio', in: The Library, 6. Folge 16/3, 1994, 210, Nr. I. —Die öfter fälschlich (so in md. Aur. VI *131.596) als Erstausgabe angeführte Ausgabe von [Basel? 1540?] (= Rhodes, aao, S. 212, Nr. IV) ist in der Tat frühestens 1545 anzusetzen; s. unten Anm. 26.— Zu dem am Hofe der Herzöge von Mantua lebenden Poeten Leib Capilupi (1497— 1560) s. DBI XVIII 542f.
26 LAELII CA/IPILVPI CENTO VER=//gilianus, de uita Monachorum, II quos uulgo Fratres II appellant. //[Holzschnitt], [Zürich, Christoph Froschauer, 1545](Zürich ZB, 25.1404 5 : Text online unter http://www.e-rara.ch). VD 16 führt drei "Ausgaben" an, die möglicherweise auch nur Teilausgaben sein könnten, und die sich anhand des Titelblattes wie folgt von der zu Anfang beschriebenen "Ausgabe" unterscheiden lassen: 1. Eine "Ausgabe" mit dem Druckfehler AELII (statt LAELLI) und der Trennung CA//PILVPI (VD 16 ZV 2926; nicht bei Rhodes); 2. Die zu Anfang angeführte "Ausgabe" (VD 16 ZV 2925; BZD C 349; Rhodes, aao, S. 212, Nr. III); 3. Eine weitere Ausgabe mit der Trennung CA=/IPILVPI (statt CA//PILVPI) (VD 16 ZV 18414; Rhodes, aao, S. 212, Nr. IV; md. Aur. VI *131.596). BZD kennt nur die Ausgabe 2. VD 16 datiert die drei "Ausgaben" auf das Jahr 1547, während Rhodes die ihm bekannten Ausgaben auf "ca. 1545" datiert; beide ordnen alle ihnen bekannten Ausgaben Christoph Froschauer zu. Da der Holzschnitt von Ausgabe 3 kleiner ist (49 x 70 mm) als derjenige von Ausgabe 2 (70 x 87 mm) und Letztere bestimmt in Zürich und kurz vor Abfassung dieses Briefes gedruckt wurde, ist Ausgabe 3 wohl kein Zürcher Druck und erst nach April 1545 entstanden.
27 Am 20. bzw. 22. April sandte Bullinger auch Myconius und Gast ein Exemplar des "Cento Vergilianus"; s. unten Nr. 2141, 35; und Nr. 2143, 2.
28 Auf der Titelseite der Zürcher Ausgaben (s. oben Anm. 26) befindet sich ein auf


Briefe_Vol_15_272arpa

Valebis una cum omnibus tuis.

Tiguri, 19. ap[ri]lis anno 1545.

H. Bullingerus tuus.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. Ambrosio Blaurero, fratri colendo et longe charissimo. Constantz. d