Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1969]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
3. September 1544

Autograph a : Zürich StA, E II 336, 206 (neu: 224)(Siegelspur) Ungedruckt

Schreibt in Zeitnot nur kurz, dass er Bullingers und seinen Brief [an Martin Hentius in Kronstadt] dem zuverlässigen Oporin anvertraute, und dankt für das von seinem ehemaligen Schüler Diethelm [Keller] übersetzte Buch. Die Nachrichten über den Kölner Bischof [Hermann von Wied] stammen aus einem Brief [eines Dritten an] Wolfgang [Wissenburg]; anbei [der Beschluss] über den Religionsfrieden mit der Bitte um Rückgabe. Nachrichten über verwundete Spanier aus dem kaiserlichen Lager, die bei Basel übernachteten; zum Bericht eines Gesandten [Alfonso Bonaccioli] - wohl des Herzogs [Ercole II. d'Este] von Ferrara - über Kaiser [Karl V.], der sich in der zwar nicht eroberten, aber ihm übergebenen Stadt Saint-Dizier aufhalte und nach Châlons wolle, aber der Weg dorthin ist verlegt; etwaige Friedensangebote wären dem Kaiser nicht unwillkommen. In Zabern wird ein neues Heer gemustert, angeblich gegen den Herzog von Guise [Claude I. von Lothringen], und die Menschen stehen auch wegen Mangels an Proviant und Geld Todesängste aus. Zudem raubte ein Heer, das gegen den Bischof von Münster gerichtet war, sich wenig später zerstreute und dann in besetzten Dörfern wieder sammelte, alle Nahrung, konnte anderenorts aber von den Bauern vertrieben werden. In Italien erzählt man, dass der Türke [Sultan Suleiman I.] vom Perser [Schah Tahmasp I.] mit Verlust von 50'000 Mann geschlagen worden sei. Falls Theodor [Bibliander] es noch nicht weiß: [Guillaume] Postel ist in Rom Jesuit geworden und lernt Indisch, um eines Tages [in Indien]predigen zu können; acht Städte sollen dort von solchen Mönchen bekehrt worden sein.

S. Temporis brevitas breviter me scribere iubet. Literas tuas et meas Oporino 1 commisi. 2 Bene commissas non est dubium. De libello 3 gratias ago tibi

c entgelten.
genealogicum, Bd. II (Zürich ZB, Ms Z II 2), S. 341-343; Martin Lassner, in: HLS IV 299f (mit den Lebensdaten geb. um 1518, gest. 10. Februar 1584); HBLS III 74; Paul Guyer, Der "Brunnenturm" und seine Bewohner, in: ZTB 1978, NF 98, S. 9.
a Mit Unterstreichungen von späterer Hand.
1 Johannes Oporin. Vielleicht auf der Abreise zur Frankfurter Herbstmesse (s. HBBW VI 406, Anm. 5).
2 Myconius hatte Bullinger angeboten, einen Brief an den Siebenbürger Martin Hentius über Wittenberger Studenten zu leiten (s. oben Nr. 1945, 5-9). Die Sendung erfolgte also über Oporin. Ein entsprechender


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ingentes. Placet Diethelmum 4 (quem ex alphabeto educavi) eo usque profecisse, ut tale specimen praebere queat 5 .

De episcopo Coloniensi 6 quae scripsi, 7 ex d. Wolfgangi 8 literis 9 sunt. De pace religionis 10 quae mitto, remittito, postquam fueris usus satis.

Reliqua sunt: Pernoctarunt hisce noctibus hic Hispani capitibus et aliter vulnerati, qui recta venientes e castris caesaris 11 dicunt in tribus oppugnationibus oppidi S. Desiderii 12 Hispanos amissos sedecies centum. Proxima nocte fuit hic legatus 13 ducis, credo, Ferrariensis, 14 qui dixit caesarem esse iam in dicto oppido, 15 non quidem expugnato, sed dedito conditionibus haud iniquis hosti. In dubio esse, quonam eat; animo quidem proficisci ad Schalun 16 , verum itinera sic esse obturata impeditaque, ut timeat periculum, nam sine hostis infestatione transire non posse; timere autem ipsum, ne sit hostibus inferior, si quid tentet, futurus. 17 Oppidum caesarianum 18 esse non longe sepositum, de quo cogitet, an eo divertens maneat per hvemem. Putat legatus, siquis de pace quid ferret, caesarem auditurum haud invitum. 19

Brief von Myconius an Oporin ist nicht zu erwarten; die beiden hier erwähnten Briefe an Hentius sind nicht überliefert.
3 Vgl. oben Nr. 1959, Anm. 13.
4 Diethelm Keller.
5 Vgl. oben Nr. 1955; 1959, 22f.
6 Hermann von Wied, Erzbischof und Kurfürst von Köln.
7 Siehe oben Nr. 1945, 10-23.
8 Wolfgang Wissenburg.
9 Wahrscheinlich in einem an Wissenburg gerichteten Brief.
10 Siehe oben Nr. 1945, Anm. 10.
11 Kaiser Karl V.
12 Saint-Dizier. Zur Belagerung und Übergabe (vom 4. Juli bis zum 17. August 1544); s. Cardauns 323; Paillard 117-166. 245-262.
13 In Frage kommt Alfonso Bonaccioli, der sich vom 23. Juli bis 20. August 1544 in einer Spezialmission befand und aus Metz und Saint-Dizier nach Ferrara berichtete (freundliche Auskunft von Gilberto Zacchè, Archivio di Stato di Modena). Er hielt sich vom 14. bis 22. August 1544 im kaiserlichen Lager auf, um für Herzog Ercole II. d'Este von Ferrara über die Rückgabe des von den kaiserlichen Truppen am 20. Juni 1544 eroberten Brescello (bei Modena) zu verhandeln. Damals befand sich
auch der junge Herzog François I. von Lothringen im kaiserlichen Lager, der vergebens versuchte, den Kaiser zum Frieden mit Frankreich zu bewegen; s. Rozet/Lembey 282f. 475. Zu Bonaccioli s. ferner Luciano Chiappini, La Corte Estense alla metà del Cinquecento. I compendi di Cristoforo di Messisbugo, Ferrara 1984, S. 86. 88. 234.
14 Herzog Ercole II. d'Este.
15 Kaiser Karl V. hatte sich vom 17. bis zum 25. August in Saint-Dizier aufgehalten; s. Stälin 587 sowie PC III 523.
16 Châlons; heute Châlons-en-Champagne (früher Châlons-sur-Marne). Karl V. hielt sich zwischen dem 31. August und dem 2. September in der Nähe dieser Stadt auf und täuschte nur eine Angriffsabsicht vor, um die französischen Truppen mit einem Vormarsch auf Paris zu überraschen; s. Paillard 289f. 298-300.
17 Siehe Paillard 288-300.
18 Brüssel, kaum 200 Kilometer nördlich vom damaligen Standpunkt des Kaisers. - Das Vorhaben, sich nach Brüssel zurückzuziehen, wird kaum zu belegen sein, zumal der Kaiser den auf Franz I. ausgeübten Druck nicht verringern wollte; s. Paillard, 287f.
19 Diese Meldung stimmt. In den Tagen vom 2. bis zum 5. September 1544, der "Krisis"


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Exercitus novus deligitur. Numerus iterum magnus. Ad festum Mariae 20 iuxta Tabernas 21 habebitur delectus. 22 Insaniunt homines morti certissime occurrentes; talis est paenuria cibi, potus, pecuniae. Parari dicunt illum contra dominum de Güß a 23 commeatum caes[aris] hactenus vastantem.

Praeter haec exercitus, qui paratus erat contra episcopum Monasteriensem 24 et paulo postea dissipatus, collectus denuo pagis aliquot occupatis nescio cuius regionis, absumsit, quicquid fuit cibi et potus. 25 Dein, dum locum alium occupare tentarunt, rustici in armis eos eiecerunt, occiderunt, fugarunt. Ita nunc liberatus est episcopus et miseri rustici.

De Turca 26 ferunt ex Italia percussum eum a Persa 27 et nescio quo alio rege; amisisse plus 50 millibus hominum, et hanc esse causam, cur in Ungaria sic cesset hodie. 28

Domino Theodoro 29 dic, si ignorat, Postellum factum Romae monachum ordinis Iesu. Linguam discit Indicam, ut aliquando praedicare possit illic Christum. 30 A talibus monachis ait 8 civitates in India ad Christum conversas. 31 Plura nunc non habeo.

des Marnefeldzugs, hieß es, der Kaiser nehme König Franz' I. Friedensangebot an; am 6. September war man über die Hauptpunkte eines Friedensvertrags einig geworden; s. Cardauns 348.
20 Das Fest Mariä Geburt am 8. September.
21 Saverne (Zabern) im Elsass.
22 Kein Beleg ermittelt.
23 Claude I. von Lothringen, Herzog von Guise (1496-1550). Marx Hagen, der Straßburger Abgeordnete zu der schmalkaldischen Gesandtschaft an Karl V. nach Lothringen, berichtet in einem Brief an die Dreizehn vom 2. August 1544 aus Toul, dass Claude de Guise mit 3'000 Pferden am 31. Juli bei Toni lag, um den Kaiser vom Proviant abzuschneiden; s. PC III 530; Du Bellay, Mémoires IV 257.
24 Franz von Waldeck.
25 Es handelt sich um ein Heer von Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel; vgl. oben Nr. 1961, 22-25 mit Anm. 24.
26 Sultan Suleiman I.
27 Schah Tahmasp I. von Persien.
28 Hintergrund dieser Information ist sicherlich die wiederholte Verschlechterung des Verhältnisses zwischen dem ottomanischen und dem persischen Reich, die ungefähr seit der Eroberung von Gran 1543 eingetreten war. Die Ottomanen hatten
seit 1538 Basra inne, errichteten Forts entlang der Handeisroute Basra-Bagdad-Aleppo und beherrschten somit die Handelswege zwischen Indien und dem Mittleren Osten. Die Perser leisteten Widerstand gegen die immer stärker werdende türkische Zentralgewalt; s. The Cambridge History of Islam, hg. v. Peter Malcolm Holt, Ann Katherine Swynford Lambton und Bernard Lewis, Bd. I, Cambridge 1970, S. 328 und 331; vgl. ferner MBW, Regesten IV, Nr. 3609f.
29 Theodor Bibliander.
30 Siehe HBBW X 42f, Anm. iS. - Postel war, um in den Jesuiten-Orden einzutreten, von Paris aus zu Fuß nach Rom gereist; s. Georges Weill, Vie et caractère de Guillaume Postel. Thèse présentée à la Faculté des Lettres de Paris, traduite du latin et mise à jour par François Secret, Milano 1987. -Itinéraires 4, S. 61. Eine beabsichtigte Indienreise ist nicht belegt, aber indische Studien spiegeln sich in einem späteren Werk Postels wider: Des merveilles du monde, et principalement des admirables choses des Indes et du nouveau monde ..., Paris, Jean Ruelle, 1553 (s. François Secret, Bibliographie des manuscrits de Guillaume Postel, Genéve 1970, S. 20, Nr. 45). -Hintergrund der Nachricht ist möglicherweise, dass Postel die Mitgliedschaft


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Vale cum tuis in Christo.

Basileae, 3. septembris anno 1544.

Tuus Os. Myconius.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, episcopo Tigurino, amico et domino in Christo suo.