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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


12. Halle Sogole (Gannalegende)

Die Ganna kamen aus dem Lande. Sie ließen sich im Lande Tibirri (im Süden Kani Bonsos) in den Ebenen nieder. Alle alten Gesänge dieser Tibirri-Ganna beginnen mit dem Lobe ihres Königs Halle Sogole, der ein über alle Maßen starker und mächtiger König war, wenn er auch nicht derjenige war, der die Ganna aus Mande in jene Länder führte. Halle Sogole war nicht Mohammedaner, sondern er trank seinen Honigwein gern und häufig.

Zu den Zeiten Halle Sogoles waren auch die Fulbe in diesen Ländern, und sie wurden regiert durch den König Ali der vom Stamme der Ba war und in dem Orte Sena regierte. Eines Tages ließ der König Ali an den König Halle Sogole eine Nachricht ergehen und sagen: "Komme am nächsten Markttage in den Flecken Ununa." Der Kaddo (auch die Ganna gelten als Habbe) antwortete: "Es ist gut. Ich werde kommen." Als nun der Tag kam, ließ der Kaddo (der Gannakönig) allen Honigwein aufkaufen. Dazu schaffte er noch fünf Ochsen zur Stelle und kam selbst mit seinen fünfzig Reitern so früh auf dem Marktflecken an, daß der Fulbekönig noch nicht da sein konnte. Er ließ also den Honigwein beiseite stellen, die Ochsen bereithalten und wartete auf den andern.

Als alles gut geordnet war, kam auch der Fulbekönig All. Er kam nicht langsam angeritten, sondern sprengte mit seinen fünfzig Reitern heran, als ob es einen Kampf gelte. Der Gannakönig reichte ihm die Hand entgegen. Halle Sogole, der Kaddo, sagte: "Ich habe schon fünf Ochsen gekauft. Ich habe auch schon allen Honigwein zur Seite stellen lassen. Ich will dir mit alledem eine Freude bereiten, sei mein Gast. Wir wollen zusammen essen und trinken."



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Der Fulbekönig Ali aber beschimpfte den Kaddokönig und sagte: "Du bist nichts als ein schwarzhäutiger, schmutziger Neger. Du bist nur ein Kaddo! Was soll ich mit deinem elenden Honigwein? Du elender Kaddo! Wo hast du jämmerlicher Kaddo die Ochsen gestohlen?"

Der Gannakönig Halle Sogole sagte nichts. Er drehte sich um und ritt mit seinen fünfzig Reitern langsam in der Richtung auf seine Heimatstadt zurück. In einer Ortschaft, in der seine Lieblingsfrau wohnte, machte er Halt. Er stieg ab. Er gab seine Kleider seiner Lieblingsfrau und sagte: "Wasche mir meine Kleider, sie sind heute beschmutzt worden." Seine Lieblingsfrau machte sich mit ihrer Sklavin auf den Weg und ging zum Wasser. Inzwischen war der Fulbe Ali dem Kaddo gefolgt, und er kam just an das Wasser, als die Lieblingsfrau des Kaddo mit ihrer Sklavin dort anlangten, um die Kleider des Königs zu waschen. Der Fulbe Ali schrie die Lieblingsfrau des Gannakönigs an und sagte: "Du, gib meinem Pferde zu trinken." Die Kaddofrau sagte zu ihrer Sklavin: "Nimm das Pferd des Fulbe und tränke es." Der Fulbe Ali schrie sie an und sagte: "Nicht die Sklavin soll das tun, du selbst sollst es tun, denn du bist nichts als eine schmutzige Habbefrau!" Die Frau sagte: "Ich bin das Liebhingsweib des Königs. Ich tue das nicht." Der Fulbe schrie: "Tue es oder ich töte dich." Die Frau sagte: "So töte mich. Aber den Dienst einer Sklavin verrichte ich nicht." Darauf ergriff der Fulbekönig Ali seine Lanze, warf sie nach dem Habbeweib, das die Lieblingsfrau des Königs der Ganna war, und tötete sie auf der Stelle. Dann ritt er heim.

Die Sklavin eilte fliehend in die Stadt und sagte zu dem Könige Halle Sogole: "Soeben hat der Fulbe Ali deine Liebhingsfrau getötet, weil sie nicht Sklavendienste verrichten und sein Pferd tränken wollte." Der König senkte den Kopf. Alle Habbe kamen zusammen. Alle Ganna hörten, was sich ereignet hatte. Die Ganna riefen: "Wir wollen diesen übermächtigen Fulbe aus dem Lande jagen. König Halle Sogole, du mußt ihnen sogleich den Krieg ansagen." Der Gannakönig aber antwortete: "Das ist nicht euere Sache. Ich kann es fürs erste ertragen. Denn dies war mein Lieblingsweib und mir so wert, daß der Tod des Fulbekönigs meinen Schmerz doch fürs erste nicht lindern kann. Es war meine Lieblingsfrau, und ich weiß, was ich fühle. Ihr wißt nichts davon. Jetzt will ich erst meine Frau begraben." Einige Habbe gingen fort und sagten: "Er hat vor den Fulbe Angst." Einige Habbe sagten: "Er



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hat bis jetzt nie Furcht gehabt." Halle Sogole aber begrub seine Frau.

Dann sandte der Gannakönig seinen Galobe an den Fulbekönig Ali und ließ ihm sagen: "Wenn du glaubst, daß du irgendwie in den Himmel entfliehen oder dich in die Erde verkriechen kannst, dann tue es schnell, denn ich werde kommen und dich überall suchen." Der Fulbekönig Ali sagte: "Sage dem Kaddo, er sei nichts als ein schmutziger Kaddo. Er solle sich vorsehen, daß er nicht vorzeitig stirbt." — Der Gannakönig bereitete seine Truppen vor. Als er alles fertig hatte, ließ er dem König Ali sagen: "Bereite für morgen ein Gericht aus Korn oder Reis, oder aus was du willst, vor, ich werde es morgen früh auf jeden Fall mit dir zusammen essen."

Am anderen Tage führte Halle Sogole seine Truppen ins Gefecht. Er selbst nahm die Mitte der Reiter unter seinen Befehl. Er griff die Fulbe an. Im Gefecht kam er alsbald mit Ali zusammen, denn auch Ali kämpfte in der Mitte. Ali warf seine Lanze. Er traf den Gannakönig nicht. Der Kaddo warf seine Lanze. Er verfehlte den Fulbe. Ali ergriff den Pferdegurt und schlug auf den Gannakönig. Doch er konnte dem anderen damit nichts anhaben. Der Gannakönig Halle Sogole packte nun aber den Fulbekönig Ali hob ihn aus dem Sattel, preßte ihn zusammen und hielt ihn seinem Sklaven mit Namen Sibirri hin. Er sagte: "Fessele den Mann mit starken Stricken."

Dann griff er mit seinen Leuten die Fulbeortschaft selbst an. Er nahm den Vater und die Mutter König Aus gefangen. Die geschlagenen Fulbe flohen. Halle Sogole ritt zurück. Als er bei Ali vorbeikam, sagte er: "Ich töte dich nicht hier. Ich töte dich da, wo du mein Lieblingsweib ermordet hast." Er zog mit seinen Leuten und den gefangenen Fulbe an die Stelle, am Wasser, an der Ali sein Liebhingsweib ermordet hatte. Hier stach er erst den Vater Aus tot. Dann stach er da die Mutter Aus tot. Dann fragte er Ali: "Nun möchtest du wohl am Leben bleiben?" Der Fulbe Ali sagte: "Ja, ich bitte dich zu verzeihen und mir das Leben zu lassen." Der Gannakönig Halle Sogole sagte: "Ich bin ja nur ein schmutziger Kaddo. Ich hätte dich aber nicht um mein Leben gebeten. Ich bin zwar nur ein schmutziger Kaddo, aber ich habe mein Lieblingsweib so gerne gehabt, daß du das nicht verstehen kannst." Dann tötete er den Fulbe und grub Ali mit seinen Eltern an der gleichen Stelle ein.



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Der Rest der geschlagenen Fulbe war in die Berge der Aru (Stamm der Vornehmen: Garango; Stamm der "Fremden": Arama, beide aus Mande kommend) geflohen. Der Arukönig nahm sie bei sich auf und gewährte ihnen Schutz. Der Arukönig wußte aber, daß nun Halle Sogole von ihm die Auslieferung der Fulbe verlangen würde, und somit rüstete er seine Truppen. Der Gannakönig sandte ihm auch eines Tages eine Botschaft und ließ ihm sagen: "Gib mir die Fulbe König Aus heraus, die ich geschlagen habe." Der Arukönig antwortete: "Diese Leute sind meine Leute geworden. Ich gebe dir meine Leute nicht." Halle Sogole sandte eine Antwort, die lautete: "Die Leute im Lande Arus und die im Lande Tibirri sind zusammen aus Mande ausgezogen. Wir sind von der gleichen Familie. Veruneinige dich wegen dieser Fremdlinge, die ich geschlagen habe, nicht mit deinem Bruder." Der König von Aru antwortete: "Das sind meine Leute geworden. Ich werde sie dir nicht geben."

Der Gannakönig Halle Sogole sandte nun eine Botschaft an den König von Aru und ließ ihm sagen: "Du bist schlimmer als die Fulbe. Denn das sind Fremde. Wir aber sind Brüder. Komm also mit deinen Leuten vom Berge in die Ebene. Wir wollen miteinander fechten. Die Fulbe kümmern mich jetzt nicht mehr. Ich habe es jetzt nur noch mit dir zu tun." Der Gannakönig zog mit seinen Leuten in die Ebene vor den Arubergen und wartete, daß der König des Landes Aru mit seinen Leuten zum Gefecht herunterkommen würde. Der König von Aru kam aber nicht. Als Halle Sogole lange genug gewartet hatte, zog er mit seinen Leuten wieder nach Hause.

Als die ersten Regen der kommenden Frühlingszeit niedergekommen waren und die Aruleute auf ihren Äckern im Tale die Felder bestellten, fiel Halle Sogole mit seinen Reitern unversehens über die Aruleute her und nahm fünfzig Söhne des Garango (d. i. der vornehme Stamm) gefangen. Ebenso griff er fünfzig von den geflohenen Fulbe auf. Dann sandte er eine Botschaft an den Arukönig und ließ ihm sagen: "Ich habe dir fünfzig Garango und fünfzig Fulbe gefangen genommen. Das wird sich nun Jahr für Jahr wiederholen. Ich trage nicht die Schuld daran, denn ich habe euch vor einem Familienkriege gewarnt." Die Aruleute bekamen einen großen Schrecken. Sie sandten sogleich alle Fulbe als Gefangene an Halle Sogole und ließen sagen: "Hier sind die Fulbe, die du gefordert hast. Bist du nun zufrieden?" Halle Sogole ließ antworten: "Nein, ich bin damit nicht zufrieden, denn um die Fulbe



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allein hat es sich nicht mehr gehandelt. Ihr habt den Bruderkrieg heraufbeschworen und ich sage euch nun, daß ich in Zukunft die Hand über euch haben will, damit das nicht wieder geschehe. Ihr sollt mir jährlich zehntausend Mullen Fognon und hundert Salzbarren liefern. Wollt ihr das?" — Die Aruleute waren einverstanden und ließen sagen: "Schicke uns Leute, daß wir die Abgabe liefern und mit den Ganna den Blutschwur trinken."

So geschah es, und das Verhältnis zwischen den Tibirrileuten und den Aruleuten ist bis heute das gleiche geblieben.


Copyright: arpa, 2015.

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