Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[377]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
20. Mai 1534

Autograph: Zürich StA, E II 343, 55r.-v. (Siegelspur) Gedruckt: Füssli I 124-126, Nr. 34

Entschuldigt sein langes Schweigen mit Geschäften und mit seiner Vorsicht gegenüber unbestätigten guten Nachrichten. Niederlage der Armee König Ferdinands I. Die Entflohenen preisen die Barmherzigkeit der Sieger [Philipp von Hessen und Ulrich von Württemberg]und tadeln die Schwäche des Königs. Brief aus Mömpelgard: Vor einer Erneuerung der eidgenössischen Bündnisse mit den V Orten, die diese wünschen, wird abgeraten, da die protestantische Armeeführung etwas gegen die Katholiken plant; bald werden weitere Fürsten im Feld stehen, auch die schwäbischen Städte, falls der Kaiser spanische Truppen nach Deutschland sendet; die V Orte und das Wallis schlossen ein Bündnis mit Savoyen, und der Bischof von Sitten [Adrian I. von Riedmatten] rüstet zum Krieg, vielleicht gegen Bern. So kann man den V Orten trauen! Die Zürcher haben dem französischen Gesandten [Guillaume du Bellay]richtig geanwortet. Wahrhaftig: was soll man an einer so zerrissenen Sache noch flicken? Unnötiges Nachgeben würde dem Bösen Vorschub leisten. Darum hält er die vermittelnde Haltung des Erasmus gegenüber dem Papismus für falsch. Dankt für Vadians Brief. Über den wegen Karlstadt in Basel gefaßten Beschluß wird er bald Bescheid geben. Grüße an Heinrich Utinger und alle Brüder.

a vor clementiam gestrichen Chr.
b (quod se attinet) am Rande nachgetragen.
24 Daß der Papst bzw. das Papsttum der Antichrist sei, darin waren alle Reformatoren einig, s. Wilhelm Maurer, in: RGG I 433f.
25 Zur Mission von Guillaume du Bellay unter den Protestanten vgl. Corr. des réformateurs
III 181f, Anm. 2: Bouvier 197-202.
26 Joachim Vadian an Bullinger, [kurz vor 18. Mai] 1534, oben Nr. 375.
27 Unbekannt.
28 Bullinger erkundigte sich wegen der Berufung von Andreas Karlstadt an die Universität Basel, s. unten S. 183, 40f; vgl. Barge II 455-460.


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S. Negociis adscribito, quod tam diu tacui 1 , tum et rerum incertitudini. Non enim libenter in gaudia coniicio, quae deinde contaminantur dolore, dum diversum acciderit. De clade Ferdinandinorum 2 a die sabbati proximo usque huc constanter refertur. Finitimorum ex ditione domus Austriae subinde redeunt quidam nudi, quidam vulnerati.

Commendant principum 3 misericordiam omnes: «Potuissent nos», inquiunt, «occidere, sed noluerunt.» Contra regem 4 vituperant ut pauperem et indigentem. Vetus de regibus Romanis cantio haec 5 , Miserunt nostri nuncium 6 hisce de rebus. Hic nondum rediit. Postquam redierit, intelligemus, quid sit. Praeter haec scripta sunt ad me sequentia ex Montebelligardi 7 : certum esse Pagos 8 novum tentare foedus, imo vetus hac tempestate reddere novum 9 a qua re mirum quam dehortetur nos, qui praeest illic exercitui 10 . Futurum enim aliquid contra male pios 11 , quod nunc non sit detegendum. Tum intra dies 14 werdent sötlich fursten und herren imm feld sin, deren sich niemen versechen hett 12 . Gulielmum [!], ducem Bavariae, una cum Christophoro, iuniore duce Wirtenbergensi, magno exercitu hostem 13 die lunae pentecostes 14 invasurum, civitates Sveviae, Augustam, Ulmam, Nurenbergam milites et arma parare, si forte caesar Hispanos missurus sit in Germaniam, ut eis occurrant. Insuper de Pagis deque istorum a sociis, quod verum est, audi: Pepigerunt foedus novum cum Sabaudia, quod confirmatum superioribus diebus in Sedunensium valle 15 . Dixit Vallesianus: «A, das sy gott gelobt, das unser hufly 16 sich aber hett gemeret, damit wir den Luterscen [!] diß bas 17 mögend widerstan!» Episcopus Vallesianus 18 parat boardas

a deque istorum gestrichen, dann am Rande nachgetragen.
1 Myconius' langes Schweigen (seit 20. April) wurde ihm von Bullinger am 18. Mai vorgeworfen (oben S. 178, 2f).
2 Zur Niederlage von König Ferdinands Armee im Krieg zur Wiedereinsetzung Herzog Ulrichs von Württemberg s. Wille 176-187 und Keller 64-68; vgl. oben S. 178, 5-14.
3 Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Ulrich von Württemberg.
4 König Ferdinand I. von Österreich.
5 Anspielung auf die allgemein bekannten Geldnöte der Habsburger.
6 Unbekannt.
7 Ein an Myconius gerichteter Brief aus Mömpelgard aus dieser Zeit ist nicht erhalten.
8 die V Orte.
9 Eine förmliche Erneuerung der eidgenössischen Bündnisse wurde aber offenbar doch nicht verlangt. An der Tagsatzung zu Baden vom 5. Mai 1534 mußten allerdings die reformierten Orte mehrfach betonen, daß sie «die Bünde und den Landfrieden halten» wollten, s. EA IV/IC 318 b und 319 e.
10 Gemeint ist vielleicht Philipp von Hessen.
11 Wohl die Katholiken.
12 das niemand erwartet hätte.
13 Nämlich: die Truppen Ferdinands I.
14 Pfingstmontag (25. Mai 1534).
15 Sitten (Kt. Wallis). - Über ein neues Bündnis der V Orte mit Savoyen und dem Wallis berichtet auch Haller an Bullinger am 30. Mai 1534 (unten S. 196, 7-11). Zu einem Vertrag kam es jedoch nicht; auf der Eidgenössischen Tagsatzung zu Baden am 9. Juni 1534 wurde «das von dem Bischof zu Sitten vorgeschlagene Bündnis mit dem Herzog von Savoyen» als zur Zeit undenkbar höflich abgelehnt, zugleich freilich betont, «der Herzog könne ... überzeugt sein, daß man ihm nach Vermögen beistehen werde, wenn jemand ihn oder die Seinigen im Glauben beeinträchtigen wollte, in Erwartung, daß er als ein christlicher Fürst gegen die VII Orte dasselbe thun werde» (EA IV/IC 335 i).
16 Truppe, Heer (SI II 1044).
17 besser.
18 Adrian I. von Riedmatten, Bischof von Sitten 1529-1548, S. HBLS VII 387. I 113.


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et pulverem, quem vocant, sulfuratum festinanter, nescio si fortasse contra Bernenses. Consydera Pagos, an non sint, quos olim diximus. Interim nos stulti desidemus. Exprobrant foedera nobis 19 , ipsi percutiunt. Abeant, et omnes, qui fidunt eis, male pereant.

Oratori regio 20 probe respondisti 21 . Quid sarciretur in re tam lacera? Cum dracone 22 non aliter est congrediendum, nisi ut poenitus occidatur. Si mitius ageretur, verendum, ne veneno perditurus esset b . Quod nunc concederetur earum rerum, quae non debent, quid aliud quam initium inciperetur novarum impietatum? Haec causa, cur nunquam potuerim transire ad Eras[mi] sententiam, qua putat papismo medicaminibus subveniendum, non delendum, tanquam vel fundamentum probum sit 23 . Mediatores isti scis quid sint hac in re confecturi: quod superioribus temporibus mediatores egerunt bellici: nos oppressi, gaudent hostes. Ex eo tempore non possum amare tales. Horrori sunt profecto, quoties eos cogito.

|| 55v. Gratias ago de literis excellentissimis nostri decorisque patriae Vadiani 24 . Mirum enim, quam reficiat me, quicquid scribit ille vir.

De Carolstadio actum apud nos 25 , sed quid responsum est, nondum commissum, ut reddam. Propediem te reddam certiorem.

Vale per dominum cum fratribus omnibus, in primis Utingero. Brevi plura.

Basileae, 20. maii anno 34.

Os. Myco. tuus.

[Adresse darunter:] Domino Heinricho Bullingero suo, Tigurinorum episcopo dignissimo.

b aus perdat korrigiert, -iturus esset übergeschrieben.
19 Die V Orte warfen den reformierten Orten an der Tagsatzung vom 5. Mai 1534 in Baden vor, daß diese, nach zuverlässigen Berichten, ein neues geheimes «Bündniß und Burgrecht mit Augsburg, Ulm, Straßburg und Konstanz» geschlossen hätten, s. EA IV/IC 318 b.
20 Guillaume du Bellay.
21 Du Bellay hielt sich am 5. Mai 1534 in Baden auf, wo er an der Tagsatzung sprach (s. EA IV/IC 319 g), und verhandelte dann in Zürich mit Bullinger und Pellikan über die Möglichkeiten einer Einigung
mit Rom; Bullinger berichtete darüber Myconius am 18. Mai ausführlich (oben S. 179f, 27-52).
22 Vgl. Apk 12, 3-9. 13-17.
23 Zur vermittelnden Haltung des Erasmus von Rotterdam und dessen Wirkung in den Humanistenkreisen der Schweiz s. Otto Schottenloher, in: RGG II 534-537 und Kurt Maeder, Die Via media in der schweizerischen Reformation, Zürich 1970. - ZBRG 2, S. 72-77.
24 Oben Nr. 375.
25 Die Berufung Karlstadts erfolgte auf der Basler Synode vom 19. Mai 1534, s. Barge II 456f; vgl. auch unten Nr. 417.