Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Gebhart Hegner an
Bullinger
Baden,
23. April 1534

Autograph a : Zürich ZB, Ms F 39, 98 (Siegelspur) Ungedruckt

Der Meßpriester von Baden erregt Aufsehen mit einer Predigt, in der er die Existenz von vier Höllen beweisen will. Bullinger wird von den Beschlüssen der Tagsatzung über den gefangenen Pfarrer [von Birmenstorf, Jakob Appenzeller] und über die Dießenhofener gehört haben. Martin Pfiffenmacher berichtet, wie Thomas, Stubenknecht zum Rüden, seinen Sohn ins Kloster Wettingen stecken möchte gegen dessen eigenen Willen. Bitte, etwas dagegen zu unternehmen, da Zürich sonst in ein schlechtes Licht kommt. Grüße.

10 Vgl. 1 Kor 4, 5.
11 Schon am 14. April hatte Bucer darüber berichtet (oben S. 125, 19f).
12 Wohl Philipp von Hessen. In welche Richtung Bullingers Befürchtungen gingen, läßt sich nicht nachweisen. Möglicherweise zweifelte er, im Anschluß an eine ähnliche Bemerkung Capitos (s. oben S. 115, 15f). an einem Sieg Philipps in der bevorstehenden Auseinandersetzung mit Ferdinand I.
13 Zu den Kriegsvorbereitungen und Truppenwerbungen s. oben S. 115, 2-10 und Anm. 6.
14 Philipp Melanchthon.
15 In Frage kommt Melanchthons Brief an Bucer vom 15. März 1534 (Melanchthon BW, Regesten II 129, Nr. 1420; MO II 710-713), in welchem Melanchthon seiner Zuneigung und der Hoffnung auf ein Gespräch Ausdruck gibt.
a Mit Unterstreichungen und einer Randbemerkung von J. H. Hottinger.
1 Gebhart Hegner (Hegnauer), gest. 1538, stammte aus Winterthur. Am 21. Juni 1522 wurde er zum Schultheißen von


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Min früntlich, willig dienst, ouch was ich liebs und gutz vermöcht, alzitt zevor.

Fromer, besonders günstiger her, ouch gethruwer, lieber und guter fründ, ich acht uch woll wüsend, wie das der mäßpfaff 2 alhie zu Baden an verschinem balmtag 3 geprediget, das vier hellen sigind, welichs er mit helger gschrifft beweren 4 und aber dhein gschrifftt 5 sonder vill , geschreig 6 darumm anzöigt hatt 7 . Witer, was uff dem tag 8 alhie gehandlett, wie es dem gfangen predicanten 9 , denen von Diesenhoffen 10 und anderer sachen halb

Winterthur gewählt, verzichtete aber nach kurzer Zeit auf dieses Amt zugunsten der Stadtschreiberstelle. Im Tößer Bauernaufruhr von 1525 beteiligte er sich mit Erfolg als Vermittler (s. HBRG I 278). Als Anerkennung dafür verlieh ihm Zürich das Amt eines Landschreibers der Grafschaft Kyburg mit dem Recht, dieses in seiner Familie zu vererben. Mehrere seiner Nachkommen bekleideten in der Folge das Winterthurer Stadtschreiberamt. Ein Bruder Hegners, Sebastian, gehörte zu den letzten Mönchen im Kloster Rüti (Kt. Zürich). Eng befreundet war Hegner mit dem Winterthurer Chronisten Laurenz Boßhart (gest. 1532), dessen Werk offenbar in seinen Besitz überging, weist doch das Autograph der Boßhart-Chronik viele Randbemerkungen und Nachträge von Hegners Hand auf. Hegner selbst verfaßte eine knappe Chronik. Mit der Familie Hegner scheint auch Bullinger freundschaftlich verbunden gewesen zu sein; Susanna Kuhn, «uxor scribae Hegneri Vitodurani», war 1570 Patin von Bullingers Enkelin Magdalena Lavater (HBD 102, 19). Ein weiterer Brief Hegners an Bullinger (aus dem Jahr 1536) ist erhalten. - Lit.: AZürcherRef 1974; Bosshart 96f. 367 und Reg.; Rudolf Luginbühl, Die Chronik des Gebhard Hegner, in: ASG X 35-43; HBLS IV 113.
2 Unbekannt.
3 Palmsonntag fiel im Jahre 1534 auf den 29. März.
4 dartun, beweisen (Grimm I 1763f).
5 keine Bibelstelle.
6 Gerücht, (leeres) Gerede (SI IX 1448).
7 Zu den verschiedenen volkstümlichen Vorstellungen über die Beschaffenheit der Hölle s. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v. Hanns Bächtold-Stäubli, Bd. IV, Berlin-Leipzig 1931/32, Sp. 225-230. - Der Gedanke an vier Höllen mag einen Ursprung im Glauben an die vier Dämonenfürsten Lucifer, Beelzebub, Belial und Astaroth haben, denen die vier Himmelsrichtungen unterstellt sind.
Die Badener Predigt ließ sich anderweitig nicht nachweisen.
8 an der Badener Tagsatzung vom 14. April 1534 (EA IV/IC 307-313).
9 Jakob Appenzeller, der Pfarrer von Birmenstorf und von dem zur selben Kirchgemeinde gehörenden Gebenstorf (beide Kt. Aargau), war am 12. April verhaftet und in Baden gefangengesetzt worden, da man ihm vorwarf, in seiner Predigt am Ostermontag entgegen dem Zweiten Landfrieden Katholiken und Messe angegriffen zu haben. An der erwähnten Tagsatzung sprach sich die katholische Mehrheit der Orte aufgrund von mehreren Zeugenaussagen für eine Amtsenthebung Appenzellers aus (s. EA IV/IC 310 y. 312f). Bern, das nach der Reformation die Kollaturrechte vom aufgehobenen Kloster Königsfelden übernommen hatte, setzte sich in der Folge für den Prädikanten ein (s. EA IV/IC 339 nn.) und erreichte schließlich im September 1534 sein Verbleiben unter der Bedingung, daß gleichzeitig auch ein Meßpriester eingesetzt werde (s. EA IV/IC 405 z.). Appenzeller blieb bis im Oktober 1541 in Gebenstorf, wechselte dann nach Ammerswil (Kt. Aargau), wo er 1549 wegen Streitereien abgesetzt wurde. - Lit.: Pfister 90, Nr. 197. 112, Nr. 680f. 188. 198. 10 Die konfessionellen Streitigkeiten in Dießenhofen (Kt. Thurgau) hatten schon seit Anfang 1532 gedauert (zu ihrem Verlauf s. die Darstellung in Knittel, Kirche 105-108). An der Badener Tagsatzung vom 10. Februar 1534 klagte der Priester von Dießenhofen, der Prädikant Heinrich Benker (nicht Veit Kappeler, wie Knittel, Kirche 107f irrtümlich angibt, hatte dieser Dießenhofen doch bereits im Februar 1533 verlassen) habe mit antikatholischen Angriffen den Landfrieden massiv verletzt, und er selbst leide unter den Schmähungen der reformierten Bevölkerung (s. EA IV/IC 272f p.). Benker mußte sich am 26. Februar vor Bullinger, Heinrich Engelhart, Joh. Rud. Thumysen, Jud, Pellikan,


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ergangen, acht ich, üch von tagheren 11 woll anzöigt sin, unnötig uch darvon zu schriben, anders von dem acht ich 12 , und allen Zuricherern ze gutt, von noten zu schriben sin 13 : Namlich ist Marthin Pfiffenmacher 14 von Zürich, der alhie badet, zu mir komen und mir von truwen hertzen klagt, wie das Thoman 15 , der knächt zem Rüden 16 (ich hatt schier gschriben zur wuesten 17 löitschen 18 ), sin sun hab gan Wetingen 19 in das closter 20 than, alda ein münch zu werden. Nun hab er 21 mitt dem knaben grett nach gründ, der im geantwurtt, so er recht vater und muter hett, weltt er nit darin; er mueß aber darin. Nun gester, wie Thomans fruw mit thuechlinen 22 alher zu marckt komen, hab er sy ouch darumm anzogen 23 und ubell zufriden gwäsen, die im geantwurtt, der knab der well nun darin. Ist nütt dan buebery und lugnery, dan Thoman im vor sechs oder achtt wochen die kuten 24 soll kufft haben. Hierumm, günstiger, lieber her, ich uch, ouch uß guter meinung Marthins, sölichs schrib; ist darumm, öb ir sölichs möchtind fürkomen 25 , dan man gwüß den jungen in achtt tagen anlegen 26 will, und so sölichs beschehen, wurd man nitt person, sonder Zuricher nämen 27 , welichs uns und vorab dem wortt gotes, alls ir woll gedencken, grosen anstoß legen wurd 28 . Darumm ist unser beder pitt, hierin christenlich zu handlen 29 . Ich hett uch noch viii mer zu schriben, mag aber nit sin ursach 30 miner bösen henden, so mir das bad gemachett hatt.
Karlstadt und Bibliander verteidigen (EA IV/IC 290), und die Dießenhofener Reformierten rechtfertigten sich vor der Tagsatzung in Baden am 10. März (EA IV/IC 284 q.). Am 14. April schließlich fällte die Tagsatzung einen endgültigen Urteilsspruch: Sie setzt inskünftig vier Männer ein, die Vollmacht haben, den Rat zu besetzen (dieser Beschränkung des Wahlrechts der Bürgerschaft stimmten Bern und Zürich nicht zu); von einer Geldstrafe wird abgesehen; ein neuer Meßpriester soll gesucht und eingesetzt werden; Schultheiß und Rat sind befugt, jeden zu verhaften und zu bestrafen; der reformierte Pfarrer soll sich künftig an den Zweiten Landfrieden halten (EA IV/IC 309 o.).
11 Zürichs Abgeordnete an der erwähnten Tagsatzung waren Johannes Haab und Heinrich Rahn, s. EA IV/IC 307.
12 ich denke, es verhalte sich anders.
13 es sei notwendig, zum Vorteil aller Zürcher davon zu schreiben.
14 Unbekannt.
15 Über Thoman oder Thomas, den Stubenknecht (Verwalter) zum Rüden, ist kaum etwas bekannt. 1533 wurde er zweimal von der Weinleutezunft wegen Übergriffen in ihre Zunftrechte verklagt, da er trotz früheren Verboten wiederholt für Gäste eingekauft und gekocht habe, s.
Quellen zur Zürcher Zunftgeschichte, 13. Jahrhundert bis 1798, bearb. unter Mithilfe v. Hans Nabholz v. Werner Schnyder, Bd. I, Zürich 1936, S. 212, 215.
16 Gesellschaftshaus der Konstaffel in Zürich.
17 lasterhaft, zügellos, ausschweifend.
18 Hund, Köter (SI III 1533f). Also etwa: zur (herum)streunenden läufigen Hündin.
19 Wettingen bei Baden (Kt. Aargau).
20 das dortige Zisterzienserkloster.
21 Martin Pfiffenmacher.
22 Tüchern, Tuchstücken.
23 darauf angesprochen.
24 die Mönchskutte.
25 verhüten, abwenden (SI III 27 8f).
26 einkleiden [von Klostergeistlichen] (SI III 1180).
27 nennen; gemeint ist: würde man nicht den Namen der Person erwähnen, sondern nur, daß es ein Zürcher ist.
28 Bedrängnis, Ärgernis bereiten würde.
29 Die Angelegenheit ließ sich weiter nicht nachweisen; auch Dominicus Willi, Album Wettingense oder Verzeichniss der Mitglieder des exemten und consistorialen Stiftes Wettingen-Mehrerau, S. Ord. Cisterc., 1227-1891, Limburg an der Lahn 1892, gibt keine näheren Aufschlüsse.
30 wegen.


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Hiemit uch gott dem heren befelhend. Ich bitt uch, mir zu gruetzen den cüster 31 , Meister Wernher 32 und all gutt heren und gots fründ.

Datum zu Baden, uff Jeory anno etc. 1534.

Gebhart Hegner,

s[chultheiß?]z[u] W[interthur],

u[wer]a[llzyt]w[illiger]f[ründ].

[Adresse auf der Rückseite:] Dem fromen, wolglerten Meister Heinrich Bullinger, christenlicher predicant Zürich, minem gunstigen heren und geliepten frunde.