Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2937]

Jodocus Kilchmeyer
an Bullinger
Bern,
2. Juli 1547

Autograph: Zürich StA, E II 360, 421 (Siegelspur) Ungedruckt

[J] Die Berner senden erneut zwei Jungen nach Zürich: [Ismael], den Sohn von Johannes Buchser, und [Samuel], den Sohn von dem. aus Sursee stammenden und im Bernbiet bestatteten Heinrich Schneuwlin. Die Zürcher sollen sich gut um die Jugendlichen kümmern, damit Kilchmeyers Bemühungen nicht umsonst sind und der Berner Ratt feststellen kann, dass Kilchmeyer und die Zürcher für die mit öffentlichen Geldern unterstützten Berner Studenten gut sorgen. -[2]In Bern hört man nämlich, dass die im letzten Schuljahr nach Zürich gesandten Berner Jungen nicht genügend beaufsichtigt werden. Sie hätten zu viele Freiheiten, führten ein zu lockeres Leben, würden sich am Abend in Wirtshäusern aufhalten und liederlichen Mädchen nachlaufen, statt Bücher zu lesen! Der Berner Rat ist verärgert darüber und hielt dies Kilchmeyer schon mehrmals vor. Bullinger soll dafür sorgen, dass diese jungen Leute nicht auf die schiefe Bahn geraten, sondern gut erzogen werden. Denn die [lutherischen]Gegner in Bern freuen sich über dieses Gerücht und schüren es sogar, um die Zürcher als nachlässig darstellen zu können. Damit versuchen sie, Christus den Jugendlichen zu entreißen und ihre Rücksendung nach Straßburg zu veranlassen, damit Bucers Herrschaft in Bern wiederhergestellt werde, wo diese doch mit Gottes Hilfe und den Anstrengungen vieler zurückgedrängt und fast ganz ausradiert werden konnte. -[3]Die beiden Studierenden werden über den Stand der Dinge in Bern ausführlich berichten. Sie sollen Benedikt Euander, Lehrer an der Fraumünsterschule, zugeführt und empfohlen werden. Er soll sich ihrer besonders gut annehmen, damit sie, falls man sie in einem halben Jahr bräuchte, einer Kirche zugewiesen werden könnten. In Bern fehlt es nämlich immer wieder an guten und aufrichtigen Pfarrern. -[4]Eine Frau [...] aus Schwyz, die in Bern lebt, eine Verwandte des [Schwyzer]Ammanns Dietrich Inderhalden, wird nach Zürich kommen. Kilchmeyer zuliebe soll Bullinger sich, zusammen mit Junker Jakob Rordorf ihrer Angelegenheit (die sie selbst vortragen wird) annehmen. Sie ist ehrbar und von gutem Ruf Selbst wenn sie bei ihrem Vorhaben nicht gänzlich erfolgreich wäre, würde dennoch ein anständiger und einflussreicher Bürger [...] aus Bern sie heiraten. -[5]Als Kilchmeyer vor kurzem zusammen mit dem adligen Glado May beauftragt wurde, die Schule in Brugg zu inspizieren, schrieb er von dort an seinen Gevatter, den Schulherrn Johann Jakob Ammann, und bat diesen, mehr auf die Berner Studenten zu achten. Er legte dein Brief 12 Kronen bei. Sind Brief und Geld gut angekommen? Bullinger soll dem ohnehin so neugierigen Kilchmeyer Neuigkeiten mitteilen und auch dafür sorgen, dass dieser bei den Zürcher Ratsherren nicht in Vergessenheit gerät, zumal er keinesfalls in Bern sterben möchte. Bullinger soll dafür sorgen, dass Johannes Haller an Kilchmeyers Stelle gesetzt wird! -[6]Grüße an Anna [geb. Adlischwyler], an die Familie, an Rudolf Gwalther (dessen Brief und Geld Kilchmeyer erhalten hat), sowie an Theodor Bibliander, Konrad Pellikan, Heinrich Buchter, Johann Jakob Ammann, Johannes Fries und an alle Amtskollegen.


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S. En iam iterum 1 vobis mittuntur adolescentes duo, 2 quorum unius 3 pater fuit M. bannes Buchser 4 , ohm in Sur 5 pastor dominici gregis, alterius 6 vero d. Heinrichus Schneewly 7 ex Sursee, in agro Bernatium sepultus. Illos, rogo atque obsecro, commendatos habeatis, sicque eorum curam geratis, ne me paeniteat laboris, quo promoti sunt, ut ad vos mitterentur, et magnificus senatus noster et me et vos Tiguri agnoscat diligentissimos patres horum omnium, qui publico aerario nutriuntur in gloriam dei, ecclesiae suae ac patriae salutem.

Magnus certe apud nos rumor est parum apud vos curari illos 8 , qui praeterito anno 9 ad vos missi sunt, sed esse in libertate nimia, dissolutam agere vitam, inter aepulas et pocula inveniri, idque noctu et in publicis tabernis, scorta potius sectari, quam libros volvere et perlegere! 10 Quod senatus non sine magna molestia audit mihique non semel exprobratum est. Curabis igitur summo studio, ne iuventus nostra misere apud vos pereat, sed formetur ac instituatur diligentia, qua certe opus est et nos 11 de vobis speramus. Bestie ac adversarii nostri immo Christi 12 non solum gaudent, ubi nostros apud vos negligi audiunt, sed eciam maledica lingua rumorem augent, quaerentes, ut Christo rapti rursus Argentoratum 13 mittantur, quo regnum Buceri amplietur et apud nos resurgat - quod iam per dei gratiam magna ex parte sudoribusque multis demolitum est et pene extinctum. De qua re tibi plura scribere supervacuum est.

Habes enim coram ingenuos adolescentes, qui tibi, quid apud nos agatur, abunde satis explicare noverint, quos Euandro 14 apud Abbatiam 15 tradas committasque, ut in fingendo illos summam adhibeat curam et sedulitatem, quo anno dimidio exacto, si opus fuerit, revocari atque ecclesiis praefici possint. Egemus enim subinde magis pastoribus bonis ac synceris.

1 Siehe dazu unten Anm. 8.
2 Vgl. Nr. 2931,1-9.
3 Ismael Buchser; s. Nr. 2931, Anm. 6.
4 Johannes Buchser war 1541 gestorben; s. HBBW II 126, Anm. 1.
5 Suhr (Kt. Aargau).
6 Samuel Schneuwlin; s. Nr. 2931, Anm. 5.
7 Heinrich Schneuwlin war Bauer in Ried bei Fraubrunnen (Kt. Bern) gewesen; s. LL XVI 416. Der vorliegenden Stelle zufolge stammte er aus Sursee (Kt. Luzern).
8 Ende Januar 1547 waren Jonas Danmatter, Johannes Fädminger, Johann Knechtenhofer und Abel Mühlhofer nach Zürich gesandt worden; s. HBBW XIX, 172. 219,41f. Zum Zeitpunkt dieses Briefes hielten sich allerdings nur noch drei dieser Studierenden in Zürich auf; s. Nr. 2931,10-12. Vermutlich war es Fädminger. der schon abgereist war; s. Nr. 2931. Anm. 14.
9 Als Schuljahr zu verstehen.
10 Vielleicht sind die Briefe Nr. 2896f der Brüder Johannes und Justus Vulteius in Verbindung mit diesen hier und auch in Nr. 2931,10-12, und in Nr. 2939,15-19, erwähnten Unruhen zu bringen; s. Nr. 2896, Anm. 2 in fine.
11 Zu verstehen: quam nos.
12 Die lutherischen Parteigänger in Bern: s. dazu HBBW XIV 17f; XV 30.
13 Die vier oben in Anm. 8 genannten Studenten hatten nämlich zunächst in Straßburg studiert, ehe sie von Bern nach Zürich gesandt wurden.
14 Benedikt Euander, Lehrer am Fraumünster seit etwa Herbst 1546 (s. HBBW XVIII 343, Anm. 27; XIX 173, Anm. 18), bei dem auch schon im Januar zwei Berner untergebracht wurden; s. HBBW XIX 173,13.
15 Gemeint ist die Fraumünsterschule.


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Veniet ad te faemina quaedam Schvyttensis 16 , iam apud nos in urbe agens, cognata d. ammani Dietrichs Under der Halden 17 , cui nomine meo operam tuam impendas velim adiuncto tibi iunckherr lacoben Rordorf c18 in negotio, quod ipsa tibi declarabit. Honesta est, pudica tantaeque laudis, ut, si res eius vel parum successerint foeliciter, recipiatur in coniugiuma honesti civis 19 , qui et magne apud nos autoritatis est.

Superioribus diebus, quibus in perlustrandis classibus unam cum nobili viro Claudio a Maus 20 legatum egi, 21 scripsi ex Brugis 22 ad venerabilem virum scholiarcham, compatrem meum, dominum Ioanem Iacobum Ammianum 23 , ut major cura post hac adhibeatur in nostros studiosos missis 12 coronatis 24 . An literae cum coronatis ad eum pervenerint, hactenus me latuit. Fac igitur me cerciorem de hoc et aliis novis, quorum me scis cupidum quam qui maxime, et vide, ne in oblivionem abeam dominorum nostrorum Tigurinorum. Bernae enim, ni deo aliud fuerit visum, nusquam moriar, tuumque erit curare, ut d. bannes Hallerus in locum meum restituatur! 25

a In der Vorlage conniugium
16 Aus Schwyz. Ihr Name ist unbekannt.
17 Dietrich Inderhalden (Under der Halden), geb. 1512, gest. 1584, aus Schwyz, immatrikulierte sich 1524 in Basel. Kriegsund Staatsmann sowie Gesandter, u.a. zu vielen eidgenössischen Tagsatzungen, an Papst Paul III. und 1547 an König Heinrich II. von Frankreich. Von 1544 bis Mai 1547, 1549 bis Mai 1552, 1556 bis Mai 1557, 1558 bis Mai 1560 sowie 1572 bis Mai 1574 war er Landammann von Schwyz. - Lit.: LL IX 433f; Karl Styger, Ritter Dietrich in der Halten, Landammann von Schwyz (1512-1584), und dessen Sohn Oberst Dietrich in der Halten, in: Mitteilungen des historischen Vereins des Kantons Schwyz I, 1882, 1-55; HBLS VI 307; M-Basel I 357, Nr. 13; HBBW X 178, Anm. 21; HLS VI 607.
18 Jakob Rordorf, Zürcher Ratsherr, von 1540 bis 1545 Schaffner in Küsnacht. Kilchmeyer wird ihn von seiner Küsnachter Zeit her gut gekannt haben; vgl. HBBW III 137, Anm. 1.
19 Unbekannt.
20 Glado May, Ratsherr in Bern.
21 Kilchmeyer war also damals auch für die bernischen Schulen zuständig. Die Schulbehörde bestand in Bern aus ausgewählten Ratsmitgliedern (Schulherren) und aus Gelehrten (Pfarrern und Schulmeistern); s. Adolf Fluri, Die bernische Schulordnung von 1548. in: Mitteilungen
der Gesellschaft für deutsche Erziehungsund Schulgeschichte XI, 1901, S. 188.
22 Brugg (Aargau), wo sich auch eine Schule befand. Dort wirkte in den Jahren 1547/48 Leonhard Hospinian (Wirth) als Lateinschulmeister (s. HBBW II 38, Anm. 21; XIV 29 und Anm. 154; XVII 207 und Anm. 3), dessen Tochter Barbara eine Ehe mit Fädminger eingehen sollte; s. HBBW XVIII 393, Anm. 52.
23 Johann Jakob Ammann, Zürcher Schulherr.
24 Vermutlich für die Pensionen der Berner Studenten.
25 Kilchmeyer, der die Stelle des Berner Dekans innehatte, bekleidete dieses Amt bis zu seinem am 2. Oktober 1552 erfolgten (s. Johannes Haller an Bullinger, 5. Oktober 1552, Zürich StA, E II 370, 180) Tod. -Am 9. Oktober 1547 beschloss der Berner Rat, Haller nach Bern zu berufen (s. Nr. 3036,2-5). Zur entsprechenden brieflichen Bitte an Zürich scheint es aber erst am 9. November 1547 (s. Fluri, aaO, 5. 197, Anm. 2) gekommen zu sein, da vom 13. November der Entwurf eines Briefes an die Berner erhalten ist (Zürich StA, B IV 16, 164r.). in dem der Zürcher Rat sich entschuldigte, dieser Bitte nicht nachkommen zu können, zumal Zürich kurz nacheinander zwei Pfarrer durch den Tod verloren habe (vgl. auch Nr. 3096,[8]). Haller wurde erst am 5. Mai


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Vale in domino semper cum uxore 26 et familia omni, meque ut fratrem tuum ama semper praecibusque tuis domino deo commenda. Valere iubeo d. Rudolfum Gwaltherum, a quo nuper et literas 27 et pecunias accepi. Salutabisque nomine meo d. Bibliandrum, Pellicanum, Buchterum 28 , Ammianum, Frysium 29 atque collegium Christi universum. Iterum vale! Bernae, 2. iulii anno 1547.

lodocus Kilchmeyerus totus tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Ornatissimo viro domino m. Heynricho Bullingero, Tiguri apud praeposituram 30 concionatori vigilantissimo fratrique suo modis omnibus observando.