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Original a : Zürich StA, E II 337a, 387f (ohne Siegel) b Druck: Oskar Vasella, Ein Beitrag zur Geschichte der Nikolaischule im 16. Jahrhundert, in: Bündnerisches Monatsblatt 9, 1928, 268_270 c
[1]Gruß. Da die Zürcher den Churern stets ihre Freundschaft bewiesen haben, erlauben sich
die Kommissare und Schulherren von Chur, sich erneut 3 an sie zu wenden, mit der Bitte, die
a Möglicherweise von der Hand des ehemaligen Churer Stadtschreibers Johannes Brüning,
jedenfalls von derselben Hand, die auch den Brief der Schul- und Klosteraufseher von Chur
vom 24. April 1546 (HBBW XVI 372-3 74, Nr. 2430) ins Reine schrieb. —
h Mit Schnittspuren. —
c Die meisten Abweichungen dem Original gegenüber sind orthographischer Natur. Nur an
den vier folgenden Stellen ist der Text zu korrigieren: Auf S. 268, 2. Zeile von unten, ist so
(nicht ob) gott wil zu lesen; auf S. 269, 4. Zeile von unten, ist verordnet mit gschiff und
gschier, gliger und sölichen zu lesen; auf 5. 270, 1. Abschnitt, 5. Zeilen von unten, ist Haruff
gnedig, gunstig, lieb herren zu lesen; und in der Unterschrift muss es heißen E[wer] erw[urd]
und wißhait altzit willig verordnete.Briefe_Vol_19-431 arpa
folgenden Ausführungen wohlwollend aufzunehmen. —[2] Die Zürcher sind bereits über die
vom Gotteshausbund aus den Klostergütern 4 eingerichtete [Nikolai]schule [in Chur] im Bilde.
An ihr werden jeweils 22 Knaben drei Jahre lang unterrichtet und versorgt. Sie stammen aus
den Gemeinden des Gotteshausbundes und kommen aus Elternhäusern, die eine solche Schulausbildung
nicht finanzieren können. Sind die drei Jahre abgelaufen, werden neue Stipendiaten
aufgenommen. Es wäre allerdings besser, wenn insbesondere die Schüler, die sich für das
Studium als geeignet erwiesen haben, länger als drei Jahre bleiben könnten. Doch die Gemeinden
bevorzugen einen Turnus. —[3]Nichtsdestoweniger bemängelt man zugleich, dass die
guten Schüler nach drei Jahren die Schule verlassen müssen und dadurch die für sie aufgewendeten
Ausgaben verloren gehen, da die meisten von ihnen ihr Studium nicht weiter finanzieren
können, besonders wenn sie oder ihre Eltern erfahren, dass für ein Studium in Zürich
oder anderswo mit etwa 20 bis 30 Gulden pro Jahr nur schon für die Verpflegung (ohne
Bücher und Kleidung) zu rechnen ist. Auch ist es heute nicht mehr üblich und wird zudem nicht
gern gesehen, wenn die Schüler von ihren Eltern dazu veranlasst werden, von Haus zu Haus zu
ziehen, um ihren Lebensunterhalt durch Almosen zu bestreiten. — [4] Daher ersuchen die
Churer die Zürcher um Hilfe und Rat: Was könnte man tun, inn den begabten Knaben eine
Fortsetzung ihres Studiums zu ermöglichen? —[5]Da die Obrigkeit und die Bürger von Zürich
der Auffassung sind, dass nicht nur in Zürich die Jugend in den Wissenschaften und in den
Sprachen ausgebildet werden sollte, mögen sie mitdenken helfen, wie denn die Churer die
begabten Knaben zu Lehrern und in der wahren, christlichen Religion weiter ausbilden könnten,
sodass diese dem Studium erhalten bleiben. — [6] Die Zürcher Kollegen mögen nun
freundlich den Vorschlag der Churer dazu erwägen, zumal dieser keine übermäßige Belastung
für Zürich darstellt (sollte dieser Plan den Adressaten gefallen, möchten sie ihn Bürgermeistern
und Rat von Zürich unterbreiten): Vielleicht ließe sich ein geeignetes, möbliertes Haus in
Zürich finden, zudem ein tüchtiger Bürger, der darin Schüler aus Chur und anderswoher
aufnehmen und betreuen würde, und dabei darauf achtet, dass er pro Knabe mit einer jährlichen
Pension von höchstens 13 Gulden auskommt, nämlich wie in Chur, wo der [Kloster]vogt
[Wolfgang Salet]5 für diesen Preis die Schüler auf maßvolle, aber ausreichende Weise
ohne Wein mit Brei, Brot, Gersten[suppe], Erbsen und etwas Fleisch versorgt (für die Bücher
und die Kleidung müssen die Knaben selbst aufkommen). Dies würde Knaben und Eltern zur
Fortsetzung des Studiums ermuntern. Wie schön, wenn Bürgermeister und Rat von Zürich das
Projekt guthießen! Auf diese Weise würden auch die Churer zu gebildeten jungen Männern
kommen, die im religiös entzweiten Graubünden treu bei der [evangelischen]Religion blieben
und sich nicht mehr von böswilligen Menschen und guten Löhnen, von Messfeiern und den
damit verbundenen Gräueln, von Weihzeremonien und großen Pfarreien bezirzen lassen und
zudem helfen würden, auch andere von alldem fernzuhalten. —[7]Die Zürcher mögen diesen
Vorschlag freundlich aufnehmen und abwägen. Sie wissen ja besser, als es die Churer schriftlich
darzulegen vermögen, worum es hier geht. —[8] Falls sie entgegnen würden, dass die
Churer doch selbst eine solche Pension bei sich ins Leben rufen sollten, mögen sie erwägen,
dass die Jugend in der Fremde viel besser als in der Heimat erzogen wird. —[9]Es sei zuletzt
betont, dass die reichen Leute sich eher des Evangeliums schämen und ihre Söhne nicht dazu
anhalten, Prädikanten zu werden. Demnach wird wie schon immer vielmehr die ärmere Bevölkerung
(der das Evangelium stets wichtig war) die künftigen Prediger hervorbringen. Darum
erscheint es den Churern so wichtig, die armen Schüler zu fördern, denn es sind eher diese,
die später den Gemeinden von Nutzen sein werden, während die Kinder der Wohlhabenden
nach Abschluss ihres Studiums meist nur ihren eigenen Vorteil im Auge haben. — [10] Die
Zürcher mögen dies alles wohlwollend betrachten und bei passender Gelegenheit ihre freundliche
Antwort mitteilen. Die Churer werden sich dafür dankbar erweisen.