Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Lorenz Meyer an
Bullinger
Stammheim,
14. November 1532

Autograph: Zürich StA, E II 441,768. Siegelspur. —Ungedruckt

Läßt Bullinger durch Erasmus Schmid ein deutsches Gedicht und ein lateinisches Epigramm gegen die Verunglimpfungen Zwinglis zukommen. Erhofft wohlwollende Aufnahme, da ihm Bullingers Urteil besonders viel bedeutet. Grüße. Bittet um Bullingers Fürsprache bei seinem Gläubiger, Froschauer, den er bald zu befriedigen verspricht.

1 Der Inhalt des vorliegenden Briefes, Sulzers Anwesenheit in Basel, die nervöse politische Atmosphäre, die Gerüchte über geheime Pläne der V Orte hinsichtlich der Gemeinen Herrschaften etc. weisen auf das Jahr 1532 hin. In der Simlerschen Sammlung (Zürich ZB, Ms S 32, Nr. 152) wurde das Datum von 1533 auf 1532 korrigiert; vgl. auch unten Nr. 150.
2 Der Brief scheint nicht erhalten zu sein.
3 Die V Orte.
4 der Gemeinen Herrschaften.
5 Zur gespannten Atmosphäre und zu ähnlichen
Gerüchten im November 1532 vgl. ASchweizerRef IV 1984; HBRG III 330f; Pestalozzi 113f. Zum Mandatstreit s. unten S. 288f, Anm. 7.
1 Lorenz Meyer (Agricola), 1497-1564, aus Winterthur, studierte 1520 in Basel und wurde 1523 Helfer Leo Juds an St. Peter in Zürich. Wegen des Verdachts der Beteiligung an Bilderzerstörungen wurde er gefangengenommen, doch mangels Beweisen wieder freigelassen (AZürcherRef 414). Als Pfarrer in Stammheim (Kt. Zürich), 1524—1543,


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Laurentius Agricola Vituduranus Heinricho Bullingero, viro claro, docto, pio et imprimis humano. S.

Mitto ad te, Bullingere doctissime, carmen lingua nostra, hoc est germanica, scriptum 2 et epigramma «In Zingliomastigas» 3 , propterea ut tibi, viro humanissimo, partim amorem erga defunctum Zinglium exponerem, partim, quae pollicitus, cum in urbe essem, praestarem, et quod tunc postulabas, nunc ferente Erasmo Fabritio 4 , viro erudito et gravi, acciperes. Etsi leviora tua gravitate, tamen tua meam afficit tenuitatem humanitas, immo amor erga te meus perennis iussit haec macra ad te dare poemata. Sanctissime mecum egisse deos arbitror, si haec tibi - caeteros tetricos censores nihil moror -placuerint iudicioque tuo vel steterint vel ceciderint.

Vale in Christo servatore nostro. Is te nobis diu servet superstitem et incolumem. Amen.

Sthammae, 14. novembris anno caedis Zinglii nostri altero 5 .

Saphico 6 extremam manum nondum imposui. Brevi ad te mittam vel ipse portabo. Parentes 7 valere tuos sanctissimos una cum honestissima uxore tua 8 cupio valde. Acerbitatem Christophori calcographi 9 , oro, tua dulcedine velis redulcorare; ob debiti aeris tarditatem in me factus inhumanior. Ego vero sic me urgente necessitate non malitia pecco, sed aeris penuria. Vina 10 nondum vendidi, redditus annales nondum accepi. Quam primum vina vendidero, sancta fide polliceor iustam ei debiti pecuniam missurum. Fac, quod postulo. Quod promisi, curabo sedulo.

[Adresse auf der Rückseite:] H[einricho] B[ullingero], ecclesiasti Tigurino.

setzte er sich für die Reformation ein. 1527 wurde er Dekan des Kapitels Stein, 1528 nahm er an der Berner Disputation teil. Wegen Ehebruchs wurde er im Oktober 1543 abgesetzt und kurz gefangengehalten (Zürich StA, Synodalakten, E II 1,295f). Dank Frechts Empfehlung fand er Anstellung im pfalz-neuburgischen Gebiet, wo er an verschiedenen Orten als Prediger, bzw. als Diakon wirkte. Im Frühjahr 1545 wurde Meyer wieder in die Zürcher Synode aufgenommen, blieb aber noch in Ottheinrichs I. Dienst. Nach kurzer Tätigkeit in Augsburg wurde er 1547 Pfarrer in Schwanden (Kt. Glarus), 1552 in Dällikon (Kt. Zürich), 1555 in Lauingen an der Donau und von 1557 bis zu seinem Tod im zürcherischen Oberglatt. Meyer darf als einer der originellsten Köpfe der Zürcher Reformation angesehen werden, war aber offenbar von unstetem, schwierigem Charakter. Er verfaßte Gedichte auf Zeitereignisse und ein militärwissenschaftliches Werk. Mehrere Briefe Meyers an Bullinger, den er möglicherweise an der Berner Disputation kennenlernte, sind erhalten. — Lit.: AZürcherRef, Reg.; Z XI, Reg.; Basel, Matrikel I 344; Karl Schottenloher, Pfalzgraf Ottheinrich und das Buch. Ein Beitrag zur Geschichte der evangelischen Publizistik, Münster 1927. — RGST L/LI, S. 26.41.63.133-135.193; Emanuel Dejung, Die Meyer von Winterthur, Njbl. der Stadtbibliothek Winterthur 1939, S. 10-12; Markus Jenny, Zwingli-Epitaphe, in: Zwa X 258-260; Jean-Pierre Bodmer, Eine antitridentinische Karikatur von Pfarrer Lorenz Meyer, in: Festgabe Leonhard von Muralt, Zürich 1970, S. 221-227; Pfarrerbuch 434; Weigel-Wopper-Ammon, Neuburgisches Pfarrerbuch, Kallmünz 1967, S. 2, Nr. 11; Hans Wiedemann, Augsburger Pfarrerbuch. Die evangelischen Geistlichen der Reichsstadt Augsburg 1524-1806, Nürnberg 1962. — Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, Band XXXVIII, S. 29, Nr. 161.
2 Nicht nachweisbar.
3 Gedruckt bei Jenny, aaO. Der Titel des Gedichts bedeutet soviel wie «Gegen die Zwingli-Geißelungen».
4 Der aus Stein am Rhein stammende Erasmus Schmid, damals Pfarrer in Zollikon, kam vermutlich anläßlich eines Besuches seiner Vaterstadt bei Meyer vorbei.
5 Im zweiten Jahr nach Zwinglis Tod, d. h. 1532.
6 Eine sapphische Ode Meyers ist nicht nachweisbar.
7 Dekan Heinrich und Anna Bullinger, geb. Wiederkehr.
8 Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
9 Weshalb Meyer bei Froschauer Schulden hatte, ist nicht bekannt.
10 Der Weinzehnte, der zu einem Teil verkauft