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Autograph: Zürich StA, E II 368, 226 (Siegelspur)
Hatte im letzten Sommer gehofft, auf seiner Reise in die [Deutschschweiz]auch nach Zürich zu
kommen, doch wurde er unterwegs zurückgerufen; deshalb bittet er nun - ermutigt durch
Grynäus -auf brieflichem Weg um eine Stellungnahme zu seinem Anliegen. Wie es bei ihnen
steht, schreibt er nicht, da der Bote, der ihm eng verbunden ist, mündlich darüber berichten
wird; nur das eine Problem, das er auch im Brief an Kaspar Megander berührt hat, möchte er
ihm vorlegen: Zusammen mit vielen Kollegen ist er tief besorgt über die verbreitete Gottlosigkeit;
zwar ist an die Stelle des Opferwesens die Predigt getreten, doch wegen der allgemeinen
Geringschätzung der Religion bleibt die Frucht aus, so daß jetzt erst recht Gottes Zorn
droht. Warum keine Besserung gelingt, ist ihm unklar; jedenfalls sollte wieder eine Kirchenzucht
eingeführt werden, doch Vorbilder fehlen, und eine Rückkehr zur papistischen Ordnung
kommt nicht in Frage. Viret und seine Kollegen wissen nicht, wie vorzugehen wäre, um eine
dem apostolischen Vorbild entsprechende Ordnung einzuführen, und fürchten deshalb, ihre
Kirche könnte in Disziplinlosigkeit untergehen. Er hofft auf guten Rat, da man sich in ZürichBriefe_Vol_10-052 arpa
zweifellos ähnliche Gedanken macht. Gruße an die Zürcher Pfarrer; auch seine Kollegen
lassen grüßen.
[Gedruckt: CO XI 19-21, Nr. 209; Corr. des réformateurs VI 181-184, Nr. 851; französische Teilübersetzung: Jean Barnaud, Pierre Viret. Sa vie et son oeuvre (1511-1571), Saint-Amans 1911, S. 185f.]