Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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[Bullinger] an
Martin Bucer
[Zürich,
zweite Hälfte Mai 1532]1

Abschrift a : Zürich ZB, Ms S 31,4. —Ungedruckt

In Auseinandersetzung mit Bucers Vorwurf, die Zürcher hätten sich im und nach dem Zweiten Landfrieden treulos verhalten, hebt Bullinger hervor, daß der Friede den alten eidgenössischen Bünden gemäß sei und auch die Restitution des St. Galler Abtes vorsehe. Eine unterschiedliche Rechtsauffassung zwischen Zürich und Bern einerseits sowie Luzern andererseits herrscht indes über die Zuläßigkeit der Behauptung, menschliche Satzungen seien Erfindungen des Teufels. Über diese Frage wird es eine Rechtsentscheidung geben.

Legi, Bucere doctissime, piissimam illam tuam epistolam ad Leonem 2 nostrum scriptam, in qua nihil est, quod non magnifice admirari et amplecti cogar. Incusas perfidiam nostram, quam et nos non tam, quod perfidia sit, execramur, quam quod malis artibus, nostrorum sociorum vero inconstantia et hostium composita sit violentia. Mones, ut nostros hortemur veritatem ac fidem servent, id quod satis sedule, quantum videlicet gratiae concessit omnipotens, facimus, sed sero nimis. Tum enim, quemadmodum Carthag[iniensibus] dicebat Hannibal, nobis flendum aut

5 Zu Bullingers Antwort auf Johannes Fabris Trostbüchlein, die Anfang Mai 1532 erschien, s. oben S. 110, Anm. 9.
a Johann Jakob Simlers Kopie beruht auf Bullingers nicht mehr erhaltenem autographen Konzept aus der Bibliothek Schneebergers. Die ebenfalls aufgrund dieses Autographs hergestellte Kopie in der Sammlung Hottingers (Zürich ZB, Ms F 36 484) bietet den schlechteren Text, weshalb Simlers Kopie dem Abdruck zugrundegelegt ist, s. oben S. 42, Anm. a.
1 Der Brief muß einerseits nach Bucers Brief an Leo Jud von Anfang Mai 1532 (siehe die folgende Anmerkung) und vermutlich nach der Badener Tagsatzung vom 10. bis 16. Mai
1532 (siehe unten die Anmerkungen 7 und 12) sowie andererseits vor Bullingers verlorenem Brief an Capito mit der Übersendung des sogenannten Messemandates vom Juni 1532 (Rott, Bullinger und Straßburg 267, Nr. 11) geschrieben sein. Am wahrscheinlichsten ist eine Abfassung vor dem Erscheinen des Messemandates am 29. Mai 1532, also in der zweiten Maihälfte.
2 Bucers Brief an Leo Jud (Zürich StA, E II 348,369f) ist zwar undatiert, läßt sich jedoch mit einiger Sicherheit auf Anfang Mai 1532 einreihen, da Bucer Einzelheiten der Schweinfurter Verhandlungen erwähnt, s. Rott, Bullinger und Straßburg 266, Nr. 9, der den Brief «kurz nach» dem 9. Mai einordnet.


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moriendum fuisset 3 , cum durissimas ilias pacis conditiones susciperemus. In illa pace 4 abbas Sanctogalli exilio liberatus et regno est restitutus. Illa eadem oblata est impiis ansa stultas papae relevandi ceremonias, si qui sunt apud eos, quos communi imperio 5 cum Quinquepagicis habemus subiectos. Illa pace vetusta illa renovata sunt Elvetiorum foedera, quae sic instituta sunt, ut in communibus illis provinciis, si vera narrant plerique, plurimorum vincant suffragia 6 , iam ergo libera sit apud omnes fidei religio. Oboriatur autem inter provinciales quaestio 7 vindice digna, utpote violarit ille pacis conditiones, qui dixit humanas constitutiones daemonis esse inventa 8 . Hic senatorum Helveticorum, qui de provincialium caussis iudicaturi conveniunt, expectanda erit sententia. Consident ergo cantones octo 9 , proponitur caussa. Iudicat Tigurinus Paulli esse istam sententiam 10 , minime ab homine damnandam et proinde reum quoque esse absolvendum, ut qui pacis conditiones non violarit, qui suam fidem, quam liberam faciat pax, sit confessus. Idem iudicat et Bernas 11 . Sed subiungit Lucernas 12 verba esse satis acerba et in fidem catholicam, cuius ipsi cultores sint et defensores, impie eiaculata et proinde in pacem peccatum reumque mulctandum.
3 Livius, Ab urbe condita XXX,44.
4 Obwohl der Text des Zweiten Landfriedens die Restitution des Abtes von St. Gallen nicht ausdrücklich vorsieht, wird sie doch durch die allgemeinen Bestimmungen des Vertrages für selbstverständlich erachtet, s. Kessler, Sabbata 385,1-25 (bes. 6f). 387, 15—389,9; HBRG III 302-306.
5 Bullinger spielt auf folgende Abschnitte des Zweiten Landfriedens an: «Ob ouch die selben [sc. die wieder katholisch Gewordenen], es wär an einem oder mer enden, die siben sacrament, das ampt der helgen meß und ander ordnung der cristenlichen kilchen ceremonia wider ufrichten und haben wellten, daß sy das ouch tuon söllen und mögen und das selb als wol halten, als der ander teil die predicanten», EA IV/1b 1568f.
6 Der Zweite Landfrieden bestätigt ausdrücklich die alten Rechte und Freiheiten (EA IV/1b 1568), wozu das vorreformatorische Prinzip des Mehrheitsbeschlusses in allen Angelegenheiten gehört. Über die Geltung dieses Grundsatzes in religiösen Fragen hatte es zwischen reformierten und katholischen Orten vor dem Kappelerkrieg immer wieder Auseinandersetzungen gegeben, s. Paul Brüschweiler, Die landfriedlichen Simultanverhältnisse im Thurgau, Frauenfeld 1932, S. 72-75.
7 Obwohl Bullinger hier allgemein von der strittigen Frage des «Schmähens» spricht, dürfte er die auftauchenden Differenzen im Herrschaftsgebiet des Abtes von St. Gallen im Auge haben. Es beschwerten sich nämlich Rheintaler Prädikanten am 4. Mai 1532 in Zürich darüber, daß sie des Friedensbruches beschuldigt würden, obwohl sie sich keines Vergehens bewußt seien (EA IV/1b 1335f; ASchweizerRef IV 1584). Der Zürcher
Rat wies sie an die bevorstehende Tagsatzung zu Baden, 10. bis 16. Mai 1532. Dort kamen die Beschwerden tatsächlich zur Sprache (EA IV/1b 1341; ASchweizerRef V 149). Neben den Rheintalern trugen allerdings noch weitere Untertanen des Abtes bei dieser Gelegenheit Gravamina vor. Die Angelegenheit verschob sich auf die Frage, ob die Bestimmungen des Zweiten Landfriedens über die Gemeinen Herrschaften überhaupt auf das äbtische Gebiet angewendet werden können, oder ob der Abt als souveräner Herr zu gelten habe, wie die katholischen Schirmorte angaben, s. EA IV/1b 1341; Frey 188f.
8 Über das «Schmähen» stellt der Zweite Landfrieden fest: «Es soll ouch thein teil den andern von des gloubens wegen weder schmützen noch schmächen, und wer darüber tuon wurdi, daß der selbig je von dem vogte daselbs dorum gestraft werden söll, je nach gestalt der sach», EA IV/1b 1569.
9 Die sogenannten VIII alten Orte: Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug, Zürich, Glarus, Bern. Zur Bezeichnung s. Wilhelm Oechsli, Die Benennungen der alten Eidgenossenschaft und ihrer Glieder, in: JSG 41, 1916, 72. Die ersten diesbezüglichen gemeinsamen Verhandlungen der VIII Orte fanden am 23. Juli in Rorschach statt, EA IV/1b 1378f; HBRG III 362-364.
10 Vgl. 1 Kor 7,21.
11 Tatsächlich unterstützte Bern in einem Schreiben vom 25. Mai 1532 an den Abt offiziell Zürichs Standpunkt, ASchweizerRef IV 1645.
12 An der Badener Tagsatzung vom 10. bis 16. Mai 1532 widersetzte sich Luzern ausdrücklich Zürichs Rechtsmeinung, EA IV/1b 1341.