Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



Hauff_Vol_5-005 Flip arpa

Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}

10. Zweifel.

Der alte Herr von Rempen erinnerte sich mehrerer Fälle, wo die feierliche Verlobung gräflicher, sogar fürstlicher Paare gleich den andern oder dritten Tag, nachdem die Werbung angenommen worden, vor sich gegangen war. Er stand daher um so weniger an, seinen Neffen und Elisens Vater zu gleicher Eilfertigkeit zu treiben, als er selbst gleich nach dieser Szene, wobei seiner Meinung nach sein Segen notwendig sei, mehrere Wochen auf dem Lande verweilen wollte. So kam es, daß sich der Stallmeister durch den verhängnisvollen Zug der Umstände auf einmal in die ruhige Bucht eines schönen, häuslichen Glückes versetzt sah, als er sich kaum noch auf hoher See glaubte oder wenigstens von Klippen träumte, an



Hauff_Vol_5-300 Flip arpa

welchen seine Hoffnung auf immer scheitern könnte. Am Morgen jenes festlichen Tages, der zu seiner Verlobung angesetzt war, brachte ihm ein Knabe einen Brief. Die Hand, die ihn überschrieben, war ihm unbekannt. Eröffnete und fand den Namen des Magisters Bunker unterzeichnet. So unangenehm auch die Erinnerungen sein mochten, mit welchen dieser Name in Verbindung stand, so machte doch das Andenken an diesen alten Mann und die wenigen rührenden Worte des Briefes tiefen Eindruck auf ihn. Erbat den Stallmeister, dem Knaben zu ihm zu folgen; er habe ihm notwendig etwas zu eröffnen und sei selbst zu schwach und angegriffen, als daß er über die Straße gehen könne. Rempen fürchtete anfangs ein Zusammentreffen mit Palvi. Als aber der Knabe auf seine Frage, ob Herr von Palvi bei dem Alten sei, antwortete: "Ach nein! der ist schnell ganz weggereist und kommt nimmer wieder, und der alte Herr Magister hat geweint wie ein Kind," so nahm er eilends seinen Hut und folgte.

Der Knabe führte ihn durch mehrere Seitenstraßen in einen abgelegenen Teil der Stadt, wo nur arme Leute und Handwerker wohnten. bis vor ein kleines, aber reinliches Haus. Dort stieg er eine Treppe hinan und öffnete dem Stallmeister eine Tür. Es war ein Zimmer voll Verwirrung und Unordnung, in das sie traten. Papiere und Bücher lagen am Boden zerstreut, und die Trümmer einer Gitarre mischten sich mit ausgeleerten Flaschen und alten Schuhen. Auf den Stühlen lagen Kleidungsstücke, auf dem schlechten Kanapee aber saß, den Kopf in die Hand gestützt, ein Mann, in welchem Rempen den Alten erkannte. Beim Geräusch, das ihr Eintreten verursachte, wandte er den Kopf um und hatte Tränen in den alten Augen.

"Vergeben Sie mir!" sagte er, indem er mit Mühe sich aufraffte . "Meine Beine tragen mich nicht mehr zu Ihnen, und meine Hand zittert — ich musste meine Botschaft mündlich geben."

"Was ist vorgegangene" rief der junge Mann bestürzt. "Sie sind krank. Sie weinen um wen? Und von wem eine so feierliche Botschaft

Der Alte trocknete sich die Augen. "Er hat viel auf Sie halten," sprach er, "noch gestern und vorgestern hat er immer von Ihnen gesprochen und innig bedauert, daß er Sie so spät erst kennen gelernt habe. Sie hätten können herzliche Freunde werden; denn Sie sind keiner von den schuftigen Gesellen, die er verabscheute."

"Mein Gott, Sie sprechen von Palvi? Wo ist er?"

"Möge ihn ein gütiger Arm vor den Wellen des flusses bewahrt haben!" erwiderte der Alte sehr ernst; "doch, nicht wahr, junger Mann, es gehört größere Kraft dazu, einen Kummer zu



Hauff_Vol_5-301 Flip arpa

tragen, als sich von ihm zerbrechen zu lassen? Nicht wahr? Ich glaube es wenigsten', und er ist eine kräftige Seele, er kann nicht zum Selbstmörder werden."

Rempen verhüllte sein Gesicht, er konnte den tiefen Gram des Alten nicht länger sehen. Aber dieser zog ihm ängstlich die Hand von den Augen. "O, lesen Sie doch," sagte er, indem er ihm einen Brief darbot; "lesen Sie genau, prüfen Sie jedes Wort; nicht wahr, es steht nichts dann, daß er sich töten wolle?"

Rempen nahm das Blatt; es war in wenigen Worten ein kurzer, aber ergreifender Abschied an den Alten. Er müsse ihn und diese Stadt verlassen, schrieb er. Als Grund gab er nur flüchtig sein unglückliches Verhältnis zu Elisen an, von welchem der Alte völlig unterrichtet schien.

Rempen suchte den Alten zu trösten; sei so natürlich, sagte er, daß Palvi sich zerstreuen wolle, daß er vielleicht nur eine kleine Reise mache.

Aber der Alte schüttelte mit bitterem Lächeln den Kopf. "Er kommt nicht wieder, und ach, ich habe keine Freude und keinen Freund mehr! bat alle seine kleinen Rechnungen bezahlt, und mir," setzte er weinend hinzu, " mir hat er seine Bücher und alles hinterlassen. —Doch zu meinem Auftrag! Sie sehen, wie sehr er Sie schätzte, hier ist ein Paket mit Büchern an Sie, die Adresse schrieb er noch heute morgen, und in einem kleinen Zettelchen, das er darauf gelegt hat, bittet er mich, Sie bei allem, was heilig ist, zu versichern, daß er kein schlechter Mensch gewesen sei, daß er Sie liebe und in Ihrem Glück sein eigene:, finde."

Indem der Magister noch diese Worte sprach, hörte man ein Geräusch auf der Treppe, eilende Schritte nahten dem Zimmer, die Tür ging auf, und, ein Zeitungsblatt in der Hand, stürzte der Buchhändler Kaper in das Zimmer. "Wo ist er?" rief er erhitzt und atemlos. "Wo ist der große und unvergleichliche Hüon, unser Scott, unser letzter Ritter? Wo ist die Blüte und der Kern unserer Literatur? Ich meine den Herrn Referendar von Palvi, der hier logiert, wenn ich nicht irre," setzte er hinzu, als er den Gesuchten nicht im Zimmer fand.

"Er ist verreist, antwortete der Alte.

"Himmel! komme ich zu spät?" fuhr Sayer fort; "wissen Sie nicht, hat Hüon schon einen Verleger zum nächsten Historischen? Daß wir es erst heute erfahren müssen! — Ei! ei! gratuliere, Herr Stallmeister, zu meiner schönen Nachbarin. — Aber wer hätte das gedacht, daß wir den göttlichen Hüon in den eigenen Mauern hätten, daß es dieser Herr von Palvi wäre!



Hauff_Vol_5-302 Flip arpa

"Wie?" rief der Stallmeister, indem er den Alten staunend anblickte, " er wäre Hüon?"

"Da steht's, da steht's gedruckt im Konversationsblatt," schrie der Buchhändler, indem er seine Zeitung dem jungen Rempen überreichte .

"Hüon," sagte der Alte, " er war Hüon. Wohl hat er den Ungläubigen die Backenzähne ausgezogen, und vergebens kämpften sie gegen meinen edlen, jugendlichen Paladin; aber sein Geschick wollte, er sollte Hüon ohne Rezia sein."

Noch einmal öffnete sich die Tür und spie, wie das Tor im Löwengarten des Königs Franz, zwei Leoparden auf einmal au: Es waren der Rat und der dramatische Professor, die hereinstürzten. Wo ist er?" riefen sie. "Vergessen sei alle Fehde! Wir hatten ja einen ganz andern im Verdacht, der Autor dieses Romans zu sein; darum, gewiß nur darum haben wir ihn gehauen. Ins Freitagskränzchen soll er kommen, Mitarbeiter soll er werden am ,Belletristischen Vergnügen Den Zündler soll er uns ersetzen, der treffliche Hüon!" So schrien sie durcheinander; aber mit Hohn und Verachtung blickte sie der Alte an. "Ihr findet ihn nicht mehr," sagte er. "Er ist hinweg für immer."

"Hat er etwa einen Ruf bekommen?" rief der Professor.

Ha!" rief ihm der Rat nach, "das ist ja wohl Zündlers rätsel hafter Magister. Herrlicher Fund! Wir zahlen zehn Taler pro Bogen, Wertgeschätzter. Arbeiten Sie mit an unserm Blatte, was Sie wollen, Gedichte, Novellen, Rezensionen, Kunstgefühle, wir nehmen alles auf!"

Zurück!" entgegnete der alte Mann mit mehr Hoheit, als ihm Remyen zugetraut hatte. "Ich habe einen Freund verloren, eine große, schöne Seele, und bin nicht gesonnen, ihn mit euch und euren Talern zu ersetzen. Dort am Boden liegen Palvis Papiere — teilet euch in seinen poetischen Nachlaß!"

Er sprach nahm den Stallmeister unter den Arm und verließ mit ihm langsam das Zimmer. Kaper, der Rat und der Professor stürzten wie Drachen auf den Boden und über die Papiere her, und mitten in seinem Kummer mußte der Stallmeister lächeln, als ihm der Alte auf der Treppe entdeckte, jene werden nur Fragmente von juridischen Relationen und unbedeutende Kriminalakten finden. Als aber der Alte an der Tür des Hauses mühsam und auf seinen Stab gestützt, an den Häusern hinschleichen wollte, ergriff Remyen seinen Arm von neuem und führte ihn trotz seiner Widerrede bis zu seiner Wohnung. Dort setzte sich der Magister auf einen Stein, um Kräfte zu gewinnen; denn sein Stübchen lag fünf Stockwerke hoch.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt