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Kapitel 

Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}

9. Das Geheimnis.

Elise hatte dem Stallmeister. als er beim Nachhausefahren neben dem Wagen ritt, erlaubt, sie den anderen Tag zu besuchen; er kain, er fand sie allein und gütiger gegen ihn gesinnt als je. Sie neckte ihn über seine Eingriffe in die literarische Welt und riet ihm, nie etwas drucken zu lassen; denn er habe alle Rezensenten gegen sich aufgebracht.

"Und sind denn nicht Sie mir einige Minuten gram gewesen," fragte er lächelnd, "weil es einer Ihrer Freier war, den ich entlarvte?"

"Einer meiner Freier?" fragte sie hocherrötend. "Zündler? Sie irren

"O, Sie schenkten ihm oft ein geneigtes Ohr," fuhr er fort, "verabschiedeten mich oft mitten im Gespräch, um auf die Worte dieses großen Dichters zu lauschen."

"Gewiß nicht, Rempen!" antwortete sie verlegen. "Und einer meiner Freier, sagten Sie, als ob ich deren viele hätte!"

Ich kenne wenigstens einige," erwiderte er mit lauerndem Blick.

"Und wen ?"

"Zum Beispiel Palvi."

"Palvi!" rief sie erbleichend. "Was wollen Sie mit Palvi? Ich kenne ihn nicht."

"Elise," erwiderte der Stallmeister sehr ernst, "Sie kennen ihn. Der Zufall ließ mich vorgestern hören, daß Sie ihm selbst sagten, wie gut Sie ihn kennen. Sie liebten ihn."

"Nimmermehr!" rief sie mit glühendem Gesicht. "Er ist ein Abscheulicher! Glauben Sie, ich werde einen Elenden lieben, der — mein Kammermädchen anbetet?"

"Elise! Valve"

Ja, ich gestehe es," flüsterte sie, in Tränen ausbrechend. Ihnen gestehe ich es: Es gab eine Zeit, wo ich für diesen Menschen alles hätte tun können. Ich kannte ihn noch aus meiner Kindheit und auch später; er war mir wert. Aber hören Sie: Schon oft hatte mir mein eingebildetes Kammermädchen von einem schönen Herrn erzählt, der sie immer anrede, ihr von Liebe vorschwatze und dem sie recht herzlich zugetan sei. Eines Tages stand sie dort am Fenster; auf einmal schlägt sie die Hände zusammen vor Freude, bittet mich, ans Fenster zu treten und ruft: "Sehen Sie, der dort in der Türe des Buchladens steht, der ist der schöne Herr!" Sie macht mir Platz. ich trete arglos hin, und aus dem Laden tritt in diesem Augenblick —"

"Wie, doch nicht Palvi ? rief der Stallmeister, ergrimmt über das schlechte Betragen eines Mannes, den er geachtet hatte.



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"Er selbst," flüsterte Elise und drückte ihre weinenden Augen in ihr Tuch.

Der Stallmeister überließ das unglückliche Mädchen einige Minuten der Erinnerung an einen tiefen Kummer; hatte er ja doch selbst diese Pause nötig, um sich zu sammeln. Liebe, Mitleiden, so viele andere Empfindungen stürmten auf ihn ein, rissen ihn hin, Elisens Hand zu ergreifen und sie an seine brennenden Lippen zu ziehen. Erschreckt, überrascht blickte sie ihn an; doch schien ein günstiges Gefühl für ihn ihren strafenden Blick zu mildern.

"Und darf ein Mann," sprach er bewegt, "zu Ihnen von Liebe reden, nachdem Sie so Bitteres von uns erfahren? Darf er sagen, er würde treu sein bis in den Tod, wenn Sie ihm nur einen Teil jener Liebe schenken könnten, die jener ganz besaß?"

"Julius, was fällt Ihnen ein?" rief sie mit bebenden Lippen, doch ohne ihm ihre Hand zu entziehen. "Wozu —"

"Elise," fuhr er fort, "ich kann einem so großen und schönen Herzen, wie da:: Ihrige ist, wenig Trost geben; aber die Zeit mildert; und kann nicht treue und aufmerksame Liebe selbst schönere Vorzüge ersehen?"

Sie wollte antworten, sie errötete und schwieg; aber ihren Blick voll Liebe und Wehmut durfte er günstig für sich deuten; er schloß sie in seine Arme und küsste ihren schönen Mund.

"Aber mein Gott, Rempen," sagte sie, indem sie sich sanft von ihm loszumachen suchte, " was machen Sie doch?"

"Ich habe dich ja längst geliebt," fuhr er fort, "hatte nur einen Wunsch; ich glaubte dein Herz nicht mehr frei und zögerte; jetzt, da ich weiß, daß nur Gram, aber keine fremde Liebe in diesem Herzen wohnt, jetzt mußte ich dieses lästige Geheimnis von mir werfen. Aber wie? — zürnen Sie mir vielleicht über alles dieses?"

"Julius!" rief sie, erschreckt von dem wehmütigen Ton, womit er die letzten Worte sagte. Dieser Name, so sanft und wohlwollend ausgesprochen, ihr ängstlicher, zärtlicher Blick sagten ihm mehr als alle Worte. "Und darf ich mit dem Vater reden, Elise? Darf ich?" setzte er hinzu.

Sie errötete und erbleichte ebenso schnell wieder, sie sah ihn eine kleine Weile prüfend an, eine Träne trat in ihre schönen Augen; aber um ihren Mund zog ein flüchtiges, feines Lächeln; sie drückte seine Hand; eine kleine Bewegung des Hauptes und die hohe Röte, die wieder über ihre Wangen ging, sagten ja, und schnell, wie vom Winde hinweggetragen, war sie in ein anderes Zimmer entschlüpft.

Der Stallmeister war in jeder Hinsicht eine so gute und anständige Partie, daß der alte Wilkow, als der Geheimrat von Rempen für seinen Neffen warb, keinen Anstand nahm, seine Zusage zu



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geben. Der junge Mann selbst war so von seinem süßen Glück erfüllt, daß er lange nicht an die Begebenheiten dachte, die diesem wichtigen Schritt vorangegangen waren. Endlich erinnerte ihn ein Zufall an Palvi; so unangenehm diese Erinnerung war, so fühlte er doch als Mann und als künftiger Gatte Elisens, daß er diesem Menschen, mochte er sich auch wirklich schlecht gezeigt haben, Erklärung schuldig sei. Und wie bebte seine Hand, als er ihm in wenigen Zeilen sagte, daß Elisens Widerwille unüberwindlich sei, daß er ihn versichern könne, daß sie niemals einen Mann mehr lieben werde, welchen sie aufzugeben nicht unrecht gehabt, dah er selbst versuchen wolle, Palvis Stelle bei ihr zu ersetzen. Ja, seine Hand, sein Herz bebte, als er diese Buchstaben niederschrieb; konnte ihn nicht beruhigen, daß er sich ins Gedächtnis recht lebhaft zurückrief, wie niedrig und elend dieser Mensch an einer so zarten, heiligen Liebe, wie sie Elise gab, gefrevelt habe. Die edeln Züge, das Auge dieses Mannes standen vor ihm; ein so hoher und liebenswürdiger Geist, so fein in Urteil und Benehmen, und dennoch so wenig sittliche Würden Die Erinnerung an jenen Abend, wo sich ihm Palvi so ernst und doch so herzlich genähert hatte, wo er ihm sein inneres Leben aufschloß und ein verarmtes Herz bei solchem Reichtum der Gedanken, eine tief verwundete Seele bei solcher Gesundheit des Geistes zeigte, machte ihn so wehmütig, daß er nahe daran war, die kaum geschriebenen Zeilen zu zerreißen; aber der Gedanke an Elise, die Vermutung , daß dieser Palvi jene schönen Empfindungen, so tiefe Rührung nur geheuchelt haben müsse, erkalteten schnell seine warme Teilnahme. Entschlossen schickte er den Brief ab, und doch deuchte es ihm, als er seinen Boten verschwinden sah, er habe einen Todespfeil auf ein edles Herz entsendet.


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