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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


8. Irinc und Irminfried

Zu den Söhnen Chlodwigs führt uns die Sage von Irini und Irminfried zurück, die wir bei Widukind von Corvey im 10. Jahrhundert finden.

Der Frankenkönig Chlodwig hinterließ uneheliche Söhne und eine



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eheliche Tochter Amelberg, die mit Irminfried, dem König der Thüringer , vermählt war, und über deren Grausamkeit und Machtgier schon Gregor klagt. Die Franken wählten seinen unehelichen Sohn Dietrich zu ihrem König. Dieser schickte Gesandte zu Irminfried und bot ihm Freundschaft an. Irminfried empfing sie freundlich, aber Amelberg wollte selbst herrschen, darum stiftete sie den Irinc, den klugen, tapferen und zähen Rat des Königs, an, daß er Irminfried bewege, er solle dem Dietrich keine freundliche Botschaft schicken. Irini gab ihr nach und drang mit seinem Willen durch, trotzdem alle anderen Räte gegen ihn sprachen. Irminfried sagte nun dem Gesandten: "Sage Dietrich, er, der als Knecht geboren, möge doch zuerst für sich die Freiheit und dann die Herrschaft zu erwerben trachten." Darauf versetzte der Gesandte: "Ich wollte dir lieber mein Haupt geben, als solche Worte von dir gehört zu haben, ich weiß wohl, daß um ihretwillen viel Blut der Franken und Thüringer fließen wird."

Als Dietrich diese Botschaft vernommen, wurde er erzürnt, aber er verstellte sich. "Es tut not, sagte er, daß wir eilig unsern Dienst bei Irminfried antreten, damit wir, der Freiheit beraubt, wenigstens das nackte Leben genießen."

In dem Krieg, der nun entbrannte, wurde Irminfried schließlich besiegt und zurückgeworfen; aber die Kräfte Dietrichs, des Siegers, waren auch geschwächt. Auf den Rat eines Alten, der zur Standhaftigkeit mahnte, verband er sich mit den Sachsen, die ein überaus tapferes und gefährliches Volk waren und von altersher die Feinde der Thüringer und die diese auch sofort überfielen. In dieser Not schickte Irminfried wieder den Irini zu Dietrich mit dem Anerbieten, daß die Thüringer sich doch mit den Franken verbinden und über die gefährlichen Sachsen herfallen sollten. Er verspreche den Franken Schätze und Unterwerfung. Irini, der die Räte des Königs mit Gold gewann, drang mit seinem Anerbieten wieder durch. Das Bündnis wurde geschlossen, doch wurde es durch einen Zufall bald verraten. Ein Sachse hatte nämlich einem Thüringer seinen Sperber geraubt; dieser wollte ihn wieder haben und empfing ihn auch, nachdem er das Geheimnis preisgab. Die Sachsen, als sie dies erfuhren, waren von Bestürzung erfüllt. Unter ihnen sprach ein von allen geehrter Greis, genannt Hathugast: " Bis hierher habe ich unter Sachsen gelebt und sie nie fliehen gesehen; so kann ich auch jetzt nicht genötigt werden, das zu tun, was ich niemals gelernt. Kann ich nicht weiter leben, so ist es mir das Liebste, mit den Freunden zu



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fallen; die erschlagenen Genossen, welche hier liegen, sind mir ein Beispiel der alten Tugend, da sie lieber ihren Geist aufgegeben haben, als vor dem Feinde gewichen sind."

Diese Worte machten auf die Sachsen großen Eindruck. Beim Einbruch der Nacht überfielen sie die Thüringer, brachten die Erwachsenen zum Tod und schonten nur die Kinder. Irminfried entrann mit Weib und Kindern und weniger Begleitung. Die Sachsen wurden von den Franken des Sieges gerühmt, freundlich empfangen und mit dem ganzen Land auf ewig begabt.

Welches Ende aber die Könige erreicht haben, fährt Widukind fort, will ich als eine merkwürdige Sage nicht versäumen zu erzählen. Irini nämlich, welcher an dem Tage, als die Stadt fiel, zu Dietrich geschickt wurde, blieb während der nächsten Nacht als Gast im Lager. Als aber Dietrich gehört hatte, daß Irminfried entkommen wäre, suchte er ihn durch List zurückzurufen und durch Irini töten zu lassen, wofür dieser mit herrlichen Gaben von ihm beschenkt und mit großer Macht im Reich betraut werden sollte, während Dietrich selbst gewissermaßen als fremd dieser Mordtat erschien. Nur ungern unterzog sich Irini diesem Auftrag; endlich durch trügerische Verheißungen bestochen, gab er nach und versprach ihm, willfährig zu sein. Irminfried wurde demnach zurückgerufen und warf sich dem Dietrich zu Füßen. Irini aber, der wie ein königlicher Waffenträger mit entblößtem Schwert daneben stand, tötete seinen knieenden Herrn. Sogleich rief ihm der König zu: " Da du durch solchen Frevel allen Menschen verhaßt geworden bist, weil du deinen Herrn getötet, sollst du freie Bahn haben, von uns hinwegzugehen, an deiner Freveltat wollen wir weder Schuld noch Anteil haben." " Mit Recht", erwiderte Irini, "bin ich allen Menschen verhaßt geworden, weil ich deinen Ränken gedient habe. Bevor ich jedoch von dannen gehe, will ich mein Verbrechen sühnen dadurch, daß ich meinen Herrn räche." Und wie er mit entblößtem Schwerte dastand, hieb er auch den Dietrich selbst nieder, nahm den Körper seines Herrn und legte ihn über den Leichnam des Dietrich, damit der wenigstens im Tode siegte, welcher im Leben unterlegen. Und er ging von dannen, mit dem Schwerte sich den Weg bahnend. — Ob dieser Erzählung, fügt Widukind hinzu, einiger Glaube beizumessen sei, das entscheide der Leser. Doch können wir nicht umhin, uns zu verwundern, daß die Sage solche Bedeutung gewonnen hat, daß mit dem Namen Irincs die sogenannte Milchstraße am Himmel noch heutigen Tages bezeichnet wird.



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Wir fügen noch hinzu, daß in den letzten Kämpfen des Nibelungenlieds dem Irinc und dem Irminfried bedeutende Rollen zugeteilt werden, sie sind die ersten tapferen Fürsten, die Hagen und die Burgunden angreifen, ihnen Wunden beibringen, aber ihr Leben dabei einbüßen.

Der Eingang des Liedes erinnert an den Eingang des Liedes von den Herulern, hier wie dort eine Gesandtschaft mit verletzenden , verhängnisvoll anschwellenden Reden. Helden und Heldinnen gleichen den uns vertrauten; die Amelberg der Rosimund, Irinc dem Peredeo, und wie Irini ist Hagen aus Treue und Untreue zugleich geschaffen. Hathugast, der Greis als Sinnbild des Heldentums, vergleicht sich dem alten Hildebrand, der Berchter, dem Starkad, wie seine Rede klingt in der späten Wölsungensage noch die Rede Wölsungs: er habe den Erd geschworen, er wolle weder Eisen noch Feuer fliehen, und habe ihn bis ins Alter nie gebrochen, seinen Söhnen solle man Todesfurcht nicht vorwerfen, hundertmal habe er gekämpft und immer gesiegt und niemand solle das hören, daß er fliehe oder um Frieden bitte. — Nach dem großen Eingang verrinnt und zerteilt sich die Handlung und gerät etwas ins Kleinliche.

Im legten Teil, den Widukind selbst eine Sage nennt, steigt sie auf einmal wieder mächtig an, und ein großer germanischer Konflikt spielt sich vor unsern Augen ab. Es ist der Konflikt der Gier nach Macht mit der Treue. Zuerst siegt die Treulosigkeit; dann triumphiert die Treue gegen den toten Herrn gewaltig über die Treulosigkeit gegen den lebenden. Der Verrat, der Hohn und der freche Tadel des Dietrich werden sein Verderben. Sie öffnen dem Irinc die Augen über die eigene Schändlichkeit und im jähen übergang erkennt er die ehernen Gebote des Gefolgsmanns, Treue und Rache. Und er, der sonst so bedächtig und langsam Vorgehende, handelt, von der aufflammenden Erkenntnis überwältigt, nur dem inneren Gefühle gehorchend, mit solch ungeheurer



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Schnelle, daß die Mannen des Dietrich wie gelähmt zur Seite treten und dem Mörder ihres Herrn freie Bahn lassen. Die Art, wie diese Szene geschildert und gesehen ist, und wie die ganz wenigen Worte die mächtigen seelischen Vorgänge klar und knapp zeichnen, das ist die unverkennbare Art des großen germanischen Dichters. Ein Ende von seltener Tragik; derselbe Ratgeber, dessen überlegene Klugheit die Schicksale der Könige lenkte, wird der Mörder des eigenen und des feindlichen Königs; derselbe Held ist der Träger der edelsten germanischen Eigenschaften und zugleich ein Abscheu der Menschen, der verzweifelt über die eigene Untreue in die Einsamkeit sich flüchtet. Wir begreifen es gut, daß Jahrhunderte diesen Irinc nicht vergessen konnten.

Erinnerungen an Söhne, Enkel, Urenkel Chlodwigs blieben in der Dichtung noch lange Zeit lebendig. Im 12. und in den folgenden Jahrhunderten sind sie in die Dichtungen von Hugdietrich und Wolfdietrich eingezogen, aber sie wurden gestaltlos und zerfließend. In dem bunten Hin und Her und in dem mittelalterlichen Gewoge dieser Dichtungen tauchen sie wie ein seltsam schimmernder Nebel manchmal auf.


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