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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


7. Chlothar. Die Franken

Von Chlothar, dem Sohn des Chilperich und der Fredegund, dem Urenkel von Chlodwig, erzählt Aimoin, ein Chronist des 10. Jahrhunderts, der aus älteren Berichten schöpft:

Chlotar hatte seinen Sohn Dagobert über die austrasischen Franken zum König gesetzt. Dieser brach mit Heereskraft über den Rhein auf, um die sich empörenden Sachsen zu züchtigen. Der sächsische Herzog Bertoald lieferte ihm aber eine schwere Schlacht; Dagobert empfing einen Schwertstreich in sein Haupt und sandte die mit dem Stück vom Helm zugleich abgeschnittenen Haare alsbald seinem Vater, zum Zeichen, daß er ihm schleunig zur Hilfe eile, ehe ihm das übrige Heer zerrinne. Chlotar bekam die Botschaft von der Gefahr, in der sein Sohn schwebte, wie er gerade auf der Jagd war. Bestürzt machte er sich sogleich mit dem geringen Gefolge, das ihn begleitete, auf den



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weiten Weg, schickte Gesandte an die anderen, daß sie sich anschließen sollten, eilte Tag und Nacht und langte endlich an der Weser an, wo der Franken Lager stand. Früh morgens erhoben die Franken ein Freudengeschrei über ihres Königs Ankunft. Bertoald am andern Ufer hörte den Jubel und fragte, was er bedeute. " Die Franken feiern Chlotars Ankunft." — "Ihr lügt", antwortete er lachend, " oder ihr träumt, wenn ihr das sagt, denn ich habe gewisse Kundschaft, daß der König, über den sie so freudig sich gebärden, nicht mehr am Leben sei." Da stand Chlotar am Ufer, und als er diese frechen Worte hörte, sprach er keinen Laut, damit seine Schweigsamkeit die Feinde noch mehr erschrecke, sondern erhob schnell seinen Helm vom Haupte, daß das schöne, mit weißen Locken gemischte Haupthaar herunterwallte. An diesem königlichen Schmucke erkannten ihn gleich die Feinde. Bertoald rief: "Bist du also da, weißmähnige Mähre (bale jumentum)?" Glühend vor Zorn setzte der König seinen Helm aufs Haupt und spornte sein Roß durch den Fluß, daß er sich an den Feinden räche. Alle Franken, zornig über das Unrecht, das ihrem Führer geschehen, und angespornt durch sein Beispiel, sprengten ihm nach. Chlotars Waffen waren schwer und beim Durchschwimmen hatte ihm Wasser den Brustharnisch und die Schuhe gefüllt. Dennoch folgte er dem fliehenden Sachsenherzog unermüdlich nach. Bertoald, zurückweichend rief dem König zu: "Es sei nicht gut und recht, daß er ihn verfolge. Er denke zu sehr an den eigenen Ruhm und trenne sich von den Seinen, um den Feind zur Flucht zu zwingen. Er solle sehen, daß ihm dies nicht zum Unheil ausschlage und ihn zugrunde richte." Während dieser Worte floh er immer so rasch er konnte und nannte sich seinen Knecht, jenen den Herrn. "Ungerecht sei es, daß der Knecht vom huldreichen Herrn und der Herr vom Knechte wider dessen eigenen Willen und gezwungen getötet werde." Chlotar aber wußte wohl, daß er aus Hinterlist so redete, kümmerte sich nicht um die Worte, sondern holte ihn mit seinem Schnellen Rosse ein und brachte ihn um. Darauf schlug er ihm das Haupt ab und trug es den nachkommenden Franken entgegen. Da verwandelte sich ihre Trauer in Freude, sie überzogen ganz Sachsenland und der König hieß alle Einwohner männlichen Geschlechts, die länger waren als das Schlachtschwert (spatha), das er damals grade trug, hinrichten; auf daß die jüngeren und kleineren durch das lebendige Andenken hieran abgeschreckt würden. Und so verfuhr Chlotar.

Zwei germanische Worte mitten in seinem Latein (bale: weiß,



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spatha: kurzes Schwert) und eine erhaltene Alliteration (bale: Bertoald) bestätigen uns, daß der Chronist ein germanisches Lied übertrug.

Der Rächer, den er tot oder weit entfernt glaubt, erscheint plötzlich vor dem, der seine Rache fürchten muß. Der weiß, daß die Stunde des Gerichts schlug, er sucht seinen Schreck durch wilde Prahlreden zu verbergen. Diese mächtige Szene unsres Liedes hat ebenbürtige Brüder in den Dichtungen von Ermanarich und Amleth; Heinrich von Kleist hat Szenen solcher Art mit neuem Leben erfüllt. — Ähnlich wie in unserm Lied stehen Verfolger und Verfolgter gegenüber in den nordischen Dichtungen von Hrolf und Adils, von den Halfdansöhnen und Frodi, inder deutschen Dichtung von Witege und Dietrich. — Chlothar ist stumm, seine Stummheit wird immer drohender, unheimlicher, schicksalhafter: in demselben Maße werden die Reden des Bertoald heimtückischer, verschlagener, unterwürfiger. Dieser Gegensatz von unbeweglicher Stille und erregtester Rede ist der andre dramatische Nerv unsres Liedes. — Im nordischen Lied von Ermanarich folgt den Prahlreden des Königs ein stiller, wilder, verbissener Kampf, dessen Zauber wird wieder durch einen unbedachten Ausruf gebrochen. In einer nordischen Sage von Hrolf und Adils endet eine stille Verfolgung mit einem lauten triumphierenden Ausruf. Witege, im deutschen Gedicht, wird stiller und stiller und verschwindet schließlich in den dunklen Fluten des Meeres, der Verfolger erhöht umsonst sein Bitten und Flehen. — Die Rache war heilig und Heiligkeit verlangte Schweigen: das muß man sich vorstellen, wenn man die ganze dramatische Kraft würdigen will, die in diesen Gegensätzen der Rede und der Stummheit, in natürlicher und immer neuer Meisterschaft vor uns ersteht.

Ein Bild, wie das des Bertoald, der im königlichen Schmuck seiner hellen Haare plötzlich, hoch zu Roß, sich dem Feind zeigt,



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haben wir in den germanischen Liedern noch nicht gesehen — diese bildhafte Kunst besaßen in der heroischen Dichtung, wie es scheint, vor allem die Franken. Es folgen dem Bilde Rede und Gegenrede, aufreizend, sich steigernd, zur Katastrophe führend wie in den uns bekannten besten germanischen Liedern, und von gleicher Begabung in der Zeichnung und Gegenüberstellung der Charaktere. Bertoald vergleicht den Chlothar mit einer Stute, die eine weiße Mähne trägt: diese, ebenso wie die Stuten mit einem weißen Fleck auf der Stirn oder mit weißen Flecken an den Hufen — wir erinnern uns an das Lied von Alboin und Turisind (S. 19) — gelten als besonders heimtückisch, darum ist dieser Vergleich solche Kränkung und erhöht die Wut des Angreifers . Der Schluß des Liedes ist sehr grausam: die Franken sind unter den Germanen die Wildesten und Grausamsten.

Barbarisch und grausam, zugleich heroisch, von unvergleichlicher dramatischer Kraft und bildhaft eindringlich — so stellt sich uns nun die Dichtung von Chlothars Sieg über die Sachsen dar. Das Lied erstreckte seine Wirkung tief in die französische Heldendichtung. —

Von den andern Berichten der fränkischen Chronisten erweckt unsre besondere Aufmerksamkeit die Geschichte von Chrotilds Verlobung. Sie ist vom s. bis zum 10. Jahrhundert, von Gregor von Tours bis zu Aimoin bezeugt.

Chrothild folgte dem berühmten Chlodwig als Braut. Ihr Oheim, der Burgundenkönig Gundobad, gab sie dem Bewerber widerstrebend, denn er hatte ihren Vater schimpflich getötet und ihrer Mutter einen Stein um den Hals gebunden und sie in den Fluß versenkt. Nun fürchtete er die Rache. Zu dieser Rache trieb denn auch der andere Bruder Gundobads, Godegisel. Den Frevler erreichte seine Strafe.

Diesen Bericht des Gregor von Tours verwandelten nun spätere Erzähler in Dichtung. Sie gestalteten die Werbung Chlodwigs ins Spielmännische und Novellistische um. Chlodwigs Bote Aurelian verkleidete sich als Bettler, als Chrothild aus der



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Kirche kam, bat er um ein Almosen, streifte ihr den Mantel weit über den Arm zurück und küßte ihre Hand. Das Mädchen eilte verwirrt nach Haus, sandte eine ihrer Dienerinnen zu dem vermeintlichen Bettler, der zu ihr kam, sich enthüllte, seine Werbung vortrug und auch Gehör fand.

So ungefähr und noch mit allerhand Zusätzen erzählt es ein Geschichtschreiber des 8. Jahrhunderts und noch Aimoin: es sind das typische Szenen aus Brautwerbungsgeschichten. Uns erinnert die Kühnheit des Aurelian an die des Authari (S. 34). Die überraschung der Braut beim Kirchgang, das heimliche Gespräch von Braut und Werber, die Verabredung der Flucht oder das Einverständnis schildern dann manche mittelalterliche Gedichte.

Der erste Teil der Dichtung wurde also zu einer Spielmannsfabel . Der zweite straffte sich ins Heroische: in den Berichten des 7. Jahrhunderts ist nicht Godegisel der Rächer, sondern Chrothild die Rächerin, sie hat die Rache lange ersehnt und jubelt auf und dankt Gott, als sie endlich sich erfüllt. Den König Gundobad warnt der weise Aridius, er möge die Jungfrau dem Chlodwig nicht geben, doch Gundobad fürchtet die Macht der Franken.

Wir betonen nun nochmals, daß unser Lied von Burgunden und Franken erzählt, oon der Rache an einem burgundischen Fürsten, von einer Jungfrau, die mädchenhaft scheu zuerst und dann unerbittlich grausam einem mächtigen Fürsten folgt, weil er das Werkzeug ihrer Rache werden kann, von schwerem Unrecht, das diese Jungfrau erlitt, von einem klugen Ratgeber eines Königs, der das Unheil sieht, das aus der Vermählung der Jungfrau entstehen muß und der warnt, aber umsonst. Nennen wir nun die Namen Etzel, Gunther, Hagen, Kriemhild, so fühlen wir die starken und fortlaufenden Übereinstimmungen zwischen der alten fränkischen Dichtung und dem zweiten Teil des deutschen Nibelungenliedes. — Aimoin erzählt uns auch die Geschichte vom kommenden Wald und den klingenden Schellen.



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Als Childebert mit großer Heeresmacht in Guntrams und Fredegundens Reich einbrach, um seinen Vater und seinen Oheim zu rächen, die durch die Anschläge Fredegundens getötet waren, ermahnte die Königin ihre Franken zu tapferem Streit, zur Verteidigung ihres Landes, zum ehrerbietigen Gehorsam und zur Treue für ihren jungen König; sie werde sich von den Taten eines jeden überzeugen und ihn nach seinem Verdienst belohnen. Dann ließ sie Guntrams hinterlassenes Söhnlein in der Wiege voraustragen und dem Säugling folgten die gewaffneten Scharen. Fredegund ersann nun eine List. In finsterer Mitternacht, angeführt von Landerich, des jungen Chlotars Vormund, erhob sich das Heer und zog in einen Wald. Landerich griff ein Beil und hieb sich einen Baumast; darauf nahm er Schellen und hing sie an des Pferdes Hals, auf dem er ritt. Dasselbe zu tun ermahnte er alle seine Krieger; jeder mit Baumzweigen in der Hand und klingenden Schellen auf ihren Pferden, rückten sie in früher Morgenstunde dem feindlichen Lager näher. Die Königin, den jungen Chlotar in den Armen haltend, ging voraus, damit Erbarmen über das Kind die Krieger entzünden möchte, welches gefangen genommen werden mußte, wenn sie unterlägen. Als nun einer der feindlichen Wächter in der Dämmerung ausschaute, rief er seinem Gesellen: " Was ist das für ein Wald, den ich dort stehen sehe, wo gestern abend nicht einmal kleines Gebüsch war?" " Du bist noch weintrunken und hast alles vergessen," sprach der andere Wärter, "unsre Leute haben im nahen Wald Futter und Weide für ihre Pferde gefunden. Hörst du nicht, wie die Schellen klingen am Halse der weidenden Rosse?" (Denn es war von alten Zeiten her Sitte der Franken, und zumal der östlichen, daß sie ihren grasenden Pferden Schellen anhingen, damit, wenn sie sich verirrten, das Läuten sie wiederfinden liebe.) Währenddessen die Wächter solche Reden untereinander führten, ließen die Franken die Laubzweige fallen, und der Wald stand da, leer an Blättern, aber dicht von den Stämmen schimmernder Spieße. Da überfiel Verwirrung die Feinde und jäher Schrecken; aus dem Schlaf erweckt wurden sie zur blutigen Schlacht, und die nicht entrinnen konnten, fielen erschlagen; kaum mochten sich die Heerführer auf schnellen Rossen vor dem Tode retten. . . . Nachdem sie einen so großen und unverhofften Sieg errungen, fiel Fredegund mit ihrem Sohn Chlotar und mit dem größten Teil des Heeres in die Champagne und Reims ein und erfüllte dort alles mit Feuer und Glut. Erst als es sich an Mord und Raub gesättigt, führte die Königin ihr Heer nach Soissons zurück.



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Fredegunde war die Gemahlin König Chilperichs und dieser ein Enkel Chlodwigs. Die Chronik der Frankenkönige, die auch unsre Sage, allerdings weniger wirkungsvoll, erzählt, weiß von ihr, daß sie niederer Herkunft, sehr schön und sehr klug war. Zuerst die Beischläferin des Königs, verdrängte sie dessen Gemahlin und setzte sich an ihren Platz. Dann aber hinterging sie den König mit seinem, Vertrauten Landerich und als Chilperich das entdeckte, ließ sie ihn durch gedungene Knechte ermorden und aussprengen, das fei das Werk Childeberts, seines Neffen, gewesen. Diese Untat der Fredegunde wollte Childebert rächen, doch es gelang ihm nicht.

Die Kriegslist dieser Geschichte, den kommenden Wald, kennen wir aus Shakespeares Macbeth. Shakespeare entnahm das Motiv einer schottischen Chronik; der dänische Geschichtschreiber Saxo und eine deutsche Volkssage, auch die arabische Dichtung bringen es an.

Das Gespräch der Wächter, der jähe überfall, die entscheidende Szene ist wieder wie ein Auftritt aus einem germanischen Heldenlied. So groß und so mächtig gesehen steht er selten vor uns: selten steigt der kriegerische Tag, der Wald, dicht von den Stämmen schimmernder Spieße, so hell und stolz vor uns auf und so bestürzend und jäh — aus dem geheimnisvollen und geschäftigen Dunkel der Nacht und dem unheilkündenden Dämmer des Zwielichts. Es ist wieder fränkische Kunst, die uns ihre Vollendung zeigt. —

Im nordischen Lied von Wieland wird der Rhein genannt, unter seinen Namen deutscher Herkunft steht ein fränkischer. Franken wird die Heimat des Liedes sein: seine Wildheit und Grausamkeit und seine furchtbare Rache traut man auch am ehesten den Franken zu; die Schatzgier der Königin, die Durchschneidung von Wielands Sehnen, den Mord der Knaben, denen Wieland den Deckel der Truhe auf den Hals wirft, als sie in die



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Truhe schauen, das Schmieden von Trinkschalen und Kostbarkeiten aus den Schädeln und Zähnen und Augen der Knaben, die Entehrung der Bodwild.

Der Kunst des Schmiedes galt schon in sehr alter Zeit ehrfürchtige Bewunderung. Einige Forscher führen das auf die Zeit zurück, in der man lernte, aus Eisen Rüstungen, Schwerter, Panzer , Geräte zu schmieden, nachdem man lange Zeit nur Holz und Stein bearbeiten konnte. Der Schmied galt als Zauberer, den Zwergen gleich weilte er in verborgenen Höhlen oder auf entlegenem Eiland. Vor den Eingang seiner Werkstätte legte man abends die Dinge, die gebessert werden sollten, am nächsten Morgen lagen sie schön und vollendet da. Von den germanischen Schmieden war Wieland der berühmteste, die vollendetsten Schwerter und Panzer galten als sein Werk.

Daß germanische Herrscher und Herrscherinnen Schmiede fast ebenso schlimm ausbeuteten wie Nidhod und Nidhods Gattin den Wieland, erzählt uns aus dem s. Jahrhundert die Lebensbeschreibung des heiligen Severin: Giso, die Gemahlin des rugischen König Feletheo, nahm Schmiede gefangen und zwang sie, königlichen Schmuck zu schmieden. Zu den Schmieden kam das Söhnchen des Königs, da drohten ihn die Schmiede zu ermorden und sich selbst zu töten, wenn sich niemand ihrer erbarme. Der heilige Severin besänftigte sie; sie wurden in Freiheit gesetzt und der Sohn des Königs gerettet. —

Auch das Lied von Siegfried und Brunhild und das vom Untergang der Burgunden prägte wohl zuerst fränkische Kunst.


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